D. Nelles u.a.: Deutsche AntifaschistInnen in Barcelona 1933–1939

Cover
Titel
Deutsche AntifaschistInnen in Barcelona (1933–1939). Die Gruppe "Deutsche Anarchosyndikalisten" (DAS)


Autor(en)
Nelles, Dieter; Linse, Ulrich; Piotrowski, Harald; García, Carlos
Erschienen
Anzahl Seiten
425 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexandre Froidevaux, Berlin

Die nationalsozialistische Wirklichkeit im Deutschland der Jahre nach 1933 war für die Aktivist/innen der Arbeiterbewegung niederschmetternd. So nimmt es nicht wunder, wie überwältigt der Anarchosyndikalist Helmut Kirschey von den Zuständen war, die ihn im revolutionären Katalonien des Sommers 1936 erwarteten: „Dieses Gefühl kann man gar nicht beschreiben. Wir wurden [an der Grenze] von bewaffneten Proleten mit CNT-FAI1 auf der Mütze empfangen. Als wir in Barcelona ankamen[,] auch dort überall schwarzrote Fahnen. Wir haben gesagt, so hätten wir es auch in Deutschland machen müssen“. (S. 165)

Spanien wurde zur Hoffnung deutscher Linker, den Faschismus doch noch besiegen zu können. Und deutsche Anarchosyndikalist/innen sahen mit dem Sieg anarchistischer Kräfte über die putschenden Militärs am 19. Juli 1936 in Barcelona und den nachfolgenden Kollektivierungen von Industrie- und Landwirtschaftsbetrieben in großem Stil die Stunde ihrer – der libertären – Revolution gekommen. Doch diesen Kampf verloren sie gleich doppelt: zunächst gegen die antirevolutionären Kräfte in der republikanischen Zone und schließlich gegen den faschistischen Gegner. Die Revolution und ihre Protagonist/innen gerieten in Vergessenheit.

Die Autoren thematisieren in ihrem umfangreichen Band das Wirken der Gruppe Deutsche Anarchosyndikalisten (DAS) und der deutschen Freiwilligen, die in den anarchistischen Milizen am Spanischen Bürgerkrieg teilnahmen, sowie der deutschsprachigen Mitarbeiter des Auslandssekretariats der CNT-FAI. Sie konstatieren, dass es eine „Anarchismusforschung […] an deutschen Universitäten praktisch nicht gibt“ (S. 9). Tatsächlich sind wissenschaftliche Publikationen auf Deutsch zur spanischen Revolution eine Rarität2 und bis heute ist Patrik von zur Mühlens Monografie von 1983 über deutsche Spanienkämpfer/innen beinahe der einzig nennenswerte Beitrag zum Thema geblieben.3

Das Buch versammelt diverse Aufsätze, in deren Zentrum derjenige von Dieter Nelles über die Rolle der DAS und der deutschen Milizionär/innen im Bürgerkrieg steht. Vorgeschaltet sind zwei Abschnitte zur deutschen Emigration in Spanien und der DAS vor 1936. Im hinteren Teil befinden sich zahlreiche Einzelstudien zu verschiedenen zuvor bereits angeschnittenen Themenkomplexen.

Die DAS war eine kleine Gruppe von bis zu 45 Anarchosyndikalist/innen (S. 109), die sich im Juli 1936 an den Kämpfen gegen die Putschtruppen beteiligten. Die CNT-FAI übertrug ihr daraufhin so wichtige Aufgaben wie die einer Ausländerpolizei gegenüber deutschen Staatsbürger/innen, die Betreuung der deutschen Freiwilligen und die deutschsprachige Propaganda. Nach dem Sieg in den Straßenkämpfen ging sie außerdem gegen die NSDAP-Auslandsorganisation (NSDAP-AO) vor. Den bekanntesten NS-Funktionären gelang die Flucht, doch bei gezielten Durchsuchungen im Deutschen Klub oder dem Büro der Deutschen Arbeitsfront in Barcelona stellte die DAS zahlreiche Unterlagen sicher. Aus diesen ging hervor, dass die NSDAP-AO „ganz Spanien mit einem Netz von Parteizellen und Unterorganisationen […] überzogen hatte, in engster Zusammenarbeit mit spanischen Faschisten stand, politischen Druck auf die in Spanien lebenden Deutschen ausübte und Einfluss auf die Politik des […] Landes nahm“ (S. 101). 1937 publizierte die DAS eine Auswahl dieser Dokumente in einem „Schwarzrotbuch“4, mit dessen Hilfe sie unter anderem die vermutete NS-Hilfe für die rechtsradikalen spanischen Generäle im Vorfeld des Putsches beweisen wollte.

