S. Burkhardt u.a. (Hrsg.): Norman Tradition

Burkhardt, Stefan; Foerster, Thomas (Hrsg.): Norman Tradition and Transcultural Heritage. Exchanges of Cultures in the 'Norman' Peripheries of Medieval Europe. Farnham 2013 : Ashgate, ISBN 978-1-4094-6330-6 312 S. £ 75

Stringer, Keith J.; Jotischky, Andrew (Hrsg.): Norman Expansion. Connections, Continuities and Contrasts. Farnham 2013 : Ashgate, ISBN 978-1-4094-4838-9 276 S. £ 70

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alheydis Plassmann, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Kulturkontakte sind zurzeit ein beliebtes Thema in der Forschung, und es ist nicht erstaunlich, dass gerade die Normannen und ihre Kontakte in zwei Sammelbänden zum Gegenstand geworden sind. Die Normannen, sofern man sie denn als eine feste Einheit verstehen will, haben an den Rändern ihres Einflussbereiches zu ganz unterschiedlichen Kulturen Kontakt gehabt und eignen sich daher hervorragend für transkulturelle Studien. Es zeichnet beide Bände aus, dass der Vorstellung von einer durchgängigen normannitas von Irland bis nach Antiochien indes gerade nicht Vorschub geleistet wird, sondern sich ein komplexes Bild aus verschiedenen Mosaiksteinen ergibt, das eine zu stark vereinheitlichende Bewertung von „normannischen“ Kulturkontakten vermeidet.

Der von Keith Stringer und Andrew Jotischky herausgegebene Band ist aus einem Projekt zum Thema „The Norman Edge“ hervorgegangen, in dessen Fokus die Identität der Normannen an der Peripherie stand. Der von Stefan Burkhardt und Thomas Foerster edierte Sammelband ist das Ergebnis einer Heidelberger Tagung von 2010, auf der vor allem Sizilien und Unteritalien als Zone des Kulturkontaktes im Vordergrund standen.

Keith Stringer, Alexander Grant und Jonathan Gledhill nehmen die normannitas in Schottland in den Blick, das nie einer normannischen Eroberung unterworfen war, aber seit David I. massiv anglo-normannischem Einfluss unterlag, der zum Teil vom König bewusst gefördert wurde. Stringer (S. 9–47) rückt mit den Soules, Umfraville und Vieuxpont drei Familien normannischer Herkunft in den Mittelpunkt und kann nachweisen, dass die Verbindungen zur Normandie und dieser Familien untereinander lange wirksam waren. Das Ende der anglo-normannischen Periode mit der Eroberung der Normandie durch Philipp Augustus 1204 bedeutete so nicht das Ende der kontinentalen Bindung für diese schottisch-normannischen Familien, was Stringer aber nicht mit einem Gefühl von normannitas, sondern mit handfesten Besitzinteressen und gegenseitiger Unterstützung der Familien im Interesse ihrer kontinentalen Besitzungen erklärt. Grant (S. 49–85) bemüht sich gleichfalls, den Mythos der normannitas einzuschränken, indem er den Maßnahmen des schottischen Königtums zur Anwerbung von Normannen für den Ritterstand bescheinigt, dass nicht unbedingt ihre normannische Herkunft als vielmehr ihre militärischen Fähigkeiten eine Rolle spielten. Die angeworbenen Normannen wurden mit Land belohnt, wobei auch die Besitzinteressen des Königtums durch die Umstrukturierung der schottischen Lowlands vorangetrieben werden konnten. Gledhill (S. 87–113) vollzieht diesen Prozess am Beispiel der Landschaft Lothian nach, wo bald auch die Einheimischen nach Eingliederung in das neue ritterliche System drängten.

