F.-R. Hausmann: Auch im Krieg schweigen die Musen nicht

Titel
"Auch im Krieg schweigen die Musen nicht". Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg


Autor(en)
Hausmann, Frank-Rutger
Reihe
Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 169
Erschienen
Göttingen 2001: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Middell, Zentrum für höhere Studien, Universität Leipzig

Frank-Rutger Hausmann hat in den vergangenen Jahren außerordentlich verdienstvolle und umfangreiche Untersuchungen zur Geschichte der Romanistik im Dritten Reich und zum Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften vorgelegt, die einerseits das Bild vom Absentismus der Humanwissenschaften gegenüber den Zumutungen der NS-Diktatur, wie es für lange Zeit in der Bundesrepublik aufrechterhalten wurde, derart erschüttert haben, dass heute niemand mehr an den alten Exkulpationsstrategien seiner akademischen Lehrer festzuhalten wagt. Andererseits schiebt die unaufgeregte und die verfügbaren Quellen tatsächlich umsichtig auswertende Art des Verfassers polemischen Zuspitzungen einen Riegel vor, in denen alle Katzen grau werden und die Haupttäter ebenso wie die willigen Mitläufer und gedankenlosen Opportunisten in gleicher Weise zu Vordenkern und Antreibern der Vernichtung werden.

Im Laufe seiner akribischen Suche in zahllosen Archiven ist Hausmann immer wieder auf die Beziehungen der in Deutschland tätigen Philologen und Historiker zu den 16 Auslandsinstituten gestoßen und hat einen Teil des Materials, das in diesem Band kohärent vorgeführt wird, auch bereits ausgewertet.

Nun gibt ihm die Veröffentlichungsreihe des Max-Planck-Instituts für Geschichte in Göttingen Gelegenheit, die Deutschen Wissenschaftlichen Institute in Bukarest, Paris, Sofia, Budapest, Belgrad, Kopenhagen, Madrid, Athen, Brüssel, Helsinki, Stockholm, Agram (Zagreb), Preßburg, Lissabon, Venedig und Tirana sowie die selbständigen Außenstellen in Barcelona, Porto, Fünfkirchen, Hermannstadt, Marseille, Odessa und Sarajevo mit ihren fast 300 Mitarbeitern Revue passieren zu lassen.

Inspiriert von den Erfolgen der französischen auswärtigen Kulturpolitik schwebten dem Auswärtigen Amt und dem Reichsministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung positive Wirkungen in den befreundeten, verbündeten oder besetzten Ländern vor, die durch eine rege Vortrags-, Ausstellungs- und Konzerttätigkeit, den Austausch von Professoren und Studierenden sowie Sprachenlektorate erreicht werden sollten. Dazu wurden renommierte Gelehrte an die Spitze der Institute gesetzt, die sich allzu plumper Agitation enthielten, aber auch den Rahmen einer "von jüdisch-westlichem Geist ‚befreiten' Wissenschaft auf völkisch-rassischer Grundlage" nicht verließen, wie Hausmann betont, und die Institute dienten "der Exploration der Nachbarländer, um deren Gleichschaltung vorzubereiten; sie widmeten sich der Raumforschung mit dem Ziel der Umvolkung und der Ausbeutung; sie warben für die Kollaboration, um fremde Eliten an Deutschland zu binden" (S. 9).

Die Kapitel, die den Instituten gewidmet sind, präsentieren Informationen zum Personal, zu den Zweigstellen und Lektoraten, zur Gründungsgeschichte und den deklarierten Arbeitszielen, zur Einbettung in die Geschichte des Gastgeberlandes und der deutschen Strategie gegenüber diesem Land, zu den Veranstaltungen und Gästen, zur Wirkung und zum schließlich unvermeidlichen Zusammenbruch infolge des Kriegsverlaufes. Angesichts des beeindruckenden Umfangs der ermittelten Zusammenhänge bleiben wenige Wünsche offen. Hausmann hat vielmehr die Grundlage dafür geschaffen, dass künftig in einer grenzüberschreitenden Kooperation die Verbindungen zur jeweiligen Wissenschaftsszenerie in den betroffenen Ländern genauer herausgearbeitet werden können, wie das jüngst Hans Derks für die deutsche Westforschung, die Niederlande und Belgien anregend vorgeführt hat. Nachdem die deutsche Wissenschaftsgeschichte ihre Hausaufgaben umfassend in Angriff genommen hat und sich tatsächlich kritisch der Rolle deutscher Humanwissenschaftler im Krieg und nach 1945 zugewandt hat, sind die Voraussetzungen für einen vergleichenden und beziehungsgeschichtlichen Blick günstiger und komparatistische Fragen können nicht mehr als Entlastungsstrategie (miss-)verstanden werden. Frank-Rutger Hausmanns Beitrag dazu, dass dieser Punkt inzwischen als erreicht gelten darf, ist nicht zu überschätzen. Mit dem vorliegenden Band scheinen die Erkenntnisse seiner beeindruckenden Arbeitsleistung auch von den Rändern der etablierten Romanistik ins Zentrum der Geschichtswissenschaft diffundiert zu sein.

Doch die Bedeutung von Hausmanns Untersuchung geht über die Rekonstruktion einzelner Institutsgeschichten weit hinaus. Studien zu einzelnen Instituten (für Paris von Michels, für Kopenhagen von Jakubowski-Tiessen, für Lissabon von Seruya und für Brüssel von Jäger) lagen bereits vor. Hausmann erlaubt mit seiner systematischen Darstellung Vergleiche und betont den Netzwerkcharakter der Deutschen Wissenschaftlichen Institute, deren Leiter regelmäßig zu Tagungen und Strategiebesprechungen zusammenkamen. Leider wird der Gedanke allerdings nur in einer Dimension, der Indienststellung von Wissenschaft durch Kollektivierung für ein verbrecherisches Regime, verfolgt, nicht aber in seinen allgemeineren wissenschaftshistorischen Aspekten. Denn die Rückkehr zur Forschung "in Einsamkeit und Freiheit" wurde zwar nach dem Zweiten Weltkrieg versucht und vorzugsweise in Westdeutschland zum Ideal der Reorganisation des Wissenschaftssystems, aber im Laufe der zweiten Hälfte des 20. Jh. wurde immer offensichtlicher, dass eine Entgegensetzung des arbeitsteiligen Laborbetriebs in den Naturwissenschaften und der Individualforschung in den Humanwissenschaften nicht mehr den Notwendigkeiten internationaler Wettbewerbsfähigkeit entsprach - der Bruch der späten dreißiger und frühen vierziger Jahre war grundlegender und nicht an die Verbindung mit den Nationalsozialismus gebunden. So verdienten nicht nur die Deutschen Wissenschaftlichen Institute, sondern auch die zahlreichen anderen multidisziplinären Verbünde etwa zur Ost- oder zur Westforschung, die in dieser Zeit entstanden, eine Betrachtung, die die Ambivalenz unterstreicht, einerseits wissenschaftsorganisatorisch mit den französischen und amerikanischen Konkurrenten mithalten zu wollen und andererseits dafür den Pakt mit den politischen Zielen der Nazis einzugehen und eine paradigmatische Grundlage in der Kulturraumforschung zu wählen, die besonders anfällig für Mystifizierungen und Instrumentalisierungen war.

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