Willy Brandt – Politikerleben

Willy Brandt – Politikerleben

Veranstalter
Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung (11416)
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11416
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.06.2012 -
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carl-Friedrich Höck, Redaktion vorwärts

Zweieinhalb Jahre nach dem Auszug aus dem Rathaus Schöneberg ist es soweit: Die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung (BWBS) hat am 19. Juni ihre neue Dauerausstellung „Willy Brandt – Politikerleben“ eröffnet. Sie befindet sich im Zentrum Berlins, wenige Meter vom Brandenburger Tor entfernt. Es ist ein denkbar günstiger Ort für die BWBS, um ihrem Auftrag gerecht zu werden, als von der Bundesrepublik eingerichtete Politikergedenkstiftung das Andenken an das politische Wirken Willy Brandts zu wahren. Ihre neue Ausstellung richtet sich an eine breite Öffentlichkeit und ergänzt die bereits seit 2007 bestehende Brandt-Ausstellung der BWBS im Willy-Brandt-Haus Lübeck.

Das Konzept der Ausstellung erscheint zunächst wenig innovativ: Sie will „die Erinnerung an das Leben und Wirken Willy Brandts“ wachrufen, wie es in einer Ausstellungsbroschüre heißt. Die Schau liefert einen chronologischen Überblick von der Politisierung Brandts als Jugendlicher bis zu seinem Tod 1992. Sehenswert ist sie dennoch, denn den Machern ist es einerseits gelungen, die Biografie des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers auf ihre wesentlichen Zäsuren zu reduzieren, wodurch die Ausstellung auch für Geschichtslaien leicht zugänglich wird. Andererseits bietet sie eine Fülle an Vertiefungsmaterial, das auch weniger bekannte Aspekte der Biografie Brandts beleuchtet.

Den Besucher erwartet ein Ensemble von weißen Blöcken, die zugleich als Stellwände und Vitrinen dienen. Sie sind aufgeteilt in fünf Themenbereiche, die sich chronologisch an Brandts Biografie orientieren. Dies umfasst seine Jugendjahre und das Exil in Skandinavien, seine Zeit im geteilten Berlin, seine Jahre in der Regierung Berlins, seine Rolle als „Staatsmann ohne Staatsamt“ und abschließend sein Leben als „überzeugter Europäer und deutscher Patriot“. Im Gegensatz zu ihrem Lübecker Pendant kommt die Ausstellung „Politikerleben“ ohne spektakuläre Inszenierungselemente (wie nachgestellten Arbeitszimmern und ähnlichem) aus. Ihre Architektur ist schlicht und funktional, was auf eine bewusste Entscheidung der Stiftung zurückzuführen ist. Denn dadurch soll sie sachlich wirken und für verschiedene Interpretationen offen sein, wie die Museumspädagogin Julia Hornig erklärt. Als gestalterisches Element haben die Ausstellungsmacher die einzelnen Blöcke mit Losungen versehen („Freiheit verteidigen“, „Beharrlichkeit zeigen“). Sie stehen charakteristisch für die einzelnen Lebensabschnitte Willy Brandts und zeigen sowohl Wandlungen als auch – da sich einige von ihnen wiederholen – rote Fäden in Brandts Biografie auf.

Die ersten beiden Abschnitte geben einen pointierten Überblick über Brandts Jugendjahre und seinen politischen Aufstieg in der SPD. Ein besonderes Augenmerk wird auf seine politische und publizistische Widerstandsarbeit während der NS-Herrschaft gelegt, die er zunächst im Untergrund und später im skandinavischen Exil betrieb. Als Quellenmaterial dienen hier unter anderem Briefe Brandts, die seine damalige Situation in durchaus dramatischer Form widerspiegeln. Konsequent widerspricht die Ausstellung einigen Mythen, die sich teilweise bis heute hartnäckig halten. Dazu gehört die Behauptung, Brandt habe im Weltkrieg auf norwegischer Seite aktiv gegen deutsche Soldaten gekämpft. Woher derartige Gerüchte stammen, wird im zweiten Abschnitt der Ausstellung besonders deutlich. Sie zeichnet Brandts politischen Aufstieg in der SPD nach: seine Wahl zum Regierenden Bürgermeister von Berlin 1957, die prägende Erfahrung des Mauerbaus 1961, seine gescheiterten Kanzlerkandidaturen 1961 und 1965 und seine Wahl zum SPD-Vorsitzenden 1964. Dabei musste er sich beständig gegen politische Gegner behaupten, die ihn mal als Vaterlandsverräter, mal als Faschist zu diskreditieren versuchten und dabei vor Verleumdungen nicht zurückschreckten.

Erwartungsgemäß kommt im dritten Themenblock der Ausstellung, der sich Brandts Regierungsjahren 1966 bis 1974 widmet, seiner Ostpolitik eine besondere Rolle zu. Ausgestellt ist unter anderem die originale Nobelpreismedaille, die er hierfür erhalten hat. Kontroverse innenpolitische Entscheidungen wie die Notstandsgesetze (1968) oder der Radikalenerlass (1972) werden dagegen nur beiläufig erwähnt. Das ist sicherlich dem begrenzten Platz in den Ausstellungsräumen geschuldet. Dennoch ist es zu bedauern, dass hier eine Gelegenheit verpasst wurde, auch die weniger glamourösen Momente seiner Biografie einzuordnen und zu reflektieren. Exemplarisch für die seinerzeit heftigen Debatten um Brandts Politik stellt die Ausstellung dafür ausführlich das gescheiterte Misstrauensvotum und die anschließende Neuwahl des Bundestages 1972 dar. Die Exponate reichen von einem Aufruf der „Bürger für Brandt“ (an dem sich zahlreiche Künstler und Intellektuelle beteiligten) bis hin zu einem rechtsextremen Flugblatt („Wer Brandt wählt, wählt Bolschewismus“). Sie zeigen auf, wie gespalten die Gesellschaft in der Bewertung des SPD-Kanzlers damals war. Besonders verdienstvoll sind die letzten beiden Teile der Ausstellung, die Brandts politisches Wirken nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler 1974 beleuchten. Gerade diese Zeit erklärt die historische Sonderrolle Brandts, da er auch ohne offizielles Staatsamt die internationale Politik prägen konnte, wie seine Beiträge zur globalen Entwicklungspolitik, zur Abrüstung und für ein vereintes Deutschland zeigen.

Es fällt auf, dass die Ausstellung weitgehend ohne dreidimensionale Objekte auskommt. Vieles ist sogenannte Flachware – Plakate, Briefe, Fotos. Zudem sind die meisten Objekte lediglich Reproduktionen. Ausgeglichen wird dies jedoch durch den umfassenden Einsatz multimedialer Präsentationsformen. Die zahlreichen Video- und Hörstationen dienen als Fundgruben, in denen auch in der Geschichte gut bewanderte Besucher/innen noch Neues entdecken können.

Obwohl die Ausstellung insgesamt ein relativ unkritisches Bild von Willy Brandt zeichnet, finden sich hier einige besonders gelungene Beispiele für multiperspektivische Präsentationsformen. Eine Vitrine erzählt zum Beispiel die Geschichte seiner Warschau-Reise von 1985, in deren Verlauf er mit dem polnischen Staatschef Wojciech Jaruzelski sprach, aber auf ein Treffen mit dem Anführer der oppositionellen Gewerkschaft Solidarność, Lech Wałęsa, verzichtete. Brandt befürchtete, er könnte den innerpolnischen Dialog erschweren, wenn er sich einmischt. Dies löste damals rege Diskussionen aus. Ein beschwichtigender Brief des SPD-Vorsitzenden an Wałęsa wird in der Präsentation kombiniert mit einer Hörstation, in der deutsche und polnische Protagonisten mit sehr unterschiedlichen Meinungen zu Wort kommen. Auch wenn dieser Besuch aus heutiger Sicht kaum mehr als eine Anekdote ist, zeigt das Beispiel anschaulich, welchen Zwängen auch Brandt unterworfen war, und wie widersprüchlich seine Ziele und sein Handeln manchmal erscheinen mussten.

Gemessen am Anspruch der BWBS, über Willy Brandts politisches Wirken zu informieren, ist die Ausstellung „Politikerleben“ gelungen. Sie wird sowohl dem Laufpublikum vor dem Brandenburger Tor als auch den Willy-Brandt-Interessierten gerecht. Wer sein Wissen über den bedeutendsten SPD-Politiker der Nachkriegsgeschichte auffrischen oder vertiefen möchte, dem sei daher ein Besuch empfohlen. Das größte Verdienst der Ausstellung ist es, dass sie auch die Erinnerung an Brandts politisches Engagement nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler wach hält. Gänzlich Neues bietet sie allerdings nicht.

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