G. Signori: Von der Paradiesehe zur Gütergemeinschaft

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Titel
Von der Paradiesehe zur Gütergemeinschaft. Die Ehe in der mittelalterlichen Lebens- und Vorstellungswelt


Autor(en)
Signori, Gabriela
Reihe
Geschichte und Geschlechter 60
Erschienen
Frankfurt am Main 2011: Campus Verlag
Anzahl Seiten
197 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anna Becker, Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Basel

In der Kulturgeschichte werden seit einiger Zeit die Fluidität und Ambiguitäten von Geschlechterbeziehungen und -vorstellungen der Vormoderne betont.1 „Mann” und „Frau”, „weiblich” und „männlich” erscheinen nicht mehr als festgesetzte Kategorien, die in strikter Hierarchie und Dichotomie zueinander standen, sondern werden in ihren vielfältigen Ambivalenzen dargestellt. Im Gegensatz dazu hat die Ideengeschichte sich noch wenig von der Auflösung dichotomischer Geschlechterbeziehungen erfassen lassen; die vorherrschende Meinung besagt, dass sich mittelalterliche Philosophen und Theologen in misogynen Allgemeinplätzen ergingen und „Mann“ und „Frau“ als Gegensätze beschrieben. Gabriela Signori hat nun einen überzeugenden Beitrag zur Geschlechtergeschichte der Vormoderne geleistet, indem sie den kulturgeschichtlichen Trend weiterführt und die Vielfalt zeigt, in der sich mittelalterliche Geschlechterbeziehungen und -identitäten ausformten.

Ihr Buch stellt vor allem eine Bereicherung für die ideengeschichtliche Forschung dar, da sie die misogyne Auslegung mittelalterlicher Texte relativiert und eine komplexere Analyse vorschlägt. Im Zentrum stehen mittelalterliche Quellen zur Ehe und zur Beziehung der Ehepartner. Die Ehe, so fordert Signori, müsse als „dritte Größe neben Mann und Frau fortan stärker in die Überlegungen der Geschichtswissenschaft“ eingebaut werden (S. 182). Wie die Autorin zeigt, wurde die Ehe in mittelalterlicher Theorie und im Alltag als eine Gemeinschaft von Mann und Frau verstanden, in der die Beziehung der Geschlechter zueinander immer wieder neu verhandelbar war.

Ausdrücklich möchte Signori eine „Brücke schlagen” zwischen „Diskurs” oder Theorie auf der einen und sozialen und kulturellen Lebenswelten auf der anderen Seite (S. 8). Sie tut dies in drei großen Kapiteln, in denen sie zunächst die „Welt der Ideen” und dann die „Verdinglichung“ dieser Ideen in der Praxis des Ehevertrags zum einen, und der spätmittelalterlichen Memorialkultur zum anderen untersucht. Der Ausgangspunkt ihrer ideengeschichtlichen Untersuchung ist die mittelalterliche Rezeption des Schöpfungsberichts, den Signori als „Schlüsseltext“ mittelalterlicher Ideen über die Ehe bezeichnet. In Rückgriff auf reichhaltiges Quellenmaterial von der Spätantike bis zum 15. Jahrhundert stellt sie überzeugend dar, wie in Genesisinterpretationen immer wieder auf die Ehe als „erhabenste aller Gemeinschaftsformen” rekurriert wurde. In der mittelalterlichen Vorstellungswelt hatte die Ehe nicht nur die Zeugung von Nachkommen und materielle Sicherung zum Ziel, sondern war ein bonum societatis, das zum bonum commune entscheidend beitrug. Philosophen und Theologen sahen die Ehe als Gemeinschaft (communitas) von Freunden, die zur gegenseitigen Hilfe verpflichtet sind. Mann und Frau wurden nicht nur unter dem Stichwort der Ebenbildlichkeit (similtudo) beschrieben, sondern vor allem als collaterales oder coaequales – also als Gleiche – begriffen, wie Signori anhand von Viktor von Sankt Hugo, Marbod von Rennes und Petrus von Blois aufzeigt. Im reich bebilderten Buch wird deutlich, dass diese Gleichheit auch in der Ikonographie der Schöpfungsgeschichte zu erkennen ist. Eva wurde häufig zur rechten, also zur besseren, Seite Adams platziert, das Paradiespaar als von gleicher Grösse dargestellt. Etymologien, wie die des Isidor von Sevilla, Bibel- und Sentenzenkommentare sowie eine knapper aber interessanter Abriss der römischen Rechtslehre und deren Ausformung im Mittelalter unterstützen Signoris These, dass die Beziehung von Ehemann und Ehefrau in der mittelalterlichen Philosophie als freundschaftlicher Zusammenschluss von Gleichen galt.