Diese Hypothese gilt in der Forschung seit den Arbeiten von Ángel Viňas als widerlegt.5 Die Autoren weisen dagegen darauf hin, dass weder das „Schwarzrotbuch“ bis dato eine gebührende Würdigung erfahren habe noch die unzähligen übrigen Dokumente, welche die DAS nie veröffentlichte, wissenschaftlich erschlossen worden seien (S. 108, 317). Carlos García und Harald Piotrowski machen in dem Material interessanterweise Indizien aus, die nahelegen, dass die NS-Führung wenigstens über die Putschabsichten informiert war (S. 320ff.).

Die DAS sah es darüber hinaus als ihre erklärte Aufgabe an, gegen die „Überschwemmung Spaniens mit ausländischen Kommunisten und Sozialisten“ (S. 110) vorzugehen. So überzeugten Rudolf Michaelis und Willi Winkelmann im Sommer 1936 mehrere kommunistische Freiwillige, in die anarchistischen Milizen einzutreten. Mit solchen Aktionen machten sie sich die Kommunist/innen natürlich zu Feinden. Die DAS war der KPD ohnehin ein Dorn im Auge, da diese die von den Kommunist/innen angestrebte Kontrolle der deutschen Freiwilligen übernommen hatte (S. 120).

Als sich die politischen Kräfteverhältnisse im republikanischen Spanien nach den Maikämpfen 1937 in Barcelona grundlegend änderten und sowjetische Geheimagenten im Verein mit Kominternkadern Gegner/innen des Stalinismus verfolgten, traf es auch die DAS. Deren Mitglieder wurden verhaftet und größtenteils ausgewiesen, was die Aktivitäten der DAS zum Erliegen brachte. Allerdings erlitten die deutschen Anarchosyndikalist/innen offensichtlich keine Folter und wurden nicht ermordet (S. 118ff.), wie es das Schicksal vieler spanischer Anarchist/innen und nichtstalinistischer Marxist/innen war. Die kommunistische Repression jener Phase ist weitgehend bekannt.6 García und Piotrowski stellen sie auf der Basis eigenen Quellenstudiums und anhand von Fallbeispielen noch einmal anschaulich dar (S. 332ff.).

DAS-Aktivisten wie Michaelis oder der Propagandist Helmut Rüdiger warfen der CNT-FAI in dieser Situation vor, die inhaftierten ausländischen Freiwilligen nur ungenügend zu unterstützen (S. 95f., 121). Dabei handelte es sich um die Fortsetzung eines Konfliktes, der in den 1930er-Jahren zwischen der anarchistischen Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) und der DAS einerseits und der CNT-FAI andererseits schwelte. Dieser führte auch zu harten Auseinandersetzungen zwischen Rüdiger und Augustin Souchy, der an verantwortlicher Stelle im Auslandssekretariat der CNT-FAI saß.

Schon vor der Revolution hatten sich die Kontroversen um strategische und organisatorische Fragen wie die der Zusammenarbeit mit marxistischen Organisationen gedreht, wogegen Rüdiger sich scharf wandte (S. 92ff.). Als die CNT-FAI im Herbst 1936 in die katalanische und in die Zentralregierung eintrat, brachte ihr das heftige Kritik vonseiten des IAA-Sekretärs Pierre Besnard ein (S. 87). Die Entscheidung, Anarchist/innen zu Minister/innen zu machen, sollte in der Nachkriegszeit zur Spaltung der CNT beitragen, während deutsche AnarchosyndikalistInnen wie Souchy diese Kontroversen in ihren Publikationen ausließen oder bagatellisierten (S. 80, 180f.).7 Insofern ist deren Darstellung zweifellos ein Verdienst des Buches.

