Verführung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945

Verführung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945

Veranstalter
Stiftung Deutsches Historisches Museum <http://www.dhm.de/ausstellungen/verfuehrung-freiheit/> (12344)
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12344
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.10.2012 - 10.02.2013

Publikation(en)

Flacke, Monika (Hrsg.): Verführung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945. XXX. Europaratsausstellung. Dresden 2012 : Sandstein Verlag, ISBN 978-3-942422-90-1 (Buchhandelsausg.) 352 S., 306 farbige Abb. € 48,00 (Museumsausg. € 32,80, mit E-Book € 39,80)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joes Segal, Fachbereich Geschichte und Kunstgeschichte, Universität Utrecht

Zwischen Kunst und Politik hat es, wenigstens im Zeitalter der Moderne, immer ein kompliziertes Spannungsverhältnis gegeben. Einerseits berief sich die Kunst auf ihre geistige Autonomie, auf ein Jenseits von politischer Macht und materiellen Interessen. Andererseits benutzte sie diese Autonomie mitunter für politische Stellungnahmen – wobei man sich fragen kann, wieso es gerade dem unpolitischen Künstler gegeben sein soll, unser Diesseits zu ergründen und Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Die Politisierung der Kunst fand und findet überdies auf verschiedenen Ebenen statt, von künstlerischen Intentionen über kunstkritische Rezeption und kunstwissenschaftliche Historisierung bis zum politischen Gebrauch und Missbrauch. An vielen Beispielen aus den letzten zwei Jahrhunderten lässt sich illustrieren, wie diese Ebenen einander auf komplexe Weise überlagern oder gar hoffnungslos widersprechen.

Während des Kalten Kriegs wurde es in den westlichen Demokratien lange Zeit als unangebracht empfunden, Kunst im Hinblick auf politische Kontexte zu diskutieren. Die Freiheit und Autonomie der Kunst wurde ihrem propagandistischen Missbrauch in diktatorischen Regimes wie dem NS-Staat oder den realsozialistischen Staaten entgegengehalten. Somit wurde dieser behauptete autonome Status paradoxerweise selbst zum Politikum. Wenn auch die gesellschaftskritische Stoßrichtung der Kunst seit den späten 1960er-Jahren von unterschiedlichen Künstlern in vielfältiger Weise aufgegriffen wurde, dauerte es bis in die 1990er-Jahre, also nach dem Ende des Kalten Kriegs, ehe auch in der westlichen Welt politische Themen von Kuratoren, Kunstkritikern und Kunsthistorikern explizit und auf breiter Basis angesprochen wurden.

Die vom Europarat geförderte Ausstellung „Verführung Freiheit. Kunst in Europa seit 1945“ des Deutschen Historischen Museums (DHM) schließt sich dieser letzteren Tendenz an. Sie ist als Fortsetzung und zugleich als Gegenstück der ebenfalls vom Europarat getragenen Ausstellung „Kunst und Macht im Europa der Diktatoren 1930 bis 1945“ aufzufassen, die 1996 in London, Barcelona und Berlin zu sehen war. Die jetzige, von Monika Flacke unter wissenschaftlicher Mitarbeit von Ulrike Schmiegelt, Lioba Schollmeyer und Carola Jüllig konzipierte Ausstellung gliedert sich in zwölf Themen, die sowohl die Ausstellungsräume als auch den Katalog strukturieren – mit beziehungsreichen und manchmal poetischen Titeln wie „Gerichtshof der Vernunft“, „Reise ins Wunderland“, „Der andere Ort“ oder „Die Welt im Kopf“. Aus verschiedenen Blickwinkeln werden der Begriff der Freiheit sowie ihre vielschichtigen Hemmnisse und Gefährdungen betrachtet.

Einführende Essays der Kuratorin Monika Flacke und des Kunsthistorikers Horst Bredekamp legen im Katalog die theoretischen und philosophischen Grundlagen der Ausstellung dar. Das Ziel ist es, die während des Kalten Kriegs dominierende politische Kluft zwischen West und Ost zu überwinden. Beide Teile Europas seien als „Kinder der Aufklärung“ zu verstehen, mit ähnlichen fortschrittsorientierten Vorstellungen, Wünschen und Träumen der Menschen sowie mit unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Antworten auf die gleichen Strukturprobleme der Moderne. Die Autoren beziehen sich dabei auf Reinhart Kosellecks klassische Studie „Kritik und Krise“ aus den 1950er-Jahren. Der Staatssozialismus sei schließlich aufgrund eigener Erstarrung und wegen nicht eingelöster Versprechen zugrunde gegangen, während sich der Westen vorerst stabiler gezeigt habe. Aber auch unser heutiges Europa werde mit einer Fülle existentieller Probleme konfrontiert – etwa der Finanzkrise, der Legimationskrise der Europäischen Union, der Umweltkrise und der Drohung des internationalen Terrorismus. Kritik in Freiheit sei notwendig, so Flacke, um diesen Krisen die Stirn zu bieten; gerade die Kunst trage dazu bei, „Erkenntnisse über die Fehlentwicklungen der Moderne zu gewinnen und zugleich die Moderne durch ihre Kritik zu verteidigen“ (Katalog, S. 17). Bredekamp fügt in seinem Essay hinzu, dass die Kunst „neue Möglichkeitsformen des Denkens eröffnet“ (S. 20). Erst seit wenigen Jahren gelinge es, „in der antagonistischen Epoche des Kalten Krieges eine Ebene zu beschreiben, die an den jeweiligen Frontlinien nicht Halt machte, sondern diese überspielte“ (S. 22). Mit der jetzigen Ausstellung sei außerdem „eine genuine Gedächtnisarbeit geleistet worden, die einen Zugang zum Seelenleben Europas ermöglicht“ (S. 27).

Inwiefern löst die Ausstellung diese nicht geringen Versprechen ein? Das ist gar nicht so einfach zu bestimmen. So gibt es gegen das Konzept und seine rhetorische Überhöhung Einiges einzuwenden. Was ist zum Beispiel mit dem „Seelenleben Europas“ genau gemeint? Abgesehen davon, dass die Grenzen des Kulturraums Europa umstritten sind und auch einige zum Europarat gehörende Länder wie die Ukraine oder Aserbaidschan nicht von jedem als europäisches Kerngebiet akzeptiert werden, ist der wichtigere Einwand, dass die in der Ausstellung angesprochenen Themen eine globale Bedeutung und Relevanz haben; sie werden von Künstlern der ganzen Welt auf unterschiedliche Weise reflektiert. Die künstlerische Auseinandersetzung über Freiheit lediglich als Teil eines europäischen „Seelenlebens“ vorzustellen (im Übrigen ein ebenso pathetischer wie problematischer Begriff) zeugt von Provinzialismus.

Noch schwieriger ist zu bestimmen, wie sich die gezeigten Kunstwerke zu den jeweiligen Leitthemen verhalten. Wenn man die Ausstellung besucht, fragt man sich manchmal, ob dieses Verhältnis vielleicht nur im Kopf der Organisatoren existiert. Die einführenden Katalogessays zu den verschiedenen Themen sind dabei meist nicht besonders hilfreich. Diese Beiträge von Schriftstellern, Soziologen, Philosophen, Historikern, Rechts- und Naturwissenschaftlern etc. sind vor allem als freie Denkproben aufzufassen, wobei der Bezug zu den Kunstwerken öfters minimal ist oder ganz fehlt. Dies verstärkt das Gefühl, dass die Kunstwerke in der Ausstellung in einen philosophisch-politischen Kontext gezwungen werden, der mit den ursprünglichen Ideen der Künstler nicht allzu viel zu tun haben mag. Man fragt sich außerdem, ob sich die oft enigmatischen, rauen und kantigen Bilder und Installationen der hier gezeigten Künstler so einfach von jenem Geist des Feel-good-Humanismus vereinnahmen lassen, den das Konzept evoziert.

Dennoch vermag die Ausstellung anzuregen, denn die Werke haben in der Tat das Potential, „das Auseinanderfallen von Anspruch und Wirklichkeit zu zeigen und alle Überdeckungsformen zu unterhöhlen“ (Bredekamp, S. 27). Die Wahl der Arbeiten ist hochinteressant – mit einer gelungenen Mischung aus wohlbekannten Namen (etwa Francis Bacon, Joseph Beuys und Mario Merz) und international weniger beachteten, aber positiv überraschenden Künstler vor allem aus dem östlichen Teil Europas. Die Aufhebung der Trennlinie zwischen „Ost“ und „West“ ist ohne Zweifel eine der wichtigen Leistungen dieser Ausstellung.

Sehr beeindruckt haben mich zum Beispiel die Fotos der Serie „Donbass-Chocolate“ des Ukrainers Arsen Savadov (1997, Kat.-Nr. 17), die nackte Bergleute in ironischen Posen zeigen und damit einen Kommentar zu früheren sowjetischen Arbeiterbildern liefern. Ebenfalls aus der Ukraine stammen die auf Porzellanteller gedruckten, fast kindlich-unschuldig schablonenhaften Folterbilder von Nikita Kadan, die über das Ende des Ostblocks hinausweisen („Verhörzimmer“, 2010, Kat.-Nr. 53). Das Kurzvideo „Harem“ der türkischen Künstlerin Inci Eviner (2009, Kat.-Nr. 92) inszeniert Routinen von Haremfrauen, die den Blick sowohl fesseln als auch irritieren.

Besonders zu loben ist die Sorgfalt der Hängung, die effektive Dialoge zwischen verschiedenen Arbeiten ermöglicht. Sehr wirkungsreich ist etwa das Wechselspiel zwischen Anselm Kiefer (Bildserie „Besetzungen“, 1969), Günther Uecker („Kriegssarg [Antwort an Marinetti]“, 1968) und Armando („Schuldige Landschaft“, 1987) im Saal „Reise ins Wunderland“. Eine Korrespondenz in leichterem Ton, verbunden durch das Thema des Konsumzwangs, entsteht zwischen Valie Export, Aurora Reinhard, Milan Kunc und der russischen „Blue Noses Group“ im Raum „99 Cent“.

Ganz neue Perspektiven über Freiheit sowie deren historische und aktuelle Krisen werden vermutlich nicht viele Besucher/innen unter dem Eindruck der Ausstellung entwickeln. Aber man kehrt mit prägnanten Bildern und dringenden Fragen im Kopf nach Hause zurück. Und das ist eine beachtenswerte Leistung des Ausstellungsteams, dem Mitarbeiter/innen aus 36 Ländern angehörten. In jeweils etwas veränderter Konstellation wird „Verführung Freiheit“ 2013/14 noch in Mailand, Tallinn und Krakau gezeigt werden. Auch auf die dortige Resonanz darf man gespannt sein.