Zu diesem Verständnis der Ehe hat in Verbindung mit dem Schöpfungsbericht vor allem die Rezeption der aristotelischen praktischen Philosophie seit dem 12. Jahrhundert beigetragen, wie Signori überzeugend darlegt. Sie unterschätzt allerdings die Wirkungsmacht von Aristoteleskommentaren, von denen sie ausführlich nur auf den Fürstenspiegel De Regimine Principum des Ägidius Romanus eingeht, den sie als Kommentar zur Politik versteht. Das Werk kommentiert allerdings alle drei Teile der praktischen Philosophie des Aristoteles, also neben ethica und politica auch oeconomica. Seit dem 12. Jahrhundert beschäftigte man sich nämlich gerade in Kommentaren zur pseudo-aristotelischen Oikonomika (Signori nennt Ökonomik des Konrad von Megenberg genauso wie Oresmes französische Übersetzung der Oikonomika, aber bespricht diese nicht detailliert) und es waren gerade sie, die das Vokabular der Ehe mit aequalitas anreicherten. Bei Signoris These, dass die Vorstellung von Ehe als Gemeinschaft von Gleichen vor allem auf die mittelalterliche Vorstellung des paradiesischen Paares, das noch keine Hierarchie kannte, zurückgeht, gilt es zu bedenken, dass diese Gleichheit nur vor dem Sündenfall gegeben ist. Nach dem Fall ist die Ehebeziehung hingegen streng hierarchisch und gerade hier „half“ die aristotelische praktische Philosophie vermutlich mehr, als die Autorin dies darstellt. Signoris Anmerkung, dass der „Gleichheitsgedanke [...] zwischen Mann und Frau in der Ehe [...] der aristotelischen Politik fremd“ sei (S. 37), ist verkürzt. Denn gerade die aristotelische Vorstellung aus dem 1. Buch der Politik, dass die Ehe einer „politischen“ Beziehung entspricht, gab vormodernen Aristotelikern das Rüstzeug an die Hand, die Ehepartner auch in der diesseitigen Welt als gleichwertig zu verstehen. Die politische Regierungsform zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass dort Gleiche über Gleiche herrschen. Zwar ist die von Aristoteles geforderte Wechselseitigkeit der Herrschaft in der „politischen“ Gemeinschaft in der Ehebeziehung zugunsten des Mannes verstetigt, jedoch ändert dies nichts daran, dass hier die Ehepartner eine communitas von gleichwertigen Menschen bilden, die gemeinsam den Haushalt regieren. Darüber hinaus ist auch das Paradies in der mittelalterlichen Theorie kein hierarchie- und herrschaftsloser Ort. Obschon Thomas von Aquin die Gleichheit der Menschen im Paradies betonte, legte er doch wirkmächtig in seiner Summa Theologiae dar, dass jede Gemeinschaft soziabler Wesen immer zwingend Herrschaftsstrukturen beinhalten muss und es schon im Paradies Disparitäten der Geschlechter gab.

