Cover
Titel
Der Geschmack der Gentrifizierung. Arabische Imbisse in Berlin


Autor(en)
Stock, Miriam
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 35,99
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Maren Sauermann, TU Darmstadt

Gentrifizierung ist nicht nur in wissenschaftlichen, sondern auch in alltäglichen Diskursen in aller Munde. Im Fokus steht dabei vor allem die Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerungsgruppe durch Mietpreissteigerungen und die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Neben dieser residenziellen Komponente, hat Gentrifizierung aber immer auch eine kommerzielle Ausprägung. Stock nimmt eben diese Veränderungen der Konsumlandschaft durch die städtischen Aufwertungsprozesse in den Blick und geht in ihrer Dissertationsschrift der Frage nach, welche Rolle arabische Falafelimbisse im Prozess der Gentrifizierung Berlins spielen. Somit argumentiert sie gegen die gängige Deutung von Gentrifizierung als recht homogenem, weißem Prozess. Ethnische Unternehmen seien, so die zentrale These, von Beginn an Teil des städtischen Aufwertungsprozesses gewesen, indem sie, wenn auch unbemerkt, den Geschmack der Gentrifizierungsmilieus mitformen und den kulturellen Wandel der Gentrifizierungsviertel mitprägen.

Die Analyse des Geschmacks unter Berücksichtigung der Anbieter- und der Konsumentenseite erfolgt mit Hilfe eines an Bourdieu angelehnten praxistheoretischen Zugangs. Im Fokus der Arbeit stehen die Distinktionspraktiken der Berliner Falafelkonsument/innen, durch die sie sich die Aufwertungsviertel Berlins alltagskulturell aneignen.

Um die Konstitution und Bedeutung des Geschmacks in der kommerziellen Gentrifizierung Berlins aus einer ganzheitlichen Perspektive beschreiben zu können, verwendet Stock einen Mix aus vorwiegend qualitativen, aber auch quantitativen Methoden. Im Zentrum stehen dabei leitfadengestützte Interviews mit Anbietern und Kunden/innen der Falafelimbisse. Ergänzt werden diese durch teilnehmende Beobachtungen, eine Kartierung der Imbisse, eine explorative Inhaltsanalyse von Reiseführern, Restaurantführern und Internetforen, Interviews mit weiteren arabischen Migranten/innen sowie einen Forschungsaufenthalt in Beirut.

Zu Beginn wird die Entwicklung der Berliner Falafelkultur unter Berücksichtigung des sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Kontextes beschrieben, der den Nährboden bildete, auf dem Falafelimbisse entstehen konnten. Überraschend ist die Einsicht, dass diese sich immer dort angesiedelt haben, wo sich bestimmte Stadtviertel in Aufwertungsprozessen befanden und nicht, wie allgemein angenommen, im Umfeld einer arabischen Subkultur. Die Ausbreitung der Falafelimbisse folge der, durch Andrej Holm beschriebenen, „Aufwertungskarawane“1. Stock zeigt also, dass die räumliche Verteilung der Falafelimbisse nicht zufällig ist, sondern vielmehr wurden dort, wo Aufwertungsprozesse zu beobachten waren, auch Falafelimbisse eröffnet. Die Imbissbesitzer leisten demnach einen aktiven Teil zur Veränderung der Konsumlandschaft in den Gentrifizierungsvierteln.

Es folgt eine Beschreibung der zentralen Akteursgruppen. Die Konsument/innen seien vorwiegend Angehörige der neuen Mittelschicht (jung, weiß, gebildet), die als die typischen Pioniere in der frühen Phase der Gentrifizierung gelten.2 Auch die Besitzer der Falafelimbisse, die ausschließlich männlich sind, verfügen über ein hohes kulturelles Kapital in Form von Bildungsabschlüssen und fühlen sich ihrem Kundenstamm zugehörig.3 Ihr kulturelles Kapital werde jedoch, aufgrund des fehlenden symbolischen Kapitals, missachtet. Stock hingegen argumentiert, dass man das kulturelle Kapital der Imbissbesitzer wahrnehmen und sie als aktive Akteure in der Gentrifizierung ernst nehmen müsse.

Im anschließenden Kapitel „Der Konsum des Arabischen“ wird deutlich, wie bedeutsam die Zuschreibung der Falafel als typisches arabisches Produkt ist. Die Herkunft und die damit verbundene „kulturelle Authentizität“ fungieren als wichtige Gütekriterien für die Konsument/innen. Die materielle Gestaltung der Falafelimbisse, die in diesem Kapitel ausführlich beschrieben wird, folgt dabei zumeist bewusst den vorherrschenden Imaginationen über das Arabische und den dementsprechenden Erwartungen des Kundenstamms, wodurch die Darstellungsmöglichkeiten der Falafelimbissbesitzer beschränkt werden. Eine als authentisch wahrgenommene Darstellung sei jedoch für den Erfolg der Imbisse unabdingbar, da der Konsum von Authentizität für die neue Mittelschicht als Distinktionsvehikel fungiere. Der Konsum ethnischer Kulturen ermögliche einerseits die Abgrenzung zu anderen sozialen Gruppen und andererseits die Selbstzuschreibung als ‚authentische‘ Person. Besonders deutlich wird an dieser Stelle die Bedeutung des Fremden für die Konstitution des Eigenen herausgearbeitet.

