Unsere Russen - Unsere Deutschen

Unsere Russen - Unsere Deutschen

Veranstalter
Deutsch-Russisches Museum Berlin Karlshorst, Staatliches Historisches Museum Moskau Gefördert durch WINGAS GmbH und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Unterstützt durch die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg Medienpartner rbb radioeins, Zeitgeschichte-online (12386)
rda_hostInstitution_reex
12386
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
08.12.2007 - 02.03.2008

Publikation(en)

Cover
Deutsch-Russisches Museum Berlin-Karlshorst (Hrsg.): Unsere Russen - Unsere Deutschen. Bilder vom Anderen 1800 bis 2000. Berlin 2007 : Christoph Links Verlag, ISBN 978-3-86153-460-0 255 S. € 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan C. Behrends, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sind zugleich Thema aktueller Diskussionen und historischer Forschung. Wegen der wechselseitigen Faszination, die in beiden Gesellschaften bis heute anhält, und der Verstrickungen beider Länder in die Katastrophengeschichte des 20. Jahrhunderts liegt es nahe, die Geschichte deutsch-russischer Begegnungen und Konflikte anhand kultureller Artefakte aus den vergangenen zwei Jahrhunderten zu analysieren und nachzuerzählen. Dies war das Anliegen der hier besprochenen Ausstellung, die im Winter im Schloss Charlottenburg zu sehen war. Als Schirmherr betont der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Vorwort des Kataloges, dass zwischen beiden Ländern auf vielen Ebenen ein Dialog existiere, „der auch schwierige Themen nicht ausspart“ (S. 6). Das traf bei der Charlottenburger Ausstellung jedoch nur bedingt zu – sie reduzierte über Gebühr die Komplexität des Themas. Texte, Exponate und Gliederung sorgten dafür, dass nur die Oberfläche deutsch-russischer Begegnungen berührt wurde. Dies führte dazu, dass in der Ausstellung häufig diejenigen Klischees über den Anderen reproduziert wurden, die hier eigentlich dekonstruiert werden sollten. Dieses Ergebnis hing auch mit der Auswahl der Quellen zusammen: Vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart zeigten die Macher eine Vorliebe für Massenmedien als Ausstellungsobjekt. Die zahlreichen Karikaturen waren zwar ebenso interessant wie die Propagandaplakate der totalitären Epoche; doch diese Bilder zeigten eine überzeichnete, vereinfachte Repräsentation der anderen Seite. Es fehlten Alltagszeugnisse oder Mikrostudien über Räume intensiver Begegnung. Die Ausstellung war von verschiedenen Bildgenres (Stich, Foto, Karikatur, Plakat, Zeitschriftentitel) geprägt, die von einzelnen Artefakten ergänzt wurden. Auf längere Erläuterungen, Textquellen und interaktive Elemente wurde weitgehend verzichtet.

Während sich die Ausstellungsmacher an konventionellen Zäsuren deutscher Geschichte (1815, 1848, 1914, 1933, 1945, 1990) orientierten, wirken sowohl das Ausgangsjahr 1800 als auch der Schluss im Jahr 2000 willkürlich gewählt – für die Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen spielen sie keine besondere Rolle. Diese Gliederung war nicht folgenlos: Der abrupte Einstieg in die Beziehungen unterschlug den Beginn preußisch-russischer Nachbarschaft durch die Teilungen Polens. Von der „negativen Polenpolitik“ (Klaus Zernack), dem diplomatischen Fundament der Freundschaft Preußens zu Russland, erfuhr der Betrachter kaum etwas. Dieses Manko verfolgte die Ausstellung durch alle ihre Räume und im Katalog: Polen als der Dritte, ohne den die schwierige deutsch-russische Beziehung nicht zu denken ist, blieb abwesend. Dass die deutsch-russische Nachbarschaft im 19. Jahrhundert auf der Liquidation polnischer Staatlichkeit beruhte, wurde nicht thematisiert. Außerdem erscheint es wenig plausibel, die gemeinsame Geschichte vornehmlich nach den etablierten Zäsuren der deutschen Geschichte zu gliedern. Mit der Ausnahme des Jahres 1945 haben die gewählten Einschnitte für den russischen Fall keine herausgehobene Bedeutung.

Der russisch-französische Krieg bildete den Auftakt des Überblicks über das 19. Jahrhundert. Tatsächlich führte dieser Konflikt, in dem Hunderttausende deutsche Soldaten unter den Invasoren der Grande Armée waren, zu einer massenhaften Begegnung mit der russischen Kultur. Schließlich kamen die russischen Kosaken 1813/14 auf dem Weg nach Paris durch zahlreiche deutsche Städte. In den Medien des 19. Jahrhunderts – in Flugschriften, Zeitungen und Journalen, aber auch in der Kunst und der Konsumkultur – entstanden in diesen Jahrzehnten die Klischees vom jeweils Anderen, die bis in die heutige Zeit im kulturellen Gedächtnis beider Gesellschaften verankert sind. Bilder von russischen Kosaken und von einer Gesellschaft, die unter der sprichwörtlichen „Knute“ der Herrschenden leidet, können bis heute ebenso abgerufen werden wie die russische Vorstellung vom pedantischen Deutschen, der sich sowohl durch seine Humor- als auch Herzlosigkeit auszeichnet. Während viele aussagekräftige Exponate die weite Verbreitung dieser Vorstellungen dokumentierten, wurde die Entstehung und die Plausibilität dieser Stereotypen in ihrem kulturellen Kontext kaum hinterfragt. Diese Fragen wären jedoch weiterführend gewesen.

Auch die Bilder vom Anderen, mit denen die deutsch-russischen Beziehungen im 20. Jahrhundert illustriert wurden, stammten bevorzugt aus den Massenmedien. Als neue Quellen traten nun allerdings die Produkte der totalitären Propaganda hinzu, die in der Sowjetunion, im nationalsozialistischen Deutschland und der DDR entstanden. Die starke Konzentration auf diese Medien und auf die Publizistik des Kalten Krieges führte dazu, dass sich auch die Darstellung des 20. Jahrhunderts in weiten Teilen auf die kommentierte Wiedergabe etablierter Rollenmuster beschränkte. Durch die Aufteilung in die beiden Sphären der „Russen“ und „Deutschen“ erlag die Ausstellung außerdem der Gefahr, diejenigen Dichotomien zu wiederholen, die von den Propagandastaaten seit 1914 massenweise geschaffen wurden. Mit Blick auf die Gegenwart endete die Präsentation jedoch versöhnlich. Schließlich, so die These der Ausstellung, pluralisierten sich mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes auch die Bilder vom Nachbarland und die etablierten Feindbilder verloren an Wert. Lediglich die Kritik der deutschen Medien am autoritären Rückbau im heutigen Russland, die sich in den letzten Jahren verstärkt hat, wurde als Rückfall in die Darstellungsmuster des Kalten Krieges gebrandmarkt.

Jede Präsentation kann nur eine kleine Auswahl des jeweiligen Stoffs präsentieren. Die Konzentration auf einige Felder sollte deshalb niemandem zum Vorwurf gemacht werden. Bedauerlicherweise sparte die Charlottenburger Ausstellung jedoch vor allem zahlreiche deutsch-russische Kontaktfelder aus. Dazu gehören sowohl solche Themen, in denen sich deutsche und russische Kultur vermischten als auch solche, die sich dem binären Schema der Ausstellung entziehen. So erfährt der Betrachter kaum etwas über die Emigrationsströme, die von den Umwälzungen des 20. Jahrhunderts ausgelöst wurden. Das „russische Berlin“ oder das Moskau der Komintern waren, wie die neuere Forschung gezeigt hat, Orte, an denen sich Russen und Deutsche nicht nur gegenüberstanden, sondern an denen sich ihre Kulturen vielfältig überschnitten und vermischten. Auch die Darstellung der Beziehungen in der Weimarer Republik blieb in der Ausstellung grob vereinfacht. Die deutsche Rechte wurde pauschal als „antibolschewistisch“ bezeichnet. Für die verschiedenen Faszinationen, die das sowjetische Projekt in Deutschland auf den Seiten der radikalen Linken und Rechten auslöste, hatte die Ausstellung keine Bilder. Die Sowjetunion und das nationalsozialistische Deutschland wurden in Charlottenburg auf ihre Rolle als Antagonisten in Propaganda und Weltkrieg reduziert. Die Frage nach Gemeinsamkeiten und Begegnungen auch im Zeitalter der Extreme wurde leider ausgeblendet. Enttäuschend ist insbesondere die Darstellung des Zweiten Weltkrieges und der sowjetischen Besatzung in Ostdeutschland. Die Genese des Krieges und das deutsch-sowjetische Bündnis vom Sommer 1939 bis zum Sommer 1941 wurden fast komplett unterschlagen. Es zeugt von einer deutsch-russischen Perspektive, die keinen Blick für Ostmitteleuropa hat, dass dem Hitler-Stalin-Pakt, der über Jahrzehnte in der Region für Konfliktstoff gesorgt hat, kein eigener Raum gewidmet wurde. Der deutsche Vernichtungskrieg gegen die UdSSR wurde fast ausschließlich durch Exponate der Kriegspropaganda beleuchtet. Erwartungsgemäß traf der Besucher sowohl auf den nationalsozialistischen „Untermenschen“ als auch auf die Publizistik Ilja Ehrenburgs. Der Alltag von Millionen Soldaten wurde jedoch ebenso wenig thematisiert wie der Holocaust an den sowjetischen Juden. In diese Herangehensweise fügt sich, dass das Bild für die sowjetische Besatzung Ostdeutschlands helfende sowjetische Soldaten zeigte. Hier übernahm die Ausstellung einen Topos aus dem Kanon der DDR: Die Realität von Flucht, Vertreibung und Vergewaltigung blieb ungenannt im Hintergrund. Anregender als die Propagandamaterialien waren die Bilder des ostdeutschen Fotografen Thomas Billhard, der in den 1960er-Jahren die Sowjetunion abseits der Touristenpfade bereiste. Sie sind ein überraschendes Zeugnis der Begegnung mit einem fremden Land, das ohne die Klischees der Bewusstseinsindustrie zu bedienen, direkt zum Betrachter spricht.

Der großzügig bebilderte Katalog entschädigt ein Stück weit für die Mängel der Ausstellung. Er enthält wissenschaftliche Essays von zwei deutschen und zwei russischen Historikern. Peter Jahn, der auch das Konzept der Ausstellung entworfen hat, schreibt über deutsche Russlandbilder des 19. Jahrhunderts und Hans Hecker verfolgt die deutsche Sicht auf Russland in den Jahren 1917 bis 2007. In kulturhistorischer Perspektive erläutert Swetlana Obolenskaja die Ausformung russischer Klischees über Deutsche im 19. Jahrhundert. Natalja Tschewtajkina beschreibt schließlich den Wandel des russischen Deutschlandbildes im katastrophischen 20. Jahrhundert. Der Bildteil des Kataloges zeigt eine Auswahl der präsentierten Artefakte, die jeweils ausführlich und sachkundig erläutert werden. Auch hier ist das Projekt jedoch nicht frei von fragwürdigen Urteilen. So heißt es etwa im Text zu einer katholischen Broschüre über die sowjetische Kirchenpolitik, die als Beispiel der verbreiteten deutschen „Russenfurcht“ vorgestellt wird, das 1930 erschienene Buch sei aufgrund der „Verschärfung“ von Stalins Kirchenpolitik entstanden, die die „Lage der [russischen] Kirche verschlechtert“ habe (S. 126). Hier wäre es durchaus angemessen gewesen, den bolschewistischen Terror gegen die orthodoxe Geistlichkeit auch so zu benennen. Von dem Worpsweder Künstler Heinrich Vogeler wird berichtet, er sei 1941 nach Kasachstan „evakuiert“ worden (S. 124). Hier übernimmt der Text den sowjetischen Euphemismus für eine Zwangsumsiedlung. Eine Karikatur, die den russischen Präsidenten Putin in der Pose russischer Autokraten zeigt, transportiert laut Verfassertext „das alte Klischee des tyrannischen russischen Herrschers“ (S. 176). Nicht nur bei diesen Beispielen wäre ein kritischerer Umgang mit der (post-)sowjetischen Geschichte wünschenswert gewesen.

Der Ausstellung „Unsere Russen, unsere Deutschen“ gelang es nicht, die bereits im Titel angelegte dichotomische Sichtweise auf die beiderseitigen Beziehungen zu überwinden. Auf Grund dieser starren Perspektive und einer Tendenz, die Geschichte der Gewalt und die geteilte Erfahrung totaler Herrschaft auszublenden, fiel sie hinter die Möglichkeiten des Themas zurück und leistete kaum einen Beitrag zur kritischen Aufklärung über die gemeinsame Geschichte. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wäre es auch in einer populären Ausstellung an der Zeit, nicht nur Gegnerschaft, sondern auch die Wahlverwandtschaften zwischen den Diktaturen der europäischen Moderne zu thematisieren. Am Ende bleibt der Eindruck, dass man im Schloss Charlottenburg weniger etwas über deutsch-russische Beziehungen erfahren konnte als über das Selbstverständnis der Berliner Republik. Ihre Geschichtspolitik gegenüber Osteuropa beschäftigt sich primär mit Russland und es scheint darüber Konsens zu bestehen, den alten Narrativ von Freundschaft und Feindschaft weiterzuspinnen und nicht alles darzustellen, was gezeigt werden könnte.