M. Ladewig: Rom – Die antike Seerepublik

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Titel
Rom – Die antike Seerepublik. Untersuchungen zur Thalassokratie der res publica populi romani von den Anfängen bis zur Begründung des Principat


Autor(en)
Ladewig, Marco
Reihe
Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 48
Erschienen
Stuttgart 2014: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
371 S.
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans Kopp, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

In seiner Dissertation hat sich Marco Ladewig ein ambitioniertes Ziel gesetzt: Er will einerseits eine Neubewertung der römischen Republik als maritim orientierter „Seerepublik“ erreichen, zugleich jedoch auch einen Beitrag zur Klärung und Definition des Phänomens „Thalassokratie“ im größeren Rahmen, nicht nur auf Rom bezogen, leisten. Die Untersuchung gliedert sich somit ein in die Reihe derjenigen Arbeiten der letzten Jahre, die der maritimen Seite der antiken Geschichte größeres Gewicht beimessen, als dies zuvor lange Zeit der Fall war, eine Tendenz der Forschung, die auch angesichts jüngst laut gewordener und durchaus berechtigter gegenläufiger Auffassungen als weiterhin aktuell und im Kern sinnvoll betrachtet werden darf.1

Die vorliegende Untersuchung beginnt mit einer programmatischen Einleitung, die einen knappen Forschungsüberblick bietet sowie bereits das Ziel einer Neubewertung des Phänomens „Thalassokratie“ formuliert: „Hier nun will die vorliegende Arbeit anknüpfen und am Beispiel der römischen Republik versuchen, das Wesen der antiken Thalassokratie in ihren Facetten zu beleuchten, um mit dem immer noch vorherrschenden Zerrbild des Imperium Romanum als Landmacht aufzuräumen.“ (S. 19) Dieser weitreichenden Zielsetzung folgt im sich anschließenden Kapitel (S. 23–91) jedoch zunächst eine, von Ladewig als fiktive Schiffsreise verfasste, Rekapitulation des schrittweisen Ausgreifens der römischen Republik über die Küsten und Inseln des Mittelmeers. Das nächste Kapitel (S. 93–164) ist den verschiedenen Formen des römischen Seekommandos gewidmet, wobei Ladewig insbesondere dessen Anfängen während des Ersten Punischen Krieges und der zunehmenden Bedeutung des nicht-consularischen Flottenbefehls große Aufmerksamkeit schenkt. Die folgenden drei Kapitel gehören zu den insgesamt gelungensten Partien der Untersuchung, wird doch darin einem jeweils wichtigen, oft jedoch unterrepräsentierten Aspekt der römischen Geschichte Aufmerksamkeit geschenkt: zunächst der maritimen Seite der Bürgerkriege und der Bedeutung des auch propagandistisch wertvollen Kampfes um die Meere (S. 165–241), sodann dem triumphus navalis, dessen Entwicklung und Bedeutung seit seiner ersten Verleihung an C. Duilius Ladewig nachverfolgt (S. 243–266), sowie schließlich den materiellen Monumenten römischer Seezugewandtheit im Stadtbild (S. 267–298). Ein Kapitel zum römischen Seehandel (S. 299–327), das sich vom eigentlichen Anliegen Ladewigs doch recht weit entfernt, sowie die abschließende Diskussion und Neudefinition der „antiken Thalassokratie“, die als Fazit dient und auf die sogleich noch näher eingegangen werden muss, beschließen die Untersuchung (S. 329–350).

Positiv hervorzuheben ist grundsätzlich, dass Ladewig mit einer bisher kaum verfolgten Vehemenz den Blick auf die unbestreitbaren maritimen Komponenten des Aufstiegs der römischen Republik zur Vormacht im Mittelmeerraum lenkt. Wo andere (zumal ältere) Darstellungen im römischen maritimen Ausgreifen oft eher ein Engagement unter Vorbehalt sehen, das einzig dem Druck der Notwendigkeit, aber keiner bewussten und willigen Anerkennung des Maritimen als Aktionsfeld der Politik geschuldet ist2, setzt Ladewig dem das sehr zugespitzte Bild einer sich bewusst und offensiv zur See engagierenden Republik entgegen. Das alleine verdient schon Beachtung. Besonders gelungen sind in diesem Zusammenhang diejenigen Teile der Untersuchung, die sich von den oft beschrittenen Pfaden der Militär- und Politikgeschichte entfernen und, wie Ladewig schon in der Einleitung betont, „die beschränkte Sicht auf die Bedingungen einer Thalassokratie und das Fehlen jeglicher mentalitäts- und kulturgeschichtlicher Aspekte“ (S. 21) zu überwinden versuchen. Dass sich römische „Seeherrschaft“ nicht nur in erfolgreichen Schlachten und strategischen Erfolgen äußerte, sondern ebenso auch ein Teil kultureller Aufarbeitung und Selbstvergewisserung werden konnte, diesem Umstand trägt Ladewig völlig zu Recht Rechnung. Neben diesem, in den Kapiteln 5 und 6 verwirklichten Vorhaben verdient auch manch anderes positive Erwähnung, so etwa die bedeutende Rolle, die Ladewig dem römischen Ausgreifen auf den Oceanus zukommen lässt (S. 84–86, 177–187), oder auch die Versuche, die doch obskure Geschichte des triumphus navalis in den Kontext der römischen maritimen Erfolge zu integrieren.

Gerade Ladewigs Ausführungen zu dem von ihm konsequent als „Seetriumph“ betitelten triumphus navalis verdeutlichen jedoch exemplarisch, woran die Argumentation der Untersuchung oftmals leidet, nämlich an einer zu einseitigen Interpretation des gegebenen Materials unter selbstgesteckten Prämissen. Programmatisch wird von Ladewig ja einleitend explizit angekündigt, gegen das „Zerrbild“ der Deutung Roms als Landmacht ankämpfen zu wollen (S. 19). Dabei wird jedoch nicht ersichtlich, was an einer derartigen Deutung eigentlich grundsätzlich falsch sein soll, sofern sie nicht als ausschließlich vorgetragen wird, was nur in den allerwenigsten Darstellungen der Fall ist. Diese einseitige Zuspitzung prägt dann die Urteile im Detail, und es wird etwa die Bedeutung des „Seetriumphs“ wohl im Ganzen überschätzt, was sich nicht nur an der rein quantitativ geringen Bedeutung dieses Rituals zeigt, sondern auch darin, dass es sich wohl nur um einen normalen Triumph handelte, bei dem einzig in der Benennung und in Details der Ausführung dem Umstand Rechnung getragen wurde, dass der zugrunde liegende Sieg mit Schiffen errungen worden war. In den Quellen wird er daher auch fast immer mit dem Terminus triumphus navalis bezeichnet, woran nicht etwa die Anerkennung des Meeres als neu hinzugewonnenen Einflussgebietes abzulesen ist, sondern einzig und allein die abweichende Form der militärischen Mittel. Dass er von Ladewig dennoch stets als „Seetriumph“ und nicht, was in der Übersetzung korrekter wäre, als „Flotten-“ oder „Schiffstriumph“ bezeichnet wird3, erscheint für diese Problematik paradigmatisch. Generelle Einwände kommen hinzu: Die berechtigte Frage etwa, wie eine Republik, die nach Ausweis sowohl des Polybios als auch des Livius oft nicht in der Lage und gar nicht willens war, ihre Flottenkontingente zu unterhalten und zu bemannen (Pol. 1,64,1; Liv. 26,35–36; 44,20,6), als „Seerepublik“ benannt werden kann, wird an keiner Stelle thematisiert, und das, obwohl eine Diskussion dieser Aspekte doch entscheidend wäre für die Interpretation des römischen Aufstiegs als der Erfolgsgeschichte einer selbstbewussten „Thalassokratie“, die eine solche nicht nur sein konnte, sondern auch sein wollte. Man vermisst zudem im gesamten Buch eine weiterführende Diskussion und Problematisierung von doch primär modern geprägten Konzepten wie „Kontrolle der Seerouten“ oder „Seeblockade“, vor allem hinsichtlich der Frage, ob angesichts der technischen und infrastrukturellen Beschränkungen antiker Schifffahrt solche Ideen überhaupt in dieser Form möglich und umsetzbar waren.4

Besonders problematisch ist jedoch ein anderer Aspekt: Schon im Titel der Untersuchung wird die Idee und Existenz einer römischen „Thalassokratie“ als unhinterfragte Prämisse des gesamten Folgenden präsentiert; die Beantwortung der Frage, was denn eine Thalassokratie eigentlich ausmache, wird jedoch explizit ans Ende der Untersuchung vertagt (S. 22). Da aber im ganzen Buch stets letztlich synonym von „Seeherrschaft“, „maritimer Vorherrschaft“, „maritimer Suprematie“ und „Thalassokratie“ die Rede ist, geistert die Idee einer „Thalassokratie“ von der ersten Seite an wie ein Phantom durch das Buch. Dabei ist der Terminus an sich schon hochproblematisch, sowohl hinsichtlich seiner (ohnehin kaum fassbaren) antiken Bedeutung als auch seiner modernen Anwendung. Eine Problematisierung dieser Aspekte wäre jedoch entscheidend für eine zumindest in Ansätzen sinnvolle Anwendung von „Thalassokratie“ als historischer Kategorie, die mehr sein will als nur das Überstülpen eines klingenden, letztlich aber wenig hilfreichen Konzepts. Die Existenz einer römischen „Thalassokratie“ wird hier stattdessen gar nicht erst als zunächst nur mögliches Ergebnis in den Raum gestellt, sondern von Beginn an als leitende Tatsache präsentiert, die dann die Konzeption der Untersuchung lenkt, um am Schluss noch mit einer Definition angefüllt zu werden, die nicht mehr ist als eine recht wahllose, weil allzu umfassende Auflistung all dessen, was auf den Seiten zuvor als Elemente der römischen „Seeherrschaft“ ausgemacht wurde (S. 349–350). Damit ist nicht nur kein Fortschritt erzielt, sondern insgesamt der Untersuchung ein unnötiges Element terminologischer und konzeptioneller Unklarheit beigegeben.

Neben diesen grundlegenden Mängeln weist das Buch zudem eine Reihe kleinerer Fehler auf, auch bei Autorennamen und manchen altsprachlichen Wörtern. Dennoch: Marco Ladewig muss das Verdienst zuerkannt werden, die maritime Seite der römischen Geschichte weitaus stärker als zuvor berücksichtigt zu haben, auch wenn er dabei teils zu einseitig argumentiert und die genannten konzeptionellen Mängel den Wert der Untersuchung schmälern.

Anmerkungen:
1 Zur Akzentuierung der maritimen Seite der Antike sind vor allem mehrere Beiträge von Raimund Schulz hervorzuheben, darunter insbesondere: Raimund Schulz, Roms Griff nach dem Meer, in: Theodora Hantos / Gustav Adolf Lehmann (Hrsg.), Althistorisches Colloquium aus Anlaß des 70. Geburtstages von J. Bleicken, Stuttgart 1998, S. 121–134; ders., Caesar und das Meer, in: Historische Zeitschrift 271 (2000), S. 281–309; ders., Die Antike und das Meer. Forschungsstand, offene Probleme und neue Perspektiven, in: Gymnasium 112 (2005), S. 133–158; ders., Die Antike und das Meer, Darmstadt 2005. Die skeptischere Position wurde zuletzt vertreten von Bernhard Linke, Meer ohne Ordnung. Seerüstung und Piraterie in der Römischen Republik, in: Nikolaus Jaspert / Sebastian Kolditz (Hrsg.), Seeraub im Mittelmeerraum. Piraterie, Korsarentum und maritime Gewalt von der Antike bis zur Neuzeit, Paderborn 2013, S. 265–280, hier S. 273–274, der am Beispiel der römischen Republik vor einer generellen Überbewertung des Maritimen in der antiken Geschichte warnt.
2 Exemplarisch etwa in der ansonsten ausgewogenen Darstellung von Helmut Berve, Rom und das Mittelmeer, in: ders., Gestaltende Kräfte der Antike. Aufsätze und Vorträge zur griechischen und römischen Geschichte, 2. erw. Aufl., München 1966 (1. Aufl. 1949), S. 354–374.
3 Dazu zuletzt Matthew Roller, The Exemplary Past in Roman Historiography and Culture, in: Andrew Feldherr (Hrsg.), The Cambridge Companion to the Roman Historians, Cambridge 2009, S. 214–230, hier S. 226.
4 Dazu etwa (mit negativer Antwort) Thomas J. Figueira, Herodotus on the Early Hostilities Between Aegina and Athens, in: American Journal of Philology 106 (1985), S. 49–74, hier S. 64.

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