F. Trommler: Kulturmacht ohne Kompass

Cover
Titel
Kulturmacht ohne Kompass. Deutsche auswärtige Kulturbeziehungen im 20. Jahrhundert


Autor(en)
Trommler, Frank
Erschienen
Köln 2014: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
732 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Höpel, Institut für Kulturwissenschaften, Universität Leipzig

Frank Trommler legt mit diesem Band die erste umfassende Darstellung der auswärtigen deutschen Kulturpolitik und Kulturbeziehungen im 20. Jahrhundert seit Manfred Abeleins grundlegender Arbeit von 1968 vor.1 Im Zentrum steht dabei die Indienstnahme der Kultur für die Expansion des Deutschen Reiches, also die ästhetische Überhöhung einer nationalistischen deutschen Machtpolitik, die vom Gedanken des Sendungsbewusstseins als deutsche „Kulturmacht“ getragen wurde. Dieses am Ende des 19. Jahrhunderts sich herausbildende Paradigma, das die Nationalsozialisten noch weiter radikalisierten, wirkte bis in die frühe Bundesrepublik nach. Auch die DDR knüpfte partiell daran an, indem sie sich durch Kultur als der bessere deutsche Staat zu präsentieren suchte. Der genannte Fokus erklärt, dass Trommlers Darstellung bereits 1989 endet und zudem auf die ersten 45 Jahre des 20. Jahrhunderts konzentriert ist. Für die auswärtige Kulturpolitik der beiden deutschen Staaten nach 1945, die sich nur noch teilweise auf Konzepte und Strukturen der ersten Jahrhunderthälfte bezogen, nimmt sich der Autor weitaus weniger Raum.

Trommler führt die in zahlreichen Einzelstudien der letzten Jahrzehnte gewonnenen Erkenntnisse mit eigenen Forschungen zu einer überzeugenden Interpretation zusammen. Er betont dabei in stärkerem Maße als frühere Autoren die Kontinuitäten des deutschen Kulturmachtstrebens vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis 1945.2 Trommlers Interesse richtet sich zugleich auf die Geschichte der jüdischen Bevölkerungsteile Deutschlands, der nationalen Minderheiten in Deutschland und auch der im Ausland ansässigen Deutschen.

Systematisierte auswärtige Kulturbeziehungen und Anfänge einer regelrechten auswärtigen Kulturpolitik Deutschlands um 1900 sieht der Verfasser als Ergebnis der Interaktion der Nationen und des zugespitzten Kampfes um Weltgeltung, um Kolonien und Einfluss auf Absatzmärkte. Rasch kamen dabei die Auslandsdeutschen in den Blick, die über die Unterstützung deutscher Schulen im Ausland mobilisiert werden sollten. Das führte im Kaiserreich auch zu einer zunehmend ethnisierten Politik im Innern, bei der kulturelle Einflüsse anderer Gruppen – etwa polnischer Volksgruppen und insbesondere der für die Kulturentwicklung Deutschlands so wichtigen jüdischen Bevölkerungsgruppe – zunehmend stigmatisiert wurden. Die machtpolitisch-repräsentative Seite des sich herausbildenden deutschen auswärtigen Kulturengagements wurde laut Trommler aber ergänzt durch einen bürgerlichen Gegenpol. Dieser zeigte sich besonders in den Ambitionen des deutschen Kunsthandwerks und Produktdesigns, das sich seit 1907 im Werkbund ein einflussreiches Sprachrohr schuf. Allerdings stellt Trommler die Protagonisten des Werkbunds etwas zu internationalistisch und kosmopolitisch dar; die im Werkbund ebenfalls starken nationalistischen Töne unterschlägt er.3

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs brachte sich Deutschland auch als Kulturmacht in Stellung. Die nationalistische Solidarisierung breiter Teile der deutschen Geisteswelt, die nicht nur im feindlichen Ausland als Verrat an den Grundsätzen von Kunst und Wissenschaft sowie als Symbiose von Militär und Kultur wahrgenommen wurde, hatte desaströse Folgen für Deutschlands Ansehen und auch für die deutschstämmigen Bevölkerungsgruppen in der Welt. Sie führte die deutsche Wissenschaft in eine internationale Isolation. Das Fehlen einer kohärenten auswärtigen Kulturpolitik, die auf Bedürfnisse und Befindlichkeiten des Auslandes reagiert hätte, machte sich schmerzlich bemerkbar. Das Personal des diplomatischen Dienstes zeichnete sich vielerorts durch eine erschreckende Ignoranz gegenüber den kulturellen Gegebenheiten am Einsatzort aus. Brutales und unsensibles Vorgehen der deutschen Militärmaschinerie in West und Ost taten ihr Übriges, um durchaus vorhandene Sympathien für deutsche Sprache, Kultur und Wissenschaft zu ersticken.

Dass Kultur und Kulturpolitik nach dem Ende des Ersten Weltkriegs an Bedeutung gewannen, führt Trommler generell auf die durch den Versailler Vertrag veränderte europäische Landkarte zurück, die neue Nationalstaaten und zahlreiche nationale Minderheiten hervorbrachte. Das mündete in Konflikte zwischen den Protagonisten nationalkultureller Integration und minderheitlicher kultureller Autonomie. In Deutschland wurde auf die vermeintlichen Versäumnisse und Missgeschicke während des Ersten Weltkriegs reagiert und im Auswärtigen Amt 1920 eine Kulturabteilung eingerichtet. Allerdings standen nicht die Erleichterung kultureller Begegnungen und der Abbau von Spannungen durch gleichberechtigten Kulturaustausch im Vordergrund der offiziellen auswärtigen Kulturpolitik. Sie wurde vor allem als Vehikel der Revisionspolitik gegen den Versailler Vertrag konzipiert. Zusammen mit der Indifferenz für Kulturfragen im Auswärtigen Amt, insbesondere beim Personal in den Botschaften und Konsulaten, führte dies dazu, dass andere Akteure in der Weimarer Republik eine wichtigere Rolle erhielten. Daran änderte auch die von Außenminister Stresemann nach Locarno eingeleitete „zweite Phase auswärtiger Kulturpolitik“ erst allmählich etwas. Die maßgeblichen Akteure auswärtiger Kulturbeziehungen in der Weimarer Zeit waren das preußische Kultusministerium, der Deutsche Akademische Austauschdienst und die Deutsche Akademie. Trommler widmet sich ausführlich der Breite der durch die Republik vorangetriebenen Kulturbeziehungen, die aber seit Ende der 1920er-Jahre in einen Gegensatz zur zunehmend essentialistischen, ethnisierten Kulturvorstellung im Innern gerieten, die von den Nationalsozialisten dann rassistisch zugespitzt wurde.

Trommler betont insbesondere den Einfluss, den die kulturelle Mobilisierung des Ersten Weltkriegs für die nationalsozialistische Kulturpolitik hatte – ein Einfluss, der bislang kaum berücksichtigt wurde. Diese Politik habe auf die Schaffung einer ideologisch-kämpferischen „Volksgemeinschaft“ gezielt, die am behaupteten Gemeinschaftserlebnis von 1914 sowie dem Bündnis von Militär und Kultur orientiert war. Der Autor erkennt diesen Einfluss zudem an der zwanghaften Feindorientierung der NS-Kulturpolitik, die sich zwar nicht vorrangig gegen Engländer und Franzosen richtete, aber gegen Juden ein unvorstellbares Ausmaß annahm. Schließlich griffen die Nationalsozialisten systematisch auf Propagandamethoden des Kultureinsatzes im Ersten Weltkrieg zurück.

Seit 1933 diente auswärtige Kulturpolitik erst einmal der Beruhigung des Auslands. Später wurde sie zunehmend zur Anbahnung außenpolitischer Kontakte und seit 1940 schließlich zur Absicherung des eroberten Raumes genutzt, indem Kollaboration besonders im Norden und Westen organisiert werden sollte, während im Osten slawische Kultur brutal unterdrückt wurde. Die unterschiedlichen Zuständigkeiten des Auswärtigen Amts, des Erziehungs- und Propagandaministeriums, des Amts Rosenberg und des Reichsführers SS machten verschiedene Vorgehensweisen möglich. Trommler unterstreicht aber4, dass die scheinbar unideologische Arbeit des Auswärtigen Amts in den ersten Jahren nach 1933 sehr wohl im Interesse und im Sinne des NS-Regimes erfolgte. Auch die später vom Auswärtigen Amt organisierte werbende NS-Kulturpolitik in den okkupierten west- und nordeuropäischen Staaten diente nur als Vorwand, um deren Ausplünderung länger ungestört betreiben zu können. Trommler stellt zudem die Aktivitäten der emigrierten deutschen Kultur- und Geistesschaffenden dar, die sich gegen die nationalsozialistische Vereinnahmung deutscher Kultur auflehnten und damit die im Ausland vorhandene Vorstellung von den „zwei Deutschlands“ stützten.

