F. Uekötter (Hrsg.): Ökologische Erinnerungsorte

Cover
Titel
Ökologische Erinnerungsorte.


Herausgeber
Uekötter, Frank
Erschienen
Göttingen 2014: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
334 S., 11 Abb., 2 Karten
Preis
€ 29,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nils Freytag, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Es gibt sie nicht nur als französische und deutsche, sondern auch als europäische, ostmitteleuropäische, oberschwäbische, antike, sozialdemokratische, deutsch-polnische und deutsch-koloniale – die „Erinnerungsorte“. Sie alle lassen sich bereits zwischen zwei Buchdeckeln oder im Internet finden, und die Liste ließe sich nahezu beliebig verlängern. Offenbar handelt es sich hier um ein verlegerisches Erfolgskonzept und ein zeitdiagnostisches Schlagwort gleichermaßen, wobei der wissenschaftliche Erkenntniswert unterschiedlich ausfallen kann. Wozu nun also auch noch ein Buch und eine Internetpräsenz zu „ökologischen Erinnerungsorten“? Folgt man Frank Uekötters Einleitung, dann fehlt der „Umweltszene“ bisher der Sinn für die eigene Geschichte; sie verleugne diese, habe womöglich gar „Angst“ vor ihr. Der Bruch mit der als defizitär empfundenen Vergangenheit gehöre zu ihren Gründungsmythen – damit sei aufzuräumen (S. 11f.). Hervorgegangen ist der von der Deutschen Umweltstiftung als Umweltbuch des Monats März 2014 gewürdigte Band aus dem von der VolkswagenStiftung und dem Rachel Carson Center for Environment and Society in München unterstützten Projekt „Umwelt und Erinnerung“, zu dem auch ein Online-Angebot zu „ökologischen Erinnerungsorten“ sowie eine Publikationsreihe gehören.

Eine Einleitung sowie am Ende ein „Erfahrungsbericht“ zum 2011 ins Leben gerufenen Internetauftritt der Erinnerungsorte rahmen die elf Beiträge des Bandes. Hier entfaltet der Herausgeber (im Erfahrungsbericht gemeinsam mit Sarah Waltenberger) einige konzeptionelle Überlegungen zum Horizont des Projekts. Uekötter versteht diesen Sammelband als „Zwischenbericht“, er betont wiederholt den vorläufigen, unfertigen Charakter, den ein Blick auf die Internetpräsenz unterstreicht.1 Der Band soll Lust auf Umweltgeschichte machen und zugleich ein größeres, umwelthistorisch interessiertes Lesepublikum ansprechen. Die Definition „ökologischer Erinnerungsorte“ ist dabei sehr weit gefasst: Eine wesentliche Rolle sollen die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur spielen, die über die Zeit des konkreten Ereignisses hinausreichen und in unserer umweltbewegten Gegenwart nachwirken, in welcher Form auch immer. Nicht nur konkrete Räume oder Orte sollen in den Blick geraten, sondern zugleich Personen, Begriffe oder Ideen – letzteres unterscheidet die ökologischen nicht von anderen Erinnerungsorten. Trotz des mehrfach hervorgehobenen vorläufigen Charakters ist der Anspruch des Bandes groß. Uekötter will auf dem Wege der Erinnerungspolitik nicht nur (nationale) ökologische Identitäten stiften, sondern ihm schwebt mit den „ökologischen Erinnerungsorten“ auf lange Sicht ein „Konkurrenzprojekt mit globalem Ausgriff“ zu Pierre Noras „Lieux de mémoire“ vor (S. 24).

Die hier nicht im Einzelnen vorzustellenden Beiträge selbst sind in drei Abschnitten organisiert. Neben „deutschen“ finden sich „grenzüberschreitende“ sowie „globale“ ökologische Erinnerungsorte. Die deutschen reichen von Knechtsand (Anna-Katharina Wöbse) und GAU (Joachim Radkau) über den Wintersport im deutschsprachigen Mitteleuropa (Andrew Denning) und das Reichsnaturschutzgesetz von 1935 (Frank Uekötter) bis hin zu Sebastian Kneipp (Sarah Waltenberger). Bereits hier sind die Schwierigkeiten der weitgefassten Definition mit Händen greifbar. Auch wenn er außerhalb der umweltinteressierten Szene kaum jemandem noch etwas sagt und teils buchstäblich in der Nordsee untergegangen ist: Der für die späten 1950er-Jahre durchaus typische umweltpolitische Konflikt um den „Großen Knechtsand“ – heute Teil der Ruhezone I im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer – sowie der damit untrennbar verknüpfte Kampf gegen britisches Übungsbombardement und für den Schutz der Brandgänse vermag als ökologischer Erinnerungsort noch einzuleuchten; nicht zuletzt weil die Brandgans hier zum überregionalen Symbol des Kampfes gegen Umweltbelastung und -zerstörung aufstieg. Ebenso überzeugen die Überlegungen zur durch den Alltagsgebrauch zerschlissenen Rede vom „Größten Anzunehmenden Unfall“, die schon lange nicht mehr ausschließlich auf Atomkraftwerke zu beschränken ist. Diesen Deutungswandel führt Joachim Radkau klar vor Augen. Die Auswahl des – ja nicht nur deutschen – Wintersports und Sebastian Kneipps überzeugt dagegen nicht, auch wenn diese Themen selbstverständlich in irgendeiner Form Wechselwirkungen zwischen Mensch und Natur in historischer Perspektive mit Auswirkungen bis heute einfangen. In der Reflexion über den „gemachten Erinnerungsort“ Kneipp2 werden erinnerungsökologische Bezüge konstruiert; im nationalen Umweltgedächtnishaushalt spielen sie allenfalls eine nachgeordnete Rolle.

Auch in den sich anschließenden Komplexen – „grenzüberschreitende“ und „globale“ Erinnerungsorte – finden sich anregende und gewinnbringende Beiträge. Dies gilt für die umsichtigen und durchaus skeptischen Ausführungen zu Bernhard Grzimeks Film „Serengeti darf nicht sterben“ von 1959 (Franziska Torma), unlängst auch als kolonialer Erinnerungsort in den Blick genommen3, ebenso wie für die Aufsätze über Tschernobyl (Karena Kalmbach) sowie über die Vulkanausbrüche des Tambora (1815) und des Krakatau (1883), die beide globale Folgen zeitigten (Sonja Weinbuch).4 Das Kardinalproblem bleibt indes in diesen Abschnitten wiederum greifbar. Erinnerungsökologische Bezüge sind in den Ausführungen zur Drushba-Trasse (Jeannette Prochnow), der in den 1960er-Jahren wurzelnden deutsch-russischen Erdgaspartnerschaft, kaum erkennbar. Gleichfalls eindringlich dokumentieren dies Stefan Esselborns Ausführungen zum „Tanganyika Groundnut Scheme“, mit dem die Briten im großen Stil Erdnussöl gewinnen wollten und das infolge massiver Planungsfehler scheiterte. Esselborn fängt die Geschichte und die Folgen dieses ostafrikanischen Desasters zwar anregend ein. Dem größten Teil der anvisierten deutschen Leserschaft dürfte dieses landwirtschaftliche Großprojekt der unmittelbaren Nachkriegszeit dagegen nichts sagen. In Großbritannien stieg es zu einem Symbol des Scheiterns und der Geldverschwendung auf, doch ein globaler ökologischer Erinnerungsort ist es jedenfalls nicht. Der Assuan-Staudamm, dessen Funktion und Wirkung als Beispiel „technischer Großplanung“ Ewald Blocher schildert, erscheint in dieser Hinsicht passender. Man mag die Beliebigkeit der Auswahl positiv als Offenheit und als „betont vorsichtiges, tastendes“ Sondieren eines neuen Forschungsfeldes einstufen (S. 9), muss es aber nicht. Der eingangs formulierte langfristige Anspruch lässt sich mit der bisherigen Konzeption und der zu weit gefassten Definition von ökologischen Erinnerungsorten jedenfalls nicht verwirklichen.

Anmerkungen:
1 <http://www.umweltunderinnerung.de> (27.06.2014). Seit Mai 2013 (so der Stand einer Liste mit Begriffen im Buch) sind offensichtlich keine weiteren Erinnerungsorte mehr aufgenommen worden. Zudem fehlen noch Einträge, die im Buch bereits als „online stehend“ (S. 320f.) aufgeführt werden: Nachhaltige Waldwirtschaft, Mineralwasser, Wackersdorf und Gorleben, Tschernobyl.
2 Dazu ausführlicher: Sarah Waltenberger, Sebastian Kneipp. Die Genese eines Erinnerungsortes, München 2013, <http://www.umweltunderinnerung.de/images/umweltunderinnerung/publikationen/1_U&E_Waltenberger.pdf.pdf> (27.06.2014).
3 Bernhard Gißibl / Johannes Paulmann, „Serengeti darf nicht sterben“, in: Jürgen Zimmerer (Hrsg.), Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt am Main 2013, S. 96–108. Zwar transportiere der Film koloniale Sichtweisen und Praktiken; einen kolonialen Erinnerungsort im „engeren, deutsch-kolonialen Sinne“ (S. 106) vermögen die Verfasser in ihm jedoch nicht zu erkennen.
4 Zur globalen und wissenschaftlichen Rezeption des Vulkanausbruchs von 1883 wichtig, aber leider übersehen: Matthias Dörries, Krakatau 1883: Die Welt als Labor und Erfahrungsraum, in: Iris Schröder / Sabine Höhler (Hrsg.), Welt-Räume. Geschichte, Geographie und Globalisierung seit 1900, Frankfurt am Main 2005, S. 51–73.