U. Schulte-Varendorff: „Kolonialheld“ oder „Lügenbaron“?

Titel
„Kolonialheld“ oder „Lügenbaron“?. Die Geschichte des bayerischen Kolonialoffiziers Hermann Detzner


Autor(en)
Schulte-Varendorff, Uwe
Erschienen
Hamburg 2014: Diplomica Verlag
Anzahl Seiten
180 S.
Preis
€ 49,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Kirchen, Berlin

Nach dem „Kriegs- und Kolonialhelden“ Paul von Lettow-Vorbeck hat Uwe Schulte-Varendorff einen weniger bekannten, wenngleich aufgrund seiner späteren Selbstinszenierung nicht minder illustren Protagonisten der deutschen Kolonialgeschichte porträtiert und sich mit dessen angeblichen Heldenleistungen im Ersten Weltkrieg auseinandergesetzt.

Seine Jugend verbrachte der als Sohn eines Zahnarztes geborene Hermann Philipp Detzner (1882–1970) im pfälzischen Speyer. Nach der Schulzeit schlug er eine Offizierskarriere ein, die nach seinem Eintritt ins 2. Bayerische Pionierbataillon zunächst mit den häufig wechselnden üblichen Abkommandierungen zu verschiedenen Einheiten im Königreich Bayern einherging. Doch Detzner gab sich mit einer „normalen“ bayerischen Offizierskarriere offenbar nicht zufrieden: Im Sommer 1908 bewarb sich der inzwischen zum Leutnant Beförderte für eine gemeinschaftlich durchgeführte deutsch-britische Grenzexpedition in Kamerun, die ein Teilstück des bis dahin ungeklärten Grenzverlaufs zwischen deutschem und britischem Einflussgebiet klären sollte. Nach erfolgreich abgeschlossener Mission forderte das Reichskolonialamt den im Range eines Oberleutnants stehenden Detzner 1912 für eine erneute deutsch-britische Vermarkungsexpedition in Kamerun an und betraute ihn mit der Aufgabe eines Grenzkommissars im Yola-Crossschnellengebiet.

Seine kurzzeitige Berühmtheit verdankte Detzner einer Buchveröffentlichung aus dem Jahre 1920 mit dem Aufsehen erregenden Titel „Vier Jahre unter Kannibalen. Von 1914 bis zum Waffenstillstand unter deutscher Flagge im unerforschten Innern von Neuguinea“. Hier beschrieb Detzner seine „Heldentaten“, die er in Deutsch-Neuguinea vollbracht haben wollte.

Der reale Hintergrund war indes weniger spektakulär: Anfang 1914 war Detzner in Deutsch-Neuguinea eingetroffen, wo er erneut eine Grenzexpedition leiten sollte. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges vereitelte die weitere Ausführung des Vorhabens, so dass Detzner sich, da er sich nicht in australische Gefangenschaft begeben wollte, im Hinterland versteckte. Tatsächlich gelang es Detzner, während des Krieges nicht in Gefangenschaft zu geraten.

Nach Ende des Krieges kehrte Detzner nach Deutschland zurück, wo er im Fahrwasser der „Dolchstoßlegende“ in Vorträgen und Veröffentlichungen akribisch daran arbeitete, sich – da im Felde unbesiegt – als „zweiten Lettow-Vorbeck“ zu stilisieren, was ihm kurzzeitig auch gelang. Dabei übertrieb er jedoch gewaltig, wie er nach entsprechender Kritik später schrittweise einräumen musste. Weder hatte er die zahlreichen Gebirgsketten Neuguineas bestiegen und erforscht (schon gar nicht, wie von ihm behauptet, als erster Europäer), noch die beschriebenen Tierarten „entdeckt“, geschweige denn heldenhafte Durchbruchversuche nach Niederländisch-Neuguinea unternommen. Im Hinterland hatte Detzner nur durch die Unterstützung eines Neuendettelsauer Missionars und Nahrungslieferungen durch Einheimische überleben können.

Schulte-Varendorff schildert die Demontage seines Protagonisten und die damit einhergehenden, heftig geführten Auseinandersetzungen zwischen Detzner und Vertretern der Neuendettelsauer Mission und der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin ausführlich (vgl. S. 93–118) und schließt sich deren Argumentation an. Übrig bleibt das Zugeständnis des Verfassers, Detzner habe einen kleinen, wenn auch überschaubaren Anteil an der Geschichte der Erforschung Neuguineas gehabt. Von gelegentlichen Glorifizierungen Detzners abgesehen, die erstaunlicherweise insbesondere in australischen und neuseeländischen Publikationen auftauchen, bestätigt Schulte-Varendorffs Untersuchung im Großen und Ganzen die heute überwiegend vorherrschende Einschätzung von Detzners Leistung, die, so der Verfasser, positiver hätte ausfallen können, wenn Detzner bei der Wahrheit geblieben wäre. So war der Fall vom mehrfach ausgezeichneten „Kolonialhelden“ zum „Lügenbaron“ (obwohl Detzner nicht adelig war) ein tiefer (vgl. S. 155).

Die biographischen Informationen zum Leben Detzners sind – das beklagt auch Schulte-Varendorff – eher dürftig (vgl. S. 132). Wohl deshalb vermeidet es der Verfasser auch, seine mit zuweilen starken moralischen Wertungen versehene Untersuchung als Biographie zu bezeichnen. Rückschlüsse auf Detzners Persönlichkeit kann Schulte-Varendorff fast ausschließlich über die vor allem im Bundesarchiv, im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes und im Archiv Mission EineWelt erhaltenen Korrespondenzen sowie Detzners Veröffentlichungen – darunter dessen zweifelhaftes Opus Magnus „Vier Jahre unter Kannibalen“ – ziehen.

Auch wenn Detzner durch sein Eingeständnis, gelogen zu haben, erheblich beschädigt war (es wurden sogar Spottverse über ihn veröffentlicht), hielt ihn das nicht davon ab, seine Thesen in späteren Jahren wieder zu vertreten.

Seine spätere Karriere führte Detzner zum Reichsarchiv und in die wieder aufgebaute Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts, bevor er im Juli 1939 als Offizier im Stabsdienst reaktiviert wurde. Obgleich Detzner nicht davor zurückscheute, höchste Stellen zum Wohle seines Karriereverlaufs anzuschreiben, kann Schulte-Varendorff keine Nähe Detzners zum NS-Regime nachweisen (vgl. S. 139). Wohl geben die Akten aber Auskunft über einen Menschen, der ein starkes materielles Interesse besaß und stets Zahlungen einforderte, es aber mit der Begleichung von Schulden nicht so genau nahm (vgl. S. 133–136).

Mit seiner Untersuchung hat Schulte-Varendorff Material aufbereitet, das für größer angelegte Vergleichsarbeiten reizvoll sein könnte. Angereichert ist das Buch mit zum Teil bislang unveröffentlichten Bildern von Detzner und seinen Expeditionen, allerdings mit Abstrichen bei der Druckqualität von Bildern und Kartenmaterial.

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