Sowjetisches Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße Potsdam

Sowjetisches Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße Potsdam

Veranstalter
Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.04.2012 -

Publikation(en)

Reich, Ines; Schultz, Maria (Hrsg.): Sowjetisches Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße Potsdam. . Berlin 2012 : Metropol Verlag, ISBN 978-3-86331-072-1 237 S. € 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kurt Schilde, Potsdam

In der Leistikowstraße in Potsdam befand sich bis 1989 das zentrale Untersuchungsgefängnis der sowjetischen militärischen Spionageabwehr für die sowjetische Besatzungszone bzw. DDR. Seit der Eröffnung am 18. April 2012 erinnert eine Dauerausstellung in den historischen Räumen an die Geschichte dieses Gefängnisses, das Personal des Geheimdienstes und dessen Opfer. Diese werden exemplarisch mit ihren Lebensgeschichten vorgestellt und berichten in Interviews über ihre Haft. Mit Alltagsgegenständen, Dokumenten und Fotos wird versucht, die durch vollständige Isolation gekennzeichnete Situation der Häftlinge zu illustrieren. Der Begleitkatalog enthält die Ausstellungstexte sowie viele Abbildungen von Objekten und Raumansichten, Fotographien und Dokumenten. Die Ausstellungstexte sind in deutscher und englischer – teils auch in russischer – Sprache verfasst, der Katalog in Deutsch.

Der Besuch der Dauerausstellung und die Durchsicht des Katalogs können zur Versachlichung der lang anhaltenden und erregten Debatte über die Gestaltung der Ausstellung beitragen. Um den Hintergrund des Konflikts verstehen zu können, muss auf das langjährige bürgerschaftliche Engagement verwiesen werden, das die Erhaltung des ehemaligen Gefängnisgebäudes sicherte. Die Vorwürfe an die Gedenkstätte bezogen sich vor allem darauf, dass die früheren Protagonisten, die den Gedenkort erhalten haben, zu wenig oder gar keinen konzeptionellen Einfluss auf die Neugestaltung gehabt hätten. Zudem sei der Umgang von Seiten der neuen Gedenkstättenleitung mit ihnen nicht immer gut gelungen. Die geplante Ausstellung stand zudem unter den Verdacht, verharmlosend zu wirken und eher ein "KGB-Museum" bzw. "Spionage-Museum" denn eine Gedenkstätte zu werden, die an die Schicksale der Häftlinge erinnere. Mit der Fertigstellung der Ausstellung findet die seit Jahren andauernde und sicherlich noch nicht beendete vergangenheitspolitische Debatte nun eine wissenschaftlich fundierte Diskussionsgrundlage.

Auf dem Weg vom 2009 eröffneten Besucherinformationszentrum der Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße zum Eingang des früheren Gefängnisgebäudes kommt der Besucher zunächst an Fundamenten der Freigangszellen und Überresten der Gefängnisumzäunung vorbei. Der Rundgang um das Haus mit seinen teilweise zugemauerten Fenstern verweist darauf, dass das Gebäude selbst das zentrale Exponat der Dauerausstellung ist. Das Haus ist auf dem Stand der 1990er Jahre – nach dem Abzug der sowjetischen Truppen – erhalten worden. Die Räume sind weitgehend unverändert, die Ausstellungsarchitektur ist zurückhaltend und die in die Räume gestellten Vitrinen und Tafeln lassen den ursprünglichen Zustand noch erkennen.

Die Ausstellungsstruktur folgt den einzelnen Phasen der Nutzungsgeschichte, wobei der Grad der Authentizität vom Kellergeschoss zum Obergeschoss aufgrund der zunehmenden Überformung – zuletzt wurde das Haus als Materiallager benutzt – abnimmt: Im Gebäude befand sich bis zum Sommer 1945 der Sitz der Evangelischen Frauenhilfe, danach zogen verschiedene sowjetische Geheimdienste ein und inhaftierten zunächst vor allem Deutsche, später nur noch sowjetische Militärangehörige. In der oberen Etage, in der sich die Wohnung des geschäftsführenden Pfarrers befunden hatte, beginnt die Ausstellung. Aus der Wohnung des Geistlichen und den Büroräumen waren nach 1945 durch das Einziehen von Wänden Vernehmungszimmer sowie Sammel- und Einzelzellen entstanden. Die alten Kachelöfen sind erhalten geblieben und erinnern an die frühere Benutzung der Räumlichkeiten z.B. als Kinderzimmer.

Von der Vielzahl der Räume ist im Erdgeschoss vor allem ein Kerkerraum beeindruckend: Die ehemalige Toilette der "Mitarbeiter" (und Mitarbeiterinnen) der Evangelischen Frauenhilfe diente nach 1945 als Strafzelle. Die Wände sind entsprechend dem "Regelwerk der inneren Ordnung der Arbeitsbesserungseinrichtungen des Innenministeriums der Sowjetunion" mit Rauputz versehen worden. Dieser hielt Häftlinge davon ab, sich an die Wand zu lehnen, Botschaften in die Wände zu ritzen oder sich mit Klopfzeichen zu verständigen.

In den verschiedenen Ausstellungsräumen werden insgesamt 50 Häftlingsgeschichten präsentiert, 19 davon ausführlicher. Die meist durch mühsame Forschungsanstrengungen, aber auch zufällig entdeckten Lebens- und Leidensgeschichten der Häftlinge werden mit ihren zeitgenössischen Fotografien, persönlichen Exponaten und Kopien von Dokumenten dargestellt. Zum besseren Überblick ist den präsentierten Lebensgeschichten ein tabellarischer Lebenslauf vorangestellt worden. Als Ergänzung zu den eindrücklichen Darstellungen befinden sich im Erdgeschoss Medienstationen mit Filmaufnahmen von Interviews mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen. Diese berichten über ihre unterschiedlichen Erfahrungen bei den Verhaftungen, in der Haft und im Gefängnisalltag.

Die Kellerräume sind von 1945 bis 1955 als Gefängniszellen benutzt worden. In ihnen wurden die Häftlinge – Männer und Frauen, Jugendliche und Erwachsene – gefangen gehalten. In den im Obergeschoss durchgeführten Verhören wurden die Gefangenen mit psychischer und physischer Gewalt zu Geständnissen gezwungen. Nach 1955 verhaftete der Geheimdienst ausschließlich militärische und zivile Angehörige der sowjetischen Armee.

Sehr eindrücklich sind die in den Zellen und im übrigen Gefängnisgebäude aufgefundenen insgesamt 1.200 Inschriften von Häftlingen und vereinzelt vom Wachpersonal. "Häftlinge ritzten mit Fingernägeln, Holzsplittern, Nägeln oder Besteckteilen. Ihre Inschriften sind seltene Zeugnisse ihrer psychischen Verfassung, Selbstbeschäftigung und Kommunikation" wird im Katalog erläutert (S. 197). Nach umfangreichen Recherchen ist es gelungen, die 60 Namensinschriften ihren Verfassern (und Verfasserinnen) zuzuordnen. In zwei Kellerzellen werden deutsch- und russischsprachige Zeichen exemplarisch dokumentiert. Im Katalog kommen die Inschriften auf elf Seiten ausführlich zur Darstellung. Es würde sich lohnen, hier weiter zu forschen.

Die Ausstellung verweist auch auf die Geschichte der Häftlinge nachdem sie ihre Geständnisse abgelegt hatten. Sie wurden durch sowjetische Militärtribunale meist zu langjährigen Haftstrafen oder sogar zum Tode verurteilt. Die Verbüßung der Haftstrafen erfolgte in Speziallagern oder Gefängnissen in der sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR sowie in sowjetischen Lagern des Gulag und in Gefängnissen. Die Exekutionen fanden überwiegend in Moskau statt. Nur in der Frühphase der sowjetischen Besatzung wurden zum Tode verurteilte Häftlinge auch in der Umgebung von Potsdam hingerichtet.

Angesprochen werden darüber hinaus Fälle von misslungenen Fluchtversuchen und der Alltag der sowjetischen Soldaten. Als eine besondere Geschichte wird die des Übersetzers und Ermittlers Rafail Goldfarb präsentiert. Der aus einer jüdischen Familie in St. Petersburg stammende Soldat konnte im Juli 1949 mit Frau und Kindern nach West-Berlin flüchten. Er lieferte dem US-Geheimdienst Counter Intelligence Corps (CIC) wichtige Informationen über die Arbeitsweise und Organisation der sowjetischen Spionageabwehr sowie Fotos von 300 sowjetischen Geheimdienstmitarbeitern. Dafür hatte der Überläufer eine neue Identität als Mr. Speyer bekommen.

Zur besseren Einordnung der Geschichte des Gefängnisses, seines Personals und seiner Häftlinge dienen Informationen über die sowjetischen Geheimdienste, die Spionageabwehr und das "Militärstädtchen Nr. 7" in Potsdam. In dieser hermetisch abgeriegelten Geheimdienststadt mit dem verniedlichenden Namen befand sich am Sitz der Hauptverwaltung der militärischen Spionageabwehr das zentrale Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße.

Die Gedenkstätte und die Dauerausstellung wären ohne das bürgerschaftliche Engagement seit Mitte der 1990er Jahre nicht möglich gewesen. Viele ehemalige Häftlinge, teilweise in einem Gedenkstättenverein und einer Zeitzeugeninitiative organisiert, leisteten eine bedeutende ehrenamtliche Arbeit, bis endlich 2008 die unselbständige Stiftung Gedenk- und Bildungsstätte Leistikowstraße entstehen konnte. Dies wird in der Einleitung der Gedenkstättenleiterin Ines Reich im Katalog zu Recht gewürdigt (S. 11). Darüber hinaus wird in der Ausstellung wie im Katalog auf die Geschichte sowjetischer Geheimdienste und Spionageabwehr eingegangen und damit ein bisher wenig erforschtes historiographisches Neuland betreten. Die Gefahr der Einrichtung eines KGB- oder Spionagemuseums ist durch die umfangreiche Präsentation der Häftlingsgeschichten umgangen worden. Somit ist es gelungen, das äußerst schwierige Exponat des Gefängnisgebäudes zum Sprechen zu bringen und an die dort stattgefundenen Ereignisse im historischen Kontext zu erinnern.

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