After Images

Veranstalter
Neues Museum Weserburg/Bremen (14491)
rda_hostInstitution_reex
14491
Ort
Bremen
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.06.2004 - 02.10.2004

Publikation(en)

Friese, Peter (Hrsg.): After Images. . Frankfurt am Main 2004 : Revolver - Archiv für aktuelle Kunst, ISBN 3-937577-84-X 238 S., ca. 80 Abb € 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Horn, FB 9 Kulturwissenschaft, Universität Bremen

After Images – Kunst als soziales Gedächtnis

„After-Images“ so lautet der Titel der Bremer Ausstellung, die Nach-Bilder des Holocaust in der zeitgenössischen Kunst zum Thema hat. Der englische Titel ist gut gewählt, meint er doch nicht nur „Nachbilder“, sondern auch „Nach (den) Bildern“ und lehnt sich an eine Publikation von James E. Young aus dem Jahr 2000 an 1. Das Museum Weserburg konnte neben dem hauseigenen Kunstwissenschaftler Peter Friese noch Guido Boulboullé, James Young und Harald Welzer als Kuratoren gewinnen. Den vier Wissenschaftlern ist eine interessante Ausstellung gelungen, die ausschließlich „nachgeborenen“ Künstler/innen, zwischen Jahrgang 1939 bis 1971, Raum gibt, Fragen nach Geschichte und Erinnerung zu stellen 2. Dabei wird in allen ausgestellten Werken nicht der vergebliche Versuch unternommen, das Grauen repräsentativ artifiziell auszudrücken, sondern die Auseinandersetzung um die Vergangenheit zu thematisieren, die diese Künstler/innen ausschließlich aus Erzählungen, Bildern und Medien kennen.

Bernhard Prinz, Reine Wäsche, 1984/89

Den Auftakt zur Ausstellung bildet eine Arbeit von Bernhard Prinz „Reine Wäsche“ (1984/89; siehe Bild). 16 fotografische Portraits junger Frauen in weißen Blusen schauen die Betrachter in kühler selbstbewusster Gleichgültigkeit an. Obwohl auf den Bildern kein eindeutiges Naziemblem zu erkennen ist, stellt man sogleich die Konnotation zum BDM her und erkennt erst bei näheren Hinsehen, dass es sich hierbei nicht um Bilder aus den 30er/40er Jahren handelt, sondern um solche aus den 80ern. Nicht nur die 16malige Wiederholung der äußeren Attribute (weiße Bluse, altmodische Frisur), sondern auch die starre Haltung und der quasi anonymisierte, historisch kontaminierte Gesichtsausdruck verleiten uns dazu 3. Bei diesem Werk kommt die Nachhaltigkeit verfestigter Bildmuster aus der NS-Zeit bis heute deutlich zum Ausdruck.

General Idea, Nazi Milk, 1979

Auf ähnliche Weise argumentiert das Werk „Nazi Milk“ (1979) der kanadischen Künstlergruppe General Idea (siehe Bild). Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einem ironischen Werbespot, der Nazi-Milk als Stärkung für die Jugend anpreist. Auch hier ist die ikonographische Verbindung nur durch kleine Details, dem Milchbärtchen, der schräg laufenden Lederkoppel und dem Haarschnitt, herzustellen.

Shimon Attie, Finistere Medine/Die Schrift an der Wand, 1992/93

Einen anderen Zugang zur Vergegenwärtigung von Erinnerungswegen verdeutlicht der jüdische US-Amerikaner Shimon Attie mit „The Writing on the Wall“ (1992-98). Als Attie 1992 für mehrere Jahre nach Berlin kam, sah er „jüdische Gespenster an allen Ecken und Enden“. „Während ich durch die Straßen ging, fragte ich mich immer wieder, wo all die Menschen geblieben sind, die einst hier lebten, so Attie 4. Dieses persönliche Empfinden der Präsenz der Absenz veranlasste ihn dazu, seine Eindrücke in einem Projekt der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Mehrere Wochen recherchierte er in Berliner Fotoarchiven, fand dort viele historische Bilder aus dem Berliner Scheuenviertel der 20er und 30er Jahre und war schließlich in der Lage, knapp ein Viertel der Orte in der Gegenwart zu lokalisieren. Er projizierte die Bilder vom jüdischen Leben für ein bis zwei Abende auf die exakten Adressen (S. Bild) – sichtbar für alle. Anhand von Fotografien in Langzeitbelichtung dokumentierte er das Projekt. Diese Fotografien sind in der Ausstellung zu sehen.

Kontrovers wird laut dem Kurator Peter Friese das Exponat „Glückspfennig“ (1996) von Andreas Slominski (D) von den Besuchern rezipiert. Es handelt sich um einen verwitterten Reichspfennig, der in einer Glasvitrine dekontextualisiert und durch die Präsentationsform auratisiert ausgestellt wird. Das Exponat ist mit folgenden Hinweis versehen: „Reichspfennig von 1943. Gefunden am 16.5.1996 auf einem Maulwurfshügel in Buchenwald.“ Und schon greift der an sich banale Gegenstand in das soziale Gedächtnis ein. Wem gehörte der Pfennig – Opfer oder Täter? Welche Geschichte steht dahinter? Was heißt hier eigentlich „Glück“? Und überhaupt: Stimmt das eigentlich, was der Künstler behauptet? Kein anderes Exponat der Ausstellung spielt mit solch minimalistischen Mitteln die bei den Betrachtern individuell anders lautende Klaviatur von historischen Wissen, Emotionen und Assoziationen.

