KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Veranstalter
KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora <http://www.dora.de> (12580)
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12580
Ort
Nordhausen
Land
Deutschland

Publikation(en)

Cover
Wagner, Jens-Christian (Hrsg.): Konzentrationslager Mittelbau-Dora 1943-1945. Begleitband zur ständigen Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora. Göttingen 2008 : Wallstein Verlag, ISBN 978-3-8353-0118-4 212 S., 238 Abb. € 14,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernhard M. Hoppe, Fachbereich Soziale Arbeit, Hochschule Mittweida (FH)

In der Nacht vom 17. auf den 18. August 1943 bombardierte die gesamte britische Bomberflotte die Heeresversuchsanstalt Peenemünde auf Usedom, in der die nationalsozialistische Raketenwaffe „Vergeltungswaffe 2“ (V2) entwickelt und bis zu diesem Zeitpunkt auch produziert wurde. Die „Operation Hydra“ verlief zwar militärisch wenig erfolgreich, weil sie wegen eines Markierungsfehlers vor allem die Häftlingslager traf. Sie führte auf deutscher Seite aber zu der Entscheidung, die Produktion der Raketenwaffen unter die Erde zu verlagern, um sie vor weiteren Bombenangriffen zu schützen und möglichst geheim zu halten. Nur zehn Tage später – am 28. August 1943 – erreichte der erste Häftlingstransport mit 107 Häftlingen das Konzentrationslager Dora (nach dem Buchstaben D des Buchstabieralphabets), das als Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald am Südhang des Kohnsteins bei Nordhausen in Thüringen gegründet worden war. Zu diesem Zeitpunkt gab es dort noch keine Lagergebäude, sondern nur den zuerst auch als Unterkunft genutzten Stollen, den die Häftlinge zur Produktionsstätte ausbauen mussten. Die Fertigung der V2 begann dort im Januar 1944.

Im Herbst 1944 wurde das Außenlager Dora organisatorisch vom Stammlager Buchenwald abgetrennt und umbenannt in „Konzentrationslager Mittelbau“ (nach der Lage in der Mitte Deutschlands). Aus dieser Namensänderung resultiert die etwas sperrige Bezeichnung der Gedenkstätte, um beiden Phasen des Lagers gerecht zu werden. Bis zum April 1945 wurde in der Region ein dichtes Netz von insgesamt rund 40 Außenlagern mit mehr als 40.000 Häftlingen (davon 15.000 im Hauptlager) aufgebaut. Die Anlage im Kohnstein war die größte unterirdische Rüstungsfabrik des Zweiten Weltkriegs; die Stollenanlage umfasste am Ende eine Gesamtlänge von etwa 20 km. Das abgesehen von den zurückgelassenen schwerkranken Häftlingen fast leere Lager wurde schließlich am 11. April 1945 durch die 1. US-Armee befreit. Am 1. Juli 1945 wurden die Amerikaner in Nordhausen durch die Sowjets als Besatzungsmacht abgelöst.

Seit September 2006 gibt eine neue Dauerausstellung auf breiter Quellenbasis und auf dem aktuellen Stand der Forschung einen umfassenden Überblick zur Geschichte des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora. Die Ausstellung ist in einem Museumsneubau der Architekten Kleineberg und Pohl aus Braunschweig untergebracht, der von der Architektenkammer Thüringen als ein beispielhaftes Architekturprojekt des Landes im Rahmen des „Architektourpreises“ 2005 mit einer Anerkennung prämiert wurde. Das Zentrum des Gebäudes ist der ca. 430 qm große Ausstellungsbereich im Erdgeschoss, der als Black Box gestaltet wurde, während der Eingangsbereich und die Flächen für die Nebenfunktionen im Obergeschoss Einblicke von außen und interessante Sichtachsen zur Umgebung von innen zulassen. Während bislang umfunktionierte Lagergebäude (das Krematorium und eine rekonstruierte Häftlingsbaracke) als Ausstellungsorte dienten, steht nun ein genuiner Ausstellungsraum zur Verfügung, der sich folgerichtig auch außerhalb des eigentlichen Lagergeländes befindet. Diese Trennung zwischen historischer Substanz und musealer Inszenierung trägt viel zur besseren Lesbarkeit des historischen Ortes bei. Diese wird auch durch ein auf der Terrasse vor dem Museumsgebäude aufgestelltes Geländemodell unterstützt. Seit Februar 2008 liegt zu der Ausstellung zudem ein Katalog vor.

Der Besucher betritt die Ausstellung durch einen Einführungsraum, in dem eine eindrückliche Inszenierung die Situation zum Zeitpunkt der Gründung des Lagers Dora im Jahre 1943 erfahrbar macht: Texte und Bilder erläutern, dass die militärische Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg bereits absehbar war. Joseph Goebbels’ in Bild (kontrastiert mit Bildern des zerstörten Stalingrad) und Ton wiedergegebene so genannte Sportpalastrede vom 18. Februar 1943 zeigt die NS-Ideologie auf beklemmende Weise. Vor zwei Raumwänden liegen Fundstücke aus dem Stollen auf dem Boden; von einem Großfoto blicken dem Besucher zwei zum Zeitpunkt der Lagerbefreiung fotografierte entkräftete Häftlinge entgegen. Der Zusammenhang, in dem sich die in den folgenden Räumen gezeigte Geschichte des Konzentrationslagers Dora-Mittelbau abspielt, wird damit nachvollziehbar und ist auf verschiedenen ästhetischen Ebenen sehr gelungen dargestellt. Störend ist allerdings, dass die in einer Endlosschleife laufende Rede Goebbels’ so laut wiedergegeben wird, dass sie in der gesamten Ausstellung zu hören ist. So verständlich das gestalterische Mittel auch ist, den ideologischen Unterbau akustisch überall präsent zu halten – beim Besucher überwiegt früher oder später die Irritation.

Der in diesem Einführungsraum beginnende und endende U-förmige Ausstellungsrundgang ist übersichtlich gestaltet und klar gegliedert. Die Ausstellung zeichnet sich durch eine sparsame Verwendung von Farben und einen weitgehenden Verzicht auf bewegte Bilder aus. Im oberen Teil der Wandvitrinen vermitteln Texte und Bilder die jeweilige Thematik, darunter finden sich Text- und Bilddokumente sowie Objekte zur Vertiefung.

Der Darstellung der Lagergeschichte folgt ein Abschnitt über die Einweisungsgründe und die Herkunftsländer der Häftlinge sowie über Häftlingshierarchien und das nationalsozialistische System der Zwangsarbeit. In diesem Zusammenhang wird nicht zuletzt auf Fragen der Selbstbehauptung und des Widerstands der Häftlinge eingegangen. Allerdings bleibt auch hier die in der Forschung schon wiederholt ergebnislos diskutierte Frage offen, warum etwa 20 Prozent der eingesetzten Raketen versagt haben und inwieweit dazu eine aktive Sabotage der Häftlinge beigetragen hat. Daran schließt sich ein Bereich zu den Tätern, Mittätern und Zuschauern an. Sowohl den Häftlingen als auch den Tätern werden durch zahlreiche, nicht nur prominente Beispiele Gesichter und Namen gegeben. Den Abschluss bildet ein Kapitel zu den Häftlingstransporten aus anderen Konzentrationslagern, zu den Todesmärschen, zur Befreiung und zu einzelnen Biographien von Häftlingen und Tätern sowie den mit der Thematik verbundenen Diskussionen in der deutschen Öffentlichkeit nach 1945.

Als historische Großobjekte wurden ein Grubenhunt und ein Abortkübel sowie ein Spind aus einer SS-Unterkunft in Dora mit einer Luftwaffenuniform und eine Vitrine mit Lagerkleidung von Häftlingen in die Ausstellung integriert. Dazu kommen einige kleinere Objekte in den Vitrinen wie ein Rosenkranz, ein Ring und eine Zigarettendose. Mit Reproduktionen von Skizzen und einer bemalten Tür aus dem Lager werden auch die wenigen noch vorhandenen Zeugnisse der Bildenden Kunst für die Ausstellungsgestaltung verwendet. Während alle Raumtexte zweisprachig (deutsch und englisch) sind, gibt es zu den Objektbeschriftungen leider keine Übersetzungen. Neben einer Hörstation in der Ausstellung selbst stehen in einem gesonderten Bereich Computerarbeitsplätze zur Verfügung, an denen weitere Zeitzeugeninterviews und vertiefende Informationen zu den Außenlagern abgerufen werden können. Die Ausstellung bietet damit verschiedene Ebenen der Vertiefung und ermöglicht es, die für den Besuch verwendete Zeit individuell zu bestimmen.

Der Leiter der Gedenkstätte Mittelbau-Dora hat in einem früheren Beitrag zum Katalog des Museums Peenemünde sehr zu Recht beklagt, dass in der Öffentlichkeit immer noch ein dichotomisches Bild vom sauberen Peenemünde einerseits und der Hölle im fernen Mittelwerk andererseits vorherrsche.1 Tatsächlich kann weder die Geschichte Peenemündes ohne den Rekurs auf das Konzentrationslager Mittelbau-Dora verstanden werden noch Mittelbau-Dora ohne den Kontext des größten Rüstungsprojekts des Nationalsozialismus. Umso bedauerlicher ist es, dass dieser Zusammenhang in der Ausstellung kaum in den Blick kommt. Zwar gibt es einen Raumtext, der auf das Bombardement Peenemündes als Auslöser für den Aufbau des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora hinweist, doch findet sich kein einziges Objekt zur Raketentechnik. Eine Vitrine zur Erprobung der Raketen zeigt ausschließlich Fotos von einem missglückten Startversuch am Peenemünder Prüfstand VII und verhindert damit die Wahrnehmung der Entwicklungslinie, die vom Konzentrationslager Mittelbau-Dora auch zur technisch erfolgreichen Raketenentwicklung und über das Wettrüsten des Kalten Krieges bis zur Raumfahrt der Gegenwart führt. Dieser Zusammenhang ist in der Ausstellung lediglich über die Biographie Wernher von Brauns präsent. Damit wird leider eine große Chance der politischen Bildung und des Gegenwartsbezugs verschenkt.

Der Katalog dokumentiert die Ausstellung sehr gut und führt unter verschiedenen Aspekten auch über die Ausstellung hinaus. So findet sich dort (S. 175-181) ein Abschnitt zur Geschichte der Gedenkstätte, der über die Historie des konkreten Ortes hinaus sehr instruktiv ist, weil er die antifaschistische Doktrin des Gedenkens in der DDR und die Probleme des konzeptuellen Neuanfangs nach 1990 erläutert: In den 1950er-Jahren wurde im Nordhausener Stadtteil Salza ein mit ideologischen Aufschriften versehener Raketenkörper einer V2 als Mahnmal aufgestellt. 1964 folgte dann die Gründung der „Mahn- und Gedenkstätte Dora“. 1966 entstand im ehemaligen Krematorium die erste Ausstellung mit dem bezeichnenden Titel „Die Blutspur führt nach Bonn“. 1995, unter veränderten politischen Rahmenbedingungen, wurde schließlich als Vorläufer der neuen Dauerausstellung eine provisorische historische Ausstellung in einer rekonstruierten Unterkunftsbaracke eingerichtet. Die inzwischen mehr als 60 Jahre andauernde „zweite Geschichte“ des Nationalsozialismus wird damit im Katalog äußerst anschaulich – bis hin zur Entschädigungsdebatte der 1990er-Jahre. Es ist schade, dass dafür mit Ausnahme der Dora-Prozesse in der Ausstellung kein Platz mehr gefunden wurde.

In der Dankliste des Katalogs (S. 211f.) gibt es ein paar Ungereimtheiten: Die beiden Standorte des Bundesarchivs in Berlin und Koblenz werden so aufgeführt, als gäbe es zwei Bundesarchive. Manchmal wird den Personen, manchmal den Institutionen gedankt (zum Beispiel Dr. Michael Neufeld ohne Nennung seiner Institution, des National Air and Space Museums in Washington). Dies ist bedauerlich, weil eine solche Liste über die Abtragung der Dankesschuld hinaus die Vernetzung der Arbeit verdeutlicht.

Mit der neuen Dauerausstellung ist es der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora überzeugend gelungen, eine Lücke im Netz der dezentralen Erinnerungslandschaft Deutschlands und Europas zu schließen und das lokale Geschehen zugleich in seinen größeren historischen Kontext einzuordnen. Darüber hinaus wird exemplarisch gezeigt, dass der unvermeidliche Übergang zu einer Musealisierung der Geschichte des Nationalsozialismus ohne einen Verlust der biographischen Bezüge und der darin liegenden didaktischen Chancen möglich ist.

Anmerkung:
1 Wagner, Jens-Christian, Opfer des Raketenwahns. Zwangsarbeit in Peenemünde und Mittelbau-Dora, in: Erichsen, Johannes; Hoppe, Bernhard M. (Hrsg.), Peenemünde. Mythos und Geschichte der Rakete 1923–1989. Katalog des Museums Peenemünde, Berlin 2004, S. 43-52, hier S. 43.

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