Durch Nacht zum Licht? Geschichte der Arbeiterbewegung 1863–2013

Durch Nacht zum Licht? Geschichte der Arbeiterbewegung 1863–2013

Veranstalter
TECHNOSEUM. Landesmuseum für Technik und Arbeit <http://www.technoseum.de/ausstellungen/durch-nacht-zum-licht/>
Ort
Mannheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.02.2013 - 25.08.2013

Publikation(en)

Cover
TECHNOSEUM (Hrsg.): Durch Nacht zum Licht?. Geschichte der Arbeiterbewegung 1863–2013. Redaktion: Horst Steffens u.a. Mannheim 2013 : TECHNOSEUM Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim, ISBN 978-3-9808571-7-8 450 S. € 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Holtwick, DASA Arbeitswelt Ausstellung, Dortmund

Die Freiheit von Wissenschaft und Kunst ist in Deutschland sehr weitgehend geschützt. Historische Ausstellungen fallen weder unter die eine noch unter die andere Kategorie. Insofern gehört zu einer Kritik solcher Museumsschauen immer der Blick auf deren Entstehungszusammenhang. Im vorliegenden Fall ist dieser sicher bemerkenswert.

Die Ausstellung „Durch Nacht zum Licht? Geschichte der Arbeiterbewegung 1863–2013“ des TECHNOSEUMs in Mannheim (früher Landesmuseum für Technik und Arbeit, heute eine Stiftung öffentlichen Rechts des Landes und der Stadt Mannheim) gehört zu den „Großen Landesausstellungen“ Baden-Württembergs. Diese werden durch Sondermittel des Landesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst finanziert. Die Reihe der „Großen Landesausstellungen“ begann 1977 mit der Staufer-Ausstellung, deren Publikumserfolg von mehr als 650.000 Besuchern bis heute nachhallt. Das Themenspektrum weist mittlerweile über einen engen Landesbezug hinaus, und die Besucherzahlen des Jahres 1977 sind wegen der vielfältigen Ausstellungs- und sonstigen Medienangebote nicht ansatzweise mehr erreichbar; trotzdem handelt es sich weiterhin um Prestigeprojekte der baden-württembergischen Kulturpolitik. (Auch in mehreren anderen Bundesländern gibt es inzwischen „Landesausstellungen“ – mit jeweils etwas unterschiedlichen institutionellen Konstellationen.)

Bei der zu besprechenden Ausstellung kommt noch ein weiteres wichtiges Faktum hinzu: Sie beschäftigt sich mit der Geschichte und Gegenwart einer politischen Partei, die heute als Juniorpartner der Grünen die Landesregierung stellt. Angesichts des üblichen Planungsvorlaufs dürfte zwar der Beschluss über Thema und Ort noch in die Oppositionszeit der SPD gefallen sein (bis Frühjahr 2011). An der potenziellen politischen Brisanz des Themas ändert das aber nichts.

Beide Befunde legen nahe, dass sich die Ausstellungsmacher auf heiklem Terrain bewegen mussten; ihr Mut ist uneingeschränkt zu loben. Die Einrichtung eines wissenschaftlichen Beirats ist hier eine naheliegende und kluge Maßnahme, die auch im vorliegenden Fall ergriffen wurde. Das Unterfangen ist zweifellos ambitioniert, die Geschichte der Arbeiterbewegung von den Anfängen bis zur Gegenwart zu präsentieren. Ein Zeitraum von 150 Jahren, tiefgreifender ökonomischer und sozialer Wandel, der Wechsel radikal unterschiedlicher, ja antagonistischer politischer Systeme eingebettet in globale Zusammenhänge – all das stellt große Anforderungen an Inhalt und Gestaltung einer Ausstellung, zumal auf einem letztlich doch begrenzten Raum von ca. 900 Quadratmetern. Es wäre eine nähere Begründung wert gewesen, warum der Horizont so weit gespannt wurde und welche Chancen und Alternativen dabei vielleicht abgewägt wurden – zumal für eine baden-württembergische „Große Landesausstellung“, die zumindest in Teilen eine regionale Orientierung nahelegt.

