Titel
1941. The Year That Keeps Returning


Autor(en)
Goldstein, Slavko
Erschienen
Anzahl Seiten
604 S.
Preis
$35.00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Marija Vulesica, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin

Im Jahre 2007 veröffentlichte der bekannte und renommierte kroatische Publizist Slavko Goldstein sein Buch „1941. Godina koja se vraća“ (dt.: 1941. Ein Jahr, das wiederkehrt). Kurze Zeit nach seinem Erscheinen hörte ich eine Kollegin begeistert einfordern, von solchen Büchern müsste es mehr geben! Als ich es daraufhin las, verstand und teilte ich ihre Begeisterung schnell. Seit Ende 2013 liegt das Buch endlich in englischer (und auch spanischer) Übersetzung vor. Jeder, der sich für die Geschichte des Unabhängigen Staates Kroatien (USK, 1941–1945), der brutalen Verfolgung und Ermordung von Serben und Juden auf seinem Territorium, für die Geschichte des antifaschistischen Widerstandes unter Tito und für die politischen Konsequenzen des Zweiten Weltkrieges für das sozialistische Jugoslawien interessiert, sollte Goldsteins Buch lesen.

Slavko Goldstein, 1928 in Sarajevo geboren, hat mit diesem Buch seine Memoiren, seine Autobiografie, die Geschichte seiner Familie und zugleich eine wissenschaftlich fundierte Studie über die folgenschweren Ereignisse der Jahre 1941 bis 1945 vorgelegt. Den fünf großen Kapiteln, die das Buch ausmachen, steht in der englischen Übersetzung ein Vorwort des amerikanischen Dichters und emeritierten Literaturprofessors serbischer Herkunft Charles Simic vor. Simics einleitende Worte für den Autor und sein Werk sind herzlich. Als kurze Zusammenfassung der historischen Ereignisse rund um das Jahr 1941 und als Einführung zu Goldsteins Geschichte können sie jedoch getrost übersprungen werden.

In den folgenden fünf Kapiteln gelingt es Goldstein, die Erinnerungen an seine Familie und Freunde sowie an die Ereignisse der Zeit in einer wunderbar klaren und treffenden Sprache zu präsentieren. Zugleich liefert er ungemein wichtige Einblicke in die historischen Vorgänge, stellt prägnante Ereignisse präzise dar und analysiert ihre (zum Teil Jahrzehnte später eintretenden) manifesten Folgen und Auswirkungen gekonnt.

Das erste Kapitel ist mit „My Father“ überschrieben. Ohne Zweifel sind die Erinnerungen an seinen Vater (Ivo Goldstein, 1900–1941) sowie die Aufklärung seiner Todesumstände eine treibende Kraft, ein Hauptmotiv, dieses Buches.

Präzise und anschaulich, ohne Gram, aber mit spürbarer Trauer, rekonstruiert Goldstein hier die Entwicklungen im Frühjahr 1941, als deutsche Truppen das Königreich Jugoslawien überfielen, den USK aus der Taufe hoben und die machthabende, radikal-nationalistische Ustaša mit der systematischen Verfolgung und Vernichtung der Serben und Juden begann. Unmittelbar nach der Staatsproklamation (am 10. April) wurde der jüdische Buchhändler Ivo Goldstein (am 13. April) – zusammen mit vielen anderen – verhaftet, deportiert und schließlich im Lager Jadovno ermordet (S. 3–84).

Das erste Kapitel liefert wichtige Hinweise zu dem Leben der jüdischen Familie Goldstein vor dem Krieg und Einblicke in die zionistischen Tätigkeiten seiner Eltern. Von wissenschaftlich herausragender Bedeutung sind zudem die von Goldstein gesammelten und präzisen Angaben über die Strukturen der Machtübernahme durch die Ustaša, über die erste Verhaftungswelle und das erste kroatische Konzentrationslager „Danica“ (S. 40–57), wo auch sein Vater interniert war.

Eine der ergreifendsten persönlichen Episoden, die in diesem Buch geschildert werden, findet sich im letzten Unterkapitel. Im Jahre 2005 – nachdem Slavko Goldstein die Arbeit an seinem Buch bereits begonnen hatte – erreichte ihn der im Mai 1941 von seinem Vater im Gefängnis geschriebene und an ihn gerichtete Brief. Goldstein rekonstruiert anschaulich den Weg dieses Briefes, der sich über Jahrzehnte hinweg im persönlichen Archiv eines ehemaligen Ustaša-Funktionärs und nach 1945 im argentinischen Exil tätigen kroatischen Emigranten befand (S. 69–84). Nicht nur die Nachricht des Briefes und Goldsteins Reaktion darauf, sondern auch die Auseinandersetzung mit ranghohen Ustaša- Funktionären, mit Tätern, nach 1945 rundet dieses erste Kapitel ab.