Die Zusammenstellung der Exponate ist gut gelungen, zeigt sie doch nicht nur eine künstlerische Richtung, die die Auseinandersetzung um die NS-Vergangenheit zum Gegenstand hat, sondern gerade die unterschiedlichen künstlerischen Herangehensweisen auf. Vielleicht zeichnet sich die Stärke der Ausstellung gerade dadurch aus, dass die vier Kuratoren unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen angehören. Auf dem Gebiet der Erinnerungsarbeit bereits seit längerem arrivierte Künstler wie Christian Boltanski und Jochen Gerz sind genauso vertreten wie junge Künstler/innen – gerade die Letzteren haben in den Medien durch ihre teilweise provokativen Exponate auf sich aufmerksam gemacht: der NS als Verkehrsunfall im Modelleisenbahnformat von Jake & Dinos Chapman sei hier exemplarisch genannt.

All denjenigen, die den Weg nach Bremen zu dieser empfehlenswerten Ausstellung nicht mehr finden, sei der Katalog empfohlen. Neben Beiträgen von James Young, Peter Friese und Harald Welzer über das soziale Bildgedächtnis ist noch ein Gespräch zwischen den beiden Kunstwissenschaftlern Guido Boulboullé und Detlef Stein abgedruckt. Ein Gespräch über die „Konzeption der Ausstellung, über Avantgarde und Geschichte, über Medien und Bildgedächtnis, über Kunst und Moral“, so der Titel, das viele interessante Fragen anreißt, wie zum Beispiel die nach den aufklärerischen Möglichkeiten der Kunst oder dem nötigen historischen Wissen als Voraussetzung zum Verständnis der ausgestellten Werke. Ersteres wird von beiden nur als möglich betrachtet, wenn Letzteres vorhanden ist – ein Problem, das sich allerdings laut Boulboullé nicht nur auf diese Ausstellung bezieht. Er betrachtet die Möglichkeiten der Kunst vielmehr in der Funktion einer kritischen Instanz, die das soziale Bildgedächtnis vor der Erstarrung bewahrt und verbindliche kulturelle Bildmuster in Frage stellt.

Eine interessante Passage des Gesprächs ist zum Schluss zu finden, als darüber diskutiert wird, wann es sich um moralische Grenzüberschreitungen und Unzumutbarkeiten einzelner Werke handelt. Eine generelle, theoretisch geleitete Antwort konnten und wollten die beiden Kunstwissenschaftler nicht finden. Das Unbehagen wird von Boulboullé vielmehr anhand zweier konkreter Beispiele von Kunstwerken formuliert, auf die die Ausstellung nach intensiven internen Diskussionen aus moralischen Gründen verzichtet hat. Es handelt sich dabei um die Fotomontage „It´s the Real Thing. Self-Portrait at Buchenwald“ (1993) von Alan Schechner, auf der sich der Künstler vor ausgemergelten Häftlingen mit einer Dose Cola in der Hand montierte und um den LEGO-Bausatz „LEGO Concentration Camp Set“ (1996) von Zbigniew Libera. Lediglich Erstem hält Boulboullé vor, dass es nicht über platten Zynismus hinausgehe. Die ausführlichen Erläuterungen des eigenen Standpunkts ziehen sich jedoch an dem jeweiligen Kunstwerk entlang. Wer eine generelle Richtschnur zur Bewertung dessen, was noch geht und was nicht mehr, erwartet, muss jedoch an dieser Stelle enttäuscht werden. Dies wird wohl auch in Zukunft an jedem Werk aufs Neue diskutiert werden müssen.

Anmerkungen:
1 Young, James E., At Memory’s Edge. After-Images of the Holocaust in Contempory Art and Architecture, New Haven and London 2002. Deutsche Ausgabe: Young, James E., Nach-Bilder des Holocaust in zeitgenössischer Kunst und Archtektur, Hamburg 2002.
2 Die vertretenen Künstlerinnen und Künstler sind: Darren Almond (GB), Shimon Attie (USA), Christian Boltanski (F), Jake & Dinos Chapman (GB), General Idea (CAN), Jochen Gerz (D), Rudolf Herz (D), Eckhard Karnauke (D), Korpys/Löffler (D), Mischa Kuball (D), David Levinthal (USA), Bernhard Prinz (D), Ellen Rothenberg (USA), Andreas Slominski (D), Luc Tuymans (B), Piotr Uklanski (PL), Micha Ullman (ISR), Harry Walter (D), Rachel Whiteread (GB), Penny Yassour (ISR).
3 Einen ähnlichen weiblichen Gesichtsausdruck kann man ebenfalls in den Bildern von dem vom NS-Regime bevorzugten Maler Adolf Ziegler erkennen. Zur aseptischen Erotik der Frauenportraits und –akte siehe z. B. Udo Pini, Leibeskult und Liebeskitsch. Erotik im Dritten Reich, München 1992.
4 Attie, Shimon, The Writing on the Wall Project, in: The Writing on the Wall: Projections in Berlin´s Jewish Quarter, Heidelberg, 1994, zit n. Katalog S. 119.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) Ausstellung
Deutsch
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension