W.König: Der Gelehrte und der Manager – Franz Reuleaux und Alois Riedler

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Titel
Der Gelehrte und der Manager. Franz Reuleaux (1829–1905) und Alois Riedler (1850–1936) in Technik, Wissenschaft und Gesellschaft


Autor(en)
König, Wolfgang
Reihe
Pallas Athene 49
Erschienen
Stuttgart 2014: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfram Kändler, Gießen

Mit Franz Reuleaux und Alois Riedler widmet sich Wolfgang König in seiner Doppelbiographie zwei Ingenieurprofessoren, die weit über die Grenzen ihrer engeren Fachwelt hinaus bekannt waren. Publizistisch sehr aktiv spielten sie jeweils wichtige Rollen im Diskurs um die Entwicklung des Technischen Hochschulwesens, der Technikwissenschaften und um die gesellschaftliche Stellung des jungen Berufsstands der Ingenieure. Ihre Lebenswege kreuzten sich an der Technischen Hochschule in Berlin, wo beide zwischen 1888 und 1896 an der Abteilung für Maschinenbau lehrten und forschten – wie König treffend formuliert „als feindliche Kollegen“ (S. 10). Damit wird der Reiz einer Doppelbiographie der beiden Wissenschaftler sogleich deutlich: Zwar nahmen sie nicht an jeder Stelle entgegengesetzte Positionen ein; trotzdem lässt sich an den beiden Protagonisten die Bandbreite der Standpunkte auf dem Feld der technischen Wissenschaften und des technischen Hochschulwesens verdeutlichen und somit können die zeitgenössischen Entwicklungsmöglichkeiten, eingeschlagene und verworfene Wege nachgezeichnet werden. Es ist der ausdrückliche Anspruch Königs, nicht allein die Lebenswege der beiden Maschinenbauer gegenüberzustellen, sondern mit seiner Studie einen Beitrag zur Erforschung ebendieser Entwicklungen zu leisten. Reuleaux und Riedler stehen ihm dabei „für historische Möglichkeitsräume und für historische Kontingenz“ (S. 11) – König möchte also gleichsam der Frage mehr Raum geben, wie es auch hätte werden können. Das Buch folgt keiner chronologischen Gliederung, vielmehr wird das umrissene Themenfeld hauptsächlich in systematischen Kapiteln erörtert.

Das erste Kapitel „Lebensstationen“ (S. 19–54) gibt zunächst einen knappen Überblick zu den Biographien Franz Reuleaux’ und Alois Riedlers. Persönliches – Elternhaus, Jugend, Familienleben, Freundschaften – steht dabei nicht im Vordergrund. Der Schwerpunkt liegt hier und in den folgenden Kapiteln klar auf der beruflichen Karriere, mit kurzen Skizzen oder Erwähnungen des Außerberuflichen: beispielsweise die literarischen und ethnographischen Interessen Reuleaux’ oder der Automobilismus Riedlers. Im Falle Riedlers ist dieser Verzicht auf das Private wohl nicht zuletzt Ausdruck seines fast gänzlich auf den Beruf konzentrierten Lebens: „Freunde aber scheint er nicht besessen zu haben“ (S. 40), „Zumindest sind Konzertbesuche des Ehepaars Riedler dokumentiert“ (S. 52), resümiert König knapp. Allerdings ist bei Riedler die Quellenlage auch weit dürftiger als bei Reuleaux, in dessen Nachlass sich unter anderem ein Briefbuch findet mit Kopien der ausgehenden Post von 1861 bis zu seinem Tod 1905. Bei der Auswertung dieses Bestandes konzentrierte sich König ebenfalls auf das berufliche und öffentliche Wirken Reuleaux’ (S. 13f.). Es geht ihm nicht darum, eine möglichst dichte und facettenreiche Lebensgeschichte vorzulegen.

Im zweiten Kapitel „Politik und Gesellschaft“ (S. 55–75) charakterisiert König die Ansichten und Überzeugungen Reuleaux’ und Riedlers unter anderem zur Kolonialpolitik, zu Fragen der Religion, skizziert Riedlers Kapitalismuskritik und Reuleaux’ Vorstellungen zur Förderung von Kleinbetrieben. Wie auch in den folgenden Kapiteln fußen Königs Ausführungen auf der Auswertung der zahlreichen Bücher, Reden oder Zeitungsartikel der beiden Ingenieurprofessoren. Ein als vollständig anzusehendes Publikationsverzeichnis findet sich im Anhang (S. 302–312).

Im Kapitel „Der Berufsstand der Ingenieure“ (S. 76–90) steht eher Riedler als Reuleaux im Mittelpunkt, war es ihm doch ein zentrales Anliegen, dem Ingenieurberuf in Deutschland zu einem höheren gesellschaftlichen Ansehen zu verhelfen. Für Reuleaux hingegen war dies eine Frage, die sich mit der Zeit von selbst klären würde.

Es folgt das zentrale Kapitel „Technik und Technikwissenschaften“ (S. 91–198). König erörtert zunächst Technik- und Erfindungsbegriff der beiden Ingenieurprofessoren sowie ihre eher instrumentellen Überlegungen zu Technikgeschichte und ihrem Nutzen. Er veranschaulicht dies an der Gründungsgeschichte des Deutschen Museums in München, bei dessen Konzeption auch der über siebzigjährige Franz Reuleaux noch um Rat gefragt wurde. Alois Riedler legte seine Vorstellungen zur Gestaltung des Museums 1905 in einer recht allgemein gehaltenen Denkschrift dar – es müsse ein „kulturgeschichtliches Museum“ werden (S. 104), das die „Kulturzustände“ und die „wirtschaftlichen Zustände“ (S. 105) zeigen müsse, welche die Technik herbeigeführt habe. König gelingt es, diese Überlegungen zu veranschaulichen, indem er seine Analyse auf zwei Dinge stützt, die die Forschung bislang unberücksichtigt gelassen hat: Zum einen Riedlers Arbeit als Verantwortlicher für die Ausstellungsgruppe „Pumpen und Kompressoren“ und zum anderen einen 1923 verfassten Rückblick auf seine Tätigkeit am Deutschen Museum. Beides macht deutlich, dass auch Riedlers Konzept letztlich auf ein sachtechnisch zentriertes Museum hinauslief und er den Ansprüchen eines kulturgeschichtlichen Ansatzes, der ihm bisher attestiert wurde, nicht gerecht wurde. Ausführlich widmet sich König sodann dem Komplex Technische Hochschule – Technikwissenschaften – Ingenieurstudium; hier erscheint der doppelbiographische Ansatz auch besonders geeignet. Das gleichzeitige Wirken der beiden Ingenieurprofessoren an der Berliner Technischen Hochschule führte zu vielen Berührungspunkten – oder besser gesagt Zusammenstößen. Dass Alois Riedler in seinem Buch „Das Maschinen-Zeichnen“ jeweils „richtige“ und „falsche“ Konstruktionszeichnungen gegenüberstellte und für die „falschen“ mehrere Darstellungen aus den Lehrbüchern Franz Reuleaux’ oder aus Arbeiten seiner Schüler verwendete, ist da nur das augenfälligste Beispiel (S. 187). Unterschiedlichen Auffassungen über den Kern des Ingenieurstudiums – Kinematik (Reuleaux) oder Konstruktionslehre (Riedler) – standen ähnliche Ansichten zu einer Arbeitsteilung zwischen Hochschule (theoretische Grundlagen) und Industrie (praktische Anwendung) bei der Ingenieurausbildung gegenüber. Gleichartige Standpunkte vertraten beide auch darin, dass die technischen Fächer Wissenschaften im eigenen Recht seien und nicht angewandte Naturwissenschaften. In den Auseinandersetzungen zwischen Technischer Hochschule und Universität um das Promotionsrecht für die Technikwissenschaften war Riedler ein streitbarer und polemischer Wortführer, Reuleaux eher zurückhaltend und auch an dieser Stelle der Ansicht, mit der Zeit würde der technische Doktor von selbst kommen. Unzufrieden mit den Umständen blieb er der Jubiläumsfeier der Technischen Hochschule 1899 fern, nach Königs Einschätzung ein Affront. Alois Riedler prägte die Feier als derzeitiger Rektor entscheidend, Wilhelm II. verlieh den Technischen Hochschulen bei diesem Anlass das Promotionsrecht.

Die Aktivitäten jenseits der Hochschule stehen im Mittelpunkt des Kapitels „Reuleaux, der Staatsbeamte – Riedler der Wirtschaftsunternehmer“ (S. 199–238), wobei die beiden Protagonisten eher nebeneinander charakterisiert werden. Während Reuleaux als Mitarbeiter im Patentamt wirkte, als Reichskommissar zwei Weltausstellungen betreute und auch Gesetzesentwürfe bearbeitete, konzentrierte sich Riedler auf sein eigenes Ingenieurbüro, das ihn zu einem wohlhabenden Mann machte. Bei seiner Berufung hatte er 1888 durchgesetzt, dass er an der Hochschule ein privates Konstruktionsbüro betreiben dürfe. Kritiker warfen ihm später wiederholt vor, seine Tätigkeit als staatlich angestellter Maschinenbauprofessor nicht sauber von seiner Tätigkeit als privater Ingenieur zu trennen.

„Viel Feind, viel Ehr?“ hat König das fünfte Kapitel überschrieben (S. 239–285). Beide Professoren haben mit ihren öffentlichen Äußerungen mitunter hohe Wellen geschlagen: Franz Reuleaux beispielsweise 1876, als er der Einschätzung einer amerikanischen Zeitung zustimmte, die deutschen Beiträge zur Weltausstellung in Philadelphia seien „cheap and nasty“, was in Reuleaux’ deutscher Übersetzung „billig und schlecht“ bald zu einem geflügelten Wort wurde. Und Alois Riedler beispielsweise mit seinem Buch „Unsere Hochschulen und die Anforderungen des zwanzigsten Jahrhunderts“ (1898), in dem er unter anderem die Technik als treibende Kraft jedweden menschlichen Fortschritts charakterisierte. Ein kurzes „Zusammenfassung und Ausblick“ überschriebenes Kapitel erörtert Rezeption und Nachleben der beiden Ingenieure und fasst die Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel pointiert zusammen.

Redundanzen, so räumt König gleich zu Anfang seines Buches ein, bleiben bei einem derartigen systematischen Ansatz nicht aus (S. 15). So werden beispielsweise Reuleaux’ Tätigkeiten rund um die Weltausstellungen wiederholt erwähnt und einmal aus Perspektive seiner Tätigkeiten für die Reichsregierung und einmal aus der Perspektive öffentlicher Debatten ausführlicher erörtert. Ebenso behandelt König Riedlers Überlegungen zur Hochschulreform einmal bezüglich der Lehrinhalte und an anderer Stelle bezüglich der Auseinandersetzung mit seinen Abteilungskollegen. Vereinzelt greift König dabei auch auf identische Formulierungen zurück (etwa bei Reuleaux’ Ansichten bezüglich der deutschen Kolonialpolitik, S. 57 und S. 98). Königs Analyse stützt sich stets auf die Auswertung sowohl umfangreicher Archivbestände als auch der zahlreichen publizierten Schriften der beiden Ingenieure. Seine zitatenreiche Darstellung macht die Vorstellungen Reuleaux’ und Riedlers klar und lebendig nachvollziehbar. Seinem Ziel, die historischen Möglichkeitsräume hinsichtlich der Entwicklung der technischen Wissenschaften und dem technischen Hochschulwesen auszuloten, ist König zweifellos gerecht geworden.

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