M. Wienfort: Verliebt, verlobt, verheiratet

Cover
Titel
Verliebt, verlobt, verheiratet. Eine Geschichte der Ehe seit der Romantik


Autor(en)
Wienfort, Monika
Erschienen
München 2014: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christopher Neumaier, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Das historisch gewachsene Verhältnis von Liebe und Ehe steht im Mittelpunkt von Monika Wienforts Studie "Verliebt, Verlobt, Verheiratet". Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die Beobachtung, dass Liebe ein "Lebensziel" (S. 8) geblieben sei, wohingegen die Bedeutung der Ehe heutzutage hinterfragt werde. Gleichwohl gehe es im Unterschied zu den 1970er-Jahren nicht mehr um die "Abschaffung" der Ehe als Lebensmodell, sondern vielmehr um dessen "Erweiterung" und "Öffnung" (S. 8), wie sie in den Pluralisierungstendenzen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zum Ausdruck kommen. Diese Veränderungen der individuellen Handlungsspielräume von Ehefrauen und Ehemännern über die letzten zwei bis drei Jahrhunderte will Wienfort mit einem dezidierten Fokus auf den deutschen Sprachraum und punktuellen Erweiterungen um eine internationale Perspektive analysieren.

Um die Ursachen wie auch die Dynamiken der Verschiebungen in den Blick zu bekommen, wählt sie einen Aufbau, der sich am Lebenszyklus einer Ehe orientiert. Ihre Kapitel sind daher chronologisch-thematisch strukturiert nach "Vorgeschichten", Hochzeit, Eheleben, Ehepaaren als Eltern, Ehescheidung sowie Witwen und Witwern. Zwischen den Kapiteln sind Darstellungen des Ehelebens berühmter Paare aus der (kultur-)protestantischen Ober- und Mittelschicht eingeschoben: Caroline von Döcheröden und Wilhelm von Humboldt; Clara Wieck und Robert Schumann; Victoria, geborene Prinzessin von Großbritannien, und Friedrich III., Deutscher Kaiser; Katia Pringsheim und Thomas Mann; Freya Deichmann und Helmuth James von Moltke. Obschon die Autorin selbst einräumt, dass es sich hierbei keinesfalls um repräsentative Befunde zum Eheleben handle, profitiert die Arbeit von den Einschüben in doppelter Perspektive: Die "Konturen der Institution Ehe" (S. 15) und die Rollen der Ehefrau treten stärker hervor.

Während die Studie mit den verschiedenen Perspektiven auf die Ehe erheblich gewinnt, birgt diese Fokussierung gerade für die jüngste Zeitgeschichte ein methodisches Problem, denn Lebensformen jenseits der Ehe können nur am Rande in den Blick genommen werden. Um diesem Dilemma zu begegnen, integriert Wienfort die sich seit den 1970er-Jahren verbreitenden nichtehelichen Lebensgemeinschaften im Unterkapitel "Konkubinate, wilde Ehe, nichteheliche Lebensgemeinschaft". Allerdings kann dabei nicht eingehend untersucht werden, welche besondere Funktion den nichtehelichen Lebensgemeinschaften bei den dynamisierten Veränderungsprozessen im ausgehenden 20. Jahrhundert zukommt und warum sich eine wachsende Zahl von Frauen und Männern bewusst gegen die Institution Ehe entschied.

