Pohl, Dieter; Sebta, Tanja (Hrsg.): Zwangsarbeit in Hitlers Europa. Besatzung – Arbeit – Folgen. Berlin 2013 : Metropol Verlag, ISBN 978-3-86331-129-2 495 S. € 24,00

: Zwangsarbeit im „Unabhängigen Staat Kroatien“ 1941–1945. . Münster 2012 : LIT Verlag, ISBN 978-3-643-11428-0 II, 219 € 24,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Rutar, Institut für Ost- und Südosteuropaforschung, Regensburg

Die beiden zu besprechenden Bücher legen Ergebnisse des von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ geförderten internationalen Forschungsprogramms „Dokumentation der Zwangsarbeit als Erinnerungsaufgabe“ vor. Beide erweitern substanziell ein bislang fragmentarisch bearbeitetes Feld: das des nationalsozialistischen Arbeitseinsatzes in den besetzten Gebieten. Der von Dieter Pohl und Tanja Sebta herausgegebene Sammelband stellt gleichsam eine Blaupause des Forschungsstandes dar, auf den es aufzubauen gälte. Der zweite Band stellt die erste Untersuchung zum Arbeitseinsatz im sogenannten „Unabhängigen Staat Kroatien“ (USK) dar und ist damit eine der ersten überhaupt zu einem NS-Vasallenstaat.

Der von Pohl und Sebta herausgegebene Sammelband enthält geographisch und thematisch breit gefächerte Einzelstudien und ist in sechs Teile gegliedert. Die beiden Herausgeber fassen in ihrer Einleitung den Forschungsstand zusammen. Ulrich Herbert, einer der Pioniere der NS-Zwangsarbeiterforschung, gibt einen guten Überblick über die Differenziertheit, mit welcher der Begriff „Zwang“ in der Erforschung von Arbeitsverhältnissen und -beziehungen unter den Bedingungen von Krieg und Besatzung angewandt werden muss. Zum einen sei eine Kategorisierung des Begriffs weit weniger eindeutig, als „man dies – etwa bei den Verhandlungen über die Entschädigung der Zwangsarbeiter – anzunehmen gewillt war“ (S. 26). Zum anderen sei er kontextgebunden und auch jenseits von Zweitem Weltkrieg und NS-Diktatur existent, etwa in den Kolonien, in Praktiken des Ersten Weltkriegs, im zaristischen Russland und daran anknüpfend in der Sowjetunion.

Der Teil „Besatzung“ konturiert die NS-Arbeitsverwaltungsinstitutionen in Polen und Serbien (Karsten Linne), in den baltischen Generalbezirken des Reichskommissariats Ostland (Tilman Plath), anhand der Organisation Todt in Frankreich und Italien (Fabian Lemmes), in der Tschechischen Republik (Alfons Adam) und in Weißrussland (Sjarhej Novikaŭ). Die Beiträge des dritten Großkapitels sind unter der Überschrift „Arbeit“ zusammengefasst. Untersucht werden die Arbeitslager für Juden im Distrikt Krakau des Generalgouvernements (Mario Wenzel), der Arbeitseinsatz und die Lebensbedingungen im Reichskommissariat Ukraine und im ukrainischen Gebiet unter Militärverwaltung (Maryna Dubyk), im Gebiet Voronež in Russland (Natal’ja Timofeeva), im ukrainischen Donbas (Tanja Penter), im „Unabhängigen Staat Kroatien“ (Christian Schölzel), in Transnistrien (Viorel Achim) und im Reichskommissariat Norwegen (Robert Bohn). Das vierte und letzte Großkapitel trägt die Überschrift „Folgen“; auch hier steht die Sowjetunion im Mittelpunkt, anhand der staatlichen Überprüfung sowjetischer Repatrianten (Nikita Petrov), der Probleme der Integration ehemaliger „Ostarbeiter“ in die sowjetische Nachkriegsgesellschaft (Tetiana Pastušenko) sowie der Erinnerung an ukrainische Zwangsarbeiter in der sowjetischen und postsowjetischen Ukraine (Gelinada Grinchenko). Darüber hinaus untersuchen Petăr Petrov und Ana Luleva die Erinnerungspolitik bezüglich der Zwangsarbeit in Bulgarien sowie Dariusz Galasińki, Olga Kozłowska und Johannes-Dieter Steinert die Situation ehemaliger polnischer Kinderzwangsarbeiter in den Entschädigungsverfahren.

