K. Buraselis u.a. (Hrsg.): The Ptolemies, the Sea and the Nile

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Titel
The Ptolemies, the Sea and the Nile. Studies in Waterborne Power


Herausgeber
Buraselis, Kostas; Stefanou, Mary; Thompson, Dorothy J.
Erschienen
Anzahl Seiten
XXI, 274 S.
Preis
£60.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Rollinger, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Der hier zu besprechende Band geht auf eine Tagung zurück, die bereits im September 2009 im Piräus stattgefunden hat. Übergreifendes Anliegen ist die „aquatic dimension“ (S. 1) des Ptolemäerreiches, und die Herausgeber skizzieren bereits in der Einleitung eine Reihe von mehr oder weniger maritimen Themenbereichen, die Aspekte sowohl von hard power (hier: Flotten- und Bündnispolitik) als auch von soft power umfassen und die ptolemäische Thalassokratie umfassend würdigen sollen.

Den Anfang macht Andrew Meadows (S. 19–38) mit einer Neuevaluierung vor allem der epigraphischen Evidenz zum Nesiotenbund. Er stellt die These auf, dass dieser Zusammenschluss der Ägäisinseln nicht auf einen antigonidischen Impuls zurückzuführen sei, sondern es sich vielmehr um eine Gründung des zweiten Ptolemäers, Philadelphos, um 280 v.Chr. (S. 28 u. 32) handele. Dabei rückt er auch die Etablierung des Kultes der Arsinoe-Aphrodite (Euploia-Zephyritis) (S. 29–31) und der Ptolemaieia (S. 31f.) in den Kontext dieser Gründung und sieht den Bund als Ausdruck einer politischen, ökonomischen und religiösen Neuordnung der Ägäis unter Philadelphos.

Hans Hauben betrachtet in seinem Beitrag (S. 39–65) erneut die beiden ptolemäischen Offiziere Kallikrates von Samos und Patroklos von Makedonien, die er als „pillars of the Ptolemaic thalassocracy in its heyday“ charakterisiert (S. 39). Kallikrates habe zwar wohl als Nauarch „the general and technical responsibility for the Ptolemaic navy“ (S. 52) getragen, das genaue Verhältnis zu Patroklos, der nur von Pausanias (1,1,1) als Nauarch bezeichnet wird, sei aber nicht näher zu bestimmen, wenngleich Hauben ihm eine erweiterte Strategie zuspricht und die Vermutung anstellt, er sei eine Art „‚viceroy of the Aegean‘“ (S. 63) gewesen.

Der ökonomischen Bedeutung des östlichen Mittelmeerraums widmet sich Vincent Gabrielsen, der die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Rhodos und dem Ptolemäerreich untersucht (S. 66–81). Dabei fragt er nach dem Grund für die Beständigkeit dieser „special relationship“ (S. 67) im Angesicht zweier Faktoren (hohe Zölle und Steuern sowie die Gefahr durch Seeräuber), die er beide als dem Handel im Grunde abträglich, als „transaction costs“ (S. 71) im Sinne der Neuen Institutionsökonomik auffasst.1 Die rhodischen Gegenmaßnahmen, unter anderem die berühmten ‚Beschützerschiffe‘ (phylakides nêes), haben, so Gabrielsen, zumindest letzterer Gefahr entgegen gewirkt und eine „‚transaction-costs protected‘ route“ (S. 76) etabliert. Gleichzeitig habe sich ein neues und effizienteres Geschäftsmodell entwickelt, welches in einer moralisch aufgeladenen Schilderung der Geschäfte des Kleomenes von Naukratis greifbar werde (S. 78–81) und die Lukrativität des rhodisch-ägyptischen Handels gesteigert habe.

Der Beitrag von Andrew Erskine (S. 82–96) analysiert die ptolemäische Seemacht bei Polybius. Ausgehend von einer bekannten, dem ptolemäischen Einflussgebiet im Mittelmeerraum einen scheinbar grundlegend defensiven Charakter zuschreibenden Passage (5,34), zeigt Erskine auf, dass Polybius’ Bemerkungen an dieser Stelle weniger den frühen Ptolemäern und deren außenpolitischen Absichten gelten, sondern Kritik am schwachen Ptolemaios IV. Philopator im Zusammenhang mit dem Vierten Syrischen Krieg formulieren (S. 88). Im geographisch verstreuten und politisch heterogenen Machtbereich der Ptolemäer sieht Polybios eine Stärke des hellenistischen Königsreiches, welche von einem tatkräftigen und durchsetzungsfähigen König genutzt werden konnte, und zugleich eine entscheidende Schwäche unter der ineffizienten Herrschaft des Philopator. Die grundlegende Struktur der ptolemäischen Besitzungen wirkte sich negativ aus, wenn sie nicht von einer aktiven und machtgeleiteten Flottenpolitik ergänzt wurde (S. 92–96).

Kostas Buraselis legt im Anschluss in einem knappen Beitrag (S. 97–107) die Bedeutung Ägyptens als ‚Kornkammer‘ des östlichen Mittelmeers dar. Die besondere Fruchtbarkeit Ägyptens ermöglichte den Handel mit Getreide im großen Maßstab. Gleichzeitig erlaubte sie es aber auch, Getreidespenden als bewusstes Mittel der Macht- und Bündnispolitik einzusetzen. Eine „royal policy of allowing and regulating the flow of grain to its allies“ (S. 104), die selbst noch zu einem diplomatischen und politischen Engagement Ägyptens in der anderen ‚Kornkammer‘ der antiken Welt, dem Schwarzmeerraum, führte (S. 103f.), spielte in dieser Sicht eine essentielle Rolle für die außenpolitische Ausrichtung des Reiches.2

Der folgende Beitrag von Mary Stefanou (S. 108–131) unterzieht eine mittlerweile klassische Untersuchung zu den ptolemäischen Kleruchen3 einer kritischen Überprüfung und Aktualisierung. Durch das konsequente Heranziehen neuen (vor allem papyrologischen) Quellenmaterials, gelingt es ihr, die Untersuchungsbasis beträchtlich zu erweitern (S. 109f.). Dabei kann sie überzeugend die Sichtweise auf die Kleruchen als eine überwiegend geschlossene ‚Klasse‘, die aus den ursprünglichen Militärsiedlern unter Ptolemaios I. und deren Nachkommen bestehe, revidieren und zeigen, dass es auch unter den Nachfolgern des ersten Königs einen fast konstanten Zuzug von Personen vor allem aus dem griechisch-makedonischen Raum gab, die im Nilland als Kleruchen angesiedelt wurden.

Paul McKechnie (S. 132–142) widmet sich dann der eher geringen Rolle, die die Philosophie im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen im alexandrinischen Geistesleben spielte, und stellt die Frage nach der Verfügbarkeit von „smart capital“ auf diesem Gebiet bzw. nach der Abneigung bekannter Philosophen wie Theophrast von Eresos oder Zeno von Kition sich in Alexandria niederzulassen (S. 141f.). Eine überzeugende Antwort vermag er allerdings – aufgrund der schweigenden Quellen wenig überraschend – nicht zu geben, er begnügt sich mit der Feststellung, dass die „philosophical agenda itself was resistant to royal collectionism“ (S. 142). Olga Palagia bietet einen ausführlichen und detailreichen Überblick über die archäologische Evidenz königlich-ptolemäischer Porträtkunst in Griechenland und der östlichen Inselwelt (S. 143–159), bleibt aber eher dem Deskriptiven verhaftet. Sie schlussfolgert, dass königliche Porträts der Ptolemäer in Alexandria hergestellt und von dort in ptolemäische Territorien oder verbündete Gebiete exportiert wurden. Damit spiegelte das zentral kontrollierte „royal image“ die Bedeutung und die Macht des Ptolemäerreiches wider (S. 158f.).

Ähnlich kleinteilig bleibt die Analyse von Lucia Criscuolo (S. 160–171), die sich mit den ptolemäischen Maßnahmen gegen Seeräuber beschäftigt und zum Schluss kommt, dass es selbst zur Blütezeit der maritimen Machtentfaltung durch die Ptolemäer im frühen 3. Jahrhundert eine einheitliche und konstante Politik auf diesem Gebiet nicht gegeben hat. Stattdessen betont sie sicherlich zu Recht, dass die Haltung der ägyptischen Herrscher von einem großen Pragmatismus gekennzeichnet war und auch die Sicherheit auf hoher See den eigenen Interessen untergeordnet wurde: Der Schutz (prostasia), den sie gewährten, erfolgte nicht aus altruistischen Motiven, sondern war Ausdruck ihrer eigenen Machtstellung.

Aufschlussreich ist der Beitrag von Thomas Kruse (S. 172–184) zur ptolemäischen ‚Nilpolizei‘, der auch einen knappen Ausblick auf die römische Zeit bietet. Er skizziert detailreich die unterschiedlichen Maßnahmen, die zur Sicherung des für die Prosperität des Königreiches so grundlegenden Flusses getroffen wurde. Nach seinen Ausführungen und der Aussage neuer papyrologischer Evidenz (P.Poethke 18) kann an der Existenz einer königlichen Flussflottille mit polizeilichen Aufgaben kein Zweifel mehr bestehen. Die unterschiedlichen Schiffe dieser Flotte wurden zusätzlich von Kleruchen (potamophylakes) ergänzt, die zum Teil als eine Art Konvoi-Eskorte für Transportschiffe funktioniert haben könnten (S. 181).

Dorothy Thompson (S. 185-196) widmet sich anschließend den königlichen Flussschiffen, wie sie zum Beispiel durch Kleopatra VII. (Plut. Ant. 26,1–3) und Ptolemaios IV. Philopator (Athen. 5, 203e–204d) berühmt geworden sind. Dabei betont sie gleichzeitig den symbolisch-repräsentativen Charakter dieser Fahrzeuge und zeigt die Entwicklung von den vorrangig militärischen Flaggschiffen des frühen Hellenismus (die gleichwohl auch repräsentative Aufgaben übernahmen) hin zu hauptsächlich königlichem Pomp dienenden Prachtkähnen der Spätzeit auf, die schließlich so sehr mit königlicher Autorität identifiziert wurden, dass ihr Verlust als beträchtliche Demütigung gesehen wurde (S. 194f.), wobei sie auf die Friedensbedingungen nach dem Dritten Makedonischen Krieg verweist (Liv. 45,35,3).

Abgerundet wird der Sammelband von drei Beiträgen, welche die geographischen und kartographischen Rahmenbedingungen und Vorstellungen der ptolemäischen Seefahrt zum Thema haben: Christian Habicht (S. 197–206) untersucht dabei die Persönlichkeit des ‚Entdeckers‘ Eudoxos von Kyzikos, dem nachgesagt wird, er habe die Seeverbindung nach Indien und damit eine bedeutende Handelsroute erschlossen, deren Gewicht sich auch in einem neuen Amt, dem stratêgos tês Erythras kai Indikês thalassês (S. 203f.) niedergeschlagen habe.4 Francesco Prontera befasst sich (S. 207–217) mit dem Konnex von politischer Macht und geographischem Wissen, wie es sich im Verhältnis zwischen den Werken des ptolemäischen Admirals Timosthenes und denen des berühmten Geographen Eratosthenes von Kyrene darstellt. Eratosthenes habe nicht nur einen bedeutenden Beitrag zu einer wissenschaftlichen Geographie geleistet, sondern sei auch (unter anderem durch das Werk „Über die Häfen“ des Timosthenes) von einem linearen Verständnis von Distanz bei seiner ‚Konstruktion‘ der Welt beeinflusst worden (S. 213f.). So sieht Prontera auch in der Ausrichtung des Hauptmeridians der eratosthenischen Welt in einer Linie Alexandria-Rhodos-Byzanz konsequent eine Folge des um das ptolemäische Reich ausgerichteten Verständnisses des östlichen Mittelmeerraums; mithin sei die mathematische Konstruktion der Welt nicht ohne Voreingenommenheit vorgenommen worden, sondern habe sich an den empirisch – in jedem Sinn – erfahrenen Routen orientiert (S. 214f.). Der abschließende Beitrag von Klaus Geus (S. 218–231) widmet sich Claudius Ptolemäus und dessen Gebrauch hellenistischer Vorlagen für seine eigenen Arbeiten. Die beträchtliche ‚Halbwertszeit‘ geographischer und kartographischer Informationen in der Antike bedingte, dass auch der im 2. Jahrhundert n.Chr. lebende Geograph sich noch ptolemäischer Werke bediente, was Geus anhand der Kritik des Ptolemäus am Werk des um 100 n.Chr. lebenden Marinos von Tyros aufzeigt, den Ptolemäus mehrfach unter Zuhilfenahme älterer hellenistischer Arbeiten korrigiert. Bei der Diskussion um die relative Position von Nildelta, Zypern und den Chelidonischen Inseln (S. 219–223) bei Marinos und Claudius betont Geus ebenfalls die Voreingenommenheit antiker Geographen, ohne jedoch näher auf Spezifika einzugehen. Hier wäre vielleicht – analog zu Pronteras Vermutung – eine Ursache für die verzerrte Darstellung bei Marinos, der das zypriotische Paphos und das Nildelta in einer geraden Linie ausgerichtet sieht, in der empirischen Erfahrung der Seereise zu suchen: Auch mit den rahgetakelten Schiffen der Antike war diese Strecke in beiden Richtung bei Halbwind-Kurs sowohl einfach zu bewerkstelligen als auch vielbefahren5, und in der Beschreibung des Marinos mag man eine Reflektion dieses linearen Raumdenkens vermuten.

