BERLINmacher

Veranstalter
Stiftung Stadtmuseum Berlin Ephraim-Palais (10198)
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10198
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.04.2012 - 28.10.2012

Publikation(en)

Cover
Stiftung Stadtmuseum Berlin; Nentwig, Franziska; Bartmann, Dominik (Hrsg.): BERLINmacher. 775 Porträts – ein Netzwerk. Bielefeld 2012 : Kerber Verlag, ISBN 978-3-86678-665-3 224 S. € 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hanno Hochmuth, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Der rote Faden zog sich schon durch das Nikolaiviertel. Bereits auf dem Weg zum Ephraim-Palais verwiesen zahlreiche rote Würfel, die links und rechts vor den Geschäften baumelten, auf die zentrale Ausstellung der Stiftung Stadtmuseum Berlin zum 775-jährigen Stadtjubiläum. Auf den Würfeln fanden sich Kurzbiographien ausgewählter Berliner. Wollte man mehr über sie erfahren, wurde der Besuch der Ausstellung „BERLINmacher. 775 Porträts – ein Netzwerk“ empfohlen, die vom 18. April bis zum 28. Oktober 2012 im Ephraim-Palais gezeigt wurde.

Im Foyer des Palais setzte sich der gespannte Faden fort und leitete den Besucher hinauf zur Ausstellung. Ein roter Metallstreifen schlang sich durch das Treppenhaus nach oben und verflocht sich im ersten zentralen Raum der Ausstellung zu einem riesigen roten Knäuel. Diese Installation, die allzu sinnfällig ein Netzwerk darstellen sollte, ziert auch das Cover des aufwendig gestalteten Ausstellungskatalogs, der 75 Biographien zu den ausgestellten Berliner Persönlichkeiten und fünf übergreifende Essays enthält; darunter Petra Kabus zu den Berliner Salons als Netzwerken der besonderen Art und Wolfgang Kaschuba über die Tribalisierung des Urbanen. In ihrem Vorwort betonen die beiden Herausgeber Franziska Nentwig und Dominik Bartmann den künstlerischen Charakter der Ausstellungskomposition, die subjektiv ausgewählte „Berlinmacher“ in einer netzwerkartigen Szenografie assoziativ verknüpfen soll. Die Ausstellung sei keine klassische stadthistorische Jubiläumsschau, sondern ein theatrales Schaustück. Die Auswahl der gezeigten Personen sei willkürlich, die Handlung offen, vielfältig und bunt wie Berlin selbst (S. 9).

Eine solchermaßen offensive Konzeptlosigkeit ist durchaus legitim, nur fand sich hierüber in der Ausstellung selbst kein Wort. Kein Einführungstext diente der Orientierung. Der Besucher musste sich die Ausstellung allein erschließen. Das eifrige Aufsichtspersonal sprang in die Lücke und erläuterte das farbige Liniensystem auf dem Parkett, das die ausgestellten Persönlichkeiten in den kabinettartigen Räumen miteinander in Beziehungen setzen sollte. Die roten Linien verbanden die drei bis vier Berlinerinnen und Berliner, die in jedem Kabinett dargestellt wurden. Die grauen Linien verwiesen auf Beziehungen zu Personen im anschließenden Raum und sollten auf diese Weise durch die Ausstellung führen. Das so gespannte Beziehungsgeflecht war zumeist vollkommen arbiträr. So wurden etwa die DDR-Rockmusikerin Tamara Danz und die brandenburgische Sozialministerin Regine Hildebrandt dadurch verbunden, dass beide durch die Zeitschrift „SuperIllu“ in der Reihe „Die Unvergessenen“ aufgelistet worden sind. In einigen Fällen zeigte die Ausstellung jedoch auch ganz originelle Beziehungen auf. So trug der Komponist Paul Lincke beim Dirigieren die gleichen weißen Glacéhandschuhe wie der Henker Julius Krautz, der entsprechend stilvoll den gescheiterten Kaiserattentäter Max Hödel enthauptete, dessen Gehirn wiederum der Pathologe Rudolf Virchow unbedingt sezieren wollte.

Solche Netzwerke sind freilich nicht dazu geeignet, die Stadt als soziales Netzwerk zu begreifen. Hierfür hatten die ausgewählten Personen schlicht zu wenig miteinander zu tun. Sie verteilten sich auf acht Jahrhunderte Stadtgeschichte, wobei die Personen nicht chronologisch angeordnet, sondern mehr oder weniger thematisch gruppiert wurden. Die Kuratoren haben erst gar nicht den aussichtslosen Versuch unternommen, zu einer repräsentativen Auswahl zu gelangen. So blieb der ausgestellte Personenkreis insgesamt sehr männlich, konzentrierte sich vor allem auf Künstler und Unternehmer und entsprach nicht zuletzt wohl den Sammlungsschwerpunkten in den Beständen des Berliner Stadtmuseums, aus denen sich die Ausstellung zum größten Teil zusammensetzte.

Die Objekte wurden sorgfältig inszeniert und standen ganz im Zentrum der Ausstellung. Dabei reichten die Exponate von den ersten Urkunden, in denen die Stadt erwähnt wird, über zahlreiche Grafiken, Fotos, Ton- und Filmdokumente bis hin zu Kleidungsstücken und riesigen Dermoplastiken verstorbener Eisbären. Die Beschriftung der Objekte konzentrierte sich auf das Nötigste, wobei offenbar erst nachträglich der Unterschied zwischen Original und Reproduktion kenntlich gemacht wurde. Die Texte zu den Personen waren in Deutsch und Englisch auf den gleichen roten Würfeln zu lesen, die schon außerhalb des Museums für die Ausstellung warben. Semantisch optimiert enthielten die Texte nur die wichtigsten Informationen zum Leben und Wirken der historischen Berlinerinnen und Berliner, die in der Ausstellung vorgestellt werden sollten.

Die Ausstellung beschränkte sich jedoch nicht nur auf die 75 mehr oder weniger bekannten historischen Persönlichkeiten. Ganz im Sinne des viel zitierten „doing city“1 wurden im oberen Geschoss nicht weniger als 700 gegenwärtige „Berlinmacher“ präsentiert, die von Studierenden der Hochschule für Technik und Wirtschaft auf der Straße angesprochen und befragt worden waren, warum sie die Stadt mögen. Die Antworten waren zusammen mit Schnappschüssen der Befragten und etwas wahllos erscheinenden Stadtplanausschnitten wiederum auf roten Würfeln zu finden, die an langen Seilen hingen und nach Belieben gedreht und durchschritten werden konnten. Durch diese Gegenwartsinszenierung sollten die Akteure als Macher der Stadt offenbar ernst genommen und eingebunden werden. Und ganz nebenbei gelangten die Ausstellungsmacher so zu einer Personenzahl, die dem 775-jährigen Stadtjubiläum Berlins entsprach.

Im Gegensatz zu den anderen Jubiläumsausstellungen dieses Sommers, die mit den Themen Mittelalter und Migration klarere Schwerpunkte setzten und durch eine ungleich offensivere Vermarktung stärker im Stadtbild verankert waren2, stieß die Ausstellung „BERLINmacher“ nicht auf die erhoffte Besucherresonanz. Dies mag auch daran gelegen haben, dass die Ausstellung wenig raum-zeitliche Orientierung bot und kaum historische Zusammenhänge deutlich machte. Das assoziative Netzwerk bedeutender Berlinerinnen und Berliner vermochte insgesamt kaum zu überzeugen. Die dargestellten Porträts bildeten jedoch ein beeindruckendes Panoptikum Berliner Biographien und lassen sich gut im Katalog der Ausstellung nachblättern.

Anmerkungen:
1 Vgl. Silke Roesler, Doing City. New York im Spannungsfeld medialer Praktiken (= Marburger Schriften zur Medienforschung 14), Marburg 2010.
2 Vgl. Paul Sigel: Ausstellungs-Rezension zu: Party, Pomp und Propaganda. Die Stadtjubiläen von 1937 und 1987 25.08.2012–28.10.2012, Open-Air-Ausstellung vor der Marienkirche Berlin-Mitte, in: H-Soz-u-Kult, 20.10.2012, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=166&type=rezausstellungenngen> (10.01.2013).

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