W. Telesko: Medien im 19. Jahrhundert

Titel
Das 19. Jahrhundert. Eine Epoche und ihre Medien


Autor(en)
Telesko, Werner
Erschienen
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simone Müller-Pohl, Abteilung Geschichte, John-F. Kennedy Institut für Nordamerikastudien, Freie Universität Berlin

Die hier vorliegende Einführung zum 19. Jahrhundert und seinen Medien geht der Frage nach, „welche fundamental neue Bedeutung die unterschiedlichen schriftlichen und bildlichen Medien in der Kultur des 19. Jahrhunderts besitzen“ und in welcher Weise sie auf politische und gesellschaftliche Veränderung reagierten und diese wiederum beeinflussten. Dabei ist der Autor sehr ambitioniert. Sein Ziel ist es zu belegen, dass die „fundamentalen Umwälzungen im Medienbereich“ die eigentliche „Signatur“ des 19. Jahrhunderts darstellen (S. 7). Der vorliegende Band richtet sich demnach explizit nicht nur an Medienwissenschaftler, Medienhistoriker oder Kunsthistoriker, sondern auch an jene mit einem generellen Interesse an einer Kultur- und Mediengeschichte des 19. Jahrhunderts. Telesko vollbringt mit diesem Buch eine große synthetische Leistung: Unter dem Schirm eines breit gefassten Medienbegriffs, welcher neben Print- und visuellen Medien auch Museen und Ausstellungen umfasst, stellt er kenntnisreich, mit einem Auge für Struktur und einem guten Gespür für das richtige Maß an Details, die vielfältigen Facetten einer Kulturgeschichte der Medien im 19. Jahrhundert dar.

Das Buch besteht neben der Einleitung aus vier Hauptkapiteln, welche in insgesamt sechzehn Unterkapiteln und anhand zahlreicher, gut gewählter Abbildungen obiger Frage in darstellerischer Weise auf den Grund gehen. Am Ende eines jeden Kapitels findet sich eine gut fundierte Bibliographie, welche dem interessierten Leser Informationen zur weiterführenden Lektüre an die Hand gibt. In den Kapiteln selbst handelt Telesko die Medien des 19. Jahrhunderts nicht einzeln nacheinander, sondern thematisch ab. Dies ist eine klug gewählte Struktur, welche das Anliegen des Bandes, die Wechselwirkungen zwischen Medien und politischen sowie gesellschaftlichen Veränderungen zu untersuchen, unterstreicht und zugleich Wiederholungen vermeidet. Zudem macht die stete Unterteilung des Textes durch zahlreiche Zwischenüberschriften diesen, im Sinne einer Einführung, sehr übersichtlich und leicht zugänglich. Die regionale Konzentration des Bandes liegt vor allem auf Zentraleuropa, wo auch die fachliche Expertise des Kunsthistorikers Werner Telesko angesiedelt ist.

Im ersten Großkapitel behandelt Telesko die Grundelemente der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung des 19. Jahrhunderts. Es ist eine der Schwächen dieses Buches, dass er hierbei allein die Konstitution von Nation und Monarchie, sowie die Veränderungen der christlichen Kirchen in den Vordergrund rückt, jedoch den Aspekt des Imperialismus und damit verbunden des Kolonialismus, welcher vor allem gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine zentrale Rolle in der Konstitution der Welt spielt, außen vor lässt. Zwar lässt sich, so wie es Telesko tut, mit Osterhammel durchaus argumentieren, dass die Nation die im Weltmaßstab dominante territoriale Organisationsform ist (S. 40). Eingesetzt als Grundannahme der Analyse überblendet dies jedoch den Einfluss imperialer und kolonialer Machtstrukturen sowie die starke Rückwirkung einer weltweiten Verflechtung auf die Gesellschaft und Kultur Europas im 19. Jahrhundert (im Sinne einer „kolonialen Globalität“).1 Wie sich im Folgenden zeigt, ist diese Einschränkung auf die nationale Perspektive für das Projekt weder sinnig noch notwendig.

Der zweite Komplex von Teleskos Werk widmet sich den „visuellen Strategien“, das heißt den geistigen und kulturellen Äußerungen des Jahrhunderts. Kenntnisreich erläutert der Kunsthistoriker Telesko den „Historismus“ als Darstellungsform der Kunst, den Denkmal- und Künstlerkult sowie die neuen Rahmenbedingungen der Kunstproduktion, wie etwa die Akademie, das Atelier oder die Ausstellungen. Für Medienhistoriker interessant ist das letzte, jedoch etwas zu kurz geratene Kapitel zur „Ästhetisierung“ und „Theatralisierung“. Telesko illustriert hier am Beispiel des historischen Festzugs, der Wagner Festspiele, aber auch anhand von (illustrierten) Zeitschriften die mediale Durchdringung des Alltags und damit die „Ästhetisierung“ und „Theatralisierung“ des Lebens im 19. Jahrhundert. Erstere stellt damit für Telesko zudem ein zentrales Strukturmerkmal der Zeit dar. Des Weiteren ist das Kapitel aufschlussreich, da Telesko hier erstmals – und damit recht spät – seinen Medienbegriff auflöst. Er positioniert sich klar als Anhänger McLuhans und eines „starken“ Medienbegriffs – „the medium is the message“ (S. 188).2 Allerdings fasst dies nicht Teleskos mediale Räume, wie etwa das Museum, welchen er sich später im Buch widmet. Wie sich hier schon andeutet, bleibt der Band nicht nur in seiner vagen theoretischen Verortung, sondern auch in seiner etwas kurz geratenen Behandlung der Printmedien für Medienwissenschaftler unbefriedigend. Gerade eingedenk des Titels des Bandes hätte ich mir eine fundiertere medienwissenschaftliche Verortung gewünscht.