Beim Titel nehmen sich die Ausstellungsmacher sehr zurück. Sie verwenden ein historisches Zitat (aus einem Lied streikender Bergarbeiter von 1889) und formulieren es in eine Frage um – beides probate Mittel, um sich nicht über Gebühr mit eigenen Thesen zu exponieren, sondern die Quellen sprechen zu lassen und dem Leser/Besucher die Antworten anheim zu stellen. Das Vorwort des Direktors Hartwig Lüdtke im umfangreichen Ausstellungskatalog begründet das Fragezeichen: „Leben wir heute tatsächlich im ‚Licht’?“ (S. 8)1

Die Ausstellung gliedert sich räumlich in sechs Abteilungen (Bis 1863; 1863–1890; 1890–1918; 1919–1945; 1945–1980; 1980–2013), wobei die Abteilung „1945–1980“ aus einem „BRD-“ und einem „DDR“-Segment besteht. Jede dieser Abteilungen umfasst einen rechteckigen Raum, zum Teil mit Nischen oder auch inneren Untergliederungen. Die Besucher müssen auf ihrem Rundgang zwingend die Chronologie in der vorgegebenen Reihenfolge durchlaufen. Alle Räume werden durch einen auf weißem Untergrund gedruckten Text eingeleitet.

Die Decken und Wände des Sonderausstellungsbereichs sind schwarz. Der Fußboden besteht aus naturfarbigem Industrieparkett – die einzige warme Farbnote. Die Ausstellungsarchitektur basiert auf Metallgerüsten, in die schwarze Tücher mit in grau gedruckten Zahnradsilhouetten als Hintergründe eingehängt sind. Flache, graue, großformatige Zahnräder schweben vor den Tüchern. Beim Durchschreiten der Räume erscheinen die Gerüstelemente allerdings deutlich prägnanter als die Zahnrad-Darstellungen, so dass die Maschinenhaftigkeit, auf die der Gestalterbeitrag im Katalog rekurriert (S. 24, S. 26), etwas zurücktritt. Die silberfarbigen Gerüststangen strukturieren die Räume optisch. Sie lassen sich als Verweise auf Arbeitszusammenhänge ebenso lesen wie auf Veränderbarkeit und Wandel. Die Architektur schafft in der Gesamtbetrachtung eine Art „Setzkasten“, in den die Objekte – zu thematischen Gruppen gebündelt – hineingefügt sind. Die Beleuchtung erfolgt punktuell und hebt Einzelobjekte hervor.

Zum Textkonzept gehören neben den (weißgrundigen) Einleitungstexten der Abteilungen Texte für kleinere Themenbereiche (weiße Schrift auf schwarzem Grund) und schließlich Objektbeschriftungen. Umfassendere Hintergrundinformationen bieten die bemerkenswerten „Zeitschleifen“ – ca. 50 Zentimeter breite Textbänder, die die Besucher mit einer Kurbel vor- und zurückbewegen können. Diese stehen jeweils einmal pro Abteilung bereit. Die Texte sind von wenigen Ausnahmen abgesehen bei normaler Sehfähigkeit gut lesbar. An einigen Stellen finden sich Hörstationen, in denen Musikstücke ausgewählt werden können. Mehrere Bildschirme bieten historisches Filmmaterial oder nachgestellte Szenen.

Neben einer beeindruckenden Anzahl von Originalobjekten fallen auch viele Reproduktionen auf. Im Regelfall handelt es sich dabei um „Flachwaren“, allerdings werden auch Flaggen als Farbdrucke reproduziert. Für jede Abteilung sind ein bis zwei „Leitobjekte“ benannt, an denen sich zentrale Zusammenhänge manifestieren. Die Hälfte der Ausstellungsfläche ist der Zeit bis 1918 gewidmet, die 95 Jahre danach nehmen noch einmal denselben Raum ein. Insofern sind Objektmenge und Themenspektrum für die Frühzeit der Arbeiterbewegung erheblich größer als für die späteren Perioden.

Das erlaubt mit der Abteilung „Bis 1863“ einen Auftakt, der durch die raumgreifende Verteilung der Objekte Ruhe ausstrahlt. Die Revolution von 1848 wird genauso angesprochen wie frühe Organisationsbemühungen und theoretische Auseinandersetzungen. Das Blatt mit Karl Marx’ Entwurfsnotizen zum „Kommunistischen Manifest“ gehört zu den optisch zwar unscheinbaren, für Experten aber eindrucksvollsten Originalen. Leitobjekt ist hier eine Druckerpresse, die vielfältige Assoziationen auslöst: Bildung, Agitation, Zensur, Arbeitsorganisation, Industrialisierung – um nur einige zu nennen.

