GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung

GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung

Veranstalter
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland <http://www.hdg.de/berlin/traenenpalast-am-bahnhof-friedrichstr/> (12309)
rda_hostInstitution_reex
12309
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.09.2011 -
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Potratz, Forschung und Öffentlichkeitsarbeit, Die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, Potsdam

Nachdem die Regierung der DDR am 13. August 1961 die Grenzen zu West-Berlin hatte sperren lassen, stieg die Bedeutung des Bahnhofs Friedrichstraße als Grenzübergang zwischen Ost- und West-Berlin erheblich. Er lag zwar nicht unmittelbar an der innerstädtischen Grenze, doch war er nun der einzige Bahnhof im Ostteil der Stadt, an dem Züge aus dem Westteil Station machten. Im 1936 fertiggestellten Nord-Süd-Tunnel hielten unter anderem die S-Bahn-Züge von Frohnau nach Wannsee sowie im U-Bahn-Tunnel die Züge von Tegel nach Mariendorf. Auf der Stadtbahnstrecke hielten nicht nur die Fernzüge, sondern auf einem Bahnsteig endeten die aus dem Westen der Stadt ankommenden S-Bahnen, während auf dem benachbarten Bahnsteig die S-Bahn-Züge aus dem Ostteil der Stadt endeten. Vier der fünf Bahnsteige durften nur von Bundesbürgern und Ausländern betreten werden – sowie den wenigen DDR-Bürgern, die das Privileg besaßen, in den Westen reisen zu dürfen. Der Grenzbahnhof Berlin-Friedrichstraße wurde, um den Sicherheitsvorstellungen der SED-Führung gerecht zu werden, vollständig verbaut. In seinem Innern entwickelte sich ein System von Gängen und Zwischenräumen, so dass die meisten Reisenden die Orientierung verloren. Die Kontrollen bei der Einreise in die „Hauptstadt der DDR“ fanden in diesen Gängen statt. Nach der Passkontrolle fiel der Mindestumtausch an (seit 1964), und anschließend folgte die Zollkontrolle. Vereinzelt wurden Intensivkontrollen bei den Reisenden durchgeführt, zu denen sie in fensterlose, mit gusseisernen Türen verschließbare Räume gesperrt wurden. Die Bahnsteige selbst wurden von bewaffneten Angehörigen der Grenztruppen bewacht; später observierten Videokameras die Anlage. Dieser Ausbau des Bahnhofs führte zur Einschüchterung nicht nur derjenigen, die nach Ost-Berlin wollten, sondern auch jener, die hier umstiegen oder in den Intershops einkauften, also von West nach West fuhren. Man kann in der Tat von einem „Durchgangsbahnhof der Gefühle“ sprechen.1

Während die „Hauptstadt-Besucher“ nach der überstandenen Kontrolle schließlich irgendwo auf der „Ostseite“ des Bahnhofs herauskamen, errichtete die DDR im Juni 1962 für die Ausreisenden einen gläsernen Pavillon nördlich des Bahnhofs. Er war mit dem Bahnhof durch einen fensterlosen Gang verbunden und erhielt schnell den Namen „Tränenpalast“, weil sich vor ihm Ost- und Westdeutsche sowie Ausländer voneinander verabschieden mussten. In diesem modern gestalteten Pavillon zeigt die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit dem 15. September 2011 die Dauerausstellung „GrenzErfahrungen. Alltag der deutschen Teilung“. Dem Haus der Geschichte ist dafür zu danken, dass es somit den Bau sichert und sinnvoll nutzt. Zugleich stellt sich die Frage, warum sich keine Berliner Institution um den Ort bemühte (zum Beispiel die Stiftung Stadtmuseum Berlin) und diesen wichtigen Teil der Berliner Zeitgeschichte gestaltete.

Die Ausstellung konzentriert sich auf die Folgen der deutschen Teilung für die Bürger und auf die DDR-Grenzkontrollen. Das wichtigste Exponat hierfür ist ein originaler Passabfertigungsschalter, der so inszeniert wurde, dass die damalige Enge noch heute spürbar wird. Eingerahmt wird diese Geschichte von den Eckdaten: dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der Besetzung und Teilung Deutschlands sowie der Friedlichen Revolution 1989/90 und der Wiedervereinigung. Ein kurzer Einleitungstext im ersten Abschnitt der mit erklärenden Worten ansonsten sehr sparsam umgehenden Ausstellung benennt aus Sicht der Kuratoren die Axiome zur Bewertung dieser deutschen Geschichte: „Im Westen entsteht die demokratische Bundesrepublik, im Osten die Deutsche Demokratische Republik – eine kommunistische Diktatur unter Führung der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands.“ Interviewauszüge mit vor dem Mauerbau geflüchteten Ostdeutschen sowie nach dem Mauerfall von West nach Ost gewanderten westdeutschen Aufbauhelfern dokumentieren unterschiedliche Gründe für das Verlassen der DDR bzw. für einen neuen Lebensabschnitt im anderen Teil des wiedervereinigten Deutschlands. Aus der Zeit nach 1961/62 werden auch ge- und misslungene Fluchtversuche im Bahnhof exemplarisch gezeigt – sowie das erfolgreiche Überlaufen des MfS-Mitarbeiters Stiller in den Westen.

Die kurzen Videosequenzen der Interviews werden in offenen Koffern präsentiert, die mit weiteren persönlichen Exponaten ergänzt werden. Manchmal würde man sich wünschen, etwas mehr von den Biographien zu erfahren – bei den Flüchtlingen vom Leben nach der Flucht und bei den Aufbauhelfern mehr von ihrer Vorgeschichte im Westen –, um die in den Clips vertretenen Auffassungen besser nachvollziehen zu können. Zu überdenken wäre auch die Präsentation der Geschichten in Koffern: In zahlreichen Ausstellungen dienen Koffer der Versinnlichung von Reisen, Flucht oder Vertreibung. In Deutschland und Polen sind sie heute aber zugleich starke Symbole der Deportation der Juden in den Osten und ihrer dortigen Ermordung während des Zweiten Weltkriegs.

In der Ausstellung werden zahlreiche Film- und Fernsehausschnitte sowie andere zeitgenössische Medien verwendet. Bereits im Eingangsbereich endet der Abschnitt zur Geschichte des Ortes mit Aufnahmen und Interviews vom Abbau der Grenzkontrollanlagen im Bahnhof und der Wiederherstellung der S-Bahn-Verbindung auf der Stadtbahnstrecke von Königs Wusterhausen nach Berlin-Wannsee am 30. Juni 1990. In den damaligen Interviews äußern die Passkontrolleure und Grenzsoldaten unterschiedliche Auffassungen über das Ende ihrer Tätigkeit: Während ein Passkontrolleur (in der Regel war dies ein Unteroffizier des Ministeriums für Staatssicherheit) seine Angst vor der drohenden Arbeitslosigkeit herausstellt, freut sich ein anderer, nie wieder an diesen Ort zu müssen.

Ein Modell des Bahnhofs Friedrichstraße zum Zeitpunkt der Teilung gibt einen Eindruck von den komplizierten Wegen innerhalb der Anlage. Blaue und rote Figuren stehen für die Ein- und Ausreisenden – ein gelungenes Hilfsmittel, um den Ausstellungsbesuchern, die heute an einer Shopping Mall mit Gleisanschluss ankommen, die Sperren und Hindernisse des Grenzbahnhofs zu veranschaulichen. Der Bahnhof Friedrichstraße war ein besonderer Grenzübergang zwischen der DDR und der Bundesrepublik. Anhand von Briefen und Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zeigt die Ausstellung, wie die Passkontrolleure, die in der Regel der „Linie VI“ des MfS angehörten, den GRÜNEN-Bundestagsabgeordneten Petra Kelly und Gert Bastian die Einreise nach Ost-Berlin verwehrten, wo Kelly und Bastian 1988 unter anderem die in der unabhängigen DDR-Friedens- und Menschenrechtsbewegung aktiven Gerd und Ulrike Poppe treffen wollten. Doch auch Politiker anderer Parteien, etwa Helmut Kohl, erhielten einen besonderen Vermerk in den Akten der Staatssicherheit anlässlich ihres Grenzübertritts am Bahnhof Friedrichstraße.

Der vorletzte Teil der Ausstellung dokumentiert das Ende der DDR: Ausreiseantragsteller und Demonstranten. Natürlich fehlt auch nicht der Fernsehausschnitt von der Pressekonferenz des Politbüro-Mitglieds Günter Schabowski, der am 9. November 1989 schließlich die Öffnung der Grenzen in Gang setzte. Dies leitet über zum letzten Abschnitt der Ausstellung, wo die internationale Politik im Zentrum steht: die Verhandlungen der beiden deutschen Regierungen mit den Vertretern der vier Siegermächte des Zweiten Weltkriegs über die Einheit und Souveränität Deutschlands.

Auf einer Fläche von 550 Quadratmetern wird an die Folgen der Teilung Deutschlands erinnert, vor allem aber an das Grenzregime der DDR im Bahnhof Friedrichstraße. Der Fokus liegt dabei auf dem Kontrollsystem und den Erinnerungen der Reisenden sowie den Auswirkungen der für Ostdeutsche nahezu unüberwindbaren Teilung. Dies wird auch anhand einiger Ost-West-Beziehungen erzählt. Eingebettet in die übrige Erinnerungslandschaft Berlins zum Grenzregime der DDR – im Garderobenbereich liegen Flyer der Stiftung Berliner Mauer aus – erhalten die Besucher hier einen Einblick in die Geschichte der Grenzüberschreitung durch ein Nadelöhr von einem Teil der Stadt in den anderen. Obwohl der Ort selbst Teil des Kontrollsystems war, strahlt er heute kaum noch diese Aura aus. Das liegt vermutlich an der zwischenzeitlich nahezu vollständigen Räumung des Gebäudes und seiner Zwischennutzung als Veranstaltungsort; so wurden viele Spuren entfernt. Dennoch ist der ehemalige „Tränenpalast“ als Ausstellungsort hervorragend geeignet, da er für Berliner und für Touristen verkehrsgünstig und zentral ist. Insofern überrascht es nicht, dass schon drei Monate nach der Eröffnung (also im Dezember 2011) der 100.000. Besucher in der Ausstellung begrüßt werden konnte.

Insbesondere für nach 1989 politisch Sozialisierte und andere Interessierte, die die Teilung der Stadt und des Landes sowie dieses spezifische Grenzsystem nicht erlebt haben, lohnt sich der Besuch. Doch fragt man sich manchmal, ob gerade diese Gruppe ohne eine Führung die Geschichte hinter den präsentierten Geschichten versteht. Angesichts der Zurückhaltung mit erklärenden Texten, die wegen der Fülle von Dokumenten und audiovisuellen Medien durchaus sinnvoll ist, könnte der zusätzliche Einsatz eines Audio-Guides hilfreich sein.

Anmerkung:
1 So Lothar Heinke, Grenzkontrolle im Tränenpalast, in: Tagesspiegel, 30.5.2011, S. 9. In der Ausstellung werden auch die gravierenden Folgen der Einschüchterung gerade für ältere Menschen gezeigt: Es gab insgesamt über 200 Todesfälle am Bahnhof Friedrichstraße.