Im Folgenden wird auf die Widersprüchlichkeit der medial vermittelten Bilder des Arabischen und dem in den Imbissen erlebten Orientalismus eingegangen. Während im medialen Diskurs das „Drohbild von islamischen Parallelgesellschaften“4 im Vordergrund steht, funktioniert der in den arabischen Imbissen verhandelte Orientalismus reibungslos. Dieses „Drohbild“ sei zwar in der Alltagswahrnehmung präsent, spiele in den Falafelimbissen selbst aber nur am Rande eine Rolle. Dort werden bestehende Stereotype erwartet, da sie zur „authentischen“ Repräsentation beitragen und als Teil der kulturellen Tradition wahrgenommen werden. Diese Kulturalisierung der arabischen Imbisse ermögliche es den Interviewten dabei, sich selbst ein nicht-kommerzielles Image zuzuschreiben und sich so vor allem von der ‚Unterschicht‘ und der breiten Mittelschicht abzugrenzen. Diese Abgrenzung wird anschließend durch die Gegenüberstellung von Falafel- und Dönerimbissen verdeutlicht. Trotz nahezu identischer Präsentation und Funktionsweise ziehen die Interviewten zwischen ihnen eine klare Grenze. Dönerimbisse werden als Orte der Unterschicht konstruiert, der eigene Geschmack – der Konsum von Falafel – als überlegen empfunden. Dieses Beispiel zeige, wie Geschmack zu einem „tool of power“5 der neuen Mittelschicht werden kann. Doch auch gegenüber Nicht- und Neu-Berlinern grenzen sich die Interviewten deutlich ab, indem sie sich ein inkorporiertes praktisches Wissen angeeignet haben, welches es ihnen ermöglicht sich sicher in den Gentrifizierungsmilieus zu bewegen. Die Zugehörigkeit zur Stadt, sowie die Aneignung des berlintypischen Geschmacks6 werden somit ebenfalls zum Distinktionsvehikel. Dabei dürfe man nicht vergessen, dass das hier präsentierte Bild Berlins, lediglich auf die aufgewerteten Stadtteile zutrifft, nicht aber auf die Stadt als Ganze.

Miriam Stocks Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zum Gentrifizierungsdiskurs, indem sie die bisher wenig beachteten migrantischen Unternehmer als aktive Akteure städtischer Aufwertungsprozesse identifiziert und so in den bestehenden Diskurs integriert. Während bislang der Fokus vor allem auf die residenzielle Komponente der Gentrifizierung gelegt wurde, nimmt Stock die Veränderungen der Konsumlandschaft durch die städtischen Aufwertungsprozesse in den Blick. Ihr gelingt es dabei besonders gut, die Verbindung zwischen den Veränderungen auf Ebene der Stadt und der, bisher nicht dokumentierten, Entwicklung der Falafelkultur in Berlin aufzuzeigen. Gleichzeitig werden so auch die (kulinarischen) Distinktionspraktiken der neuen Mittelschicht in den aufgewerteten Berliner Innenstadtbezirken offengelegt.

Hervorzuheben ist ebenfalls die ausführliche Beschäftigung mit der gestalterischen Dimension der Falafelimbisse. Durch deren genaue Beschreibung verdichtet sich die Analyse der Falafelimbisskultur. Nicht nur die anwesenden, als arabisch identifizierten Mitarbeiter/innen, sondern auch eine ‚arabische‘ Präsentation sind für die Erfüllung der Authentizitätsanforderungen von großer Bedeutung. Denn die für die Interviewten als nicht-authentisch geltenden Imbisse wurden zu allererst durch deren Gestaltung als solche identifiziert und folglich gemieden.

Zu fragen wäre im Anschluss, ob sich die hier vertretene These, dass migrantische Unternehmer einen wesentlichen Beitrag zur alltäglichen städtischen Aufwertung leisten, auch auf andere Städte und auch auf andere Unternehmensarten übertragen lässt oder ob es sich hierbei um eine spezifische Verbindung zwischen Berlin und den dortigen arabischen Imbissen handelt.

Stock bringt eine neue Perspektive in den bestehenden Gentrifizierungsdiskurs ein und leistet somit einen wichtigen Beitrag für eine erweiterte Analyse städtischer Aufwertungsprozesse. Lesenswert ist die Arbeit aus diesem Grund vor allem für (Stadt-)Soziolog/innen, Kulturanthropolog/innen und Humangeograph/innen.

Anmerkungen
1 Andrej Holm, Die Karawane zieht weiter – Stationen der Aufwertung in der Berliner Innenstadt, in: Mario Pschera / Cagla Ilk / Bacik Cicek (Hrsg.), Intercity Instanbul-Berlin, Berlin 2010, S. 89–101.
2 Da sie aber auch langfristig den Geschmack für später nachziehende, mit ökonomischem Kapital ausgestattete Gruppen mitprägen, seien sie zugleich auch Gentrifizierer.
3 Die Kunden und Kundinnen hingegen sehen eine große Distanz zwischen sich und den Imbissbesitzern und Mitarbeitern und nehmen sich, anders als diese, nicht als Teil des gleichen Milieus wahr.
4 Iman Attia, Die „westliche Kultur“ und ihr Anderes. Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus, Bielefeld 2009.
5 Sharon Zukin, Naked City. The Death and Life of Authentic Urban Places, New York 2010.
6 Stock fasst die Präferenzen der Berliner Kundschaft unter den Schlagworten billig, gesund, vegetarisch und authentifiziert zusammen. Diesen Vorlieben passen sich nicht nur die Falafelimbisse an. Insgesamt wird so eine lokalspezifische Geschmackslandschaft geschaffen, die für die aufgewerteten Viertel Berlins typisch ist.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/