Nach dieser eher als Vorgeschichte angelegten Einheit wird die nächste von der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins 1863 bestimmt. Weitere wichtige Daten sind die Gründung der sozialdemokratischen Arbeiterpartei 1869 und die Vereinigung 1875. Das Augenmerk richtet sich auf das Verhältnis von Arbeiterbewegung und Staat. Das Thema „Sozialistengesetz“ wird durch einige senkrechte Gerüststangen gestalterisch herausgehoben. Diese sind im Abstand von ca. 10 Zentimetern angebracht und erinnern an Gitterstäbe und Gefängniszellen. Die Leitobjekte aus der Textilindustrie bleiben in ihrer optischen Wirkung deutlich hinter dem Großfoto August Bebels zurück.

Die folgende Abteilung beginnt mit der Aufhebung des Sozialistengesetzes 1890 und geht bis zum Ende des Kaiserreichs.2 Das Themenspektrum ist breit gefächert, wobei viel Wert auf die Darstellung der „dritten Säule“ der Arbeiterbewegung gelegt wird: das Geflecht von Konsum-, Freizeit- und Kulturvereinen. Einen Blickfang bildet die vergrößert reproduzierte Lithografie einer Kampfszene zwischen Arbeitern und Polizisten bei den Haymarket-Unruhen in Chicago 1886, um die herum sich Objekte zu Arbeitskämpfen in Deutschland gruppieren.

Im Ausstellungsplan, der den Pressematerialien auf der Website beigefügt ist, findet sich als „Leitobjekt“ ein ganzer Ausstellungsbereich bezeichnet, das „Bergwerk“. Hier ist gewissermaßen im raumbildenden Gerüst ein ‚Nebengang’ geschaffen, der Werkzeug aus dem Bergbau mit Objekten zur Organisationsgeschichte vereinigt. Der schmale Gang, die verringerte Raumhöhe und schwarze Tücher lassen spontan an eine Situation unter Tage denken, ohne dass die Formensprache der Ausstellung aufgegeben würde.

Das gilt auch für die Abteilung „1919–1933“.3 Die gestalterische Konsequenz nivelliert hier die extreme Zäsur: Die Sozialdemokratie wurde Regierungspartei – erreichte gewissermaßen nach fünfzig Jahren der Nacht endlich das Licht. Das hätten die Gestalter Hühnlein & Hühnlein durchaus aufnehmen können. Angesichts der relativ kurzen Phase der Weimarer Republik verbietet sich aber eine eindimensionale Kritik an der getroffenen Entscheidung. Es stellt sich vielmehr die Frage: Inwieweit wirkten Strukturen aus dem Kaiserreich nach? Oder anders gewendet: Wie hell wurde es wirklich? Sozialgesetzgebung, Arbeiterkultur, Spaltung der Arbeiterbewegung sind nur einige der in dieser Abteilung behandelten Themen. Blickfang und Leitobjekt ist ein am Fließband produziertes Automobil, der Ford T – Verweis auf Rationalisierung, Mobilität und beginnenden Massenkonsum. Unter Anleitung haben die Besucher in dieser Abteilung die Chance, ein Element eines psychosozialen Eignungstests – Ausdruck der Rationalisierungseuphorie der 1920er-Jahre – selbst zu erproben. Ein solcher Zugang ist gerade für historische Ausstellungen noch immer nicht selbstverständlich.

Die nächste extreme Zäsur, der Beginn der nationalsozialistischen Diktatur, schlägt sich wiederum nicht im Raumbild nieder. Die 1933 beginnende ‚tiefste Dunkelheit’ (wenn man dieser nach 1945 oft bemühten, auch problematischen Metaphorik folgen möchte) können die Besucher nur für sich selbst imaginieren. Für diese Abteilung, die lediglich zwei Gerüst-Segmente umfasst, ist der Katalog eine beinahe unverzichtbare Ergänzung. Der Beitrag von Peter Steinbach (allerdings für die Jahre 1918 bis 1945) geht deutlich über die beiden in der Ausstellung zu findenden Themen „Gleichschaltung“ und „Widerstand und Exil“ hinaus. Im Begleitbuch wird das Ausmaß der Verfolgung besser erkennbar; ebenso können die Identifikationsangebote des Regimes genauer akzentuiert werden.

Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ergibt sich erneut eine etwas unklare Periodisierung. Katalogbeitrag und Grundrissplan nennen 1945 bis 1980. In der Ausstellung dagegen findet sich – auch baulich getrennt – eine Abteilung „1945–1949“ mit weißgrundigem Einleitungstext; dann eine zweite, sehr viel größere Sektion mit der Überschrift „1949–1980“. Die Besucher betreten also zunächst die unmittelbare Nachkriegszeit. Wenden sie sich nach links, landen sie in der „BRD“, gehen sie nach rechts, finden sie sich in der „DDR“ wieder. In beiden Fällen stoßen sie auf das Leitobjekt, einen „Mehrspindel-Automaten“, der 1945 von Leipzig nach Hanau gebracht und dort 1946 wieder in Betrieb genommen wurde. Interessanterweise fällt der Blick bei der Betrachtung der großen Werkzeugmaschine zwangsläufig auf die jeweils andere Seite, aber nicht ungehindert, sondern durch einen doppelten Maschendrahtzaun hindurch. Dies regt zu der Frage nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten, parallelen und divergierenden Entwicklungspfaden in Ost und West an.

Die letzte Abteilung der Ausstellung ist überschrieben mit „1980–2013“; sie konzentriert sich aber ganz auf die Zeit nach der deutsch-deutschen Vereinigung. Die verschiedenen Themen gruppieren sich um die Frage, welche Rolle die Arbeiterbewegung heute noch spielt bzw. spielen kann. Als Leitobjekte dienen hier eine Handnähmaschine mit Jeanshosen sowie ein Computerarbeitsplatz. Beide sind vor verspiegelte Hintergründe gestellt, die den Betrachter selbst mit ins Bild rücken. Die Besucher sind Teil der Lösung oder Teil des Problems – vielleicht auch beides zugleich.

Den eigentlichen Schlusspunkt bildet der imaginierte Ausblick „2063?“, der unter anderem eine Guy-Fawkes-Maske der „Anonymous“-Aktivisten präsentiert – vor allem aber einen Industrieroboter, dessen Bewegung vom Remix eines Arbeiterliedes untermalt wird. Die Besucher werden aufgefordert, an einer Befragung teilzunehmen: Wird mein Arbeitsplatz 2063 von einem Menschen oder einem Roboter ausgefüllt? Und wird es 2063 noch Gewerkschaften geben?

Der Ausdruck „Durch Nacht zum Licht“ enthält nicht nur eine Fortschrittsperspektive, er hat auch einen utopischen Gehalt. Die Gegenwart ist nicht der Endpunkt der Entwicklung, sondern der Beginn einer neuen und anderen Zukunft, selbst wenn das Heute dunkel erscheinen mag. Insofern stellt sich nicht so sehr die Frage, ob wir heute im Licht leben – oder für welche Teile der Gesellschaft das gilt –, sondern wie ein helleres Morgen aussehen kann. Selbst wenn bzw. gerade weil das emotional aufgeladene Pathos einer solchen Frage und die Denkfigur des „Fortschritts“ inzwischen eher als ein fremdes Erbe (auch) der Arbeiterbewegung erscheinen mögen, lässt sich der Informations- und Inspirationsgehalt der Mannheimer Ausstellung nur loben. Die Kuratoren sind weder einer parteipolitischen Richtung noch dem Ziel einer regionalen Identitätsbildung gefolgt; ihr Ansatz entspricht eher dem Forschungstrend, die frühere „Arbeitergeschichte“ zu einer „Geschichte der Arbeit“ zu erweitern. Der anschließenden Ausstellungsstation im Industriemuseum Chemnitz (30.10.2013 bis 1.5.2014) ist ebenfalls eine große Resonanz zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Der Katalog umfasst neben kurzen Einführungen in die Ausstellung und ihre Gestaltung sieben Beiträge, welche Hintergrundinformationen zu den Ausstellungseinheiten geben, sowie drei weiterführende „Essays“.
2 Es finden sich leicht abweichende Datierungen: Katalog und „Zeitschleife“ nennen 1890–1919; der weißgrundige Einleitungstext in der Ausstellung 1890–1918.
3 Die Periodisierung bleibt hier allerdings widersprüchlich: In der Ausstellung gibt es zwei „Einleitungstafeln“ – eine „1919–1933“, die zweite „1933–1945“, so dass von zwei getrennten Abteilungen auszugehen ist. Die Hintergrundinformationen zu beiden Einheiten sind allerdings auf einem gemeinsamen Rolltext unter der Überschrift „1919–1945“ zu finden, und so ist auch der Katalogbeitrag angelegt.