Die Auseinandersetzung mit den Verantwortlichen für die Massenmorde an Serben und Juden dominiert das zweite Kapitel, in dem Goldstein die sogenannte Vujičić-Affäre – die Ermordung des in Goldsteins Heimatstadt Karlovac allseits respektierten Anwalts Milan Vujičić im Mai 1941 durch die Ustaša – detailliert und anschaulich rekonstruiert (S. 92–99). Das brutale Vorgehen einiger Ustaša-Männer gegen Vujičić hatte die gesamte Stadt schockiert, die dortigen Machthaber und schließlich auch die USK-Regierung zur Reaktion gezwungen. Gerade in dieser Reaktion zeigte sich die Verfasstheit des neues Staates bzw. der neuen Machthaber. In den folgenden Seiten stellt Goldstein eindrücklich deren Gewaltbereitschaft, Skrupellosigkeit und schließlich auch den „Genocide Plan“ des Ustaša-Führers Ante Pavelić dar (S. 100–169). Darüber hinaus wird gerade in diesem Kapitel die individuelle Bedeutung einiger hoher Ustaša – allen voran Eugen Dido Kvaterniks – für Verfolgung und Ermordung von Serben und Juden im Jahre 1941 aufgezeigt.

Im dritten Kapitel „One Spring in Karlovac“ kehrt Goldstein zu seinen Erlebnissen des Frühjahrs 1941 zurück. Er erinnert sich an die italienischen Besatzer – nach der zwischen NS-Deutschland und Italien vereinbarten Demarkationslinie fiel Karlovac in die italienische Zone –, an den Umgang seiner Mitschüler mit ihm und an die antijüdischen Maßnahmen und Gesetze und deren Konsequenzen für Familie und Freunde. Goldstein verknüpft auch in diesem Kapitel seine Erinnerungen mit einer weiter gefassten Familiengeschichte – wie etwa mit der seines Urgroßvaters und Rabbiners von Karlovac (S. 193) oder der Geschichte seiner aus Czernowitz stammenden Mutter, einer überzeugten Zionistin, die zu Hause stets nur Deutsch sprach (S. 198–200). Er schildert antisemitische Haltungen, die es im Familienumfeld gegeben hatte, wie sich diese schließlich auflösten und aus den ehemals skeptisch eingestellten Bekannten engste Freunde wurden (S 219–226).

Jadovno war das erste Vernichtungslager der Ustaša.1 In der kurzen Zeit seines Bestehens – etwa zwei Monate – wurden dort, im Velebit-Gebirge, mehrere Tausend jüdischer und serbischer Männer brutal ermordet, ihre Körper in die tiefen Karsthöhlen geworfen. „Jadovno“ widmet Goldstein sein viertes Kapitel. Es ist eine Auseinandersetzung mit dem Todesort seines Vaters, mit der Funktionsweise des Lagerkomplexes, zu dem Jadovno gehörte, und es ist eine Reminiszenz an die vielen, vor allem, jungen jüdischen Menschen, die dort ermordet wurden.

Das letzte Kapitel „My Mother, the Ustasha, and the Partisans“ widmet Goldstein seiner Mutter, ihrer Entschlossenheit und ihrem Mut, nach dem Verlust des Vaters und eigener kurzer Internierungserfahrung, sich dem bewaffneten Widerstand anzuschließen und ihren dreizehnjährigen Sohn – Slavko – mitzunehmen. Darüber hinaus liefert dieses letzte Kapitel wertvolle Einblicke in die Struktur des Widerstandes einerseits und die landesweit durchgeführten Massenverbrechen der Ustaša andererseits.

Goldsteins Schilderungen und Analysen sind nie eindimensional. Als Zeitzeuge, als politisierter und historisch gebildeter Zeitgenosse verfällt Goldstein nie der Versuchung, pauschal und einseitig zu urteilen. Im Gegenteil, die Ereignisse des Jahres 1941, die Protagonisten der verschiedenen Bewegungen und Regime werden kritisch und reflektiert dargestellt. Er schließt sein Buch mit der weisen Haltung eines Menschen, der mehrere Regime, Gesellschaftsordnungen und Geschichtsinterpretationen erlebt hat: „[…] doubt is not a fatal weakness but a necessary defense against fatal beliefs“ (S. 560).

Slavko Goldstein ist es gelungen, seine Erfahrungen und Erinnerungen – ja, sein ganzes Leben – in den Kontext der kroatisch/jugoslawischen Geschichte einzubetten. Eine klare Sprache und nachvollziehbare Struktur, ein sehr guter Überblick über die Forschungslage und vor allem über die verschiedenen Akteure machen das Buch zu einer unverzichtbaren Lektüre, wenn man einen fundierten Einblick in die bewegte Geschichte Kroatiens im 20. Jahrhundert gewinnen möchte. Zweifelsohne, von solchen Büchern müsste es mehr geben.

Anmerkung:
1 Marija Vulesica, Kroatien, in: Wolfgang Benz / Barbara Distel (Hrsg.), Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd. 9, München 2009, S. 313–336.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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