Die Frage, warum die Geschichte Irlands deutlich weniger von gegenseitigen Einflüssen der Normannen und Einheimischen geprägt worden ist, stellt sich anschließend für Robin Frame (S. 115–141). Zwei Faktoren sieht er als ausschlaggebend an: Zum einen gab es in Irland kein starkes Zentrum wie in Schottland das Königtum und zum anderen begann der Kulturkontakt in Irland deutlich später, als das englische Recht schon gefestigt und nicht mehr offen für Einflüsse von außen war. Leonie V. Hicks (S. 143–164) nimmt die Instrumentalisierung von Grenzen in der Historiographie in den Blick und kommt zu dem Ergebnis, dass Grenzen stellvertretend für die Räume als solche stehen können, also die Beschreibung einer Grenzregion für den dahinterliegenden Raum beispielhaft sein kann, und dass Grenzbeschreibungen weiterhin zur Heroisierung von Anführern instrumentalisiert werden können, wenn Grenzen als schwierig zu überwindende Hindernisse, z.B. als Sumpf, in der Erzählung eine Funktion für den Spannungsbogen erfüllen.

Der Mezzogiorno und das sizilische Regno werden von Catherine Heygate und Paul Oldfield in den Blick genommen. Heygate (S. 165–186) untersucht die Identität von Kindern aus normannisch-einheimischen Mischheiraten und kann plausibel machen, dass die je eigenen Identitäten häufig auch noch in der neuen Generation weitergetragen wurden, indem die Söhne auf die normannischen Tugenden verpflichtet wurden und normannische Namen erhielten, während die Töchter einheimische Traditionen fortsetzten. Eine Dichotomie zwischen Normannen und Einheimischen sieht sie nicht gegeben. Dazu passen die Ergebnisse von Oldfield in Bezug auf die Städte des Mezzogiorno (S. 187–206). Keinesfalls wurden die Städte von den Normannen unter ihre Herrschaft gezwungen, sondern es wurden oftmals Kompromisse ausgehandelt, die den normannischen Herrschern eine Oberhoheit ermöglichten und gleichzeitig den Städten Freiheiten überließen, die man wegen der Herrschaft aus der Ferne ohnehin nicht wirkungsvoll hätte beschneiden können.

Léan Ní Chléirigh, Denys Pringle und Peter W. Edbury wenden sich dem äußersten Rand der normannitas zu und behandeln die Kreuzzüge und die Kreuzfahrerstaaten. Ní Chléirigh (S. 207–226) kann in den Chroniken des ersten Kreuzzuges keine scharfe Identität der Normannen festmachen. Vielmehr werden die Normannen sehr häufig entweder unter Galli oder Langobardi subsumiert, was zum Teil der Betonung der panchristlichen Aufgabe im Heiligen Land geschuldet sein mag, aber auch deutlich macht, dass die Frage nach normannischer Identität in den Kreuzfahrerstaaten nicht von Bedeutung war. Pringle (S. 227–239) zeigt am Beispiel der Kreuzfahrerburgen, dass das Bewusstsein von Grenzen unscharf war und sich jedenfalls nicht an den Burgen manifestierte. Edbury (S. 241–248) schließt den Band mit Überlegungen ab, inwieweit anglo-normannisches Recht auf die Assisen von Antiochia gewirkt hat, und kann zumindest im Fall des Erbganges nach dem Tod einer Erbtochter – erbten der Ehemann oder die Kinder und in welcher Reihenfolge – eine Verbindung zu normannischem Recht plausibel machen. Ein Index beschließt den Band.

Auch der von Stefan Burkhardt und Thomas Foerster herausgegebene Sammelband hat die „normannische“ Peripherie zum Thema. Die Herausgeber stellen in ihrer Einleitung (S. 1–18) deutlich heraus, dass der Begriff der normannitas schon deshalb schwammig sein muss, weil sich die Normannen in den je unterschiedlichen Kulturen auf vielfältige und innovative Weise die einheimischen Traditionen, Rechte, Sprachen und Gepflogenheiten zum eigenen Nutzen aneigneten. Normannische Peripherie ist hier vor allem in Bezug auf Sizilien zu verstehen, wenn auch andere Gebiete zum Teil Thema der Beiträge sind.

Hubert Houben (S. 19–33) spürt den Linien okzitanischer und orientalischer Kultur im Königreich Sizilien nach und möchte das normannische Königreich, in dem er Vermischung der Elemente nicht nur am Königshof festmachen kann, als einen „third space“ verstehen, der zwischen den Kulturen stand. Allein den normannischen Traditionen widmet sich Graham A. Loud (S. 35–56), der bei der Identifizierung von Gepflogenheiten als „normannisch“ mit Vorsicht agiert und aufweist, dass gerade angesichts der gebotenen methodischen Sorgfalt hier noch vieles ungeklärt ist.