Im dritten und besten Kapitel erarbeitet sich Telesko das Feld der „Wissenskulturen“. Er schafft es äußerst gekonnt, ein komplexes Thema eingängig, strukturiert und doch facettenreich darzustellen, wobei er sich von den verschiedenen Wissensformen über eine zunehmenden Systematisierung von Wissen in Form von Lexika zu neuen „Orten des Wissens“ und Wissen im öffentlichen Raum vorarbeitet. Telesko schärft den Blick des Lesers für die Tatsache, dass auch Gebäude, wie etwa die Bibliothek oder das Museum, als „Medien“ gezählt werden müssen (S. 262). Am Beispiel der Berliner Museumsinsel zeigt er überzeugend die unterschiedlichen Rollen, welche Museen zu dieser Zeit spielen konnten – „als private Laune eines kulturpolitisch aktiven Fürsten, als wissenschaftliche Lehr- und Bildungsanstalt, als Tempel einer Kunstreligion oder als Monument nationaler Selbstbespiegelung“ (S. 262). Gerade bei diesem Kapitel wäre es allerdings auch möglich und wünschenswert gewesen, den starken Fokus des Buches auf eine Kultur des Bürgertums, welche Telesko eng mit seinem Nationenbegriff verknüpft, zu erweitern, und auch alternative Konzepte zu behandeln. Der letzte Teil des dritten Kapitels mit seinem Blick auf die Weltausstellungen versöhnt nun zum Teil auch die Globalhistorikerin, da Telesko durchaus zeigt, dass er sich der globalen Verflechtung und ihrer großen Bedeutung für Europa sowie des Prozesses der Konstruktion des „Anderen“ über Alterität und Differenz durchaus bewusst ist. Bei einer zweiten Auflage des Buches würde ich mir auch konzeptionell ein klareres Bekenntnis zu dieser Perspektive wünschen.

Der letzte, im Vergleich zu den vorangegangenen recht kurze Komplex befasst sich mit der Thematik „Mensch und Wahrnehmung“. Hier beweist Telesko erneut die Bandbreite der Aspekte, die sich unter einem breiten Medienbegriff kulturgeschichtlich abhandeln lassen und abgehandelt werden müssen, und seine eigene große thematische Versiertheit. Neben den Änderungen in der Wahrnehmung von „Landschaft“ verweist Telesko auch auf die generellen Veränderungen in der menschlichen Wahrnehmung. Klug subsumiert unter dem Begriff „Sehsucht“ sensibilisiert Telesko den Leser für die Auflösung fest umrissener Grenzen zwischen einer Kunst des Raums und einer Kunst der Zeit, welche für das 19. Jahrhundert gerade vor dem Hintergrund neuer Technologien wie der Eisenbahn, des künstlichen Lichts oder der Camera obscura charakteristisch ist.

Zusammenfassend leistet Telesko einen wichtigen Beitrag zur Kulturgeschichte der Medien des 19. Jahrhunderts, wobei der Medienbegriff eindeutig weit zu fassen ist, sowie zur kulturgeschichtlichen Öffnung der Kunstgeschichte. Die Schwachstellen des Bandes liegen in seiner konzeptionellen, methodischen und regionalen Verengung auf die Nation, eine Kultur des Bürgertums und Mitteleuropa. Auch kann Telesko seine These der Veränderung im Medienbereich als signifikantes Strukturmerkmal des 19. Jahrhunderts nicht einlösen, da er die kulturellen Veränderungen im Medienbereich zu wenig an die „faktischen historischen Veränderungen“ (S. 7) rückbindet. Zuletzt ist das Buch jedoch genau das, was es zu sein vorgibt: Eine kompetent verfasste, sehr lesenswerte und ergiebige Einführung, welche gerade durch Teleskos weites Verständnis von „Medien“ unsere Perspektive auf die Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts erweitert.

Anmerkungen:
1 Siehe zum Begriff der kolonialen Globalität: Sebastian Conrad, Globalisierung und Nation im deutschen Kaiserreich, München 2006, S. 44; vgl. zur globalen beziehungsweise transnationalen Perspektive auf Mitteleuropa auch: Sebastian Conrad / Jürgen Osterhammel, Das Kaiserreich transnational, Göttingen 2006.
2 Marshall McLuhan, The Medium is the Message, New York 1967.