B.Rubin u.a.: Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East

Titel
Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East.


Autor(en)
Rubin, Barry; Schwanitz, Wolfgang G.
Erschienen
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
$ 35.00 / € 27,58
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Frank Schellenberg, Institut für Islamwissenschaft, Universität Bonn

Viele Bücher wurden in den vergangenen beiden Jahrzehnten veröffentlicht, die sich mit den arabischen Reaktionen auf den Nationalsozialismus und der Kollaboration einzelner arabischer Akteure mit dem NS-Regime auseinandersetzen. Wenige schlagen dabei jedoch einen solch weiten historischen Bogen wie das vorliegende Werk, welches die Wurzeln dieser Beziehungen bis zurück zur Nahost-Strategie des Deutschen Kaiserreichs verfolgt und ihre Spuren bis in die Gegenwart aufzuzeigen versucht.

Der israelische Nahostexperte und Direktor des Global Research in International Affairs Centers (GLORIA) Barry Rubin, der am 3. Februar dieses Jahres gestorben ist, und der deutsche Nahosthistoriker Wolfgang G. Schwanitz, an dessen frühere Publikationen die vorliegende Arbeit an vielen Stellen anknüpft, haben eine gewaltige Menge an zum Teil unveröffentlichtem Archivmaterial ausgewertet und ein Buch mit hoher Informationsdichte veröffentlicht. Sie liefern damit einen Beitrag zu der sehr kontrovers geführten Debatte über das Ausmaß und die Bewertung arabischer Kollaboration mit den Nationalsozialisten, die seit zwei Jahrzehnten akademische wie nicht-akademische Forschung und Publizistik befeuert. Wer mit diesen Debatten vertraut ist, merkt schnell, dass Rubin und Schwanitz Extrempositionen einnehmen. Ihnen zufolge wurde die Bedeutung der Kollaboration sowohl für die Entwicklung der arabischen Welt als auch für die Nationalsozialisten in sämtlichen bisherigen Forschungsarbeiten unterschätzt. Leider knüpfen sie jedoch kaum an die entsprechenden Debatten an, sondern ignorieren sie und den Forschungsstand weitgehend. Ergebnis ist, dass sie gerade strittige Thesen häufig unzureichend belegen und somit nach Lektüre des Werkes der Eindruck eines Sammelsuriums aus Fakten, Behauptungen und Halbwahrheiten zurückbleibt.

Das Buch behandelt eine Zeitspanne von 130 Jahren, beginnend mit den 1880er-Jahren bis zur Präsidentschaft Muhammad Mursis in Ägypten im Jahr 2011. Mit Ausnahme des ersten Kapitels sind die zwölf Kapitel chronologisch angeordnet und behandeln die Nahostpolitik des Deutschen Kaiserreichs vor (Kapitel 2) und während des Ersten Weltkriegs (Kapitel 3), die Zwischenkriegszeit (Kapitel 4), die pogromartigen Unruhen in Palästina in den 1930er-Jahren (Kapitel 5), die deutschen Strategien und Geheimdienstaktivitäten im Nahen Osten in den 1930er- und 1940er-Jahren (Kapitel 6), den Putsch Rashid Ali al-Kaylanis im Irak 1941 (Kapitel 7), die Rekrutierung von Muslimen aus dem sowjetischen Einflussgebiet für die Wehrmacht und die SS (Kapitel 8), die Aktivitäten und Strategien Amin al-Husaynis in Deutschland bis zum Ende des Kriegs (Kapitel 9), die unmittelbare Nachkriegszeit und den arabisch-israelischen Krieg von 1948 (Kapitel 10), die Flucht deutscher Nazis in die arabische Welt und ihre Nachkriegskarrieren (Kapitel 11) sowie die Spuren der Kollaboration mit den Nazis im gegenwärtigen Nahen Osten (Kapitel 12). Die Einbeziehung der deutschen Nahostpolitik vor der Machtergreifung Hitlers und des Wirkens deutscher Kriegsverbrecher, welche nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Aufnahme in den Ländern des Nahen Ostens fanden, erscheint grundsätzlich sinnvoll und liefert auch einige interessante Erkenntnisse. Weniger sinnvoll und teilweise ärgerlich oberflächlich sind dagegen die Parallelsetzungen der historischen Ereignisse und Akteure zu jüngeren Phänomenen und Persönlichkeiten an zahlreichen Stellen im Buch.

Der Fokus der Arbeit liegt auf dem Mufti von Jerusalem, Amin al-Husayni, der sich in den 1920er- und 1930er-Jahren als Protagonist der palästinensischen Nationalbewegung, als Vordenker des modernen arabisch-islamischen Antisemitismus und als Sympathisant des deutschen Nationalsozialismus hervortat. In den Jahren von 1941 bis 1945 weilte al-Husayni in Deutschland und arbeitete eng mit den Nationalsozialisten zusammen. Dennoch blieb er nach dem Krieg weitgehend unbeschadet und konnte seine antisemitische und antizionistische Politik fortsetzen. In Ansehung des Einflusses, den Rubin und Schwanitz dem Wirken al-Husaynis auf die Geschichte der Region zusprechen, scheint es gerechtfertigt, im vorliegenden Fall in Anlehnung an das Paradigma von Treitschkes von den großen Männern, die Geschichte machen, von einer „Böse-Männer-Geschichtsschreibung“ zu sprechen.

Die wichtigsten Thesen des Buches klingen bereits im ersten Kapitel, das als Einleitung der Arbeit dient, an. Die umstrittenste dieser Thesen ist sicherlich diejenige, dass die endgültige Entscheidung Hitlers für die physische Vernichtung der Juden unter dem Eindruck seines Treffens mit Amin al-Husayni und dessen Protest gegen die jüdische Emigration nach Palästina fiel. Diese These, die mit Sicherheit die breitere Rezeption des Buches bestimmen wird, wird im achten Kapitel weiter ausgebaut. Rubin und Schwanitz begründen ihre These mit dem Hinweis auf die zeitliche Nähe des Treffens zwischen Hitler und al-Husayni am 28. November 1941 und der Wannsee-Konferenz („Hitler made his key decision to start the genocide with al-Husaini’s anti-Jewish rhetoric and insistence of wiping out the Jews fresh in his ears“, S. 162) sowie dem Hinweis, dass Hitlers irrationaler Wahn durch die Forderungen al-Husaynis einen opportunistischen Impetus bekam („Before 1941 imprisoning and murdering Jews in concentration camps did not benefit Germany. That changed as the alliance with Arabs and Muslims became important, Al-Husaini’s and al-Kailani’s stance and the advantage of a Muslim-Arab alliance turned Hitler’s personal obsession from a handicap for German foreign policy into a valuable geopolitical strategy“, S. 160). Der grundsätzlich eliminatorische und irrationale Charakter des nationalsozialistischen Antisemitismus wird damit zwar angesprochen, wird jedoch – ebenso wie der graduelle Übergang von der mörderischen zur genozidalen Judenpolitik Hitlers – nicht ausreichend reflektiert.

Weitere kontroverse Thesen betreffen beispielsweise den Einfluss der Lektüre Karl Mays auf die Weltanschauung Hitlers („To Hitler’s Kara Bin Nimsi, al-Husaini would play the part of al-Hajj Khalif Umar bin Khalif“, S. 9), das Maß an Sympathie zeitgenössischer arabischer Bewegungen für den Nationalsozialismus („The Muslim Brotherhood […] was rooted in the German-Ottoman alliance in its ideological approach and its enthusiastic participation in the Nazi-Islamist alliance“, S. 234) und die Bedeutung al-Husaynis für die Region (al-Husaini „was the main chief of international radical Arab forces, both Islamist and nationalist“ und „undisputed leader of the Arabs“, S. 87 u. 89). Die Bedeutung al-Husaynis innerhalb der arabischen Welt und der palästinensischen Nationalbewegung ist ein zentraler Streitpunkt in den Forschungsdebatten.1 Das letzte Wort ist in dieser Debatte sicherlich noch nicht gesprochen. Das einfache Postulat seiner unangefochtenen Führungsrolle, unterstützt nur von der Einschätzung westlicher Nachrichtendienste, wirkt jedoch vor diesem Hintergrund wenig überzeugend. Und die Tatsache, dass die ägyptische Muslimbruderschaft zwar einige Ideologeme mit dem Nationalsozialismus teilte, sich allerdings nach Außen klar von ihm distanzierte und keineswegs ein „enthusiastischer“ Partner der Nazis war, wurde unter anderem von Israel Gershoni in mehreren seiner Bücher überzeugend dargelegt.2

Ebenso befremdlich wirkt der Versuch der beiden Autoren, den fatalen Einfluss der Kollaboration auf die Geschichte der Region bis in die Gegenwart dadurch zu belegen, dass sie undifferenziert völlig unterschiedliche Bewegungen und Akteure – seien es Kollaborateure, Sympathisanten, vermeintliche ideologische Verwandte, Opportunisten oder gar politische Nachfolger Erstgenannter – nebeneinander stellen. Dies zeigt sich unter anderem in folgendem Zitat deutlich: „When the Egyptian regime was overthrown in February 2011 and the one-time nationalist collaborators’ heirs fell, the Muslim Brotherhood, their Nazi-era ally which had never changed its ideology, filled the vacuum“ (S. 244). Damit ignorieren sie nicht nur ideologische Entwicklungen, sondern erklären gleichzeitig beinahe alle politischen und gesellschaftlichen Akteure in der jüngeren Geschichte des Nahen Osten zu Erben des Nationalsozialismus.

Die harsche Kritik soll nicht verdecken, dass das Buch auch starke Seiten hat, gut lesbar und strukturiert ist und interessante und wichtige Fakten zugänglich macht. Wer mit den Forschungsdebatten vertraut ist und dadurch von der tendenziösen Darstellung abstrahieren kann, wird dieses Buch sicherlich mit Gewinn lesen. Allen anderen kann das Buch jedoch nicht guten Gewissens empfohlen werden.

Anmerkungen:
1 Vergleiche u.a.: Gerhard Höpp, Der Gefangene im Dreieck. Zum Bild Amin al-Husseinis in Wissenschaft und Publizistik seit 1941, in: Klaus Zimmer-Winkel (Hrsg.), Eine umstrittene Figur. Amin al-Husseini, Trier 1999; sowie Götz Nordbruch, The Arab World and National Socialism – Some reflections on an ambiguous relationship, in: Manfred Sing (Hrsg.): Rethinking Totalitarianism and its Arab Readings, Orient-Institut Studies 1 (2012), <http://www.perspectivia.net/content/publikationen/orient-institut-studies/1-2012/nordbruch_arab-world> (03.07.2014).
2 Vergleiche u.a.: Israel Gershoni / James P. Jankowski, Confronting Fascism in Egypt. Dictatorship vs. Democracy in the 1930s, Stanford 2010, S. 210–233.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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