Plakativ! Produktwerbung im Plakat 1885 - 1965

Plakativ! Produktwerbung im Plakat 1885 - 1965

Veranstalter
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (10443)
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10443
Ort
Nürnberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.11.2009 - 11.04.2010

Publikation(en)

Cover
Germanisches Nationalmuseum Nürnberg (Hrsg.): Plakativ! Produktwerbung im Plakat 1885 - 1965. . Ostfildern 2009 : Hatje Cantz Verlag, ISBN 978-3-7757-2596-5 576 S. € 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schmidt, Museen der Stadt Nürnberg

Der umfangreiche, opulent bebilderte und engagiert gestaltete Katalog zu einer Sonderausstellung des Germanischen Nationalmuseums (GNM) stellt erstmals die so genannte „Nürnberger Plakatsammlung“ vor. Seit 2002 verwahrt das Museum über 10.000 Plakate vor allem aus dem Bereich der Produktwerbung vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er-Jahre. Vor dem Erwerb der Sammlung als Dauerleihgabe einer eigens für die Sammlung gegründeten Stiftung fehlte dem „größten Museum deutscher Kunst und Kultur“ (Eigenwerbung GNM) das Medium Plakat im Bestand fast vollständig. Nun befindet sich im Germanischen Nationalmuseum eine der großen Plakatsammlungen Deutschlands. Mit vorliegender Publikation wird diese aus verschiedenen Blickwinkeln analysiert sowie in eine imaginäre Ordnung gebracht. Ein Mitarbeiterteam um die Kuratorin Yasmin Doosry stellt damit auch die Arbeit an der Sammlung in den letzten Jahren dar.

Die Nürnberger Plakatsammlung stammt im Wesentlichen aus zwei Quellen: Zunächst trug der Wirtschaftswissenschaftler und Hochschulprofessor Georg Bergler seit den 1950er-Jahren im Rahmen eines umfassenderen Werbearchivs auch Plakate zusammen. Der an der Nürnberger Handelshochschule (später wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg) tätige Bergler saß auch im Vorstand der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) und galt (bei den Studenten unter dem Spitznahmen „Marken-Schorsch“(S. 29)) als einer der Vorreiter der Präsentation von Waren als Markenartikel. Sein Interessenschwerpunkt lag also auf dem Plakat, das für bestimmte Marken (erfolgreich oder nicht) warb. Politische Plakate finden sich daher in der Sammlung nicht. Die Sammlung Berglers umfasste vielmehr vor allem aktuelle Plakate, die ihm Unternehmen zur Verfügung stellten.

Ergänzt wurde die Sammlung Berglers im Jahr 1963 durch den Ankauf eines Teils des älteren Werbearchivs Theodor Lach (Graz), welches auch Plakate vor 1900 von namhaften Plakatkünstlern, Theater- und Kinoplakate, politische Plakate und Werbeschilder enthielt. Anfang der 1980er-Jahre wurden allerdings gerade besonders wertvolle Sammlerstücke vor allem französischer Provenienz veräußert. Trotz dieses Verlustes blieb der nun zusammengeführten Nürnberger Plakatsammlung ein klares Profil erhalten: Sie dokumentiert die Warenwelt und die Konsumgewohnheiten vom Ende des 19. bis Mitte des 20. Jahrhunderts – nicht nur, aber vor allem in Deutschland.

Der Katalog kann aus Platzgründen mit insgesamt circa 350 Plakaten nur einen kleinen Teil der Sammlung vorstellen und abbilden. Aufgeteilt sind die Plakate in sechs „Welten“ eines imaginären Warenhauses: der „Welt des Supermarkts“, der „Haushalts-Welt“, der „Schönheits-Welt“, der „Mode-Welt“, der „Medien-Welt“ und der „Freizeit-Welt“. Jeweils zum Abschluss der einzelnen Welten des imaginären Warenhauses wird ein Beispiel besonders herausgestellt: Hier finden sich Plakate sowie die Geschichte der Marken Maggi, Coca-Cola, Osram, Persil, Nivea, Palmers, Agfa und Volkswagen.

Die 350 im Katalog abgedruckten Plakate waren auf 1.000 qm Fläche im Wechselausstellungsbereich des Germanischen Nationalmuseums im Original ausgestellt. Die atmosphärisch dichte Präsentation (Kuratorin Yasmin Doosry, Ausstellungsarchitektur Klaus Schubert, Hamburg) orientierte sich an einer Szenerie roher Plakatwände. Ohne aufwändige Rahmung wurden die Plakate an mit Drahtgittern verstärkte Baugerüste oder mit schwarzem Stoff bespannte Ausstellungswände gehängt. Neonschriften gliederten die Ausstellung in die einzelnen Warenwelten und Themenbereiche. Text wurde jeweils auf erklärende Schrifttafeln konzentriert, so dass die Ausstellung tatsächlich zum Flanieren, zum neugierigen Schauen und Entdecken einlud. Die wissenschaftlich-analytische Durchdringung des Themas findet im Katalog und nicht in langen Texten an den Ausstellungswänden statt – ein sicher sinnvolles und leider häufig nicht befolgtes Verfahren.

Die Abgrenzung zwischen den einzelnen Welten des imaginären Warenhauses ist zwar zu einem erheblichen Teil willkürlich, ausstellungstechnisch aber berechtigt und analytisch eine Möglichkeit, die Fülle der Plakate, Themen und visuellen Reize zu bewältigen. Ergänzt werden die Welten des imaginären Warenhauses im Katalog durch Texte zur Sammlungsgeschichte, zur Geschichte der Plakatkunst und ihrer Künstler sowie zu den „Versprechungen der Warenwelt“.

Man merkt dem Buch an, dass die Autoren mit einer enormen Fülle von Material konfrontiert wurden, welches konservatorisch, kunstgeschichtlich und museologisch erst zu bewältigen war. Dies erklärt die zum Teil disparate und weit ausschweifende Themenfülle der Katalogtexte. Sie reicht von der Frage, wie Plakatkünstler zwischen Kunst und Kommerz angesiedelt sind, über die Innensicht sowie die Arbeitsweise von Werbeateliers bis zu der Frage, welchen Einfluss die industrialisierte Nahrungsmittelproduktion auf die Warenwelt hat.

Den in großer Zahl versammelten Beiträgen zu einzelnen Marken, Plakatkünstlern, Werbethemen und -strategien gelingt vielfach eine intensive und eindrückliche Darstellung des Zusammenhangs von Gestaltung des Mediums Plakat mit den jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Hierbei spielt auch die Geschichte der jeweiligen Firma, welche ein Markenprodukt herstellt und bewirbt, eine Rolle. Der schlichten Frage, wer denn eigentlich Entwerfer der einzelnen Plakate gewesen ist, widmet sich ein eigener biografischer Teil im Anhang des Katalogs.

Das Motto „Werben ist eine Kunst“1 ist vielleicht auch bezeichnend für den Charakter der Nürnberger Plakatsammlung: Die Sammlung sollte ursprünglich der Forschung für und der Ausbildung zu noch besserer und effektiverer Markenwerbung dienen. Der Katalog der Sammlung verfolgt daher durchaus konsequent die Intention, den inhaltlichen, textlichen und gestalterischen Ansatz verschiedener Plakatwerbestrategien freizulegen. Er spiegelt damit auch die Buntheit der Warenwelt wider, für die die Plakate werben – vom Volkswagen über das Waschmittel bis zur Rasierklinge.

Etwas zu kurz kommt hierbei allerdings die kritische Analyse von Werbung und Markenprodukt selbst. Die unter dem Titel „Versprechungen der Warenwelt“ versammelten Beiträge des Katalogs über „werbende Hände“, die „veröffentlichte Frau“, Familienbilder in der Werbung sowie „Lifestyle als Wohlstandversprechen“ bleiben bisweilen seltsam unkritisch gegenüber dem Glücksversprechen der Plakatwerbung und ihrer Markenprodukte. So erscheint die Veröffentlichung des Frauenkörpers auf Plakaten eher einseitig als Befreiung von Korsett und sonstigen Zwängen – eine Reflexion über das idealisierte, für die normale Frau kaum erreichbare Schönheitsbild, welches die Plakatwerbung vermittelt, fehlt dagegen weitgehend. Ebenso schenkt der Katalog der Tatsache, dass der in der Plakatwerbung herausgestellte Lifestyle für viele nicht erreichbar war und dass zahllose „Versprechungen“ der Markenwerbung schlichte Fehlbehauptungen waren, nur geringe Beachtung. Auch das Phänomen Markenprodukt wird kaum kritisch hinterfragt. Markenwerbung ist eben nicht nur eine Verkaufsstrategie mit visuell ansprechender Bildproduktion, sondern kreiert auch künstlich Bedürfnisse und animiert so Käuferverhalten, welches nicht unbedingt den tatsächlichen Bedürfnissen von Verbrauchern entspricht.

Otto Hahn, der Leiter der Abteilung Verkaufsförderung des Volkswagenkonzerns, bemerkte 1950: „Wohl nirgends kann man so gewaltige Mittel sinnlos verschleudern wie im Sektor der Werbung.“ (S. 419) Bis heute ist Erfolg oder Misserfolg einer Werbekampagne per Plakat schwierig zu messen. Dennoch haben manche der Künstler und manche Plakatgestaltungen sich tief in unser Bildgedächtnis eingegraben – man denke nur an die für das Waschmittel Persil werbende weiße Frau (zu der es auch ein wesentlich weniger erfolgreiches männliches Pendant gab).

Die Ausstellung und der Katalog „Plakativ!“ zu einem Teil der Nürnberger Plakatsammlung ist eine Fundgrube für viele kulturgeschichtliche Themen. Die Chance, diesen Bestand in die Museumsarbeit einzubeziehen, sollte das Germanische Nationalmuseum selbst in seinen vielen Abteilungen und Ausstellungsbereichen nutzen. Der Leser des Katalogs darf sich, sofern er sich nicht in der Themenfülle verliert, über ein wissenschaftlich fundiertes, informatives und schön gestaltetes Buch freuen, welches durch seine vielen Bilder einen guten Überblick zu dieser neu erschlossenen, großen deutschen Plakatsammlung bietet.

Anmerkung:
1 Georg Bergler, Werben ist eine Kunst. Geschichte und Gestalt der Werbung für einen klassischen Werbeartikel, München 1969.

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