Vera von Falkenhausen (S. 57–77) nimmt die griechisch-byzantinischen Traditionen in den Blick, die in der Betrachtung des Königreiches als Treffpunkt lateinisch-christlicher und muslimischer Kultur oft etwas hintanstehen. Für die allmähliche Verdrängung des Griechischen als Sprache der Administration macht sie zwei Faktoren verantwortlich: Auf der einen Seite steht die Abschottung und die zunehmende religiöse Differenz zu Byzanz, auf der anderen der Anstieg von Administrationskompetenz innerhalb der lateinischen Kultur durch die im 12. Jahrhundert besseren Bildungsmöglichkeiten. Sprache und Ritus der Griechen lebten dennoch auch noch nach 1200 fort. Julia Becker (S. 79–95) liefert einen knappen, aber konzisen Überblick über die Kanzleien Rogers I. und Rogers II. Sie erläutert, wie verschiedene Elemente, etwa griechische und arabische, aber auch aus den Traditionen der normannischen Herzogsurkunden oder der Papsturkunden entnommene, bei der Urkundenproduktion herangezogen wurden und wie diese kulturelle Mischung eine möglichst breite Ansprache von Empfängern zur Folge hatte.

Corinna Bottiglieri (S. 97–123) nimmt sich das Genre der Translationes und Inventiones von Reliquien vor und kann anhand von vier Beispielen deutlich machen, dass mit Erzählungen von Reliquienfunden und -übertragungen die unter den Normannen wieder gesicherte Ordnung der kirchlichen Strukturen propagandistisch veranschaulicht werden konnte. Eleni Tounta (S. 125–147) glaubt, dass sich schon in den Werken des Wilhelm von Apulien und Gaufred Malaterra im Sinne einer epischen Verarbeitung der normannischen Geschichte eine Konzentration auf die Hauteville-Familie konstatieren ließe. In dieser Zuspitzung sprechen indes das Lob auch anderer Normannen als der Hauteville sowohl bei Wilhelm als auch Gaufred dagegen.1 Logisch ist die Propagierung des alleinigen Anspruchs der Hauteville ohnehin erst nach der Durchsetzung Rogers II. Dass Griechen, Sarazenen und Langobarden indes nur dann eindeutig negativ geschildert werden, wenn sie Gegner der Normannen waren, leuchtet ohne Weiteres ein.

Stefan Burkhardt (S. 149–160) begibt sich auf die Suche nach imperialen Traditionen im normannischen Königreich des Südens. Wenn der normannische König auch nicht den Titel eines Imperators trug, so bedeutete die Herrschaft über verschiedene Völker doch, dass die Könige auf der Suche nach einigenden Klammern waren. Vor allem die Bildsprache des Kaisertums bot sich da an – zumal sie auch weniger verfänglich war, als es der Titel gewesen wäre – und wurde von den Normannen gerade aus byzantinischem Umfeld auch herangezogen. Thomas Foerster (S. 161–188) bietet eine bedenkenswerte und überzeugende Erklärung für die Ermordungen sizilischer Gefangener durch Heinrich VI., die ihm Vorwürfe der Tyrannei einbrachten. Unabhängig von den widersprüchlichen Aussagen der Quellen, die es uns unmöglich machen zu entscheiden, ob es sich bei den angesehenen Großen des Normannenreiches, die nach der Eroberung des Südreiches in Heinrichs Gewalt gerieten, um Gefangene, vielleicht sogar des Hochverrats überführte, oder um Geiseln handelte, verortet Foerster das Verhalten Heinrichs VI. in der Tradition des rigor iustitiae der normannischen Könige. Dieses scharfe politische Agieren, das innerhalb des normannischen Bezugsrahmens konsistent gewesen sei, habe man gerade außerhalb des Regno nicht richtig verstehen können, sich daher um Erklärung bemüht und dafür auf das Stilmittel des Tyranneivorwurfes zurückgegriffen.