Die Zäsur 1945 stellte für die Idee deutscher „Kulturmacht“ einen Endpunkt dar, war aber für die kulturellen Beziehungen zum Ausland weder in Ost noch West eine Stunde Null. Auf unterschiedliche Art – personell und konzeptuell – wirkten zahlreiche Kontinuitäten fort. Im kulturpolitischen Kampf mit der DDR setzte die frühe Bundesrepublik auf eine Mischung aus Vertretern der „inneren Emigration“ und zu „Mitläufern“ erklärten NS-Tätern. Die ins Exil gegangenen Vertreter deutschen Geisteslebens wurden, im Gegensatz zur DDR, kaum einbezogen. Die Selbstbescheidung in Ost und West und der aufkommende Kalte Krieg führten zudem dazu, dass die aus den ost- und südosteuropäischen Gebieten vertriebenen deutschen Minderheiten, die zuvor als Bannerträger deutscher Kultur im Osten hofiert worden waren, nun zwar integriert, ihr Bezug auf nationale deutsche Kultur und ihre östlichen Wurzeln aber eher als irritierend wahrgenommen wurden.

Breit skizziert Trommler die unmittelbare Nachkriegszeit: die Kulturpolitik der Besatzungsmächte, die defensive Kulturpolitik der frühen Bundesrepublik sowie die wenigen Momente, in denen sich einzelne Vertreter der Bundesrepublik wie Theodor Heuss mit kulturellen Mitteln zu ihrer Verantwortung für die Greuel der NS-Zeit bekannten. Die auswärtige Kulturpolitik der DDR wurde demgegenüber von sowjetischen Strukturen geprägt, was jedoch nicht zu einer wirklichen kulturellen Durchdringung der Gesellschaft führte. Das DDR-Regime wollte durch auswärtige Kulturarbeit vor allem die völkerrechtliche Anerkennung befördern. Insbesondere mit der Entwicklungshilfe gegenüber arabischen und afrikanischen Ländern schuf die DDR aber auch eine eigenständige erfolgreiche Außenkulturpolitik, die von der Bundesrepublik bald wahrgenommen und als Anreiz für eigene Aktivitäten gesehen wurde.

Während die DDR in Kontinuität zum Deutschen Reich durch die Mobilisierung von Kultur Identität und Ausstrahlung zu gewinnen versuchte, setzte die Bundesrepublik dem seit Mitte der 1960er-Jahre eine partnerschaftliche Kulturpolitik entgegen, die in den 1970er-Jahren intensiviert wurde. Das knüpfte an innergesellschaftliche und auch internationale Entwicklungen an; es mündete in ein neues Konzept auswärtiger Kulturpolitik, das sich vom Gedanken der deutschen „Kulturmacht“ abwandte. Begleitet wurde dies vom offiziellen Bekenntnis zur Verantwortung Deutschlands für die NS-Verbrechen – ein Bekenntnis, das seit den 1970er- und 1980er-Jahren in zunehmendem Maße von der breiten deutschen Öffentlichkeit mitgetragen bzw. von ihr erst forciert wurde. So gelang es der Bundesrepublik, wieder zum international anerkannten und respektierten Partner zu werden.

Der Band beseitigt verschiedene Defizite der bisherigen Forschung. Er bietet eine umfassende Gesamtdarstellung auswärtiger Kulturpolitik und Kulturbeziehungen sowie der kulturpolitischen Initiativen anderer gesellschaftlicher Akteure vom Kaiserreich bis zu den beiden deutschen Staaten. Er stellt deren Zusammenwirken ebenso dar wie gegeneinander laufende Aktionen. Schließlich behandelt er auch die Reaktionen des Auslands auf die deutschen Initiativen. Damit kontrastiert Frank Trommler das Selbstbild Deutschlands mit der Wahrnehmung des Auslands. Auf diese Weise gelingt ihm eine überzeugende Verbindung von Politik-, Kultur-, Diplomatie- und Institutionengeschichte.

Anmerkungen:
1 Vgl. Manfred Abelein, Die Kulturpolitik des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland. Ihre verfassungsgeschichtliche Entwicklung und ihre verfassungsrechtlichen Probleme, Köln 1968. Abelein widmete der auswärtigen Kulturpolitik ein Drittel seiner Darstellung.
2 Insbesondere in Absetzung zu: Kurt Düwell, Zwischen Propaganda und Friedensarbeit – 100 Jahre Geschichte der deutschen Auswärtigen Kulturpolitik, in: Kurt-Jürgen Maaß (Hrsg.), Kultur und Außenpolitik. Handbuch für Studium und Praxis, 2. Aufl. Baden-Baden 2009, S. 61–111.
3 Vgl. Wolfgang Hardtwig, Kunst, liberaler Nationalismus und Weltpolitik. Der Deutsche Werkbund 1907–1914, in: ders., Nationalismus und Bürgerkultur in Deutschland 1500–1914, Göttingen 1994, S. 246–273.
4 Im Gegensatz zu Düwell, Zwischen Propaganda und Friedensarbeit, S. 79ff.