Dem Werk ist bei aller Qualität der Einzelbeiträge sein Charakter als Tagungsband in der breiten thematischen Aufstellung aber auch in der wechselnden inhaltlichen Nähe zum angegebenen Thema durchaus anzumerken. Die von den Herausgebern vorgegebene Ausrichtung wird nicht immer über einen bloßen Bezug zum Meer hinausgehend stringent eingehalten, und nicht in jedem Fall wird die Bedeutung für den Komplex der strategisch-nautischen Ausrichtung des Ptolemäerreiches ersichtlich. So finden sich zwar dezidiert am Konzept der waterborne power ausgerichtete Detailanalysen zu Flotten- und Sicherheitspolitik, zur Befehlshierarchie und Wirtschaftsstruktur sowie zu Formen der soft power. Andere Einzeluntersuchungen bleiben aber vom Gesamtzusammenhang recht isoliert, wenngleich die Ausführungen durchaus gehaltvoll sind; zum sehr begrüßenswerten Mehrwert des Bandes, der daraus resultiert, das Reich der Ptolemäer konsequent vom Standpunkt der naval policy und der Seemacht zu betrachten, können sie allerdings nicht entscheidend beitragen.

Anmerkungen:
1 Für finanzielle Belastungen wie Zölle oder Hafengebühren (S. 71f.) ist diese Charakterisierung fraglos berechtigt. Dennoch scheint der weitere Fokus auf die Gefahren der Piraterie als ‚Transaktionskosten‘ arbiträr – mit gleicher Berechtigung (und Notwendigkeit) wären dann andere Gefahrenquellen – Stürme, Schiffswracks usw. – ebenfalls als ‚Transaktionskosten‘ zu berücksichtigen. Es erschließt sich dem Rezensenten auch nicht, wieso die zweifellos exorbitant hohen ägyptischen Schutzzölle a priori eine Gefährdung der golden route (S. 69) darstellten, wenn man nicht einem unberechtigten Reziprozitätsprinzip folgt. Gabrielsen verweist selbst (S. 68f.) auf die Komplementarität der rhodisch-ptolemäischen Beziehungen; die Schutzzölle Ägyptens (S. 72f.) hätten zudem keinen Einfluss auf den Bedarf und die Nachfrage nach ägyptischem Getreide in Rhodos gehabt.
2 Buraselis bezieht sich hier (S. 106f.) indirekt ebenfalls auf Polyb. 5,34 und betont die Notwendigkeit, die vermeintlich defensive Grundhaltung des Reiches (und die Funktion der ptolemäischen Seeherrschaft zum Schutz der Kerngebiete) um diese wirtschaftliche Komponente zu erweitern.
3 Roger Bagnall, The origin of Ptolemaic cleruchs, in: Bulletin of the American Society of Papyrologists 21 (1984), S. 7–20.
4 Habicht bleibt aber skeptisch, ob dieses Amt wirklich eine Kommandogewalt über den Indischen Ozean beinhaltete, und wirft die These auf, es könne auch das Küstengebiet von Somalia und Äthiopien gemeint gewesen sein (S. 205).
5 Vgl. Pascal Arnaud, Les routes de la navigation antique. Itinéraires en Méditerranée, Paris 2005, S. 216–218.

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