Francesco Panarelli (S. 189–201) beleuchtet die Rolle, die die Städte des Regno bei der Entwicklung der normannischen Identität spielten. Sigbjørn Sønnesyn (S. 203–218) wendet die frühmittelalterliche Ethnogeneseforschung auf das Werden der normannischen gens an. Für die Entstehung der normannischen gens, die er eher als einen bewusst gelenkten Prozess versteht, dessen Reflexion sich in der Geschichtsschreibung nachvollziehen lässt, denn als eine bloße Entwicklung, prägt er den glücklichen und eingängigen Begriff der Ethnopoiesis, der wohl auch für das Frühmittelalter das Geschehen besser auf den Punkt bringen würde als die oftmals unreflektiert so benannte Ethnogenese. An dieses Ergebnis schließt sich nahtlos der Beitrag von Benjamin Pohl an (S. 219–251). Pohl begibt sich auf die Suche nach metaphorischen Deutungen der normannischen Expansion und wird mit dem Bild der Normandie als Mutter in De expugatione Lyxbonensi fündig, das er insbesondere zum Bild der Normandie bei Dudo von Saint-Quentin in Bezug setzt. Die bekannte Erzählung bei Wilhelm von Malmesbury von der Frau mit zwei Oberkörpern, die für die Verbindung zwischen England und der Normandie und die sich daraus ergebenden Probleme steht, kann Pohl in diesem Kontext der Metapher von der Mutter als Verbildlichung einer notwendigen Trennung erklären.

Der irischen Peripherie wendet sich Amy C. Mulligan zu (S. 253–278), die die (Natur-)Beschreibungen in der Topographia Hibernica und der Expugnatio Hibernica des Giraldus Cambrensis in den Blick nimmt. Dabei kann sie deutlich machen, dass der Zweck, den Giraldus in der Natur ausmacht, der einer Beherrschung der Insel durch die Eroberer ist. Leider fehlt eine Abbildung der im ersten Abschnitt des Beitrags ausführlich besprochenen Karte, so dass der Fantasie des Lesers hier einiges zugemutet wird. Die ganz andere Peripherie der Rus steht für Thorir Jonsson Hraundal (S. 279–293) im Mittelpunkt. Er schlägt vor, die im bekannten Bericht des Ibn Fadlan über die Rus berichteten Bestattungsriten nicht als Tradition wikingischer „Schiffsbestattungen“ zu erklären, sondern die Sitten der benachbarten Chasaren für eine Deutung heranzuziehen. Schon allein wegen der Aussicht, damit die sattsam bekannte „Normannenfrage“ bei den Rus wenigstens in Teilbereichen umgehen zu können, hat diese Möglichkeit beträchtlichen Charme. Ein Index beschließt den Band.

Auf die Frage, was denn nun die Normannen ausmacht und inwieweit man überhaupt von Peripherie oder auch nicht sprechen kann und ob die normannischen Herrschaften und Einflussbereiche als transkulturelles Phänomen adäquat beschrieben sind, wird man keine schlüssige und letztendliche Antwort in den beiden Bänden finden. Das wird indes auch niemand erwarten, aber der Horizont für die möglichen Antworten auf die Frage nach der normannischen Identität und ihrer Wirkungen in unterschiedlichen Umkreisen hat sich nach der Lektüre der anregenden und bedenkenswerten Überlegungen und Deutungen geweitet.

Anmerkung:
1 Wilhelm von Apulien, Gesta Roberti Wiscardi, hg. Francesco de Rosa, Cassino 2003, I, v. 170–179, 108 über die ruhmreiche Familie der Aversa; Wilhelm von Apulien, ebd., II, 433–435, 156 und Gaufred Malaterra, De rebus gestis Rogerii Calabriae et Siciliae Comitis et Roberti Guiscardi Ducis fratri eius, hg. Ernesto Pontieri, Bologna 1966 (1. Aufl. 1928), III, 35 über Jordan von Capua.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Weitere Informationen
Norman Tradition and Transcultural Heritage
Sprache der Publikation
Norman Expansion
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension