K. Holz: Die Gegenwart des Antisemitismus

Titel
Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft


Autor(en)
Holz, Klaus
Erschienen
Anzahl Seiten
113 S.
Preis
€ 12,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias N. Lorenz, Wissenschaftlicher Assistent für Germanistische Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld

Der Soziologe Klaus Holz, ein durch zahlreiche Beiträge in wissenschaftlichen Zeitschriften, vor allem aber durch seine Habilitationsschrift über „Nationalen Antisemitismus“ ausgewiesener Antisemitismusforscher, hat nun einen Band über den gegenwärtigen Antisemitismus vorgelegt.1 Während ich dieses Buch für h-soz-u-kult las, erreichte mich der Hinweis, dass in Lars Rensmanns Erfolgsbuch „Demokratie und Judenbild“ schwere Vorwürfe gegen Holz erhoben würden.2 Diesen Sachverhalt kann eine Rezension nicht übergehen, noch dazu, wenn besagter Vorwurf lautet, ein Text von Holz offenbare „eine antisemitische Wahrnehmungsstruktur“ (S. 89). Vorab also ein kurzer Blick in Rensmanns (von Hajo Funke betreute) Dissertation, um dies zu klären. Rensmann schreibt: „Der antisemitische Antizionismus ist folgerichtig auch heute nicht auf autoritäre kommunistische Gruppen und Parteien beschränkt. Auch in der sich selbst als undogmatisch verstehenden Linken avisiert er heute neue politische Mobilisierungsversuche und Kampagnen.“ (S. 318) Es folgen die Namen Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso, die Rensmann zufolge in einem „programmatischen Dossier“ über den israelisch-palästinensischen Konflikt behaupteten: „Schuld sind einzig die Juden, und zwar auch an der Ermordung ihrer Kinder.“ (S. 319)3 Das „Dossier“, um das er hier geht, ist nachzulesen.4 Dort heißt es jedoch (eigentlich unmissverständlich), Juden seien in der Wahrnehmung einer Fraktion der deutschen Linken ausschließlich Opfer des Antisemitismus: „Damit“, so Holz, Traverso und Müller, „werden die PalästinenserInnen zum Sündenbock einer linksdeutschen Trauerarbeit.“ Im Folgenden wird von ihnen ausgeführt, dass „die Juden“ derart „nur noch [als] eine metonymische Figur“ fungieren, „in der die Ermordeten von gestern die Unterdrücker von heute überlagern.“ Beides sei wahr, „ohne dass das eine das andere erklärt oder gar legitimiert.“ Das „Dossier“, das durchaus provokativ sein will, beleuchtet jedoch eingangs gerade die Täter-Opfer-Umkehr als maßgebliches Moment eines Antisemitismus nach Auschwitz, um dann wie folgt daran anzuknüpfen: „Unsere Kritik richtet sich vor allem gegen die linken Positionen, die eine bedingungslose Solidarität mit Israel und generell der Judenheit einfordern. Denn auch sie benutzen den Nahostkonflikt nur als Projektionsfläche. Sie setzen der antisemitischen Täter-Opfer-Umkehr eine Verabsolutierung des Täter-Opfer-Modells entgegen.“

Rensmann tritt mit seiner Dissertation selbstbewusst als Neubegründer einer „Politischen Psychologie“ auf, der endlich dem Theoriedefizit der Antisemitismusforschung abhelfe und zudem die jahrzehntelang brachliegende Anknüpfung moderner Sozialwissenschaft an die Kritische Theorie leiste. Das erinnert an Daniel J. Goldhagens spektakulär lancierte Studie „Hitlers Willing Executioners“; Rensmann macht sich mit Goldhagens vielstimmig widerlegter These eines spezifisch deutschen „eliminatorischen Antisemitismus“ gemein; und er kultiviert eben jene Züge der Goldhagen’schen Arbeit, die deren Problematisierung seinerzeit so zwingend gemacht haben. Zu nennen sind hier verkürzende Zitate, das Ausblenden von konkurrierenden Ansätzen, die Unterschlagung von Quellen oder bestimmten Aspekten dieser Quellen, die der These zuwiderlaufen, und nicht zuletzt die pauschale Abqualifizierung nahezu sämtlicher FachkollegInnen. Gerade in Rensmanns Analyse des Goldhagenstreits als Katalysator antisemitischer Einstellungen in der jüngsten Vergangenheit wird dieses Verfahren kultiviert: Eberhard Jäckel und Hans Mommsen etwa wird implizit unterstellt, sie hätten willentlich den Antisemitismus als Ursache des Holocaust ausgeblendet (vgl. S. 337, 346f.), jüngeren Forschern wie Uffa Jensen attestiert der Politpsychologe ebenso wie Big Names vom Schlage eines Hans-Ulrich Wehler Antisemitismus bzw. einen autoritären Charakter (vgl. S. 354, 343). Letzteres ist sein monokausales Erklärungsmuster für jeglichen bundesrepublikanischen Antisemitismus.

Rensmann gebärdet sich in seiner Dissertation wie ein „Goldhagen der Antisemitismusforschung“ und gerät mit seiner Perspektive, widerstreitende Positionen selbst in der wissenschaftlichen Binnendifferenzierung als wahlweise autoritär, antisemitisch, antizionistisch etc. zu brandmarken, in gefährliche Nähe zu sogenannten antideutschen Verschwörungstheorien. Dem Rezensenten bleibt zunächst die Aufgabe, im Anschluss Holz’ „Die Gegenwart des Antisemitismus“ vorzustellen. Die Vorwürfe Rensmanns lassen sich an dieser Schrift ebenso wenig wie an den anderen Werken von Holz verifizieren, so dass sie in aller Entschiedenheit zurückzuweisen sind. Eine kritische Re-Lektüre der Rensmann-Dissertation indes scheint angesichts der hier nur angerissenen Verwerfungen dringend geboten. Auch die bei h-soz-u-kult erschienene Rezension geht auf keines der hier aufgezeigten Probleme ein.5 Wie abwegig der Vorwurf ist, Holz pflege einen „antisemitischen Antizionismus“, zeigt auch sein jüngstes Buch. In diesem wird gerade der Antizionismus als eine die „Gegenwart des Antisemitismus“ zunehmend dominierende Ausprägung analysiert.

Alle Aspekte, die Holz’ neues Werk auszeichnen, können je nach Standpunkt des Betrachters sowohl für als auch gegen dieses Buch sprechen. Dies liegt jedoch überhaupt nicht an seiner inhaltlichen Positionierung, sondern allein an seiner bewusst nicht als genuiner Forschungsbeitrag konzipierten Anlage. Zunächst ist festzustellen, dass der Band mit seinen 113 Seiten eigentlich ein Bändchen ist, das streckenweise ältere, bereits an anderer Stelle veröffentlichte Aufsätze des Autors bündelt. Die Belege verweisen oft auf Holz’ eigene Schriften, die umfangreiche Forschungsliteratur zum Thema wird im Text kaum, in den Fußnoten nur punktuell erwähnt.

Bei einem rein wissenschaftlichen Werk wäre manches davon kritikwürdig. Doch wie selten kommt es vor, dass ein ausgewiesener Fachmann sich die Mühe macht, Forschungsbefunde so aufzubereiten, dass auch interessierte Laien nicht abgeschreckt werden, gleichzeitig aber keine Verflachung der Inhalte stattfindet? Eben weil derartige Einführungen, die nicht bloß sog. „Basics“ vermitteln wollen, so rar gesät sind, ist dieses Bändchen umso willkommener. Holz hat seine Beiträge nicht einfach addiert, sondern in eine zusammenhängende und nachvollziehbar voranschreitende Argumentation eingebettet. Sicher hätte der wissenschaftliche Leser gerne Originalbelege und nicht den Hinweis auf ein anderes Einführungsbuch 6, wenn etwa von der Quantifizierung der Antisemiten in der europäischen Bevölkerung die Rede ist. Der Verweis, den Holz gibt, ist indes keineswegs „faul“: ermöglicht er doch den schnellen Zugriff auch für Laien, denen nicht ganze Forschungsbibliotheken zur Verfügung stehen. Dass indes auch die Forschung Holz’ Buch mit Gewinn lesen kann, belegen etwa die Ausführungen über Martin Walsers bis heute umstrittene Friedenpreis-Rede von 1998. Wer kennt schon Holz’ kurzen Aufsatz über die antisemitischen Implikationen dieser Rede, der 1999 versteckt in der Abteilung Rezensionen der „Kultursoziologie“ erschien?7 Durch die Zusammenfassung im vorliegenden Band wird Holz’ damaliger Beitrag, einer der hellsichtigsten Beiträge zur ersten Walser-Debatte, einer weiteren Leserschaft erschlossen. Das gleiche gilt für Holz’ Ausführungen zur antisemitischen „Figur des Dritten“, die konzis ein wichtiges antisemitisches Konstrukt auch jenen erklärt, die sich nicht an Holz’ 500 Seiten starke Habilschrift herantrauen.

Zum Inhalt: Ein zentrales Anliegen dieser Schrift ist die Zurückweisung der These, es gebe so etwas wie einen „neuen Antisemitismus“ islamistischer Prägung in Europa, der sich grundlegend vom althergebrachten Judenhass des Westens unterscheide. Demgemäß gilt Holz’ Hauptaugenmerk zunächst dem islamistischen Antisemitismus auf knapp 40 Seiten, während demokratischer und antizionistischer Antisemitismus jeweils mit dem halben Umfang auskommen müssen. Unstrittig sei die durch empirische Studien belegte massive Israel- und judenfeindliche Einstellung vieler arabischstämmiger Immigranten. Zumindest für Deutschland lasse sich damit jedoch nicht die sprunghaften Anstiege antisemitischer Gewalttaten nach 1989 und 2001 erklären: Hier sind Rechtsradikale nach wie vor die Haupttätergruppe. Auch wehrt sich Holz gegen die simple Rückkoppelung von arabischer Herkunft und islamistischem Antisemitismus: „Vielmehr manifestiert sich der Antisemitismus in Einwanderergruppen häufig erst aufgrund ihrer Erfahrungen im Einwandererland. Zu den Voraussetzungen gehört ihre soziale, rassistisch und religiös begründete Ausgrenzung“ (S. 9).

Holz konzentriert sich im ersten Kapitel auf die Semantik des Antisemitismus. Am Beispiel der islamistischen Aneignung dieser Semantik zeigt er auf, dass sich die grundlegenden Muster nicht verändert haben und sowohl im sozialistischen bzw. linken Antizionismus wie im europäischen Rechtsradikalismus und im Islamismus in gleicher Gestalt aufscheinen. Um dies zu belegen, muss der Autor klarstellen, was er überhaupt unter Antisemitismus versteht: „(…) eine spezifische Semantik, in der ein nationales, rassisches und/oder religiöses Selbstbild mit einem abwertenden Judenbild einhergeht. (…) Die dominante Funktion des Antisemitismus ist identitätsstiftende Weltdeutung“ (S. 10). Der Judenhass fungiert, so Holz einleuchtend, nie als Selbstzweck, sondern hat jeweils einen handfesten politischen Nutzen. Die islamistische Rückbesinnung auf eine streng muslimische Identität hat wenig mit der überlieferten Glaubenslehre zu tun, viel jedoch mit einer modernen „Ideologie mit einer antimodernen Semantik (…). Jeder Antisemitismus erhebt eine umfassende Klage gegen die moderne Gesellschaft und gegen die Zerstörung der angeblich traditionellen, harmonischen und authentischen Lebensformen“ (S. 21/23).

Holz arbeitet heraus, dass sich die seit 1945 gerade wegen Auschwitz existierende europäische (er nennt es demokratische) Judenfeindschaft zunehmend auch für einen Antizionismus öffnet, der Okzident und Orient zumindest in dieser Angelegenheit anschlussfähig macht. Dass der besagte Antizionismus in erster Linie noch heute eine stalinistische Prägung aufweise, dass dieses Phänomen auch im radikalen Islam erst ein Konstrukt des 20. Jahrhunderts und zudem ein Import aus Europa ist, veranschaulicht der Autor kenntnisreich anhand der Schriften Amin al-Husainis und Said Qutbs, beide wichtige Ideengeber eines arabischen Antisemitismus im 20. Jh., sowie der Charta der Hamas von 1988. Das ganze europäische Arsenal klassischer judenfeindlicher Zuschreibungen findet sich in den arabisch-antisemitischen Programmschriften wieder; Holz fasst dies unter die Leitbegriffe einer in Opposition gesetzten „Gemeinschaft und Gesellschaft“, der Unterstellung von „Macht und Verschwörung“, der Exterritorialisierung der Juden durch die „Figur des Dritten“ und die Kollektividentifikationen „Nation und Religion“. Seine Schilderung der Funktion dieser Semantik gibt somit auch einen Überblick über antisemitische Stereotype und Projektionen. Dass diese Informationen nicht vorrangig an den Nationalsozialismus zurück gebunden werden, sondern anhand aktuell beobachtbarer Anlässe veranschaulicht werden, macht Holz’ Band (angesichts der weit verbreiteten Klage über die omnipräsente Konfrontation mit der NS-Vergangenheit) für interessierte Laien möglicherweise umso attraktiver. So wird quasi nebenbei eine Einführung in die Problemfelder des Antisemitismus und des Antizionismus mitgeliefert.

Und was ist mit dem viel beschworenen „neuen“, mit der „Gegenwart des Antisemitismus“? Das eigentliche Neue an der gegenwärtigen Lage ist Holz zufolge, dass sich derzeit in den verschiedensten politischen und ethnischen Gefügen ein in Grundzügen identischer, antizionistisch geprägter Antisemitismus etabliere. Der Autor schließt diesen Befund mit einem Kapitel über „Aussichten im Ost-West-Konflikt“ ab. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei der Ost-West-Gegensatz (zurück)verschoben worden auf das Dual Orient/Okzident. „Europa scheint ein solches Gegenbild wieder verstärkt zu brauchen, um sich seiner Identität als westliche, zivilisierte Welt nach dem Verlust des „asiatisch-bolschewistischen Barbaren“ zu versichern“ (S. 100f.). Der 11. September verstärkte den Rückzug auf ein Selbstbild, das sich über seine Abgrenzung von Schreckensprojektionen wie „Saddam“ und „Osama“ definiere. Angesichts dieser Islamophobie biete sich der Antisemitismus geradezu an, den Dualismus partiell aufzuheben, weil er einen Dritten – „den Juden“ – zum gemeinsamen Feind erklärt: „In diesem Feindbild können sich Ost und West, Morgenland und Abendland, links und rechts, eher offener und eher latenter Antisemitismus treffen, ohne das identitätsstiftende Dual Ost/West preiszugeben.“ (S. 103). Holz sieht die Gefahr, dass gerade in der Verfestigung der Feindbilder, wie schon im 19. Jh. zwischen den höchst verfeindeten Nationalstaaten Europas, die Position des Dritten an Bedeutung gewinnt. Eine Chance habe die Überwindung des Antisemitismus daher nur, wenn sie den herrschenden Dualismus bekämpfe. Denn erst wenn der strukturierende bipolare Konflikt der Identitäten überwunden sei, verschwände mit ihm auch die Figur des Dritten. Das ist wahrlich ein gegenwärtiges Problem.

Anmerkungen:
1 Holz, Klaus, Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung. Hamburg 2001.
2 Rensmann, Lars, Judenbild und Demokratie. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 2004 [2. Aufl. 2005].
3 Rensmann musste sich bereits einmal unter Androhung einer Klage außergerichtlich zur Unterlassung ähnlicher Behauptungen über Schriften Ludwig Watzals verpflichten. Vgl. Freitag 31/2005 [im Internet: http://www.freitag.de/2005/36/05360602.php]. In der Berliner Staatsbibliothek ist sein Buch gegenwärtig nicht mehr entleihbar mit dem sprechenden Hinweis „Rechtsstreit, nicht benutzbar“.
4 Vgl. Holz, Klaus, Müller, Elfriede, Traverso, Enzo, Erinnerungen. Die Shoah, der Nahostkonflikt und die Linke, in: jungle world 47/2002 [im Internet: http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2002/47/29a.htm].
5 Martin Ulmer am 21.10.2004 [http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-051].
6 Benz, Wolfgang, Was ist Antisemitismus?, München 2004.
7 Holz, Klaus, Ist Walsers Rede antisemitisch?, in: Kultursoziologie 8 (1999), H. 2, S. 189-193. Vgl. auch exemplarisch den Umgang von Lars Rensmann und Klaus Holz mit dem gleichen Text, dokumentiert in: Lorenz, Matthias N., „Auschwitz drängt uns auf einen Fleck“. Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser, Stuttgart, Weimar 2005, S. 465, Anm. 1579.

Kommentare

Von Hohls, Rüdiger27.01.2006

Sehr geehrte Damen und Herren,

am vergangenen Dienstag, 24.01.06, hat H-Soz-u-Kult eine Rezension von Matthias N. Lorenz (Universität Bielefeld) zum Buch von Klaus Holz, Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft, Hamburg 2005, veröffentlicht, die eine Reihe von Leserinnen und Lesern zu Eingaben und Widerspruch veranlasst hat (siehe: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-1-056). Kern des Anstoßes ist der eingangs der Besprechung vom Rezensenten ausführlich dargestellte Konflikt zwischen den Antisemitismusforschern Lars Rensmann (Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Universität Potsdam) und Klaus Holz (Evangelisches Studienwerk e.V. Villigst) und damit einhergehenden Vorwürfen an Lars Rensmann.

In Zuschriften einiger Leser/innen wurde zudem die unverzügliche Löschung der genannten Rezension, eine öffentliche Distanzierung vom Rezensenten und verantwortlichen Redakteur gefordert. Derartige Forderungen werden gelegentlich an die Redaktion von H-Soz-u-Kult nach kritischen Rezensionen oder bei Behandlung kontroverser Positionen gestellt. Dazu möchte ich für die Redaktion von H-Soz-u-Kult noch einmal feststellen:

1) Wegen des großen Verbreitungsgrades ist sich die Redaktion der gewachsenen Verantwortung bewusst und orientiert sich daher bei der Auswahl der Bücher und Rezensenten sowie beim abschließenden Lektorat an bewährten, gemeinsamen formalen Regeln und qualitativen Standards. Dennoch unterlaufen auch der H-Soz-u-Kult Redaktion in Einzelfällen Fehler oder Versäumnisse.

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4) Grundsätzlich gestatten es die Redaktionsstatuten, Reaktionen, Kommentare oder auch Gegendarstellungen zu Beiträgen – auch zu Rezensionen – auf dem üblichen Wege, also im Internet, zu veröffentlichen. Auch Reaktionen oder Gegendarstellungen unterliegen dem üblichen Redaktionsvorbehalt. Die Redaktion entscheidet über Umfang und Zeitpunkt jeglicher Veröffentlichungen.

Nun zum konkreten Anlass: Die Veröffentlichung der Rezension von Herrn Lorenz über das Buch von Klaus Holz, Die Gegenwart des Antisemitismus, hätte nicht in der vorliegenden Form erfolgen dürfen. Hier sind redaktionelle Prinzipien verletzt worden, von denen ich nur einige nennen möchte: a) Für die Erörterung von Debatten und Kontroversen um abweichenden Grundpositionen oder Konfliktlinien zwischen Vertretern der historischen, politologischen, literatur- und kulturwissenschaftlichen Antisemitismusforschung stehen formal andere Veröffentlichungsformate (Forschungsberichte; Forumsartikel) zur Verfügung. Rezensionen sind dafür m.E. der falsche Ort. Die Rezension weist auch eine den üblichen Standards nicht entsprechende Überlänge auf. b) Die Ausführungen des Rezensenten Lorenz zum Buch von Lars Rensmann, Demokratie und Judenbild, gehören in dieser Form nicht in die Besprechung eines Buchs eines anderen Autors und sollten argumentativ nicht ins Zentrum gestellt werden, es sei denn, der Autor (Holz) habe den Kontroverse in seinem Buch prominent thematisiert, was aber nicht der Fall ist. c) Die Schärfe der Auseinandersetzung, der konfrontative Argumentationsstil und die distanzierende Interpretation, die sich u.a. an aus dem Kontext gelösten Zitaten festmacht, sind nicht nur für unbeteiligte Leser irritierend. Ein umsichtiges Lektorat hätte dies vor der Veröffentlichung korrigiert.

Lars Rensmann hat für H-Soz-u-Kult eine ausführliche Erwiderung auf die Rezension von Matthias Lorenz verfasst, die wir nachfolgend veröffentlichen. Da sowohl in der Rezension von Matthias Lorenz als in der Erwiderung von Lars Rensmann auf Zitate, Argumente, Behauptungen und Interpretationen in andernorts erschienen Artikeln und Büchern verwiesen wird, listen wir nachfolgend einige für den Kontext relevante Publikationen der Autoren Klaus Holz, Lars Rensmann und Matthias N. Lorenz und eine Auswahl zugehöriger Rezensionen. Damit möchten wir interessierten Leserinnen und Lesern die Möglichkeit eröffnen, sich in die Kontroverse einzulesen und selbst ein Urteil zu bilden.

Klaus Holz: Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung, Hamburg 2001.
- Rezension von Dagmar Pöpping in: Frankfurter Rundschau vom 11.06.2001.
- Rezension von Thilo Raufer in: Sozialer Sinn. Zeitschrift für hermeneutische Sozialforschung, 3.2001.
- Rezension von Christhard Hoffmann in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 54, 3.2002.
- Rezension von David Thomas Murphy in: German Studies Review, Vol. 25, 3.2002.
- Rezension von Ulrich Wyrwa in: H-Soz-u-Kult, 19.11.2003 - http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-4-102
- Rezension von Götz Nordbruch in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte (2003).
- Rezension von John Foster in: H-German, 15.11.2004 - http://www.h-net.org/reviews/showrev.cgi?path=129661100897733
- Rezension von Hans-Joachim Hahn in: Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau Nr. 49, 2/2004.

Lars Rensmann: Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden 2004.
- Rezension von Samuel Salzborn in: Süddeutsche Zeitung vom 30.4.2004 - http://www.buecher.de/verteiler.asp?site=artikel_sz.asp&wea=1100485&artikelnummer=00000135812201358122
- Rezension von Martin Jander in: Der Tagesspiegel vom 28.06.2004.
- Rezension von Martin Ulmer in: H-Soz-u-Kult, 21.10.2004 - http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-4-051
- Rezension von Philipp Gessler in: Die Tageszeitung vom 18.12.2004
- Rezension von Holger Thünemann in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 53/9 (2005)
- Rezension von Anthony Kauders in: H-German, 25.10.2005 - http://h-net.msu.edu/cgi-bin/logbrowse.pl?trx=vx&list=H-german&month=0510&week=d&msg=KtkYNfNSR681rcx9YTGhiA&user=&pw=YTGhiA&user=&pw=
- Rezension von Jochen Staadt in: Zeitschrift des Forschungsverbundes SED-Staat 17 (2005)
- Rezension von Armin Pfahl-Traughber in: Deutschland Archiv 38 (2005), 4.
- Artikel zum Buch von Klaus Holz: Eine kritische Theorie des Antisemitismus?, in: Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau Nr. 52, 2/2005.

Matthias N. Lorenz: Auschwitz drängt uns auf einen Fleck. Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser, Stuttgart 2005.
- Rezension von Dieter Borchmeyer in: Süddeutsche Zeitung vom 23.08.2005 - http://www.buecher.de/verteiler.asp?site=artikel_sz.asp&wea=1100485&artikelnummer=00000152686801526868
- Rezension von Ulrich Greiner in: Die Zeit vom 01.09.2005 - http://www.zeit.de/2005/36/P-Walser_BiG?term=Matthias
- Rezension von Micha Brumlik in: Frankfurter Rundschau vom 08.09.2005.
- Rezension von Roman Bucheli in: Neue Zürcher Zeitung vom 13.09.2005.
- Rezension von Ina Hartwig in: Frankfurter Rundschau vom 21.09.2005.
- Rezension von Jörg Magenau in: Die Tageszeitung vom 23.09.2005.
- Rezension von Friedmar Apel in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 01.10.2005 - http://www.buecher.de/verteiler.asp?site=artikel_faz.asp&wea=1100485&artikelnummer=00000152686801526868
- Rezension von Hans-Joachim Hahn in: H-Soz-u-Kult, 07.11.2005 - http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-4-081

Mit freundlichen Grüßen
Rüdiger Hohls
Redaktion H-Soz-u-Kult


Von Rensmann, Lars Peter27.01.2006

Erwiderung auf die Rezension von Matthias Lorenz vom 24.01.06

Ein erheblicher Teil der bei H-Soz-Kult erschienenen Rezension von Matthias Lorenz über Klaus Holz’ neues Buch Die Gegenwart des Antisemitismus verbreitet auffällig zusammenhanglos Polemiken, welche jeder sachlichen Grundlage entbehren, über meine zwei Jahre alte Studie Demokratie und Judenbild: Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland (Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2004). Auf die persönlichen Diffamierungen von Lorenz, über deren Motive ich nichts weiß, erübrigt es sich freilich einzugehen. Diese Nachsicht kann ein Wissenschaftler gegenüber falschen Tatsachenbehauptungen und Falschzitaten indes nicht walten lassen, und auch davon strotzt die Schrift von Matthias Lorenz. In stakkatohafter Dichte werden frei von Belegen und mit falschen Zitaten Behauptungen und pejorative Wertungen über mich und meine politikwissenschaftliche Forschung aufgestellt („der Politpsychologe“, in „gefährlicher Nähe zu Verschwörungstheorien“ etc. etc.). Schon dies spricht eigentlich für sich bzw. für die ‚Qualität’ der Argumentation von Matthias Lorenz. Er selbst redet hierbei von „nur angerissenen Verwerfungen“ und empfiehlt deshalb „dringend“ die „kritische Re-Lektüre“ meiner Forschungsarbeit, nachdem diese von Dutzenden renommierten Kollegen im In- und Ausland u.a. in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, der Historischen Literatur, H-German, German Politics & Society, Deutschlandarchiv, der Süddeutschen Zeitung, taz, Tagesspiegel etc. etc. durchgängig positiv und sachlich besprochen wurde.

Der Autor behauptet, ich unterstelle Klaus Holz, dass er einen „antisemitischen Antizionismus“ pflege. Diese Behauptung wird nicht und kann nicht belegt werden. Ich schreibe ebenso wenig, ein Text von Holz offenbare eine „antisemitische Wahrnehmungsstruktur“ (S.89). Vielmehr heißt es auf S. 89 meiner Studie: „[Ü]berbordende Verzerrungen des komplexen historisch-politischen Konflikts im Nahen Osten können indirekt auf eine antisemitische Wahrnehmungsstruktur deuten, welche das Handeln jüdischer Akteure nach bestimmten negativen Stereotypen und Symbolen kategorisiert, es realitätsungerecht überzeichnet und als ‚besonders bösartig’ klassifiziert bzw. dämonisiert: so etwa, wenn Israel, immerhin die einzige Demokratie im Nahen Osten, als ‚Militärdiktatur’, ‚Staatsterrorismus’, ‚Apartheidsystem’ oder Produkt eines ‚Kolonialisierungsprozesses’ dargestellt wird, während die umliegenden arabischen Diktaturen oder die Verfolgungspraktiken innerhalb der palästinensischen Gesellschaft nicht thematisiert respektive einzig auf Israel zurückgeführt werden, oder auch wenn Juden schlicht als homogene Gruppe, als ‚die Unterdrücker von heute’, aus den vielschichtigen sozialen und politischen Herrschaftsformen der modernen Gesellschaft ausgesondert werden.“

Dies ist das korrekte Zitat. Richtig ist, dass ich damit auch indirekt auf problematische Implikationen eines publizistischen Textes der Autoren Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso aus der linken Wochenzeitung „Jungle World“ hinweise. Denn die zitierten Begriffe sind, wie im Fußnotennachweis belegt, dem polarisierenden Text von Holz/Müller/Traverso, der laut Lorenz „durchaus provokativ sein will“, aus der „Jungle World“ entnommen; und jene Begriffe charakterisieren die dichotome Argumentationsstruktur dieses Textes, in welchem Juden als Täter des „Staatsterrorismus“ Israels, Palästinenser kontrastreich als bloße Opfer Israels und die Unterdrückten von heute erscheinen. Alle meine Formulierungen sind indes mit Vorsicht und Bedacht gewählt und frei von Unterstellungen; es geht um die Sensibilisierung gegenüber moralisierenden und emotionalisierten Begrifflichkeiten in der Israel-Diskussion. Lorenz entstellt diese Darstellungsform bis zur Unkenntlichkeit und suggeriert, ich schriebe mit dem Vorschlaghammer. Sämtliche problematischen Zitate von Holz/Müller/Traverso aus dem „provokativen“ Dossier über den israelischen „Staatsterrorismus“, auf die ich verweise, werden von Matthias Lorenz schlichtweg unterschlagen. So zitiere ich Holz/Müller/Traverso u.a.: „Die israelische Besatzung ist der Ausdruck eines Staatsterrorismus, die palästinensische Gewalt eine Reaktion darauf.“ (Jungle World 47/2002; siehe Demokratie und Judenbild S. 319) Wenn das eine die Reaktion auf das andere ist, so liegt eine eingleisige Kausalität vor. Dann sind Israel und die Israelis alleinige Verursacher des Terrorismus, und genau diese monistische Betrachtungsweise kritisiere ich. Nur durch die komplette Unterschlagung der problematischen Zitate des Holz/Müller/Traverso-Textes kann suggestiv bei Lorenz Schrift der Eindruck entstehen, ich machte überzogene Unterstellungen, und gleichzeitig suggeriert werden, Holz/Müller/Traverso setzten sich in diesem Artikel lediglich kritisch mit der Besatzungspolitik Israels auseinander und würden deshalb unsachlich von mir kritisiert.

Freilich verwundert es besonders, dass ein ausgewiesener Antisemitismusforscher wie Holz in binärer Weise über den Nahost-Konflikt schreibt. Etliche Kollegen haben dies bereits vor mir problematisiert. Wenn von Holz/Müller/Traverso ausgeführt wird, wie Lorenz zitiert, dass „die Juden“ derart „nur noch [als] eine metonymische Figur“ fungieren, „in der die Ermordeten von gestern die Unterdrücker von heute überlagern,“ so ist es wohl kaum falsch zu behaupten, dass in diesem nicht-wissenschaftlichen, publizistischen Text Juden (nicht etwa Israelis) als „Unterdrücker von heute“ bezeichnet werden, was eine falsch generalisierende und abwertende Konstruktion über Juden darstellt. Das habe ich – selbstverständlich korrekt – zitiert und auch kritisiert (S. 319).

In der Logik der Entdifferenzierung und Diffamierung, der Lorenz konsequent folgt und die seinen Text bestimmt, muss folgerichtig auch unterschlagen werden, dass ich gegenüber keinem einzigen wissenschaftlichen Werk von Holz „Vorwürfe“ erhebe, wie Lorenz suggeriert. Wenn Lorenz meine Studie gelesen hätte, wüsste er, dass ich die wissenschaftlichen Studien von Klaus Holz neben vielen anderen konkurrierenden Ansätzen breit würdige und auch gegenüber anderen Ansätzen lobe (u.a. in einem eigenen Kapitel, Kap. 2.2.7, S. 110ff). Einzig der laut Lorenz „provokative“ publizistische Kollektiv-Essay gegen den „Apartheidstaat“ Israel und dessen „Staatsterrorismus“ wird in meiner Studie als Teil einer bestimmten einseitigen linken Publizistik problematisiert.

Völlig frei erfunden hat Lorenz ferner das ‚Zitat’, ich würde Hans-Ulrich Wehler einen „autoritären Charakter“ oder „Antisemitismus“ unterstellen. In Wahrheit wird Wehler in meiner Studie besonders wissenschaftlich gelobt. Aber was findet sich wirklich auf der vermeintlich ‚zitierten’ S. 343? Nur Wehlers Position in der Debatte zu Goldhagen, dessen Arbeit ich im Übrigen selbst kritisch, indes nicht polemisch darstelle, wird hier im Einklang mit dem Mainstream der Forschung als eine „Anprangerung“ rekonstruiert, weil Wehler im Eifer der Kontroverse Goldhagen einen nicht belegbaren „Quasi-Rassismus“ „unter umgekehrten Vorzeichen“ unterstellte. Gleichwohl wird betont, dass Wehler in der Debatte einen „Abwehrkonsens“ der Historiker ausmacht. Wehler ein „autoritärer Charakter“ oder „antisemitisch“? Eine freie Erfindung von Matthias Lorenz.

Uffa Jensen habe ich auch keinen autoritären Charakter unterstellt. Jensen habe ich vielmehr korrekt zitiert mit dem Zitat: „Das ‚Subsystem Geld’ ist mit Goldhagen in den rational-aufklärerischen Diskurs der Selbstverständigungsdebatte eingedrungen, der sich zwischen Historikern und Lesern entspannen könnte, und droht, ihn zu ‚kolonisieren’, wenn sich ähnliche publizistische Praktiken in Zukunft wiederholen.“ (S.354) Das Zitat kann jeder Leser selbst bewerten.

So zieht sich das falsche Zitieren durch den ganzen Text. Lorenz meint, ich unterstelle Eberhard Jäckel und Hans Mommsen, sie hätten willentlich den Antisemitismus als Ursache des Holocaust ausgeblendet. Dazu findet sich auf den von Lorenz zitierten Seiten (S.337 und S. 346f) kein Wort, Jäckel wird nicht einmal erwähnt, Mommsen nur als Beleg für strukturalistische Positionen. Die Unterstellung einer Ausblendung des Antisemitismus als Ursache des Holocaust, einer willentlichen gar? Eine weitere Erfindung von Lorenz.

Inwieweit mein Ziel einer systematischen Neubegründung der politikwissenschaftlichen Forschung zum Antisemitismus an Daniel Goldhagens „spektakulär lancierte“ (Lorenz) Studie „Hitler’s Willing Executioners“ erinnern soll, weiß nur Lorenz selbst. Goldhagen dient ihm ohnehin lediglich als eine weitere polemische Referenz. Lorenz wirft mir vor, dass ich mich mit der „vielstimmig widerlegten These“ eines spezifisch deutschen ‚eliminatorischen Antisemitismus’ gemein mache. Auch hier gerät inhaltlich und kategorial alles durcheinander. Holz/Müller/Traverso, die Lorenz so emphatisch verteidigt, schreiben: „Der Antizionismus der arabischen Welt und vieler PalästinenserInnen wird mit dem traditionellen Antisemitismus der westlichen Welt, der die Shoah hervorbrachte, in eins gesetzt. Damit wird der eliminatorische Antisemitismus verharmlost und in seiner historischen Einmaligkeit relativiert.“ (Hervorhebung von mir, L.R.) In meiner Studie heißt es zur Geschichte des Antisemitismus in Deutschland u.a.: „Die demokratischen Umkehrkonsequenzen in der deutschen politischen Kultur nach 1945, die Demokratisierung des politischen Systems und seiner politisch-kulturellen Konfliktmodi sowie die Abkehr vom, wie die politisch-rechtliche Sanktionierung des, politischen Antisemitismus, sind entscheidende Faktoren, welche die politische Gelegenheitsstruktur von Antisemitismus entscheidend begrenzt und verändert haben. Diese politisch-strukturellen Veränderungen in der Nachkriegsdemokratie zeitigten auch langfristig politisch-kulturelle Veränderungen. […] Antisemitismus hat sich innerhalb dieses Prozesses über eine längere Periode zu einer allenfalls halböffentlichen, privaten Einstellung zurückgebildet.“ (S.237) Meine Studie erarbeitet mulitfaktorielle Modelle und Mikro-Analysen, die – jenseits sowohl von Alarmismus als auch von Bagatellisierung gegenüber dem Gegenstand (S.333) – politische Prozesse und Veränderungen möglichst genau und differenziert erfassen, und die zugleich binären Zuschreibungspraktiken jeglicher Form entgegenzuwirken versuchen.

Von den behaupteten „verkürzten Zitaten“ meiner Studie weist Lorenz kein einziges nach. Dass ich konkurrierende Ansätze in meiner 541 Seiten umfassenden Studie ausblenden würde, wie Lorenz behauptet, ist angesichts dessen, dass ich in der ersten Hälfte des Buches sämtliche konkurrierenden Ansätze der Antisemitismusforschung darstelle und im großen Theorieteil alle möglichen neueren politisch-psychologischen und theoretischen Ansätze (von Jürgen Habermas über Axel Honneth, Christel Hopf, Jessica Benjamin etc.) in mein politikwissenschaftliches Modell integriere, eine der schamloseren, offenkundig wissentlichen Falschbehauptungen von Matthias Lorenz.

Ebenso unseriös ist die Behauptung, ich unterschlage „Quellen“ oder „bestimmte Aspekte dieser Quellen, die der These zuwiderlaufen“. Auch hierzu liefert Lorenz keinen einzigen Beleg bzgl. meiner über 2000 Fußnoten. Von einer Abqualifizierung von FachkollegInnen, einer pauschalen gar, kann ebenso wenig die Rede sein. Dass ich „widerstreitende Positionen selbst in der wissenschaftlichen Binnendifferenzierung als wahlweise autoritär, antisemitisch, antizionistisch etc. brandmarke“ und mich damit „in gefährliche Nähe zu so genannten antideutschen Verschwörungstheorien“ begebe, wie Lorenz schreibt, ist schließlich die kühnste und wirrste der versammelten Unterstellungen. Kein wissenschaftlicher Kollege wird dergestalt gebrandmarkt, auch nicht Klaus Holz; obschon selbstverständlich auch reflektierte Autoren oder „Big Names“ (Lorenz) natürlich nicht per se frei davon sind, mitunter problematische Ideologeme zu bedienen. Und „antideutsche Verschwörungstheorien“? Was meint Lorenz damit? Theorien von Verschwörern gegen Deutschland? Wer oder was soll das sein? Dieser Gedanke bleibt dem Leser gänzlich verschlossen. Verschwörungstheorien sind freilich u.a. ein wichtiger Gegenstand der Forschung zum Antisemitismus, aber „Verschwörer“ und Verschwörungstheorien finden sich sicherlich nicht in meiner Studie. Woher Lorenz diese ganzen Phantasiebehauptungen holt, ist mir ein Rätsel, ebenso was den Autor so emotional umtreibt, dass er solch haltlose und teils wirre Verdikte fällt.

Da Zitate und Belege nicht zu finden sind, die seine kühnen Behauptungen bestätigen könnten, greift Lorenz aufs Hörensagen und Gerüchte gegenüber meiner Forschung zurück. Dabei sind ihm ausgerechnet Ludwig Watzal sowie die umstrittene linke Wochenzeitung „Freitag“, in der Watzal regelmäßig über den Nahost-Konflikt publiziert, die einzige Referenz. Laut der „Welt“ vom 21. Januar 2006 überprüft derzeit Watzals Dienstherr, die Bundeszentrale für politische Bildung sowie ihr wissenschaftlicher Beirat, ob Watzal „manifest antisemitisch“ ist. Fakt ist, dass ich mich zwischenzeitlich gerne mit Herrn Watzal verständigt habe, ein ohnehin schon langes (vollständiges) Zitat von ihm in der nächsten (der dritten) Auflage noch um zwei weitere Sätze zu erweitern. Watzals Zitat aus der „Sozialistischen Zeitung“ über den Terrorismus, das ich kritisch analysiert habe, lautet: „Ein Volk, das so in die Hoffnungslosigkeit getrieben wurde, das eingemauert wird, dessen Existenzgrundlagen man zerstört, dessen Territorium man kolonisiert, greift zu solchen Verzweiflungstaten. Das heißt nicht, dass die willkürlichen Terroranschläge im israelischen Kernland gerechtfertigt sind – ich halte sie für abscheulich und unmoralisch –, aber man muss das ganze Bild sehen. Der Terror muss gestoppt werden, ja – aber zuerst muss die Besatzung gestoppt werden, denn das eine ist die Ursache des anderen.“ Der „Freitag“-Nachweis von Lorenz stellt in Wahrheit umgekehrt eine Berichtigung dar, welche die linke Wochenzeitung nach einem fehlerhaften Artikel unter Androhung gerichtlicher Schritte hat abdrucken müssen. Soviel – nämlich nichts – bleibt von der zusammenhanglos insinuierten „angedrohten Klage“ gegen meine Studie.

An den Haaren herbei gezogene Interpretationen, Gerüchte, Zitatunwahrheiten und freie Erfindungen sind es, was von Matthias Lorenz’ Rezension am Ende bleibt, zumindest in dem der Buchbesprechung vorangestellten Teil. Was das Ganze mit meiner Arbeit oder der neuesten Arbeit von Klaus Holz zu tun haben soll, ist das Geheimnis von Matthias Lorenz.

Dr. Lars Rensmann (Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Universität Potsdam / Affiliate Professor, University of Haifa)


Von Holz, Klaus02.02.2006

Kommentar zur Erwiderung von Lars Rensmann vom 26.01.2006 auf die Rezension von Matthias Lorenz

Matthias N. Lorenz wies in seiner Rezension meines Buches „Die Gegenwart des Antisemitismus“ die schweren Vorwürfe, die Lars Rensmann in seiner Dissertation u.a. gegen mich erhebt, scharf zurück. Die Redaktion von H-Soz-u-Kult hat darauf hin Herrn Rensmann die Gelegenheit zu einer Erwiderung gegeben, weshalb ich mich nun ebenfalls in diesem Medium in die Auseinandersetzung einschalten möchte.

Ich habe bereits eine ausführliche Kritik der Dissertation von Lars Rensmann geschrieben. Sie befindet sich im Druck zum nächsten Heft der Sozialwissenschaftlichen Literaturrundschau (SLR 52/2006), das aber erst im Juni erscheinen wird. Meine Kritik an Rensmanns Arbeit geht darüber hinaus, dass er diversen Kollegen, darunter ausgewiesenen und anerkannten Antisemitismusforschern, Antisemitismus und Autoritarismus vorwirft. Meine Einwände beziehen sich unter anderem darauf, dass Rensmann diese Vorwürfe nur erheben kann, in dem er etablierte Regeln guten wissenschaftlichen Arbeitens missachtet. Eine solche Kritik muss nachvollziehbar belegt sein. Das ist in der hier gebotenen Kürze nicht möglich. Ich zitiere deshalb nur den ersten Absatz meiner Kritik:

„Nach der Lektüre der Dissertation „Demokratie und Judenbild“ von Lars Rensmann habe ich lange gezögert, meine Rezensionszusage an die Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau aufrechtzuerhalten. Meine Bedenken beruhten auf Rensmanns Behauptung, ein u.a. von mir publizierter Text sei antisemitisch, und auf seinen Einlassungen zu meiner Habilitationsschrift „Nationaler Antisemitismus“. Der juristische Rat, dass ich mit besten Erfolgsaussichten klagen könne, war eindeutig. Eben so eindeutig dürfte sein, dass Rensmann gegen die von der DFG erarbeiteten „Empfehlungen der Kommission ‚Selbstkontrolle in der Wissenschaft‘“ verstößt. Das Buch hat so erhebliche Mängel, dass Teilen abgesprochen werden muss, wissenschaftlicher Text zu sein. Dies betrifft Rensmanns Umgang mit Quellen, seine allzu selektive resp. falsche Rezeption der Fachliteratur, die Missachtung von Grundregeln kollegialer Konkurrenz und das Verschweigen bedeutender Informationen und Argumente zugunsten seiner eigenen Thesen und Theoreme. Ich habe mich zunächst entschieden, mich auf die Mittel eines Wissenschaftlers zu verlassen, also meine Argumente – so auch in dieser Rezension – öffentlich vorzutragen und auf Gehör zu hoffen.“

Die Gründe, die mich zu diesem harten Urteil führen, werden in der nachfolgenden Besprechung dargelegt. Ich danke der Redaktion der SLR, dass sie mir angesichts der außergewöhnlichen Umstände gestattet, meinen Text vorab digital zu veröffentlichen unter http://www.evstudienwerk.de/index.php?action=portrait&sub=schriftenreihen&link=holztext.htmlext.html.

Ich bitte alle interessierten Kolleginnen und Kollegen, meine Argumente und Belege zu überprüfen.

Dr. habil. Klaus Holz (Leiter des Ev. Studienwerkes, Schwerte)

[Redaktionshinweis:
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Rezension von Matthias Lorenz vom 24.01.06, die Erwiderung von Lars Rensmann vom 26.01.06 und meine Redaktionsnotiz vom 27.01.06 können Sie auf der Website von H-Soz-u-Kult nachlesen:
Rezension von Matthias Lorenz: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-1-056
Erwiderung von Lars Rensmann: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=7528&re=686=686
Redaktionsnotiz H-Soz-u-Kult: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=7528&re=685=685.
Kommentar von Klaus Holz: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=7528&re=690=690
Sofern weitere Kommentare zu dieser Debatte bei der Redaktion eingehen, werden diese vorbehaltlich einer redaktionellen Prüfung nur noch an der ausgewiesen Stelle auf der Website von H-Soz-u-Kult veröffentlicht.
R. Hohls, Redaktion H-Soz-u-Kult]


Von Globisch, Claudia07.02.2006

Anmerkungen auf die Erwiderung von Lars Rensmann auf die Rezension von Matthias Lorenz vom 28.01.2006

Ich bin etwas verwundert, dass nach der durchaus nachvollziehbaren Begründung der Redaktion über die Veröffentlichungsbedingungen im Forum H-Soz-u-Kult, welche als Reaktion auf die Rezension von Matthias Lorenz veröffentlicht wurde, die Erwiderung von Lars Rensmanns zu dieser Rezension, in dieser Form abgedruckt worden ist. 1
Die Replik Lars Rensmanns untergräbt ihrerseits jenen Korrekturgrundsatz, welcher in Bezug auf den Rezensenten Lorenz geltend gemacht wurde: Es hieß in der redaktionellen Notiz: "Die Schärfe der Auseinandersetzung, der konfrontative Argumentationsstil und die distanzierende Interpretation, die sich u.a. an aus dem Kontext gelösten Zitaten festmacht, sind nicht nur für unbeteiligte Leser irritierend. Ein umsichtiges Lektorat hätte dies vor der Veröffentlichung korrigiert."2

Vielleicht gelten aber auch für Erwiderungen andere Bedingungen. Anhand einiger Aspekte der Rensmann-Verteidigung möchte ich deshalb exemplarisch zeigen, an welchen Punkten seine Stellungnahme diesem Grundsatz widerspricht und hoffe, dass damit wieder eine sachliche Diskussion in der gegenwärtigen Antisemitismusforschung möglich wird.

Da der Redaktion und dem politisch interessierten Leser sicherlich das Dossier von Klaus Holz/Elfriede Müller/Enzo Traverso vorliegt 3, wäre es aus wissenschaftlicher Perspektive fruchtbar gewesen, die Argumentationen des viel diskutierten und politisch instrumentalisierten Dossiers "Schuld und Erinnerung. Die Shoah, der Nahostkonflikt und die Linke" (abgedruckt in der Jungle World 47/2202), welches Lars Rensmann für seine Argumentationen verwendet, von seiner Seite aus sachhaltig und ohne Verkürzungen darzustellen.
In einem zweiten Schritt, welcher natürlich die genaue Analyse des Textes nicht ersetzt, der aber für das Verständnis des Dossiers notwendig ist, ist der Entstehungszusammenhang des Dossiers in seinem politischen Kontext zu erwähnen Denn unverkennbar richtet sich diese Publikation gegen eine Instrumentalisierung Israels und der jüdischen Geschichte in bestimmten Teilen der radikalen Linken. Sie bezieht sich auf bestimmte sich selbst als anti-deutsch bezeichnende Positionen innerhalb der radikalen Linken. Ein Leser, welcher nicht eingeweiht in die Bezeichnung anti-deutsch ist, wird sicherlich in der Zeitschrift Bahamas fündig.4 Lars Rensmann hingegen dürfte dieser Begriff bekannt sein. Seine diesbezüglich gespielte Ahnungslosigkeit ist eine rhetorische Kunstfigur, dient aber nicht der sachlichen Auseinandersetzung.

Diese möchte ich anhand einiger Beispiele leisten:

I. Monistische Erklärungen / Kausalität / Autorenkollektiv

Sicherlich lässt sich über die Wortwahl des Dossiers, wie sie beispielsweise in Begriffen wie “Militärdiktatur”, “Staatsterrorismus” und “Apartheidssystem” anklingt, insofern streiten, als diese eine bestimmte Expressivität der Argumentation darstellt und einige Analogieschlüsse vorstellbar macht. Sie ist jedoch weit von antisemitischen Argumentationsstrukturen entfernt, wie ich im Folgenden zeigen möchte.
Rensmann zitiert aber eine aus dem Kontext herausgelöste Aussage, die als problematisch zu beurteilen ist, weil damit eine monokausale Erklärung in der Argumentation des Dossiers suggeriert wird. “Die israelische Besatzung ist der Ausdruck eines Staatsterrorismus, die palästinensische Gewalt eine Reaktion darauf”. So zitiert Rensmannn dieses Papier (Holz/Müller/Traverso: Jungle World 47/2002; siehe Rensmann, Lars: Demokratie und Judenbild. Wiesbaden: VS Verlag, 2004, S. 319).
Diesen Satz für sich genommen beurteilt er in seiner Erwiderung auf H-Soz-u-Kult als kritikwürdig: “Wenn das eine die Reaktion auf das andere ist, so liegt eine eingleisige Kausalität vor. Dann sind Israel und die Israelis alleinige Verursacher des Terrorismus und genau diese monistische Betrachtungsweise kritisiere ich.” (Rensmanns Erwiderung, H-Soz-u-Kult)

Ein(e) genaue(r) LeserIn kann jedoch folgenden Satz im Dossier lesen: “Die israelische Besatzung ist der Ausdruck eines Staatsterrorismus, die palästinensische Gewalt ist eine Reaktion darauf. Dieser Grundsatz darf aber nicht dazu verleiten, alle anderen Einflüsse auf den palästinensischen Widerstand zu ignorieren.” (Holz/Müller/Traverso: Jungle World 47/2002)

Damit ist die durch Rensmann unterstellte Mono-Kausalität (und damit die angenommene »antisemitische« Struktur) seines »Beispiels« ad absurdum geführt. Eine solch verkürzte Darstellung und durchaus sinnentstellende Auswahl ohne Bezug auf die weitere Argumentation dieser Textstelle kommt schlicht einem Diffamierungsversuch gleich.

Der Vorwurf von Lars Rensmann, dass Klaus Holz (auch dies ein Indiz für eine wohl persönlich motivierte »Abrechnung«, handelt es sich doch um ein Autorenkollektiv) »binär« über den Nahost-Konflikt berichten würde, ist mir unverständlich. Was meint Lars Rensmann mit binär? Dass zwei Seiten beleuchtet werden? Dass Kommunikationen auf Unterscheidungen und Sprache auf Binarität beruhen? Oder ist damit dichotomisch oder asymmetrisch gemeint? Das Autorenkollektiv jedenfalls nennt zwei Perspektiven und es erfolgt keine einseitige Perspektivenübernahme, noch eine Verortung eines einseitigen oder überhaupt irgendeines Ursprungs des Nahost-Konflikts, von dem aus Kausalität abgeleitet werden könnte. Tatsache ist, dass die Situation der PalästinenserInnen auch benannt wird, gerade weil sie von einigen sogenannten anti-deutschen Positionen systematisch ausgeblendet wird (und hier wird nochmals klar, dass das Dossier als Reaktion auf solche Positionen zu lesen ist).

Binarität wird meinem Verständnis zufolge zum Problem, wenn eine Opposition gegen die andere auf- oder abgewertet wird, d.h. asymmetrische Gegensatzpaare konstruiert und nicht nur zugeordnet, sondern auch zugeschrieben und bewertet werden. Wie oben bereits genannt, ist es bei der »Verwunderung« Lars Rensmanns auffällig, dass, anstatt sich auf das Autorenkollektiv zu beziehen, welches für das Dossier verantwortlich ist, Klaus Holz als einer der Autoren herausgelöst wird. “Freilich verwundert es besonders, dass ein ausgewiesener Antisemitismusforscher wie Holz in binärer Weise über den Nahost-Konflikt schreibt”. (Erwiderung Rensmann bei H-Soz-u-Kult)

Was ist die Motivation für eine solche Selektion? Will Rensmann damit sagen, dass Elfriede Müller und Enzo Traverso keine ausgewiesenen Antisemitismusforscher sind, oder geht es ihm um eine Konfrontation mit Klaus Holz?5
In diesem Zusammenhang interessant ist der Nachsatz. “Freilich verwundert es besonders, dass ein ausgewiesener Antisemitismusforscher wie Holz in binärer Weise über den Nahost-Konflikt schreibt. Etliche Kollegen haben dies bereits vor mir problematisiert.“ (Erwiderung Rensmann bei H-Soz-u-Kult)
Als aufmerksame LeserIn der Debatte um das Jungle-World-Dossier ist an dieser Stelle aber unbedingt darauf hinzuweisen, dass die »Kronzeugen« Rensmanns, d.h. die Kollegen, welche das Dossier ebenfalls problematisiert haben, interessanterweise vorwiegend aus dem »anti-deutschen« Spektrum kommen bzw. sich zu dieser Position bekennen – was wiederum für eine »politisierte« Interpretation des Dossiers spricht.

II. “die Juden als die Unterdrücker von heute”…

Eine weitere aus dem Kontext herausgelöste und damit für den Leser missverständliche Darstellung ist die folgende: “Wenn von Holz/Müller/Traverso ausgeführt wird, wie Lorenz zitiert, dass “die Juden” derart “nur noch als eine metonymische Figur” fungieren, “in der die Ermordeten von gestern die Unterdrücker von heute überlagern”, so ist es wohl kaum falsch zu behaupten, das in diesem nicht-wissenschaftlichen, publizistischen Text Juden (nicht etwa Israelis) als “Unterdrücker von heute” bezeichnet würden, was eine falsch generalisierende und abwertende Konstruktion über Juden darstellt. Das habe ich – selbstverständlich korrekt – zitiert und auch kritisiert (S. 319)”. (Erwiderung Rensmann bei H-Soz-u-Kult)

Geschickterweise stellt Lars Rensmann das Zitat von Matthias Lorenz in seine Argumentation und stellt den Sachverhalt so dar, als ob Holz/Müller/Traverso den Begriff “die Juden” mit “den Israelis” gleichsetzen und als metonymische Figur charakterisieren würden – und damit herabwürdigen. Dass Holz/Müller/Traverso sich bei dieser Beschreibung aber bereits auf der Analyseebene bestimmter philosemitischer Argumentationen innerhalb der Linken befinden, blendet Rensmann systematisch – und wohl aus bestimmten Gründen - aus.

Ich zitierte Holz/Müller/Traverso: "Teile der deutschen Linken dagegen kennen nur noch »die Juden« als eine homogene Gruppe, auf die man die eigenen Sehnsüchte nach Identität und Orientierung projiziert. Gegen Deutschland, gegen den Antisemitismus zu sein, bedeutet, so der Kurzschluss, die Juden nur als Opfer des Antisemitismus wahrzunehmen. Damit werden die PalästinenserInnen zum Sündenbock einer linksdeutschen Trauerarbeit, die nicht auf Reflexion, sondern auf Identifikation abzielt. Die Rechte der PalästinenserInnen werden für diese eigenwillige deutsche Vergangenheitsbewältigung geopfert. - In diesem verworrenen Rollenspiel sind die Juden nur noch eine metonymische Figur, in der die Ermordeten von gestern die Unterdrücker von heute überlagern. Dass beides wahr ist, ohne dass das eine das andere erklärt oder gar legitimiert, dass es gegenwärtig Opfer des Antisemitismus und von Juden zu verantwortendes Leid gibt, passt nicht ins Bild." (Holz/Müller/Traverso: Jungle World 47/2002)

Das heißt, Holz/Müller/Traverso beschreiben die Homogenisierung "der Juden", welche für Antisemiten und Philosemiten gleichermaßen als Projektions- und/oder Identitätsfigur dienen, innerhalb einiger Teile der Linken. Entweder werden sie hier aufgrund antisemitischer Beweggründe als die nationale Ordnung der Welt bedrohende Akteure konstruiert, oder sie werden aufgrund ihrer Geschichte zu besonderen und außergewöhnlichen Figuren verklärt. Es stellt sich an dieser Stelle die Frage nach einer Erklärung der Verklärung. Ob Israel und “die Juden” als Projektionsfigur für eine beschädigte nationale Identität und als Mittel zur linken Identitätspolitik (Wer sind die besseren Linken?) dienen? All dies interessiert Rensman nicht, er verdreht hier aber in unlauterer Weise die Argumentation. Ob sich das noch mit der Redlichkeit eines Wissenschaftlers deckt, das mag der/die geneigte LeserIn entscheiden.

Auf einer analytischen Ebene beschreiben Holz/Müller/Traverso also, dass “die Juden" in solchen philosemitischen Argumentationen eine metonymische Figur darstellen, was durchaus eine zutreffende Beschreibung des Sachverhaltes ist. Auf diese Figur bezieht sich auch der Relativsatz, welcher anschließt: “In diesem verworrenen Rollenspiel sind die Juden nur noch eine metonymische Figur, in der die Ermordeten von gestern die Unterdrücker von heute überlagern”. (Holz/Müller/Traverso: Jungle World 47/2002)
Holz/Traverso/Müller behaupten also nicht, dass »die Juden« eine metonymische Figur seien und die Unterdrücker von heute, sondern sie analysieren diese Aussagen in den benannten linken Positionen. Dem Autorenkollektiv zufolge sind »Juden« weder als reine Opfer zu betrachten, noch als solche, welche kein Leid zu verantworten hätten, was der Nachsatz zeigt: "Dass beides wahr ist, ohne dass das eine das andere erklärt oder gar legitimiert, dass es gegenwärtig Opfer des Antisemitismus und von Juden zu verantwortendes Leid gibt, passt nicht ins Bild." (Holz/Müller/Traverso: Jungle World 47/2002)

Der Satz wendet sich gegen eine einseitige Betrachtung des Nahostkonfliktes und versucht daher den Konflikt in Israel/Palästina von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Dem Autorenkollektiv geht es hier nicht um Israel, sondern um eine Kritik an der Verklärung jüdischer Identität aus einer bestimmten anti-deutschen Position heraus.
Wenn Lars Rensmann – wie er sich selbst in seiner Erwiderung zitiert – in seiner Studie schreibt: „[Ü]berbordende Verzerrungen des komplexen historisch-politischen Konflikts im Nahen Osten können indirekt auf eine antisemitische Wahrnehmungsstruktur deuten, […], wenn Juden schlicht als homogene Gruppe als `die Unterdrücker von heute` aus den vielschichtigen sozialen und politischen Herrschaftsformen der modernen Gesellschaft herausgesondert werden.”(S.89, Rensmann: Demokratie und Judenbild) bezieht er sich direkt auf das genannte Autorenkollektiv und führt deren Dossier in der dazugehörigen Fußnote an.

Jedoch wird der indirekte Hinweis Rensmanns dem Autorenkollektiv Antisemitismus zu unterstellen in seinem Buch an anderer Stelle explizit: “Der antisemitische Antizionismus ist folgerichtig auch heute nicht auf autoritäre kommunistische Gruppen und Parteien beschränkt. Auch in der sich selbst als undogmatisch verstehenden Linken avisiert er heute neue politische Mobilisierungsversuche und Kampagnen. So prangern z.B. die “undogmatischen” Linken Klaus Holz, Elfriede Müller und Enzo Traverso in einem programmatischen Dossier in der linken Wochenzeitung Jungle World einen vermeintlichen “Staatsterrorismus” an, diffamieren den Staat als “Militärdiktatur”. Anti-israelischer Terror wird als Widerstand verklärt und als Abwehr-Reaktion bagatellisiert: […] Das antiimperialistische-antizionistische Weltbild funktioniert auch hier in klaren, eingleisigen Ursache-Wirkungsschema: Schuld sind einzig die Juden, und zwar auch an der Ermordung ihrer Kinder. Sie erscheinen als die “Unterdrücker von heute” […].“ (Rensmann, Demokratie und Judenbild, S. 319)

Wie ich oben zu zeigen versucht habe, lassen sich nicht nur in der Erwiderung, sondern auch in der Qualifikationsarbeit Lars Rensmanns, welche im renommierten VS Verlag erschien, Verkürzungen von Argumentationen analysieren.

Für die wissenschaftliche community erachte ich es als bedauernswert, dass aus ideologischen Gründen in dieser Debatte das genaue Lesen und Rekonstruieren von Argumentationen als wissenschaftliche Standards aufgegeben wurden. Der Text scheint in Teilen nebensächlich geworden zu sein. Stattdessen sollen Zitatfetzen dazu dienen, eine a priori These zu stützen. Die sachhaltige Diskussion und Analyse eines Themenkomplexes oder Problems wird mit solch ideologischen Kämpfen mehr und mehr verunmöglicht.

Claudia Globisch, M.A. (Graduiertenkolleg „Kulturhermeneutik im Zeichen von Differenz und Transdifferenz“ der Universität Erlangen-Nürnberg; Promotionsprojekt: „Radikaler Antisemitismus. Zur Analyse zeitgenössischer antisemitischer Semantiken von links und rechts in Deutschland“)

Anmerkungen:
1 Vgl. Redaktionsnotiz am 27.01.06: Rez. ZG: K. Holz: Die Gegenwart des Antisemitismus und die Erwiderung von Lars Rensmann am 26.01.2006: Re: K. Holz: Die Gegenwart des Antisemitismus.
2 Vgl. Redaktionsnotiz: Rez. ZG: K. Holz: Die Gegenwart des Antisemitismus (28. Jan. 2006 in diesem Forum).
3 Vgl. Holz, Klaus / Müller, Elfriede / Traverso, Enzo: Erinnerungen. Die Shoah, der Nahostkonflikt und die Linke, in: jungle world 47/2002. [im Internet: http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2002/47/29a.htm].
4 Die Zeitschrift Bahamas ordnete sich selbst zunächst in die „antinationale“ Linke ein (Editorial Bahamas Nr. 8, Dez.1992/Jan. 1993); (spätestens) ab 1999 dominiert die Selbstbezeichnung „antideutsch“ (siehe Ankündigung der Konferenz „Der Hauptfeind ist das eigene Land“ (Bahamas Nr.29; S.43-45). [im Internet: http://www.redaktion-bahamas.org/].
5 Siehe hierzu als exemplarische Veröffentlichungen: Müller, Elfriede: ...das auschwitz nicht noch einmal sei. Antisemitismus auf Plakaten? Plakate gegen Antisemitismus!, in: HKS 13 (Hg.): Vorwärts bis zum nieder mit. 30 Jahre Plakate unkontrollierter Bewegungen. Berlin: Assoziation A 2001; Traverso, Enzo: Auschwitz denken. Die Intellektuellen und die Shoa. Hamburg: Hamburger Edition, 2000; Ders.: Nach Auschwitz. Die Linke und die Aufarbeitung des NS-Völkermordes. Köln: ISP Verlag, 2000.


Von Lorenz, Matthias N.17.02.2006

Anmerkungen zum Rumor um meine Besprechung von Klaus Holz: Die Gegenwart des Antisemitismus

Meine Rezension von Klaus Holz’ „Die Gegenwart des Antisemitismus“, in der ich mich eingangs kritisch über Lars Rensmanns Antisemitismusvorwürfe gegen diverse namhafte WissenschaftlerInnen geäußert habe, hat augenscheinlich einigen Rumor verursacht. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, schafft es immerhin Aufmerksamkeit für das von mir kritisierte Vorgehen Rensmanns, in „Demokratie und Judenbild“ die Integrität von FachkollegInnen in Abrede zu stellen, wo doch Widerspruch in der Sache genügt hätte. Ich will mich im Folgenden dennoch zur Redaktionsnotiz von Rüdiger Hohls und zur Erwiderung von Lars Rensmann äußern, da beide Texte den Eindruck zu etablieren versuchen, meine Einwände seien nicht ernst zu nehmen.
Vorab möchte ich noch ein Gerücht zurückgewiesen: In einigen Zuschriften an die Redaktion von H-Soz-u-Kult wurde die Falschmeldung verbreitet, ich hätte bei Klaus Holz promoviert und/oder sei Stipendiat des von ihm geleiteten Evangelischen Studienwerkes gewesen. Beides ist nicht der Fall; ich habe bei Peter Stein (Lüneburg), Klaus-Michael Bogdal (Bielefeld) und Jan Philipp Reemtsma (Hamburg) promoviert – ohne ein Stipendium, sondern auf einer vom Land Niedersachsen vergebenen Nachwuchsstelle.

Zur Redaktionsnotiz

Irritierend angesichts der von Hohls postulierten Prinzipien mutet zunächst an, dass in seiner Redaktionsnotiz plötzlich Holz’ Habilschrift und mein Buch über Martin Walser in die Debatte gezogen werden. Nun könnten wir uns ja über diese ungeahnte Publizität freuen, wenn nicht eine auffällig tendenziöse Auswahl zugehöriger Besprechungen und eine selektive Verlinkung einiger der genannten Rezensionen unserer Bücher vorgenommen worden wäre. Holz’ ganz überwiegend positiv aufgenommenes Buch wird ausgerechnet mit zwei kritischen Besprechungen vorgestellt, meine im Feuilleton überaus kontrovers diskutierte Studie mit zwei Totalverrissen eingeführt, deren Motivation längst (u.a. von Micha Brumlik, Ina Hartwig, Friedmar Apel, Hans-Joachim Hahn, Willi Jasper und Wolfram Schütte) aufgedeckt und zurückgewiesen wurde. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt … noch dazu, wo doch diese und auch sämtliche von Hohls ausgewählten Rezensionen meines Buches ohne weiteres zu verlinken gewesen wären. 1 Im Gegenzug zur Präsentation der Bücher von Holz und mir wird Lars Rensmanns Dissertation mit drei glänzenden Besprechungen vorgestellt; Klaus Holz’ Rezension von „Demokratie und Judenbild“ für die „Sozialwissenschaftliche Literaturrundschau“ wird als „Artikel“ (ab)qualifiziert.

Gleichwohl möchte ich H-Soz-u-Kult ermuntern, derartige Debatten zuzulassen. Es besteht kein Grund, sich von kritischen Zuschriften erschrecken zu lassen; dies umso weniger, wenn der begründete Verdacht besteht, dass ein Gutteil dieser Welle der an die Redaktion gerichteten Proteste einem Aufruf Jörg Rensmanns, des Bruders von Lars Rensmann, geschuldet ist, der in einer Rundmail der Yahoo-Group „Israel-Solidarität“ vom 25. Januar Klaus Holz unverblümt als Antizionisten bezeichnete und zu Protesten gegen meinen Beitrag aufrief. 2 Den publizistischen Aktivitäten von Jörg Rensmanns „Gruppe offene Rechnungen“ wurde auf H-Soz-u-Kult bereits bescheinigt, sie changierten „zwischen diffusen Anschuldigungen und Verschwörungstheorien des internationalen Kapitals, als einer deren übelster Helfershelfer z.B. Götz Aly („Schlussstrich-Apologet“, S. 53, vgl. auch S. 255-258) zu firmieren die Ehre hat. Selbst Ulrich Herbert betätigt sich demnach affirmativ und relativierend, indem er den Nazi-Begriff „Fremdarbeiter“ verwendet (S. 23), usw.“ 3 Unschwer ist zu erkennen, dass der hier zitierte Rezensent Mark Spoerer das gleiche Verfahren monierte, das ich auch Lars Rensmann vorgeworfen habe (auch Spoerer hat dafür übrigens umgehend Kritik geerntet, siehe Anm. 3). Nun wird niemand Lars Rensmann für die Aktivitäten seines Bruders verantwortlich machen; da an dem von Spoerer besprochenen Band aber auch Lars Rensmann mitgeschrieben hat, erscheint dessen Frage, was denn mit den so genannten antideutschen Verschwörungstheorien gemeint sein solle, doch etwas gekünstelt.

Zur Erwiderung Rensmanns

Ich will nun anhand von Lars Rensmanns Erwiderung darlegen, was mich dazu bewogen hat, die von ihm gegen diverse KollegInnen erhobenen Antisemitismusvorwürfe in dieser Form publik zu machen und warum ich an der Zurückweisung dieser Vorwürfe festhalte.
Hätte Rensmann recht mit seiner Behauptung, ich arbeitete in meiner ihm kritisch zugeeigneten Vorrede der Rezension von „Die Gegenwart des Antisemitismus“ mit „herbei gezogene(n) Interpretationen, Gerüchte(n), Zitatunwahrheiten und freie(n) Erfindungen“, so müsste man tatsächlich meinen Beitrag löschen. Es ist indes nicht das erste Mal, dass Rensmann nachträglich bestreitet, diese oder jene Anschuldigung erhoben zu haben. In einer Rezension seiner Dissertation in „Analyse und Kritik“ (die in der Redaktionsnotiz bezeichnenderweise nicht aufgeführt wird) wurde im September 2005 die Suggestion eines antizionistischen Antisemitismus in Bezug auf Holz, Traverso und Müller zurückgewiesen. 4 Rensmann behauptete daraufhin in einem Leserbrief, dieser Vorwurf stehe ja gar nicht in seinem Buch. 5 Einer der Betroffenen selbst, Klaus Holz, antwortete sichtlich irritiert: „Warum lügt Rensmann in seinem Leserbrief den Antisemitismusvorwurf beiseite?“ 6 Fakt ist, dass die von Rensmann unterstellte „antisemitische Wahrnehmungsstruktur“ in seiner Arbeit eindeutig zurückgebunden wird an das besagte „Dossier“ (dem sämtliche Begriffe, die ihn zu seinem Gedankengang auf S. 89 veranlassen, entstammen).

An dieser Stelle ist zu betonen, dass der Text von Holz, Traverso und Müller ein problematischer ist, vor allem weil er trotz der dezidierten Absicht, vereinfachende Deutungsmuster zu überwinden, diesen letztlich verhaftet bleibt. Insofern habe ich überhaupt kein Problem damit, wenn Rensmann diesen Text kritisiert. Auch die Verwunderung darüber, dass ein ausgewiesener Antisemitismusforscher diesen Text mit verfasst hat, teile ich mit Rensmann. Aber es ist doch wohl ein Unterschied, dies zu konstatieren, wie es etwa Ole Frahm et al. getan haben 7, oder aber den Text dahingehend zu lesen (und zu präsentieren), seine AutorInnen betrieben „Mobilisierungsversuche und Kampagnen“ in Richtung eines „antisemitische(n) Antizionismus“ (S. 318); auch hier ist der Text von Holz, Traverso und Müller die eindeutige Referenz, jedermann kann das nachlesen. Das muss man sich mal vorstellen: Die auf dem Feld, um das es hier geht, ausgewiesenen Wissenschaftler, man denke an Holz’ „Nationaler Antisemitismus“ oder an Traversos „Auschwitz Denken“, sollen Rensmann zufolge also versuchen, die Linke für den Antizionismus zu mobilisieren. Und das soll kein Antisemitismusvorwurf sein? Seinen Vorwurf versucht Rensmann dadurch zu untermauern, dass er den Gedankengang, den er den AutorInnen des „Dossiers“ zuschreibt, wie folgt weiterspinnt: „Schuld sind einzig die Juden, und zwar auch an der Ermordung ihrer Kinder.“ (S. 319) Rensmann geht aus guten Gründen in seiner Erwiderung nicht auf diese Passage ein, stattdessen nimmt er für sich in Anspruch, er habe gerade in Bezug auf das „Dossier“ alle seine Formulierungen mit „Bedacht gewählt“, sie seien „frei von Unterstellungen; es geht um die Sensibilisierung gegenüber moralisierenden und emotionalisierten Begrifflichkeiten in der Israel-Diskussion.“ Die von Rensmann frei erfundene Passage über Holz’, Traversos und Müllers angeblich fatalistische Einstellung gegenüber ermordeten jüdischen Kindern soll also keine Unterstellung und nicht emotionalisierend sein?

Ich will hier auch auf die anderen angeblichen „Zitatunwahrheiten“, die Rensmann mir in seiner Erwiderung vorwirft, eingehen. In Bezug auf Rensmanns unstatthaft selektive Zitation und Interpretation des „Dossiers“ von Holz, Traverso und Müller kann ich dabei auf den Beitrag von Claudia Globisch verweisen, die an dieser Stelle bereits seine Behauptungen widerlegt hat; Rensmanns Anknüpfen an Goldhagen, sein Umgang mit Holz’ Habilschrift und mit Quellentexten ist von Klaus Holz selbst herausgearbeitet worden; 8 diese in Rensmanns Erwiderung angeführten Aspekte muss ich also nicht noch einmal aufgreifen.
Rensmann zeigt sich erstaunt darüber, dass ich schreibe, er unterstelle Eberhard Jäckel und Hans Mommsen implizit die – so waren meine Worte – willentliche Ausblendung des Antisemitismus als Ursache für den Holocaust. Ich habe hier nichts anderes praktiziert als Rensmann selbst, als jeder Deutende: ich habe vereindeutigt, was ich im Text vorfinde. Rensmanns Formulierung, deutsche Historiker hätten die „Bedeutung des Antisemitismus minimiert“ und damit „(…) wohl nicht ganz unfreiwillig vom Wesen der Sache abgelenkt (…)“ (S. 337) habe ich wie folgt paraphrasiert: „(…) wird implizit unterstellt, sie hätten willentlich den Antisemitismus als Ursache des Holocaust ausgeblendet (…)“. Das kann ich nicht unstatthaft finden. Und wenn Rensmann raunt, „jahrzehntelang“ hätten „führende deutsche Forscher“ anstatt über Antisemitismus „über einen möglichen „Führerbefehl“ zur Ermordung der Juden und in Theorien über selbstreferentielle Strukturen, die sich „kumulativ radikalisierten““ (S. 337) debattiert, dann können aufgrund der eindeutigen Begrifflichkeiten, die Rensmann hier verwendet, nur Jäckel und Mommsen gemeint sein.

Das Zitat von Uffa Jensen ist völlig aus dem Kontext gerissen. Durch Ausblendung des Gesamtzusammenhanges steht Jensen, auch noch in der Erwiderung Rensmanns, als vermeintlicher Antisemit da (in der Dissertation heißt es, Jensen „steigert sich“ zu einer „antisemitische(n) Zuschreibung“ (S. 354) – abermals: das soll kein Antisemitismusvorwurf sein?). Da verwundert es nur noch, warum Jensen H-Soz-u-Kult-Redakteur sein darf, und das ausgerechnet für Jüdische Geschichte. Macht man sich jedoch die Mühe, Jensens Artikel verstehen zu wollen, dann erkennt man ohne große Mühe folgende Argumentation: Um Habermas’ Laudatio auf Goldhagen ad absurdum zu führen, argumentiert Jensen hier mit Habermas gegen Habermas. 9 Er bezieht sich dabei auf dessen „Theorie des kommunikativen Handelns“, die u.a. davon ausgeht, dass eine „Kolonisierung der Lebenswelt“ durch wirtschaftliche Einflüsse stattfinde. „Lebenswelt“ meint bei Habermas Grundüberzeugungen, die vom „System“, den gegebenen sozialpraktischen Verhältnissen sozusagen, abgegrenzt werden. Kurz: Lebensbereiche, die auf Werte angewiesen seien, dürften nicht dem Subsystem Wirtschaft verfallen. Soweit Habermas. Als solche wertgeprägte Lebenswelt konstruiert Jensen anschließend die bestimmten Qualitätsmaßstäben folgende Geschichtswissenschaft. In seinem von Rensmann zitierten Satz argumentiert er mit Habermas’ Begriffen gegen eine Verwässerung der wissenschaftlichen Standards durch eine vereinfachende, skandalisierbare Publizistik, der er Goldhagens Studie zurechnet. Mit dem Eindringen des Subsystems Geld ist hier also überhaupt nicht die Person Goldhagen gemeint, sondern die Verzerrung des Wettbewerbs geschichtswissenschaftlicher Befunde und Deutungen unter „Marktgesetze(n)“, die eben die Verbreitung simplifizierender Thesen zu lasten trockener Quellenforschung und deren wenig marktgängiger Auswertung beförderten. Wenn Rensmann diesen Aufsatz Jensens wie gezeigt derart verkürzend anführt, um Jensen zu unterstellen, dieser versteige sich zu antisemitischen Zuschreibungen, dann wird man dies wohl als diffamierend kritisieren dürfen.

Zu Hans-Ulrich Wehler macht sich Rensmann zunächst die Meinung von Rolf und Barbara Vogt zu eigen, die Wehlers Kritik an Goldhagen wie folgt deuten: „(…) Abwehr durch Projektion. Der unbewusste Selbstvorwurf auf dem Niveau des entlehnten Schuldgefühls wird auf Goldhagen projiziert (…)“ (zit. n. S. 343; Herv. L.R.). Rensmanns Analyse knüpft an dieses Zitat unmittelbar an, seine weitere Argumentation in Bezug auf „diesen [= Wehlers, Anm. M.L.] Mechanismus der Projektion“ baut darauf auf und lautet, hier äußerten sich in Bezug auf einen jüdischen Diskursteilnehmer „kryptoantisemitische Vorurteile“. Das entlehnte Schuldgefühl, das zur „Abwehr durch Projektion“ führt, ist zudem ein Merkmal des dem autoritären Charakter eigenen Antisemitismus, was Rensmann selbst auf S. 138ff. umfassend darlegt. Insofern ist Rensmanns Antwort, in der er mir vorwirft, ich hätte seine Aburteilung Wehlers „frei erfunden“, irreführend. (Auf der besagten Seite 343 ist übrigens auch dezidiert von Jäckel die Rede, der ebenfalls „projiziere“.)

Zuletzt zum Beleg der Auseinandersetzung zwischen Ludwig Watzal und Lars Rensmann, der in keiner Weise die Sachverhalte umkehrt, wie Rensmann in seiner Erwiderung glauben machen will: Der von mir angeführte Freitag-Artikel belegt nachweislich genau das, was ich geschrieben habe. Im Freitag heißt es, „(…) dass sich Dr. Lars Rensmann angesichts der Androhung gerichtlicher Schritte außergerichtlich verpflichtet hat, unzutreffende Behauptungen über Dr. Ludwig Watzal in seiner wissenschaftlichen Buchveröffentlichung Demokratie und Judenbild (Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden) zu unterlassen bzw. nicht weiter zu verbreiten.“ Nichts anderes hatte ich geschrieben, nämlich: „Rensmann musste sich bereits einmal unter Androhung einer Klage außergerichtlich zur Unterlassung ähnlicher Behauptungen über Schriften Ludwig Watzals verpflichten.“ Ich hatte Rensmanns Vorwürfe gegen Holz, Traverso und Müller auf die gegen Watzal bezogen, da sie sich strukturell gleichen: beiden Parteien wird vorgeworfen, antizionistisch zu argumentieren, und in Bezug auf beide baut dieser Vorwurf auf einer durch Verkürzung einseitigen Wiedergabe ihrer Argumentation auf. Im Übrigen gilt das Gebot der korrekten Widergabe oder Paraphrase von Quellen unabhängig davon wie die laufende Überprüfung von Watzals Einlassungen ausgehen mag.

Es stünde Lars Rensmann gut an, seine gegen die hier genannten KollegInnen erhobenen Antisemitismusvorwürfe für die von ihm angekündigte 3. Auflage von „Demokratie und Judenbild“ noch einmal zu überdenken. Seine Analysen eines linken Antizionismus und der Goldhagen-Kontroverse kämen nicht nur ohne diese verfehlten Beispiele aus, sie würden dadurch auch an Überzeugungskraft gewinnen.

Matthias Lorenz, Universität Bielefeld

Anmerkungen:
1 Brumlik: http://buecher.hagalil.com/sonstiges/walser.htm, Hartwig: http://www.frankfurter-rundschau.de/ressorts/kultur_und_medien/belletristik/?cnt=729342, Jasper: http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/04.11.2005/2153590.asp, Schütte: http://www.titel-forum.de/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=4037amp;sid=4037. Zu Apels und Hahns Besprechungen siehe die Redaktionsnotiz von Hohls; vgl. als ausführliche wissenschaftliche Bewertung die soeben erschienene Rezension von Franziska Schößler im Internationalen Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur (http://iasl.uni-muenchen.de/rezensio/liste/Schoessler347602119X_1444.html).
2 Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit wird die vollständige Rundmail hier im Anhang wiedergegeben.
3 Vgl. Spoerer, Mark, Sammelrez. Zwangsarbeiterentschädigung (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2003-3-121), vgl. dort auch die Erwiderung von Martin Ulmer und Spoerers Reaktion darauf.
4 Vgl. Renner, Jens, Paranoia als Prinzip. Wolfgang Benz und Lars Rensmann über Antisemitismus in Deutschland, in: Analyse und Kritik, H. 498 vom 16.09.2005.
5 Vgl. Rensmann, Lars, Nötig, möglich, löblich, in: Analyse und Kritik, H. 499 vom 21.10.2005.
6 Vgl. Holz, Klaus, Vorwurf beiseite gelogen, in: Analyse und Kritik, H. 502 vom 20.01.2006.
7 Frahm, Ole, et al., Ein Opfer zu viel, in: Jungle World 48/2000 (http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2002/48/31a.htm).
8 Vgl. http://ww.evstudienwerk.de/index.php?action=portrait&sub=schriftenreihen&link=holztext.htmlext.html.
9 Jensen, Uffa, Ein Ritterschlag zum Lehrmeister? Die Apotheose des Daniel J. Goldhagen in der Laudatio von Jürgen Habermas, in: Heil, Johannes; Erb, Rainer, Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. Der Streit um Daniel J. Goldhagen, Frankfurt am Main 1998, S. 148-163.

Anhang:
Rundmail von Jörg Rensmann vom 25.1.2006, in der er zum Protest gegen meine Rezension aufruft. Die von ihm angeregte Rezension von Holz Buch „von kritischer Seite“ (s.u.) ist mittlerweile offensichtlich erschienen (vgl. http://www.typoskript.net/texte/artikel_0028/0028_web.htm). Vgl. kontrastiv dazu die Besprechung von Rainer Erb in: „Das Parlament“ vom 7.11.2005 (http://www.das-parlament.de/2005/45/DaspolitischeBuch/007.html).

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Von: israel-solidaritaet@yahoogroups.com [mailto:israel-solidaritaet@yahoogroups.com]
Im Auftrag von Rensmann3@aol.com
Gesendet: Mittwoch, 25. Januar 2006 18:51
An: israel-solidaritaet@yahoogroups.com
Betreff: Re: [israel-solidaritaet] Re: Rez. ZG: K. Holz: Die Gegenwart des Antisemitis...

Hier würde man sich wünschen, dass ein paar Leute entschieden gegen eine solche Rezension Stellung beziehen, deren erklärtes Ziel die Propaganda ist. Holz’ Buch, das ja gerade der Salvierung einer Rationalisierung des AS dient, gehörte unabhängig davon von kritischer Seite rezensiert. Holz ist ein Antizionist, dessen "Wissenschaft" darauf hinausläuft, die Juden resp. den Staat Israel wie auch die Moderne generell zu Verursachern des AS zu machen, d.h. sein "Begriff" vom AS benötigt einen zu personifizierenden Verursacher, einen auslösenden Faktor: AS wird nicht als falsche Projektion, als Wahn verstanden, sondern unterlegt: er ist gleichsam einfühlend zu verstehende, d.h. zu erklärende, begründete und somit verständliche Reaktion. So ja auch seinerzeit in dem Dossier der Tenor: Der AS arabischer Migranten etwa in Frankreich sei zu tolerieren als "Reaktion" fallweise auf das Handeln einer israelischen Administration. AS ist der Wahn der Verfolger. Holz betreibt tatsächlich eine Täter-Opfer Umkehr, wie selbst sein dümmlicher Adlatus auf H-Soz-Kult freimütig einräumt. Da es ja in den Staaten des Islam keinen AS gegeben haben soll, werden die Migranten aus jenen Ländern erst durch die "Zumutungen" der Moderne zu Antisemiten. Nicht nur die vernichtungsantisemitische Ideologie über die entsprechenden arabischen Fernsehsender, die hier über Satellit auf zunehmende Resonanz stoßen, werden nicht oder nicht genügend beachtet. Den Migranten wird gerade durch die sich mit ihnen identifizierende linke Sympathie die Anstrengung des Begriffs, die je eigene Reflektion erspart, sie werden letztlich entsubjektiviert. Leute wie Holz, Balibar usw. usf. betreiben auf diesem Wege seit Jahren die Entschuldung der Täter und fragen nicht nach der Verfaßtheit bzw. rackethaften Vergesellschaftung, nach den Banden im Nahen und Mittleren arabischen Osten, wie Gerhard Scheit dies im Gegensatz dazu und eben mit einem Begriff von Wahrheit im dialektischen wie meinetwegen auch buchstäblichen Sinne tut. Ein originärer Antisemitismus im Islam sei nicht existent, an den die nazideutsche Ideologie gerade anknüpfen konnte; vornehm geschwiegen wird von den antisemitischen Suren des Koran ebenso wie von den Pogromen der Vergangenheit unter dem Islam. Auch Dan Diner weist in seinem jüngsten Buch darauf hin, dass die falsche Identifizierung der Juden mit Geld v.a. in den völkischen Aufständen im Osmanischen Reich gang und gäbe war. Und da soll es keinen AS gegeben haben, wie die linksdeutschen Retter der Antisemiten in Nahost, die Apologeten des Islamismus wie Holz und Nordbruch behaupten? Das hält nicht einmal der dürftigsten Empirie stand, vgl. v.a. die Arbeiten von Robert Wistrich, der ja deshalb einer der Lieblingsfeinde der deutschen zivilgesellschaftlichen Wissenschaft ist und von honorigsten Organisationen wie dem AJC Berlin Office nicht einmal mehr eingeladen wird. Wer betreibt hier eigentlich die Verharmlosung des vernichtungsantisemitischen Islamismus?
Jörg
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Von Ulmer, Martin18.02.2006

Anmerkungen zur Debatte zwischen Matthias Lorenz, Lars Rensmann und Klaus Holz

Anscheinend versucht Klaus Holz auf H-Soz-u-Kult eine Kampagne gegen die vier Jahre alte Dissertation von Lars Rensmann, wobei Matthias Lorenz ihm als Türöffner diente. Gleiche Formulierungen von Lorenz aus der über H-Soz-u-Kult veröffentlichten Rezension von Holz legen die Absprache nahe. Es ist nicht verständlich, dass die Redaktion die überflüssige Reaktion von Holz auf Rensmann abgedruckt und den Kampagnencharakter damit verstärkt hat. Hier geht es offensichtlich nicht um die hohe wissenschaftliche Qualität der Studie von Rensmann, die ich selbst auf H-Soz-u-Kult besprochen habe; es geht eher um die „Deutungshoheit“ über den aktuellen Antisemitismus und die Frage nach der Bedeutung und Bewertung eines linken, israelfeindlichen Antisemitismus.

Klaus Holz hatte seit dem Erscheinen von Rensmanns Buch im Frühjahr 2004 doch wirklich genug Zeit und Gelegenheit gehabt, auf die zahlreichen positiven Rezensionen von Antisemitismusforschern über
Rensmanns Studie und dessen breite Rezeption in der Forschung zu antworten. Es sind über die Jahre zahlreiche Rezensionen erschienen, die alle die innovative Bedeutung, die methodische Leistung und die Triftigkeit der empirischen Befunde von Rensmanns Antisemitismus-Studie hervorheben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Rezensenten (einschließlich meiner Person) Irrtümer aufgesessen sind, wie Holz in seiner „Neu-Rezension“ nebenbei suggeriert. Der Angriff von Holz gilt dabei nicht nur Rensmann, sondern auch den vielen
wissenschaftlichen Kollegen im In- und Ausland, die die Qualität der Studie betonen, und denen Holz indirekt die Wissenschaftlichkeit abspricht.

Holz' Fundamentalkritik an Rensmanns Werk ist nicht nachvollziehbar. Denn der Soziologe offenbart in seiner Rezension wenig wissenschaftliches Verständnis über die Politische Psychologie und die Politische Kulturforschung. In erster Linie mit diesen Instrumentarien sind Texte und Äußerungen als Chiffren von antisemitischen Projektionen und Ressentiments zu entziffern, wie Rensmann Studie an zahlreichen Stellen überzeugend nachweist. Rensmann ist außerdem ein international ausgewiesener Kenner der Kritischen Theorie (z.B. 1998 erschienene Publikation zur Kritischen Theorie des Antisemitismus und diverse Aufsätze), wobei der mit anderen Ansätzen arbeitende Holz mit schwachen Argumenten meint, Lars Rensmann über die Kritische Theorie und die Untersuchungen zum autoritären Charakter belehren zu müssen. Auch wird kein Zitat in Rensmanns Studie aus dem Kontext gerissen, wie Holz behauptet; durch Wiederholung wird dieser Vorwurf auch nicht wahrer. Durch die langjährige Beschäftigung mit historischem und aktuellem Antisemitismus in Deutschland gelange ich vielmehr auch im Detail zu ganz ähnlichen Erkenntnissen, die ich anhand der gleichen Quellen wie Rensmann gewonnen habe, weshalb ich auch sehr gut in der Lage bin, die wissenschaftliche Qualität der Antisemitismus-Studie ohne solche ‚Lese-Hilfen’ zu beurteilen.

Was Holz im Kern antreibt, das macht dessen Rezensionstext deutlich, sind Rensmanns Interpretationen, Ergebnisse und Ausführungen zum linken, antizionistische Antisemitismus. Das hat durchaus Gründe in der traditionellen linken Position von Holz, der anscheinend Antisemitismus in Deutschland nur auf Seiten der Rechten verorten will und israelfeindlichen linken Antisemitismus gegen die Fülle von Rensmanns Belegen mit der Berufung auf eine einzige, bisher nicht veröffentlichte Quelle zur Marginalie erklärt. Hier liegt nicht Rensmann, sondern Holz mit dem gesamten Mainstream der Antisemitismusforschung quer. Rensmanns Ergebnisse zum linken Antisemitismus, die Holz abzuqualifizieren sucht, werden eindrucksvoll bestätigt durch Kapazitäten, u.a. durch Martin Kloke 1, Thomas Haury 2, Robert Wistrich, Andrei Markovits, Werner Bergmann und Juliane Wetzel 3 , um nur einige zu nennen. Wie kommt ein ausgewiesener Antisemitismus-Forscher wie Klaus Holz dazu, diesen aktuellen linken und linksradikalen Antisemitismus, der in der internationalen und nationalen Forschung seit 2000 als bedeutend eingeschätzt wird, ohne Belege immer wieder zu marginalisieren?

In dem von Holz mitverfassten Jungle World-Papier, das im Zentrum der Auseinandersetzung steht, wird Israel für den Terrorismus der Palästinenser verantwortlich gemacht und zugleich die "linke Solidarität" mit den Palästinensern als den „Opfern“ gefordert. Die Autoren schreiben: "Eine Linke, die ihren Namen verdient, müsste
hingegen gemeinsam mit israelischen Linken die sofortige Beendigung der israelischen Okkupation, den Abbau der Siedlungen sowie Friedensverhandlungen unterstützen. Das würde eine kritische Solidarität mit den linken Bewegungen in Israel einschließen, die sich gegen die Besatzungspolitik engagieren, statt einer politisch irrelevanten
Anbiederung an einen starken Staat [...] Linke Solidarität sollte sich vor allem an die in der Gegenwart Unterdrückten richten, also an PalästinenserInnen. Die israelische Besatzung ist der Ausdruck eines Staatsterrorismus, die palästinensische Gewalt ist eine Reaktion darauf. Dieser Grundsatz darf aber nicht dazu verleiten, alle anderen Einflüsse auf den palästinensischen Widerstand zu ignorieren. Während in der ersten Intifada zum Beispiel Frauen eine bedeutende Rolle einnahmen, werden sie nun von patriarchalischen Kräften aus dem politischen Leben verbannt. [...] Es ist interessant zu beobachten, dass einige der bekanntesten VertreterInnen der israelischen radikalen Linken eine (gegenüber pro-israelischen Positionen) entgegengesetzte Haltung einnehmen. Manche israelischen AktivistInnen weigern sich, als BürgerInnen eines repressiven Staates öffentlich die palästinensischen Selbstmordattentate zu denunzieren. Michael Warschawski sieht seine Rolle als Israeli im Kampf gegen die 50jährige Unterdrückung einer vertriebenen und rechtlosen Bevölkerung nicht darin, die PalästinenserInnen über Wege und Mittel ihres Kampfes zu belehren. Diese hierzulande schwer nachvollziehbare Position bedeutet keine Gleichgültigkeit gegenüber den völlig willkürlich gewählten Opfern der Attentate, sondern ist Ausdruck des Bewusstseins, dass die palästinensische Gewalt ein Resultat des israelischen Staatsterrorismus darstellt."
Auch der in diesem Papier auftauchende linke Kampfbegriff vom „Apartheidsystem“ (angelehnt an den früheren Apartheidstaat Südafrika!) für Israel ist ein ungeheurer Versuch der Gleichsetzung Israels mit dem früheren rassistischen Unterdrückerregime, obwohl Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten darstellt und eine solche Politik nicht betreibt. Solche Zuschreibungen im Jungle World-Papier dämonisieren den israelischen Staat.

Beide Aussagen über den "israelischen Staatsterrorismus" und „Apartheidsystem“ als Ursachen des palästinensischen Terrorismus und die Forderung nach eindeutiger Solidarität mit den palästinensischen, nicht aber den israelischen Opfern des Nahost-Konflikts, stellen in ihrer schlichten Einseitigkeit und Dämonisierung Israels aber klassische Muster der antisemitisch eingefärbten, antizionistischen Israelkritik von links dar. Dieser nötige Hinweis bedeutet nur, dass jener höchst fragwürdige Text einige Beispiele für linken Antisemitismus enthält. Mehr sagen weder Rensmann noch andere. Ein Wissenschaftler, der den wissenschaftlichen Ehrenkodex gegenüber seinen Kritikern so hervorhebt, würde besser tun, sich von dieser linken ‚Intifada’-Schrift von 2002 klar zu distanzieren. Solche nötigen Aufdeckungen und Decodierungen des Jungle-World-Dossiers arbeitet Rensmann in seiner Dissertation heraus. Holz suggeriert dagegen, das Aufzeigen problematischer antisemitischer Ideologeme in Texten, eine der wichtigsten Aufgaben qualitativer Antisemitismusforschung, bedeute, Autoren solcher würden pauschal als Antisemiten dargestellt. Wenn dieser von Holz verwendete Trick funktioniert, würde dies das Ende jeder Antisemitismusforschung bedeuten. Dann bliebe nur noch Horst Mahler als Forschungsobjekt übrig. Zum weiteren Beitrag von Matthias Lorenz wäre kurz zu sagen: Auch Lorenz bedient sich in seinem letzten Beitrag auf der Website von H-Soz-u-Kult des Tricks, eine als antisemitisch analysierbare Aussage sofort mit einem Antisemitismusvorwurf gegen eine Person gleichzusetzen, weshalb jemand dann nicht mehr als Antisemitismusforscher tätig sein dürfte. Dies verhindert jede (selbst-)kritische Debatte über Ideologeme und Texte. Es verhindert auch jeden sensiblen Umgang und jede Selbstreflektion mit latenten - nicht immer bewussten - antisemitischen Semantiken und Codes.

Klaus Holz hat m.E. ein wichtiges, interessantes und diskutierenswertes Buch zum nationalen Antisemitismus geschrieben, mit dem man nicht in allen Punkten einverstanden sein muss. Auch auf solche differenzierten und würdigenden Sichtweisen zu Holz Habilitation geht Rensmanns Studie ein. Wo kämen wir hin, wenn faire wissenschaftliche Debatten und ein pluralistisches Forschungsverständnis zu wichtigen Themen nicht mehr möglich sind? Kampagnen, die mit dem unmöglichen Beitrag von Lorenz in H-Soz-u-Kult begannen, dienen leider nicht dazu.

Martin Ulmer
AG „Jüdische Studien“ am Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen; Felix Posen Fellow der Hebrew Universität Jerusalem

Anmerkungen:
1 So kommt Martin Kloke in einer umfassenden Erforschung des gegenwärtigen linken Antisemitismus und Antizionismus in Deutschland zum Ergebnis, dass die Anti-Globalisierungsbewegung "immer neu [...] ihre offene Flanke gegenüber einem antizionistisch grundierten Antisemitismus" offenbare, und auch "in jüngster Vergangenheit haben sich linksradikale und -extreme Gruppen immer wieder ihrer antizionistischen Grundüberzeugungen vergewissert." Vgl. u.a. Kloke, Martin W., Antizionismus und Antisemitismus als Weltanschauung? Tendenzen im deutschen Linksradikalismus und -extremismus, in: Bundesministerium des Innern (Hg.), Extremismus in Deutschland, Berlin 2004, S. 163-196.
2 Laut Thomas Haury sind seit der "zweiten Intifada" u.a. die "verbreitet auftauchenden latent oder offen antisemitischen Haltungen in der linken Publizistik und bei linken und linksextremen Parteien, die gemeinsamen antiisraelischen Demonstrationen von Islamisten, orthodoxen Linken und Globalisierungsgegnern, wie auch der verbreitete linke Antiamerikanismus [...] Alarmsignale". Haury, Thomas, Der neue Antisemitismusstreit in der deutschen Linken, in: Rabinovici, Doron; Speck, Ulrich; Sznaider, Natan (Hgg.), Neuer Antisemitismus? Eine globale Debatte, Frankfurt a.M. 2004, S. 143-167, S. 167.
3 Vgl. auch Zentrum für Antisemitismusforschung, Manifestations of anti-Semitism in the European Union, Draft 20 February 2003 (http://www.fritz-bauer-institut.de/aktuelles/anti-semitism_in_the_european_union.pdf).


Von Kloke, Martin22.02.2006

Bemerkungen zur "Debatte" zwischen Matthias Lorenz und Klaus Holz vs. Lars Rensmann

Die Studie "Demokratie und Judenbild" von Lars Rensmann habe ich vor zwei Jahren sehr genau gelesen – sie ist in meinen Augen das Beste, was in den letzten Jahren zu diesem Thema erschienen ist. Und ich weiß, wovon ich schreibe – seitdem ich vor gut 15 Jahren die erste mentalitätsgeschichtliche Untersuchung zum israelfeindlich motivierten Antisemitismus in der deutschen Linken veröffentlicht habe. 1

Rensmann hat mit feinem seismografischem Gespür die mehr denn je vitalen Potenziale des Antisemitismus eruiert und dekodiert sowie manche "antirassistische" Selbstgewissheit linker und liberaler 68er-"Lichtgestalten" erschüttert. Rensmanns umsichtige und feinsinnige Quellenanalyse, die einen erschreckend weit verbreiteten "Schuldabwehrantisemitismus" sogar in der Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft zutage fördert – auch dort, wo man es gemeinhin nicht vermuten mag –, hat mir seinerzeit großen Respekt eingeflößt. Fühlte ich mich 1990 mit meinen Forschungsergebnissen noch ziemlich allein auf weiter Flur, so hat sich seit einigen Jahren ein erfreulicher Paradigmenwechsel in Teilen der jungen kritischen Politikwissenschaft vollzogen. Lars Rensmann steht beispielhaft für jene neuen theoriegestützten Ansätze, die nüchtern konstatieren und tabulos interpretieren, warum auch in linksdeutschen und "kritischen" Milieus antisemitische "Judenbilder" virulent sind – empirisch hinlänglich belegte Fakten, die für etablierte Meinungsführer der "kritischen" Intelligenz offenbar noch immer eine Zumutung darstellen, die man in apologetischer Manier glaubt weit von sich weisen zu müssen.

Dass der Berliner/Potsdamer Politologe bei aller wissenschaftlichen Akribie seine ethischen Orientierungspunkte nicht verleugnet, mindert den Wert und die Bedeutung seiner Untersuchung keineswegs, im Gegenteil. Ich habe Rensmanns fulminante Untersuchung seinerzeit nicht rezensiert, weil ich es normalerweise vorziehe, jene Bücher zu besprechen, die mir an der einen oder anderen Stelle gegen den Strich gehen – vielleicht eine etwas fahrlässige hedonistische Einstellung, die mir ankreiden kann, wer mag. Jetzt aber, wo ich Zeuge dieser Angriffe von Klaus Holz und Matthias N. Lorenz gegen die wissenschaftliche Reputation von Lars Rensmann geworden bin, sehe ich mich genötigt, mein Schweigen zu brechen.

2002 habe ich die Gelegenheit genutzt, die Leipziger Habilitationsschrift von Klaus Holz in der Zürcher Zeitschrift "Judaica" wohlwollend zu besprechen. 2 Zur positiven Gesamtbewertung stehe ich im Kern auch heute noch. Zwar war mir aufgefallen, dass Holz um die Problematik des aktuellen 1968er, Post-68er resp. globalisierungskritischen Antisemitismus einen weiten Bogen macht. Gleiches musste ich seinerzeit auch im Hinblick auf die islamistische Variante des Antisemitismus konstatieren. Doch war ich in jener Zeit, dem Höhepunkt der medial auf breiter Front inszenierten antiisraelischen Ressentiments froh, dass überhaupt jemand in der linksliberalen "scientific community" Formen des Antisemitismus wissenschaftlich-seriös aufzuarbeiten versucht. Ich zog es vor, statt über das halbleere Glas zu lamentieren, das halbvolle Glas zu würdigen. Heute würde ich die ansonsten sehr gehaltvolle Studie von Klaus Holz vermutlich ein wenig kritischer in den Blick nehmen – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Studien von Lars Rensmann.

Es verwundert mich jedes Mal aufs Neue zu sehen, dass auch reputierliche Wissenschaftler und Publizisten wie Wolfgang Kraushaar, Tilman Fichter oder Klaus Holz sehr abweisend reagieren können, wenn die eigenen politisch-biografischen Herkünfte, Verwicklungen bzw. liebgewordenen Identitäten von jüngeren, naturgemäß unbefangeneren Beobachtern in ein kritisches Licht gerückt werden. Das ist bedauerlich, weil dadurch ein politisch-psychologisch notwendiger therapeutischer Prozess der Katharsis blockiert wird. Auch in dieser unseligen "H-Soz-u-Kult"-Debatte sind wir Zeugen von Projektions- und Entlastungsversuchen, die den antisemitischen "Balken im eigenen Auge" (nämlich im Post-68er-Milieu) nicht sehen wollen. Abwehrmechanismen gegen die Entzauberung der eigenen politischen Biografie ist mental verständlich, doch verstellen sie den Blick auf die Realitäten: Wie kann es sein, dass linke Vordenker den Staat Israel mit geradezu libidinösem Eifer zu dämonisieren und zu delegitimieren versuchen und z. T. noch heute keine selbstkritischen Reflexionen zuwege bringen (wie etwa Klaus Holz & Co. in jenem berüchtigten Jungle World-Text (Nr. 47, 2002)?

„Die Kinder der Täter neiden den Kindern der Opfer die weiße Weste“ – so erklärte sich der spät einsichtig gewordene Schriftsteller Gerhard Zwerenz die krude Mischung aus antiimperialistischen Gewissheiten und antisemitischen Ressentiments ausgerechnet in linksdeutschen Milieus. 3 In der Tat zeigt der Blick auf interne Meinungs- und Gefühlsäußerungen, dass die israelfeindliche Wende in der deutschen Linken von Anbeginn von einem Bedürfnis nach Entsorgung der deutschen Vergangenheit begleitet war. Das später unter Helmut Kohl popularisierte Diktum von der „Gnade der späten Geburt“ tauchte zum ersten Mal ausgerechnet im Kontext der Neuen Linken auf: Am 8. Juni 1967 schrieb APO-Aktivist Eberhard Sommer an Günter Grass, der sich damals an Solidaritätsaktionen zugunsten des bedrängten Israels beteiligt hatte: „Ich bin kein Antisemit. Ich habe aber keine besondere moralische Verpflichtung gegenüber Israel (...) Sie können nicht die Folgen Ihrer eigenen schuldhaften Verstrickung auf uns junge Menschen übertragen.“ 4 Diese frühe Schlussstrich-Mentalität sollte weit über die APO hinaus fragwürdige Nachahmer finden – nicht zufällig gehören obsessive Vergleiche der Politik Israels mit den Nazis bis heute zum Standardrepertoire jener teils linken, teils rechten „Israelkritiker“, die nach moralischer Kompensation für die NS-Verbrechen gieren.

Schließlich fällt auf, dass bis heute nicht wenige Linke in die Vorstellung vernarrt sind, der moderne Judenhass begänne an der Rampe von Auschwitz oder – wenn es hochkommt – im Bombenhagel einer antizionistischen Stadtguerilla. Alles, was sich im ressentimentgeladenen Vorfeld des Vernichtungsantisemitismus abspielt, wird klein geredet, getreu dem zynischen Bonmot: „Antisemitismus ist, wenn man die Juden noch weniger leiden kann als es an sich natürlich ist." 5 Selbst der Politologe Wolfgang Kraushaar, dem mit seiner verdienstvollen Fallstudie über die linksradikalen Drahtzieher des missglückten Anschlags von 1969 auf das jüdische Gemeindehaus in Berlin Anerkennung zu zollen ist, vertritt eine derartige Engführung des Antisemitismusbegriffs: Die Tatsache, dass Bombenleger Albert Fichter bald nach seiner Tat und ein Mitstreiter schließlich bei der Vorbereitung eines Anschlags auf einen jüdischen Kindergarten von Gewissensbissen geplagt wurden, sind für Kraushaar allen Ernstes Belege dafür, die 68er als „Bewegung“ weitgehend von antisemitischen Impulsen freisprechen zu können. 6

Der von autobiografischen Exkulpationsversuchen ungetrübte Blick in die frühen nahostpolitischen Gehversuche der APO fördert indes ein erstaunlich klares Gesamtbild zutage: Noch Anfang Juni 1967, als sich Israel der Eskalationsstrategie der arabischen Anrainerstaaten durch einen Präventivschlag zu erwehren suchte, beteiligten sich auch linke Strömungen an Solidaritätsaktionen. Unter dem Eindruck einer monströsen antiisraelischen Rhetorik der arabischen Kriegspropaganda schien es, als falle der deutschen Linken eine besondere moralische Verantwortung für die Existenz des jüdischen Staates zu. Doch Israel behauptete sich aus eigener Kraft – gegen eine quantitative Übermacht arabischer Armeen, die von der Sowjetunion ausgerüstet worden waren. Der bedrängte „David“ schien sich binnen weniger Tage zu einem übermächtigen „Goliath“ verwandelt zu haben. Israel war nun endgültig ein Teil des Westens geworden, psychologisch unterstützt durch die eruptive Israel-Begeisterung bürgerlich-konservativer Kreise. Vor diesem Hintergrund schlussfolgerten viele Anhänger der aufkommenden Studentenbewegung: „Wenn Springer für Israel ist, können wir nur dagegen sein“. 7 Der einst als progressiv begriffene jüdische Pionierstaat wurde in öffentlichen Erklärungen bald nur noch als „Brückenkopf des US-Imperialismus“ in Arabien wahrgenommen. An einer PLO-Konferenz in Algier im Dezember 1969 nahmen zahlreiche deutsche Linke teil, darunter der damalige SDS-Vorsitzende Udo Knapp, der heutige Europa-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit sowie Ex-Bundesaußenminister Joschka Fischer. Auch wenn das Erinnerungsvermögen einiger Teilnehmer heute getrübt zu sein scheint, gilt als sicher, dass in den martialischen Reden von Yassir Arafat und anderen PLO-Funktionären der „Endsieg“ über Israel beschworen und eine Atmosphäre der Gewalt verbreitet wurde. 8 Der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad hätte an der Agitpropaganda jener Tage seine helle Freude gehabt. – Gibt es irgendeinen legitimen Grund, solche und ähnliche Vorfälle kommunikativ zu beschönigen oder gar zu beschweigen?

Der Versuch, Grenzmarkierungen zu ziehen, um die APO und die deutsche Linke als Ganzes vor dem Verdacht des antizionistischen Antisemitismus in Schutz zu nehmen, sollte endlich zugunsten einer ungeschminkten Aufarbeitung auch der blinden Flecke in der deutschen Linken aufgegeben werden.

Dr. Martin Kloke
Redakteur für Bildungsmedien im Cornelsen Verlag Berlin und freier Publizist

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu u. a. meine Veröffentlichungen: Israel und die deutsche Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses (Schriftenreihe des Deutsch-Israelischen Arbeitskreises für Frieden im Nahen Osten, Band 20), Frankfurt/Main 1990; aktualisierte und erweiterte Neuauflage (mit einem Vorwort von Micha Brumlik), Schwalbach/Ts. 1994; Endzeitfieber und Pulverfass. Israel und der christliche Fundamentalismus in Deutschland, in: Zeitschrift für Theologie und Gemeinde (ZThG). Hrsg. von der Gesellschaft für Freikirchliche Theologie und Publizistik (Hamburg), 9. Jg, 2004, S. 141-162 (http://www.compass-infodienst.de/Compass/compass_extra/kloke.htm); 40 Jahre deutsch-israelische Beziehungen. Info aktuell. Informationen zur politischen Bildung. Hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2005.
2 Vgl. Judaica. Beiträge zum Verstehen des Judentums (Zürich), Heft 1, März 2002, S. 70 (Rezension zu Klaus Holz: Nationaler Antisemitismus. Wissenssoziologie einer Weltanschauung, Hamburg 2001).
3 Vgl. Zwerenz, Gerhard, Die Rückkehr des toten Juden nach Deutschland, Ismaning bei München 1986, S. 208.
4 Offener Brief von Eberhard Sommer an Günter Grass zur Israel-Hilfe, 8.6.1967 (Gollwitzer-Nachlass). Zitiert aus: Kloke, Martin, Israel und die deutsche Linke (1994), S. 119.
5 So Broder, Henryk M., Der ewige Antisemit. Über Sinn und Funktion eines beständigen Gefühls, Frankfurt/Main 1986, S. 23 (Neuauflage: ebd., Berlin 2005, S. 49).
6 Vgl. Kraushaar, Wolfgang, Die ultimative Provokation, in: taz, 12.11.2005 (taz-mag, S. III).
7 Kloke, Martin, Und (k)ein bißchen weiser...? Westdeutschlands Linke im Konflikt um Israel, in: Giordano, Ralph (Hg.), Deutschland und Israel: Solidarität in der Bewährung. Bilanz und Perspektive der deutsch-israelischen Beziehungen, Gerlingen 1992, S. 130.
8 Vgl. beispielhaft Knapp, Udo, Die Reise nach Algier. Mit Joschka Fischer in Nordafrika: Wie es war, was uns bewegte, in: FAZ, 15.1.2001, S. 12.


Von Frindte, Wolfgang 27.02.2006

Anmerkungen zur Holz-Rensmann-Debatte

„O Schilda, mein Vaterland!“1, könnte man im 150. Todesjahr Heines ausrufen oder eher mit Paul Feyerabend feststellen, dass man „(...) sich auf die Wissenschaftler einfach nicht verlassen [kann]. Sie haben ihre eigenen Interessen, die ihre Deutung der Evidenz und der Schlüssigkeit dieser Evidenz färben, sie wissen nur sehr wenig, geben aber vor, weitaus mehr zu wissen, sie verwenden Gerüchte, als handele es sich um wohl bestätigte Tatsachen, fromme Wünsche, als handele es sich um grundlegende Prinzipien des wissenschaftlichen Denkens, und selbst die sehr detaillierten Forschungsergebnisse beruhen auf Annahmen, die die Wissenschaftler oft nicht kennen und deren Inhalt und Reichweite sie nicht verstehen (...)“2.
Da streiten sich zwei nicht nur in Deutschland bekannte und ausgewiesene Antisemitismusforscher und ihre Anhänger und inzwischen lachen sich die Antisemiten hier und anderswo schlapp.

Der Antisemitismus ist die kalkulierte Inszenierung der Vernichtung der Juden als Juden. Nicht einzelne Jüdinnen und Juden sind das Ziel der kalkulierten Inszenierung; die Antisemiten verweigern den Juden die Rechtmäßigkeit ihrer Existenz als Mitglieder sozialer Gemeinschaften. Darin zeigt sich die historische Kontinuität des Antisemitismus – trotz der verschiedenen Formen seiner Modernisierung, auf die eben auch Klaus Holz und Lars Rensmann in ihren Arbeiten hingewiesen haben. Ein probates Mittel, um mit antisemitischen Inszenierungen die Rahmenvorstellungen und –erwartungen eines Publikums zu treffen und Identifikationshilfen bereit zu stellen, ist bekanntlich der inszenierte und dramatisierte Einsatz von allgemein bekannten, weil tradierten Symbolen, Metaphern und Mythen. So reicht die inszenierte Argumentation von der „mammonistischen Welt“, um die Mythen von der „jüdischen Weltverschwörung“, dem „raffenden Juden“ etc. zu aktivieren, Mythen, an die sich Antisemiten gut anzuschließen vermögen. Auch die rhetorisch geschickte Verknüpfung antisemitischer Stereotype mit der Kritik an der israelischen Regierungspolitik besitzt offenbar Anschlussfähigkeit. Dies aus theoretisch unterschiedlicher Sicht gezeigt zu haben, zeichnet, so meinte ich bisher, die wissenschaftlichen Arbeiten von Holz und Rensmann gleichermaßen aus. So hat Klaus Holz in „Nationaler Antisemitismus“ u.a. gezeigt, dass zur Semantik des nationalistischen Antisemitismus auch die Camouflage der Judenfeindschaft in öffentlichen Diskursen (z.B. durch antizionistische Argumentationen) gehört. Und Lars Rensmann hat in seiner beeindruckenden Arbeit belegen und erklären können, dass und warum eine solche Camouflage eben auch die Semantik des linken, antizionistischen Antisemitismus charakterisiert. Auch zahlreiche sozialwissenschaftliche Befunde haben ja seit einigen Jahren derartige Verschleierungen der Judenfeindlichkeit belegen können.3 Auch unsere eigenen Studien zeigen in diesem Sinne die positiven Zusammenhänge zwischen traditionellem Antisemitismus, sekundärem Antisemitismus (Schluss-Strichdebatte), Anti-Israelismus und Antizionismus.4 Dass auch solche Personen, die sich in klassischer Weise im linken politischen Lager verorten, antiisraelische und antizionistische Äußerungen zur Bestätigung ihrer Vorurteile nutzen bzw. im öffentlichen Raum auf Anti-Israelismus und Antizionismus als ersatzweise antisemitische Kommunikation zurückgreifen, haben nicht nur deutsche Studien illustriert. Wären das nicht Brücken, auf denen man sich im wissenschaftlichen Streit und in wissenschaftlicher Weise begegnen könnte?

Sozialwissenschaftler, namentlich jene, die wie ich, nach den psychologischen Hintergründen antisemitischer Dehumanisierungs- und Delegitimierungsinszenierungen zu fahnden versuchen, verlieren sich leicht in den mikro-sozialen bzw. individuellen Details besagter Hintergründlichkeiten. Bernd Marin forderte deshalb schon vor Jahren ein anspruchsvolles Forschungsprogramm, dass sowohl die historische Analyse des Antisemitismus bis zum Holocaust als auch die sozialwissenschaftliche Untersuchung des Ausmaßes, der Art und der Intensität des „nach-faschistischen Antisemitismus“ in Europa und dessen Verknüpfung mit der NS-Vergangenheit und dem Nahost-Konflikt einschließt, um so „die veränderte psychosoziale Dynamik des Antisemitismus der Gegenwart zu erkennen und wirksam zu bekämpfen“.5 Ein solch anspruchsvolles Forschungsprogramm existiert bisher nicht. Lars Rensmann hat mit seinem Buch „Demokratie und Judenbild“ Grundzüge eines solchen Programms vorgeschlagen. Und das sollte sich doch würdigen lassen und Ausgangspunkt wissenschaftlicher Debatten sein. Ebenso gehört die Holzsche Analyse über die national-antisemitische Semantik sicher zu den eindrucksvollsten Arbeiten, die in den letzten Jahren zum modernen Antisemitismus vorgelegt wurden. Wenn sich die Protagonisten nun aber in den Paraphrasierungen und Reinterpretationen gegenseitiger Vorwürfe verschleißen, schaden sie sich nicht nur selbst, sondern auch der notwendigen interdisziplinären Kommunikation. Eine solche Kommunikation erfordert allerdings auch Klarheit in der Sprache und die Kompetenz, unterschiedliche wissenschaftliche Diskurse bzw. Sprachspiele nicht zu vermischen. Die Auseinandersetzung über den Israelisch-Palästinensischen Konflikt gehört eben zu einer anderen Diskursebene als der Streit über Ursachen und Formen des Antisemitismus. Werden beide Diskursebenen argumentativ verknüpft, muss man sich nicht wundern, eine „antisemitische Wahrnehmungsstruktur“ 6 diagnostiziert zu bekommen.

Inzwischen treffen sich die Antisemiten zur großen Denial Parade in Teheran, während sich jene, deren Profession es sein müsste, den Antisemitismus als das zu entlarven, „(…) was er zu sein vorgibt: eine tödliche Gefahr für die Juden und sonst nichts“7, in kleinlichen, profilierungssüchtigen Streitereien verheddern. Man gewinnt fast den Eindruck, als gebe es in diesem Lande zu wenig Antisemitismus, dafür aber zu viele Antisemitismusforscher. Es ist hohe Zeit, die wissenschaftlichen Anstrengungen zu bündeln und auf die Gefahren zu richten, die wirklich tödlich werden könnten.

Prof. Dr. Wolfgang Frindte
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Psychologie

Anmerkungen:
1 Heine, Heinrich, Ludwig Börne – Eine Denkschrift, Heinrich Heine Werke, Band 4, Frankfurt a. M. 1968, S. 411.
2 Feyerabend, Paul, Erkenntnis für freie Menschen. Frankfurt a. M. 1980, S. 188f.
3 Bergmann, Werner; Erb, Rainer, Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland 1996, in: Alba, Richard; Schmidt, Peter; Wasmer, Martina (Hgg.), Deutsche und Ausländer: Freunde, Fremde oder Feinde? Empirische Befunde und theoretische Erklärungen, Wiesbaden 2000, S. 401-438; Ahlheim, Klaus; Heger, Bardo, Die unbequeme Vergangenheit. NS-Vergangenheit, Holocaust und die Schwierigkeit des Erinnerns. Schwalbach/Ts. 2002; Salzborn, Samuel; Schwietring, Marc, Antizivilisatorische Affektmobilisierung. Zur Normalisierung des sekundären Antisemitismus, in: Klundt, Michael; Salzborn, Samuel; Schwietring, Marc; Wiegel, Gerd (Hgg.), Erinnern, verdrängen, vergessen. Geschichtspolitische Wege ins 21. Jahrhundert, Giessen 2003; Heyder, Aribert; Iser, Julia; Schmidt, Peter, Israelkritik oder Antisemitismus? Meinungsbildung zwischen Öffentlichkeit, Medien und Tabus, in: Heitmeyer, Wilhelm (Hg.), Deutsche Zustände, Frankfurt a. M. 2005, Bd. 2, S. 144-165.
4 Frindte, Wolfgang; Wettig, Susan; Wammetsberger, Dorit, Old and new anti-Semitic attitudes in the context of authoritarianism and social dominance orientation – two studies in Germany. Peace and Conflict, in: Journal of Peace Psychology, 11(3) 2005, S. 239-266; Frindte, Wolfgang, Vom Antisemitismus und der Banalität der Bösen – ein Pamphlet, Wiesbaden 2006.
5 Marin, Bernd, Antisemitismus ohne Antisemiten, Frankfurt a. M., Berlin 2000, S. 108.
6 Rensmann, Lars, Demokratie und Judenbild, Wiesbaden 2004, S. 89.
7 Arendt, Hannah, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, München, Zürich 2001 (Original 1951), S. 38.


Von Hohls, Rüdiger23.06.2006

Tilmann Lahme: Historische Fußtritte - Antisemitismus? Die Netz-Zeitschrift "H-Soz-u-Kult" streitet, In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.03.2006 (Feuilleton).

Micha Brumlik: Die Rezension als gut getarnte Waffe, In: die tageszeitung, 18.03.2006 (Kultur), S. 21. http://www.taz.de/pt/2006/03/18/a0214.1/text

Klaus Holz: Besser streiten. Wie eine Analyse des islamistischen und antizionistischen Antisemitismus zur kruden Israelfeindschaft verkehrt wird. Eine Antwort auf Micha Brumlik, In: die tageszeitung, 06.04.2006 (Kultur), S. 16. http://www.taz.de/pt/2006/04/06/a0271.1/text


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