Die vielen, auch methodisch recht unterschiedlich verfahrenden Beiträge des Bandes können in einer Besprechung kaum zu ihrem Recht gelangen. Ein Aspekt verbindet die Forschungen und zeichnet sie aus, nämlich die Umsetzung von Herberts einleitendem Befund: Der Begriff Zwangsarbeit muss differenziert angewendet werden, um forschungsrelevanten Mehrwert zu erlangen. Fabian Lemmes beispielsweise zeigt anhand der Arbeiter für die Organisation Todt in Frankreich und Italien, dass der Versuch einer Kategorisierung der Arbeit als frei oder gezwungen scheitern muss, „aufgrund der Quellenlage, aber auch aus prinzipiell methodischen Gründen, sprich: in Ermangelung eines harten Kriteriums“ (S. 101). Maryna Dubyk stellt für die Ukraine fest, dass „die Betroffenen, die zur Arbeit gezwungen wurden, in der Regel keinen Unterschied zwischen den Methoden zur Ausbeutung ihrer Arbeitskraft vor dem Krieg und während der Besatzungszeit sahen“ (S. 197). Tanja Penter schließt analog, dass für die Bergarbeiter im ukrainischen Donbas „‚Zwangsarbeit’ zumeist mit der Unterbringung in einem Arbeitslager verbunden“ gewesen sei und dass die „Beschränkung der persönlichen Freiheitsrechte nichts wesentlich Neues, sondern geradezu die Normalität darstellte“ (S. 252). Ihre Arbeitserfahrung habe sich durch ein „überraschend großes Maß an Kontinuität“ ausgezeichnet, sodass die Arbeitsbeziehungen unter der deutschen Besatzung „als sozial-, gesellschafts- und kulturwissenschaftliches Phänomen“ nur zu verstehen seien, wenn sie im Kontext der sowjetischen Vorkriegszeit historisiert würden (S. 253).

Der Band enthält ein auf den ersten Blick überraschendes Nachwort Claus Leggewies („Die Nachtseite Europas“), der Kontinuitätslinien zwischen der Geschichte der NS-Zwangsarbeit und der Gegenwart anhand dreier symbolischer Dimensionen zeichnet, „die zugleich Eckpfeiler und Nachtseiten der kollektiven Identität Europas darstellen: die industrielle Arbeitsdisziplin, die Angst vor ‚Nomaden’, also nicht-sesshafter Bevölkerung, und weißer Rassismus“ (S. 445). Leggewie beschließt den Band mit dem Appell, die historische Erfahrung dazu zu nutzen, alle aktuellen Formen von Zwangsarbeit und Diskriminierung entschieden zu ächten „und international unter Strafe zu stellen“ (S. 452).

Die geographische Streuung der Beiträge ist so beachtlich wie sie gleichzeitig die weiterhin bestehenden Forschungslücken aufzeigt, etwa durch die Fokussierung auf die Sowjetunion im dritten und vierten Abschnitt. Zu anderen besetzten Ländern und Regionen bleiben die enthaltenen Beiträge beachtenswerte Fallbeispiele, die eine weitere vergleichende Vernetzung und Vertiefung verdienten. Wichtig erscheint auch hier Herberts Gedanke, es gehe „darum, diese denkbar unterschiedlichen Varianten der Zwangsarbeit zu beschreiben, die verschiedenen Arbeits- und Lebensbedingungen zu untersuchen, die politischen Intentionen und Wirkungen der verschiedenen daran Beteiligten zu analysieren und neben die Perspektive der Verantwortlichen die Wahrnehmung der Betroffenen als konstitutiven Teil unserer Geschichtsschreibung herauszustellen“ (S. 36).

Insbesondere den letzten Punkt gilt es zu unterstreichen, da er in den jüngeren Studien zum Arbeitseinsatz in den besetzten Gebieten eher zu kurz gekommen ist. Die Geschichte der Arbeit im Zweiten Weltkrieg ist bislang hinsichtlich der besetzten Gebiete weitgehend als NS-Institutionengeschichte geschrieben worden. Mehrere der Autorinnen und Autoren des Sammelbandes haben jüngst größere Forschungsarbeiten veröffentlicht, und der Fokus dieser detailreichen Studien liegt mit wenigen Ausnahmen – Tanja Penters Arbeit zum Donbas ist hier die bemerkenswerteste – auf dem Funktionieren des deutschen Arbeitsverwaltungs- und Besatzungsapparats.1

Der zweite zu besprechende Band ist eine dieser jüngst erschienenen Studien. Christian Schölzel rekonstruiert den Arbeitseinsatz im „Unabhängigen Staat Kroatien“ in Form einer umfänglichen Netzwerkanalyse – aus dem USK stammende Menschen kamen vor Ort, im Großdeutschen Reich, in Norwegen und anderswo zum Einsatz. Er entwirft einen „übernationalen Fragerahmen“ (S. 9) und verweist auf den Mehrwert seines Ansatzes, der zwar im Bereich der Wirtschafts- und Sozialgeschichte gängig, zur Erforschung von Zwangsarbeit jedoch noch nicht systematisch angewandt worden sei. Schölzel veranschaulicht die Auswirkungen von Krieg, Faschismus und Zwangsarbeit auf die Menschen im USK eindrücklich: Sie arbeiteten an vielen Orten Europas im Spannungsfeld von Pflicht und Zwang, Verschleppung, Vertreibung, Gewalt und Tod. Neben umfänglichen Recherchen in deutschen Archiven hat Schölzel in Belgrad vor allem Bestände des Militärarchivs ausgewertet, in Zagreb jene des Staatsarchivs. Darüber hinaus hat er im Norwegischen Reichsarchiv in Oslo gearbeitet. Sein netzwerkanalytischer Ansatz ist wohl nicht zuletzt der unzureichenden Quellenlage zur Situation im USK geschuldet – er erlaubt es, über alle zu berichten, deren Wege und Erfahrungen fassbar waren. Im Ergebnis steht eine Studie, die den Menschen aus dem USK in ganz Europa nachspürt, in gut strukturierter und trotzdem fragmentarischer Art und Weise. Schölzel verwebt dabei klug die eher spärlichen Informationen über die Verhältnisse im USK mit jenen im weiteren großdeutschen Reich und den besetzten Gebieten.

Wie bereits andere innerhalb des EVZ-Großprojekts entstandene Studien detailliert gezeigt haben, ist auch die Geschichte der Arbeitseinsatzpolitik im USK entlang der Parameter des Kriegsverlaufs zu schreiben, inklusive vielerlei Interessen- und Hierarchiekonflikte auf Seiten der Besatzer und der lokalen Akteure. Der Arbeitseinsatz spiegelte fast immer einen unauflöslichen Konflikt zwischen (rassen)ideologischen Prämissen und kriegswirtschaftlichen Erfordernissen. Schölzel definiert den USK als einen Verbündeten, dessen Improvisiertheit ihn seit 1943 eher wie ein besetztes Gebiet habe funktionieren lassen (S. 8). Die Untersuchung zeigt, dass die kroatischen „Staatsgründer“ mit dem Institutionenaufbau überfordert waren und ihn im Kriegsverlauf zunehmend den Deutschen überließen.

Mit Bezug auf das kroatische Lagersystem merkt Schölzel an, dieses habe „nach außen“ der Beschaffung von Arbeitskräften für die Deutschen zur Arbeit im Reichsgebiet, „partiell nach innen“ aber der rassisch-konfessionell-ethnischen und politischen „Säuberung“ gedient (S. 13–14), sprich innenpolitisch habe das ideologische Primat, außenpolitisch hingegen das ökonomische überwogen. Indes dienten die kroatischen Lager durchaus auch als Sammelstelle für Deportationen in Todeslager wie Auschwitz und für potentielle „Sühnegeiseln“. Die Vertreibung der serbischen Bewohner des USK wandelte sich von „improvisierten Abschiebungen“ 1941–1942 zu einer gezielten Überstellung nach Serbien zum Arbeitseinsatz auf der Basis eines Abkommens zwischen der kroatischen Regierung und der deutschen Gesandtschaft in Zagreb, und bildet damit das deutlichste Beispiel der rassenideologischen Unbedingtheit der Ustaše. Dabei blieb der Faktor „Ethnizität“ zwangsläufig ein vager, wie Schölzel mehrfach betont. Hinzu kam die ebenso irrationale wie handlungsleitende Angst vor „dem Bolschewismus“. Die Rolle der kommunistisch geführten Widerstandsbewegung im USK wird nicht systematisch in die Untersuchung einbezogen; gefangene Partisanen wurden seit Ende Juli 1943 als Kriegsgefangene behandelt, unterlagen damit nicht länger dem Erschießungsbefehl, sondern wurden für den Arbeitseinsatz vorgesehen. Schölzel konzentriert sich auf die Beziehungen der Ustaša-Institutionen und -Akteure zu den deutschen Institutionen vor Ort, wie der SS. Interessant ist auch die offensichtliche Gleichsetzung – auf kroatischer wie deutscher Seite – von Serben und Kommunisten in Bezug auf die Serben im USK, welche in ihrer Pauschalität schon deshalb seltsam anmutet, weil im benachbarten deutsch besetzten Serbien die Regierung Milan Nedić ebenfalls ein Kollaborationsregime war.

Die Frage des Zwangs ist auch hier kontextgebunden zu beantworten. Formal wurden die verbündeten Kroaten freiwillig angeworben – etwa 150.000 arbeiteten im Großdeutschen Reich. Da die Anwerbung aber „beispielsweise durch deutsche Feldkommandaturen im Sinne einer militärischen Einberufung von Kroaten und Muslimen“ (S. 48) erfolgt sei oder aber auch Häftlinge kroatischer Konzentrationslager einschloss – allein 1942 waren dies etwa aus dem Lager Stara Gradiška und dem Sammellager Sisak 12.000 Menschen – ist Freiwilligkeit auch bei einer „verbündeten“ Bevölkerung ein relatives Konzept. Die von Lemmes genannten „harten Kriterien“ lassen sich auch hier nicht manifest machen.

Im zweiten Teil des Bandes untersucht Sanela Hodžić den Arbeitseinsatz in Italien und im italienischen Besatzungsgebiet 1941–1943, was über den Buchtitel weit hinausweist. Tatsächlich bietet Hodžić viel mehr als eine Analyse der italienischen Seite von „Zwangsarbeit und USK“. Es geht auch um die italienisch besetzten Gebiete Sloweniens und um die Orte in Italien, an denen Menschen interniert und zur Arbeit gezwungen wurden. Ausgewertet wurden überwiegend Materialien aus römischen Archiven. Angesichts der geographischen Ausweitung der Untersuchung wären für eine umfassende Recherche auch slowenische Quellen zentral gewesen, deren Hinzuziehung im gesteckten USK-Rahmen des Projekts aber wohl nicht zu leisten war.

Die italienischen Faschisten führten 1931 Gesetze zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit ein, welche für unliebsame Personen eine polizeiliche Verbannung (confino di polizia) mit Arbeitsverpflichtung von bis zu fünf Jahren vorsahen. Kriegsgefangene und zivile Internierte konnten in Arbeitslagern sowie auch außerhalb der Lager in landwirtschaftlichen, handwerklichen, industriellen oder auch Familienbetrieben zum Einsatz kommen. Diese Handhabung wurde nach der Zerschlagung Jugoslawiens 1941 auf die besetzten Gebiete – auf den USK und Slowenien – ausgeweitet. Interessanterweise dauerte es bis Anfang 1943, bevor die italienischen Besatzer nach deutschem Vorbild begannen, den Arbeitseinsatz zu systematisieren. Zuvor ging die Umsetzung der Gesetze eher unkoordiniert vonstatten und war von Misstrauen geprägt. Auf den Arbeitseinsatz von Kriegsgefangenen und politischen Gefangenen – darunter eben auch viele Slowenen und Kroaten – in kriegswichtigen Betrieben verzichtete man oftmals angesichts des wahrgenommenen Sicherheitsrisikos.

Sowohl Schölzel/Hodžić also auch die Fallstudien in Pohl/Sebta schreiben Gewaltgeschichte. Eindrücklich werden die Dynamiken der sich radikalisierenden Gewalt anhand des Themas Arbeit aufgezeigt, welche ein konstitutives Merkmal des Zwangs zur Arbeit unter Kriegs- und Besatzungsbedingungen darstellten. Dass die strukturellen und institutionellen Mechanismen des NS-Apparates auf unterschiedlich verfasste Gesellschaften Anwendung finden sollten, führte zu unterschiedlichen Kriegserfahrungsräumen und Überlebensstrategien, denen es dadurch weiter nachzuspüren gälte, dass NS-Historikerinnen und -Historiker mit Fokus auf allen relevanten europäischen Teilregionen in einen intensivierten Dialog treten. Dies wäre ein Schritt in Richtung einer wirklich europäischen Geschichtsschreibung zum Zweiten Weltkrieg, die Gewalt, Besatzung und millionenfachem Arbeitseinsatz besser in den Blick nähme als bisher.

Anmerkung:
1 Tanja Penter, Kohle für Stalin und Hitler. Leben und Arbeiten im Donbass 1929–1953, Essen 2010; Florian Dierl / Zoran Janjetović / Karsten Linne, Pflicht, Zwang und Gewalt. Arbeitsverwaltungen und Arbeitskräftepolitik im deutsch besetzten Polen und Serbien 1939–1944, Essen 2013; Alfons Adam, „Die Arbeiterfrage soll mit Hilfe von KZ-Häftlingen gelöst werden.“ Zwangsarbeit in KZ-Außenlagern auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik, Berlin 2013; Tilman Plath, Zwischen „Schonung“ und „Menschenjagden“. „Arbeitseinsatzpolitik“ in den baltischen Generalbezirken des „Reichskommissariats Ostland“ 1941–1945, Essen 2012.

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