Trotz dieses Einwands liefert die Arbeit in den sechs thematischen Kapiteln mit jeweils zahlreichen Unterkapiteln eine gekonnte Zusammenschau über die Veränderungen der Ehe. Die schlagwortartigen Überschriften wie "Heiratsannoncen und Heiratsinstitute", "Heiratsalter", "Gewalt in der Ehe" oder "Schwangerschaftsabbruch" ermöglichen es den Leserinnen und Lesern, sich schnell zu orientieren. Wie in einem Register können hier Themen erschlossen werden. Wienforts Studie liest sich damit wie ein Gesamtüberblick über die Geschichte der Ehe mit einem dezidierten Schwerpunkt auf der rechtshistorischen Entwicklung. Die Leser werden mit langen Entwicklungslinien und kurzfristigen Veränderungen genauso vertraut gemacht wie mit spannenden Anekdoten. Zum Beispiel ähneln die Heiratsannoncen in Tageszeitungen während des 18. Jahrhunderts den Beschreibungen in Internet-Partnerschaftsbörsen insofern, als es darum geht, "den Wunschpartner so präzise wie möglich zu beschreiben" und sich "möglichst verlockend und attraktiv" (S. 21) darzustellen. Die ökonomischen Bewertungskriterien wie die berufliche Stellung und der Verdienst nehmen in heutigen Anzeigen hingegen keine so dominante Stellung mehr ein wie noch im 19. Jahrhundert. In anderen Kapiteln diskutiert Wienfort wiederum die unterschiedlichen Forschungspositionen etwa zum europäischen Heiratsmuster. Während früher in der Forschung beim Heiratsverhalten von einer zwischen Ost und West verlaufenden "scharfen Trennlinie" ausgegangen wurde, spricht man mittlerweile "von Zonen mit unterschiedlichen regionalen Muster[n]" (S. 52).

Wienfort präsentiert damit eine Fülle von Themen und schneidet fast alle Fragen zu Liebe und Ehe zumindest kurz an. Dass sie dabei lediglich vereinzelt in die Tiefe gehen kann, ist verständlich, lässt aber Manches unbeantwortet. Zum Beispiel liegt für die Zeit nach 1945 der Schwerpunkt ihrer Darstellung auf Westdeutschland, wird aber zumindest an entscheidenden Stellen mit den Entwicklungen in der DDR kontrastiert, etwa beim Thema Berufstätigkeit der Ehefrau, außerehelichen Geburten und der Entwicklung der Ehescheidungsrate. Auch bleibt offen, warum bei manchen Aspekten die deutsche Perspektive um eine international vergleichende ergänzt wird, bei anderen aber nicht. Zum Beispiel wird im Kapitel "Stillen" kurz auf die Praxis in England und Frankreich während des 18. Jahrhunderts und die Regelungen im Allgemeinen Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 eingegangen. Es folgt eine Schilderung der Bedeutung des Stillens im späten 19. Jahrhundert und der Erfindung der Fertignahrung für Babys. Anschließend geht Wienfort auf den Rückgang der Stillquote um 1900 und die Trends im 20. Jahrhundert ein. An diesem Punkt hätten zum Beispiel die Einflüsse der verschiedenen Faktoren wie Fertignahrung, weibliche Berufstätigkeit und Selbstverständnis der Frau deutlich herausgearbeitet werden können. Auch hätte sich ein Vergleich mit Frankreich angeboten, schließlich ist Stillen dort wesentlich weniger verbreitet als in Deutschland.

Diese Einwände dürfen jedoch nicht zu stark gewichtet werden. Denn jede Überblicksdarstellung weist bei einzelnen Themen wie auch Detailfragen zwangsläufig Blindstellen auf. Viel wichtiger ist, dass die Studie einen runden Gesamteindruck hinterlässt und Fragen aufwirft, denen dann in Detailstudien nachgegangen werden kann. Das ist Wienfort gelungen. Sie beleuchtet die Geschichte von Liebe und Ehe aus unterschiedlichen Perspektiven und zeigt auf, wie beide mit den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verknüpft waren und sich wechselseitig beeinflussten. Die Arbeit ist sicherlich an ein breites Publikum adressiert, ist aber auch für Historikerinnen und Historiker von großem Nutzen, die zur Rechts-, Geschlechter-, Sozial- und Politikgeschichte forschen und sich zu einzelnen Themen schnell informieren oder ein fundiertes Überblickswissen aneignen wollen.