Im zweiten Kapitel, in dem Signori die „Verdinglichung“ der Ideen verhandelt, untersucht sie durch eine „Analyse soziokultureller Praktiken“ detailreich unterschiedliche Ehevertragssorten mündlicher und schriftlicher Art in verschiedenen Rechtskulturen des deutschsprachigen Raums (unter anderem in Basel, Köln und Strassburg). Sie sieht hier sowohl eine „Ökonomisierung der Ehe“ sich vollziehen (die sie auch für philosophische Traktate des fünfzehnten Jahrhunderts konstatiert) aber gleichzeitig den philosophischen Gleichheitsgedanken auch in der Praxis ausformuliert. Eheschliessungen seien nicht unbedingt strategisch gewesen, „dafür öfters ausgesprochen lukrativ”(S. 83–84). Signori stellt heraus, dass Frauen oft zur „Besserung“, das heißt zum sozialen Aufstieg ihrer Ehemänner beitrugen und in den Verträgen nicht zwingend Geschlechter- sondern soziale Rangunterschiede verhandelt wurden. Die Brücke zwischen Philosophie und Praxis ist vor allem in solchen Eheverträgen zu sehen, die sich explizit auf die Rhetorica ad Herennium beziehen. Hier wurde auf das Glück „als Ausgangslage und Ziel der heiligen Ehe” verwiesen; wie in den philosophischen Schriften wurde die Ehe als freundschaftliche Verbindung, die ausdrücklich der Konfliktvermeidung diente, beschrieben (S. 104). Viele Vertragsarten zeichneten sich durch strikte Symmetrie aus – für Ehefrau und Ehemann galten die gleichen Bedingungen – und durch das Ziel, die Ehegemeinschaft (und nicht nur eine der beiden Parteien) zu stärken. Die verschiedenen Vertragsarten sind, wie Signori selbst einräumt, nur schwer zu systematisieren – zu unterschiedlich sind Überlieferungslage und lokale Eigenheiten – aber es entsteht ein Bild von Ehe als „ein konstitutiver Bestandteil der spätmittelalterlichen Ökonomie“ (S. 123).

Im dritten Teil, passend überschrieben als „Jenseitsökonomien”, geht es um mittelalterliche Doppelgrabmäler, die das Sakrament der Ehe versinnbildlichten, die nicht durch den Tod aufgelöst wurde. In den Grabmälern wurde eheliche Zusammengehörigkeit und die Partnerschaft von Ebenbürtigen signalisiert. Die Platzierung der Ehepartner war nicht durch Geschlechterunterschiede markiert, sondern vor allem eine Frage des sozialen Rangs. Die Zahl der spätmittelalterlichen Grabplatten, auf denen die Ehefrau auf der rechten, also besseren Seite, gezeigt werden, ist überraschend hoch und spiegelt damit – wieder im Sinne des Brückenschlags zwischen Theorie und Praxis – die bildlichen Darstellung des Paradiespaares wider. Signori zeigt, dass die Memorialkultur, die zunächst mit dem Fokus auf Männer, dann mit dem Fokus auf Frauen untersucht wurde, eigentlich eine Memorialkultur der Ehegemeinschaft war, die durch die Werte Gemeinschaft, Freundschaft und Ebenbürtigkeit markiert ist. Dass ein solches Verständnis der Ehe weder in der Philosophie noch in der „Praxis“ selten war, hat Signori in allen drei Teilen ihres Buchs belegt. Ihre Forderung, in der Geschichtswissenschaft stärker die Ehe als eine wertvolle Kategorie vormoderner Geschlechterbeziehung zu untersuchen, hat sie damit überzeugend untermauert. Hervorzuheben ist die wunderbare Lesbarkeit des Buches, das leicht zugänglich komplexe Gedanken und ein extrem breites Material präsentiert. „Von der Paradiesehe zur Gütergemeinschaft“ wird die geschlechtergeschichtliche Forschung ohne Zweifel bereichern.

Anmerkung:
1 Vgl. Claudia Opitz-Belakhal, Geschlechtergeschichte, Frankfurt am Main 2010.

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