Von innen nach außen – Novemberpogrome in Diplomatenberichten

Von innen nach außen – Novemberpogrome in Diplomatenberichten

Veranstalter
Stiftung Neue Synagoge Berlin; Centrum Judaicum: "Von innen nach außen. Die Novemberpogrome 1938 in Diplomatenberichten aus Deutschland"
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.11.2013 - 11.05.2014
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Simon Preker, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Dass das Auswärtige Amt an der Verfolgung und Ermordung der Juden Europas beteiligt war, ist nicht erst seit der umfangreichen und weit rezipierten Studie über „Das Amt und die Vergangenheit“ von 2010 bekannt.1 Die Veranstalter der Ausstellung „Von Innen nach Außen“, die von November 2013 bis Mai 2014 in den historischen Räumen der Neuen Synagoge Berlins zu besichtigen ist, haben dies einleitend mit dem Zitat des „Judenreferenten“ des Auswärtigen Amts Emil Schurnburg erneut verdeutlicht: „Das letzte Ziel der Judenpolitik ist die Auswanderung aller im Reichsgebiet lebenden Juden. Diese antisemitische Welle zu fördern muß eine Aufgabe der deutschen Außenpolitik sein.“2

Wie stand es um die Deutschlandpolitik der diplomatisch im nationalsozialistischen Deutschland vertretenen Staaten, und wie verhielten sich deren Gesandtschaftsmitglieder angesichts der landesweiten und umfangreichen Angriffe auf Menschen, Eigentum, Synagogen und Gebetshäuser im November 1938? Lässt sich Fabrice d’Almeidas These, dass 1938 nur noch linientreue und in eine High Society integrierte Diplomaten auf deutschem Boden vertreten gewesen seien3, in Bezug auf die Diplomatenberichte über die Novemberpogrome bestätigen?

Die Veranstalter um Kurator Christian Dirks haben rund 20 Berichte aus 19 Staaten und ihren diplomatischen Vertretungen zu den Novemberpogromen zusammengetragen und knapp kontextualisiert. Die Auswahl der Reaktionen auf die antisemitischen Gewaltexzesse zeigt einerseits, wie sehr die Urteile von den einzelnen Personen abhingen und andererseits welchen Umfang die Ausschreitungen hatten. Das Amt in der Wilhelmstraße verzeichnete rund 100 Interventionen ausländischer Vertretungen, die Ansprüche im Interesse ihrer Staatsbürger geltend machen. Die Perspektive ausländischer Diplomaten wurde zuletzt 2011 mit dem Quellenband „Fremde Blicke auf das ‚Dritte Reich‘: Berichte ausländischer Diplomaten über Herrschaft und Gesellschaft in Deutschland 1933–1945“ durch die Herausgeber Frank Bajohr und Christoph Strupp eingenommen.4 Die Schnittmenge der berücksichtigten Staaten und Berichte umfasst Polen, Japan, Italien, die USA, Frankreich, Großbritannien und die Schweiz. Während der Quellenband ferner Dänemark, Costa Rica und Argentinien einen Platz einräumt, berücksichtigt die Ausstellung Berichte schwedischer, tschechoslowakischer, lettischer, vatikanischer, kolumbianischer, irischer, sowjetischer, luxemburgischer, brasilianischer, norwegischer, ungarischer und finnischer Diplomaten.

Der apostalische Nuntius Cesare Orsenigo (1873–1946) konstatierte zwar in seinem Bericht, dass alle Diplomaten starkes Interesse an diesen Ausschreitungen genommen hatten, aber so verschieden die Diplomaten der in Deutschland vertretenen Staaten und deren Beziehungen zum NS-Staat waren, so verschieden fielen ihre Einschätzungen und Beobachtungen aus. Zahlreiche Diplomaten zeigten sich bestürzt, der US-amerikanische Botschafter wurde abgezogen. Lettlands Botschafter Edgars Krieviņš (1884–1971), der am 10. November Zeuge grausamer Pogrome wurde, berichtete in seinen Memoiren: „Neben den SS-Männern nahmen auch Frauen und Halbwüchsige an dem Jagen und Schlagen der Juden teil. Die Polizei schaute dem abscheulichen Schauspiel ruhig zu. Der Kurfürstendamm sah wie ein Schlachtfeld aus.“ Der kolumbianische Botschafter Jaime Jaramillo-Arango (1897–1962) berichtete von Bildern, „die Dante sich nicht vorstellen konnte…“.

Die Diplomaten waren in Einzelfällen selbst von den Angriffen betroffen. Der italienische Generalkonsul in Innsbruck Guido Romano (*1895) schilderte seine Erfahrungen: „Da sich im ersten Stock der Villa, in der ich das Erdgeschoss bewohne, eine jüdische Familie befindet, die seit einiger Zeit im Begriff ist, Deutschland zu verlassen, drangen über zwanzig liederliche Burschen in Zivil (die der SA angehörten, wie mir später aus zuverlässiger Quelle bestätigt wurde) gegen drei Uhr morgens in mein Appartement ein, nachdem sie ein Fenster zum Garten eingeschlagen hatten und gaben vor, die betreffende Familie zu suchen.“ Zwei diplomatische Vertreter Kolumbiens wurden, nachdem sie am Morgen des 10. November Fotos von verwüsteten Kaufhäusern gemacht hatten, auf dem Kurfürstendamm von der Reichspolizei festgesetzt. Die Polizei versuchte eine Stunde lang, den beiden Diplomaten ihre Fotoapparate abzunehmen und begleitete sie schließlich zum Auswärtigen Amt, wo diese freigelassen wurden.

Walter Stucki (1888–1963), der schweizerische Botschafter im besetzten Frankreich und Freund Erich von Weizsäckers, wertete das in der nationalsozialistischen Propaganda als Vorwand für die Pogrome angeführten Attentat auf Ernst Eduard vom Rath (1909–1938) vom 7. November als „verbrecherisch-stupide“. Er bedauerte im Rahmen seines Beileidsbesuchs bei der deutschen Botschaft, dass „in der ganzen Welt eine sehr schlechte Stimmung gegen Deutschland“ geschaffen werde. Stucki berichtete von „berechtigter“ Entrüstung und Teilnahme. Der für Irland in Berlin tätige Charles Beweley (1888–1969) kommentierte die Zustände im Deutschen Reich bis zu seiner Abberufung 1939 währenddessen distanzlos und beschönigend. Die Pogrome erklärte er mit der Behauptung, dass „Juden die Moral ihres Umfelds untergraben“ und dass der „erschreckende moralische Verfall“ Deutschlands bis 1933 „von Juden, wenn nicht verursacht, so doch zumindest zu ihrem Vorteil ausgenutzt wurde.“ Dieser offene Antisemitismus verleitete ihn zu der impliziten Rechtfertigung der Gewalt in der Forderung, dass es „keine Argumente dafür [gibt], sie wie gewöhnliche Bürger des Landes zu behandeln.“

Exemplarisch wird anhand der polnischen Diplomatenberichte ein Beispiel für die Opfer der Gewalt angeführt: Der 1938 in München lebende Pole Chaim (Joachim) Both (1876–1938) wurde von SA-Männern zusammengeschlagen, sein Geschäft verwüstet, seine Frau und sein Sohn bedrängt. Schließlich erschoss ihn der SA-Mann Hans Schenk aus nächster Nähe. Schenk wurde im Januar 1939 freigesprochen. Er habe den „Willen der Führung in die Tat umgesetzt. Dafür kann er nicht bestraft werden.“

Ein Besuch dieser im Umfang beschaulichen, aber zahlreiche interessante Details aufweisenden Ausstellung kann empfohlen werden. Obgleich die Veranstalter versucht haben, die Beziehungen Deutschlands zu den jeweiligen Staaten zu skizzieren und bis zu einem gewissen Umfang den historischen und biographischen Kontext einzubeziehen, kann auch aufgrund der räumlichen Begrenztheit keine umfassende Darstellung geleistet werden. Die Berichte sind auf verwinkelt arrangierten und keiner spezifischen Ordnung folgenden Tafeln abgebildet und ins Deutsche und Englische übersetzt. Biographische Informationen zu den jeweiligen Diplomaten, Fotos und zahlreiche Details zu den Pogromen tragen zu einer beachtlichen Textmenge bei, die – zusätzlich erschwert durch eine unzureichende Ausleuchtung – dazu führt, dass Besucher der Dauerausstellungen dieser gleichsam bedrückenden und informativen Ausstellung möglicherweise nicht die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdient. Eine begleitende Veröffentlichung oder der Verweis auf die publizierten Quellen würde den Mehrwert für geschichtswissenschaftlich interessierte Besucher weiter erhöhen.

Anmerkungen:
1 Eckart Conze u.a., Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010.
2 Alle wörtlichen Zitate sind dem Ausstellungstext entnommen.
3 Fabrice d’Almeida, Hakenkreuz und Kaviar. Das mondäne Leben im Nationalsozialismus, Ostfildern 2007, S. 273.
4 Frank Bajohr u.a. (Hrsg.), Fremde Blicke auf das »Dritte Reich«: Berichte ausländischer Diplomaten über Herrschaft und Gesellschaft in Deutschland 1933–1945, Göttingen 2011.

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