Andreas Schlüter und das barocke Berlin

Andreas Schlüter und das barocke Berlin

Veranstalter
Bode-Museum, Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin <http://ww2.smb.museum/schlueter/die-ausstellung>
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.04.2014 - 24.08.2014

Publikation(en)

Kessler, Hans-Ulrich; für die Skulpturensammlung und das Museum für Byzantinische Kunst – Staatliche Museen zu Berlin (Hrsg.): Andreas Schlüter und das barocke Berlin. . Berlin : Hirmer Verlag, ISBN 978-3-7774-2199-5 539 S. € 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Zitha Pöthe, Technische Universität Berlin

Wer war Andreas Schlüter? Dieser Frage geht die Sonderausstellung „SCHLOSS BAU MEISTER. Andreas Schlüter und das barocke Berlin“ nach. Das Bode-Museum erinnert an den 300. Todestag des gebürtigen Danzigers (1659/60-1714). Schlüters Schlossumbau steht ebenso im Zentrum der Schau wie seine Bildhauerarbeiten. So sind scheinbar schwebende Bronzekolosse, dramatisch bewegte Götterfiguren sowie allerlei phantastische und naturalistische Tierkörper aus Sandstein in ihrer Vielfalt zu bewundern. Der Kurator Hans-Ulrich Kessler hat die aktuelle Ausstellung dezentral konzipiert. Auf den Spuren Schlüters durchquert der Besucher außer dem Bode-Museum auch die historische Mitte Berlins mit Werken in der Marienkirche, dem Berliner Dom und dem Zeughaus. Dafür erschien eigens ein kleiner Stadtführer.1 Der Fokus des Haupthauses liegt auf Werken, die Schlüter für seinen berühmten Auftraggeber Kurfürst Friedrich III. anfertigte, der 1701 als König Friedrich I. in Preußen den Thron bestieg.

Es ist ein großes Verdienst der Ausstellung, dass sie eingangs die historische Grundlage für Schlüters Schaffen abbildet. Die Funktion der Kunst unter Kurfürst Friedrich Wilhelm I. (1620-1688) wird klar eingeordnet. Kunstwerke dienten der Inszenierung und Überhöhung des Fürsten als Regent, Kunstkenner und Förderer der Künste. Der Umstand, dass der Auftraggeber im Abstimmungsprozess mit Künstlern und Handwerkern die Entscheidungen traf, wird von der modernen Kunstwissenschaft, besonders für die folgenden Jahrhunderte unter den preußischen Königen, gern ausgeklammert. So erklärt sich auch der Widerspruch zwischen Ausstellung und Begleitband an dieser Stelle. Einzelne Beiträge machen aus Kurfürst Friedrich III. eine Randfigur bei der Gestaltung des Berliner Schlosses.2

Der nächste Abschnitt der Ausstellung gibt einen Überblick darüber, wie Friedrich III. (1657-1713) die Kunstproduktion entwickelte. Ihm verdankt Berlin die Gründung der Akademie der Künste und mechanischen Wissenschaften nach französischem Vorbild. Schlüter brachte dank seiner Studienaufenthalte in Italien und seiner Tätigkeit für den polnischen König wertvolles künstlerisches Kapital nach Berlin. 1694 stellte Friedrich ihn als Bildhauer an. Damit bereitete der Fürst eine Kunst auf höherem Niveau vor, die er seinem Plan unterordnete, sich zum König zu erheben.

Zwei bedeutsame Bronzen Schlüters entstanden in der Anfangsphase der Akademie. Das erste Standbild Friedrich zu Fuß von 1698 stellt das Konterfei Friedrichs dar. Es war für den Hof des Zeughauses bestimmt, wurde aber aus unbekannten Gründen nicht aufgestellt. Die Ausstellung gibt einen Eindruck vom Aufstellungsort. Modelle von Schlüters tönernen Trophäen veranschaulichen, wie die Statue im Kreis abgeschlagener Köpfe den erfolgreichen Sieger repräsentieren sollte. Ironischerweise besitzt das Kunstwerk die griechische Leichtfüßigkeit des Apolls von Belvedere, wohingegen Friedrich an einer Entwicklungshemmung des Fußes und einer Wirbelsäulenverkrümmung litt. Den Schluss, dass Realität und Fiktion augenscheinlich zu weit auseinander lagen und der Kurfürst Gefahr lief, sich bei Aufstellung der Lächerlichkeit preiszugeben, zieht die Ausstellung jedoch nicht.

Die andere eindrückliche Skulptur Schlüters ist das monumentale Reiterstandbild von Friedrichs Vater, das im Foyer des Bode-Museums als Nachbildung und vor dem Charlottenburger Schloss im Original zu sehen ist. Die Statue im römischen Feldherrengestus wird auf Gemälden am historischen Aufstellungsort an der Langen Brücke gezeigt. Mit diesem Meisterwerk im öffentlichen Raum legitimierte Friedrich dann seine Macht und sein Streben nach der Königswürde.

Schlüter verstand es, den Fürsten mit den Mitteln der Kunst als erfolgreichen Souverän darzustellen. Als Baumeister realisierte Schlüter dessen Plan, die Doppelstadt Berlin-Cölln zu einer barocken Residenzstadt zu entwickeln. Er entwarf Gebäude, wie das Gießhaus, und er übernahm und erweiterte Bauplanungen, wie die für das Zeughaus. Wie viele Aufträge Schlüter, der auch einer Lehrtätigkeit an der Akademie nachging, gleichzeitig bewältigen musste, ist spätestens zu ahnen, wenn noch vor dem Themenkomplex „Schlossbau“ Schlüters Arbeiten an der Alten Post vorgestellt werden. Dem Betrachter werden anhand erhaltener Teile der Holzvertäfelung aus Eiche Schlüters spannungsreiche Interieurs vor Augen geführt.

Das Thema „Schlossbau“ eröffnet mit einem Modell (1:100) des historischen Schlosses, das den Zustand vor seiner Zerstörung 1950 wiedergibt. Schlüter begann 1699 mit dem Umbau. Von der imposanten Fassadengestaltung und der detailreichen Innenausstattung ist wegen der Sprengung durch das DDR-Regime kaum etwas erhalten. Dennoch zeugen die ausgestellten Exponate vom Erfolg Friedrichs, der das neue preußische Königtum verherrlicht sehen wollte – und die Sonderrolle, in der er sich wähnte. Von der Qualität der Schlossrekonstruktion kann sich der Besucher ebenfalls überzeugen. Ein prächtiger Mezzaninadler aus Sandstein ist im Original und als Rekonstruktion ausgestellt. Und ein Bildhauer der Werkstatt lässt sich vor dem Bode-Museum bei der Arbeit über die Schulter schauen.

Anschließend informiert die Ausstellung über das Ende von Schlüters Karriere, weicht der damit verbundenen Tragik aber aus. Wegen des Baudebakels am Münzturm berief Friedrich ihn 1706 als Schlossbaumeister und später als Hofarchitekten ab. Schlüters Ruf trug einen Makel davon, und private Aufträge versiegten. Als Friedrich 1713 starb, wurde dem Künstler befohlen, dessen Sarg herzustellen, der heute im Berliner Dom steht. Danach wurde er gänzlich entbunden. Für einen Neuanfang zog Schlüter nach Russland. Als Oberbaudirektor des Zaren plante er ein Jahr lang das Sommerpalais und legte Gärten an. Doch Schlüter sei, wird ein damaliger Beobachter im Katalog zitiert, „durch die immerwährenden Geschäfte krank und abgemattet“ gewesen, er „wurde krank und starb“.3 Dass Schlüter als Künstler von seinen Auftraggebern hemmungslos verbraucht worden war, dass ihn die Arbeitsbedingungen und der tiefe Fall als Mensch aufgerieben haben müssen, bildet die Ausstellung nicht ab. Schlüter brach den Kontakt zur Außenwelt an seinem Lebensende ab und arbeitete manisch an einem Perpetuum mobile, einer Maschine ohne Energieverluste. Das kennzeichnet einen desolaten mentalen Zustand. Mit nur vierundfünfzig Jahren starb er 1714 in St. Petersburg. In Preußen verblasste sein Ruhm im Laufe der Zeit neben anderen namhaften Künstlern der Barockzeit.

Die letzte große Schlüter-Ausstellung in Deutschland liegt fünfzig Jahre zurück. Die DDR richtete sie 1964 in Ost-Berlin aus. Schlüters Werk wurde damals ausschließlich ins Spannungsfeld seines näheren Umkreises gesetzt. Die aktuelle Ausstellung zeichnet sich dagegen durch die gelungene Einbeziehung von Kunst aus, die Schlüters Werke in ihren kunsthistorischen Kontext einbettet. Zum Beispiel ist die Marmorbüste der Medusa, die Gianlorenzo Bernini um 1635 schuf, eine Leihgabe aus Rom und eine sinnvolle Anmerkung zur Entwicklung des Bauschmuckes am Zeughaus. Die Sonderausstellung beansprucht zu Recht, „die erste umfassende Ausstellung überhaupt“ (Ausstellungsbroschüre) zu sein, die dem Künstler gewidmet ist und durch internationale Leihgaben bereichert wird. Der Katalog spiegelt das wider.

Zu kritisieren ist das inhaltliche Auseinanderfallen von Audioführung und Katalogtexten. In der Führung wird das Tondo Pitti von Michelangelo als Vorbild für die Reliefs der Alten Post vorgestellt. Im Katalog findet es keine Erwähnung.4 Auch scheinen die Beiträge redaktionell nicht genau abgeglichen worden zu sein. Die Mühe hätte dem Leser aber etliche Wiederholungen und einiges an Gewicht, das Buch wiegt 3,2 Kilogramm, erspart. An der Besprechung der Alten Post im Katalog wird außerdem die Unsicherheit der Forschung bei der Entschlüsselung von Allegorien deutlich. So wird zum Beispiel im Relief Allegorie der Verschwiegenheit ein Vogel nicht genau klassifiziert. Es ist jedoch augenfällig, dass es sich nicht, wie vorgeschlagen, um einen Schwan oder eine Gans, sondern um einen Kranich handelt, das antike Sinnbild der Wachsamkeit. Das Skulpturenprogramm des Schlossbaus erfährt auch keine tiefere Ausdeutung. So bleibt über weite Strecken unklar, mit welchen Gedanken die Menschen zur Zeit Schlüters an die Kunstwerke in der historischen Mitte Berlins herantraten. Das widerspricht im Grunde dem Ziel der Ausstellungsmacher, die verlorene Mitte wiedererstehen zu lassen.

Die Ausstellung ist anregend und mit viel Aufwand präsentiert. Sie bietet eine aktuelle Übersicht über den Forschungsstand zu Schlüters Werk. Sie ist da eindrucksvoll, wo sie sich der Kunst in der Barockzeit widmet und wirkt, sicherlich der dürftigen Quellenlage und Gewichtung geschuldet, dort blass, wo es um Schlüters Person geht. Die Farbästhetik der Räume und die Ausstellungsarchitektur laden durchweg zum Verweilen und Genießen der Kunstwerke ein. Ein Besuch hat sich auf jeden Fall gelohnt.

Anmerkungen:
1 Hans-Ulrich Kessler (Hrsg.), Schlüter in Berlin. Stadtführer, Berlin 2014.
2 Vgl. Guido Hinterkeuser, Andreas Schlüter und das Berliner Schloss: Die Architektur, in: Hans-Ulrich Kessler (Hrsg.), Andreas Schlüter und das barocke Berlin, Berlin 2014, S. 258-285; ders., Andreas Schlüters Skulpturenprogramm für das Berliner Schloss. Zwischen Konzeption und Organisation, in: ebd., S. 286-327.
3 Regina Deckers, Andreas Schlüter in St. Petersburg, in: ebd., S. 436-447, hier S. 446.
4 Vgl. Guido Hinterkeuser, Andreas Schlüter und die Alte Post in Berlin, in: ebd., S. 374-399.

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