Die zentralen Auseinandersetzungen im republikanischen Lager wie die Frage der richtigen Kriegführung machten auch vor den deutschen Spanienkämpfer/innen nicht halt. In der anarchistischen Kolonne Durruti war die von der spanischen KP vorangetriebene Militarisierung der Milizen heftig umstritten (S. 137). Außerdem traten trotzkistische Milizionär/innen wie Klara und Paul Thalmann für die Einrichtung von Soldatenräten ein, während Rudolf Michaelis diese energisch ablehnte (147ff.). Dieter Nelles spricht von 250 deutschen Freiwilligen, die aufseiten der CNT-FAI kämpften (S. 164). Die Mehrzahl von ihnen gehörte vor dem Bürgerkrieg keiner anarchistischen Organisation an, weswegen die Autoren im Titel allgemein von „AntifaschistInnen“ sprechen.

Weil es sich bei dem vorliegenden Band um eine Zusammenstellung verschiedener Arbeiten handelt, die zum Teil schon in den 1980er-Jahren begonnen wurden, sei er nicht „aus einem Guss“ (S. 10), so die Autoren. Dagegen ist festzustellen, dass das Buch ein gelungenes Beispiel dafür darstellt, wie Sammelbände die Forschung bereichern: Überblicksdarstellungen werden durch informative Detailstudien ergänzt, das Ganze quellengesättigt und mit wenig Redundanzen.

Die spanische Perspektive ist jedoch nun gerade keine Stärke des Buches, wie die Autoren behaupten (S. 10). Dafür hätten die Politik der CNT-FAI und deren Personal deutlich mehr Beachtung finden müssen. Und bei García und Piotrowski schleicht sich bisweilen ein undifferenzierter Duktus („Sieg des Volkes“, S. 208) ein. Dennoch werden die Autoren ihrem zentralen Anspruch gerecht, einen wichtigen Forschungsbeitrag zur Geschichte des deutschen Exils, des internationalen Anarchosyndikalismus und zur spanischen Revolution zu liefern. Der Anhang mit biografischen Kurznotizen zu den wichtigsten Protagonist/innen und einem Personenregister rundet den positiven Gesamteindruck ab, auch wenn leider auf eine Bibliografie verzichtet wurde.

Anmerkungen:
1 CNT: Confederación Nacional del Trabajo (Nationaler Bund der Arbeit), anarchosyndikalistische Gewerkschaft, die stärkste Arbeiterorganisation Spaniens im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts; FAI: Federación Anarquista Ibérica (Iberischer Anarchistenbund).
2 Walther L. Berneckers Dissertation über die Kollektivierungsbewegung bleibt das Standardwerk; ders., Anarchismus und Bürgerkrieg. Zur Geschichte der Sozialen Revolution in Spanien 1936–1939, Heidelberg 2006 (Erstausgabe: Hamburg 1978). Jüngeren Datums ist die lesenswerte Monografie von Martin Baxmeyer, Das ewige Spanien der Anarchie. Die anarchistische Literatur des Bürgerkriegs (1936–1939) und ihr Spanienbild, Berlin 2012.
3 Patrik von zur Mühlen, Spanien war ihre Hoffnung. Die deutsche Linke im Spanischen Bürgerkrieg, 1936 bis 1939, Bonn 1983. Zu nennen ist noch die Untersuchung zu den Interbrigadisten in der DDR von Michael Uhl, Mythos Spanien. Das Erbe der Internationalen Brigaden in der DDR, Berlin 2004.
4 Gruppe DAS (Hrsg.), Schwarzrotbuch. Dokumente über den Hitlerimperialismus, Barcelona 1937.
5 Ángel Viňas, Franco, Hitler y el estallido de la guerra civil. Antecedentes y consecuencias, Madrid 2001.
6 Vgl. von zur Mühlen, Spanien war ihre Hoffnung, S. 144ff., 178ff.
7 Vgl. Augustin Souchy, Nacht über Spanien. Bürgerkrieg und Revolution in Spanien, Grafenau 2007.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch