Otto der Große und das Römische Reich

Otto der Große und das Römische Reich

Veranstalter
Kulturhistorisches Museum Magdeburg
Ort
Magdeburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.08.2012 - 09.12.2012

Publikation(en)

Cover
Puhle, Matthias; Köster, Gabriele (Hrsg.): Otto der Große und das Römische Reich. Kaisertum von der Antike zum Mittelalter. Regensburg 2012 : Schnell & Steiner, ISBN 978-3-7954-2491-6 744 S. Museum: € 24,90 / Buchhandel: € 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Hoffmann, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Jubiläen bestimmen den Rhythmus von Museen in einem nicht unerheblichen Maße. Gleich zwei Jubiläen der Geschichte Ottos des Großen haben das Kulturhistorische Museum Magdeburg dazu bewegt, im Jahre 2012 eine Ausstellung über den berühmtesten Sohn der Stadt auf die Beine zu stellen. Zum einen jährte sich der Geburtstag Ottos zum 1100. Mal, zum anderen fand vor 1050 Jahren die Kaiserkrönung Ottos in Rom (2. Februar 962) statt. Nach zwei erfolgreichen Ausstellungen, die im Jahre 2001 („Otto der Große, Magdeburg und Europa“) und 2006 („Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation 962–1806“) zahlreiche Besucher in das Museum lockten, öffnete das Kunsthistorische Museum also die Tore für eine dritte, die als Abschluss einer Ausstellungstrilogie gedacht ist. Eine erste Bilanzierung hat bereits deutlich werden lassen, dass auch diese dritte Ausstellung mit mehr als 100.000 Besuchern als Erfolg gewertet werden darf.1

Hatte man mit der zweiten Ausstellung, die ebenfalls an ein rundes Jubiläum anknüpfte, noch Otto den Großen als Ausgangspunkt genommen, um die Geschichte des Römischen Reiches bis zum Ausgang des Mittelalters darzustellen, richtet die dritte Otto-Ausstellung den Blick zurück auf die Grundlagen des Kaisertums Ottos, versucht Diskontituitäten und Kontinuitäten, Adaptionen und Umdeutungen des Kaisertums in einem Zeitraum von rund 1000 Jahren den Besuchern vor Augen zu führen. Der Besucher verfolgt die „Ideengeschichte des europäischen Kaisertums“ (Gabriele Köster / Matthias Puhle, Otto der Große und das Römische Reich.
Kaisertum von der Antike zum Mittelalter, S. 27–39, hier: S. 32) in chronologischer Ordnung, die sich in fünf Abteilungen gliedert. Der Ausstellung ist ein umfangreicher, sehr übersichtlich gestalteter und reich bebilderter Katalogband zur Seite gestellt, der mittels einführender Essays sowie ausführlicher ergänzender Informationen über die einzelnen Exponate samt einer umfangreichen Bibliographie eine Vertiefung in die Thematik der Ausstellung ermöglicht.

Die Ausstellung breitet vor dem Betrachter ein vielfältiges Spektrum an Objekten aus, die aus ganz Europa und Übersee ihren Weg nach Magdeburg gefunden haben. Es umfasst etwa 300 Exponate und reicht von zahlreichen Münzen und Medaillons, Urkunden und Fibeln bis zu überlebensgroßen Plastiken. Bereits im Foyer des Museums sieht sich der Besucher mit einer kolossalen Plastik konfrontiert, der Statue eines sitzenden Mannes, der, im nackten Oberkörper nur von einer Toga um Hüfte und Unterkörper umhüllt und einen Kranz im Haar, die Linke zum Gruß erhebt. Es ist die Darstellung eines römischen Kaisers julisch-claudischer Zeit – bei dem Kopf der Statue handelt es sich um eine moderne Ergänzung – im Typus des Jupiter Capitolinus aus dem 1. Jahrhundert nach Christus, die, noch bevor man die Ausstellungsräume betritt, offenbart, dass man sehr unterschiedlichen Konzepten von Kaisertümern begegnen wird. Ein mittelalterlicher Kaiser hätte sich auf diese Weise gewiss nicht präsentieren können.

Als der Sachse Otto am 2. Februar 962 in Rom die Kaiserkrone aufs Haupt gesetzt bekam, sich auf Urkunden fortan als imperator augustus bezeichnete, knüpfte er an eine Tradition antiker und mittelalterlicher Kaiser an, die verbunden mit einer Idee vom Kaisertum, auf eine bewegte Geschichte zurückblickte. Der lange, anfangs überaus holprige Weg, an dessen Ende sich das Kaisertum Ottos befand, begann in der späten Republik des antiken Rom. In einen kleinen Raum ist diese äußerst spannende Zeit verbannt, sie hätte vielleicht etwas mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt. Die Geburtsstunde des Kaisertums, die Etablierung einer neuen Herrschaftsform, einer machtvollen repräsentativen und gleichzeitig sensiblen Bildsprache, der für den Erfolg des Kaisertums, wie Ulrich Gotter (Monarchen und Monarchie: Augustus und die Geburt des ,Prinzipats‘, S. 57–61) hervorhebt, eine fundamentale Bedeutung zukam, wird als ein allmählicher Prozess sichtbar gemacht. Den auftrumpfenden Bildern des jungen Generals weichen Bilder, die eine zeitlose Wohlordnung zu dokumentieren scheinen, deren Garant der Kaiser selbst zu sein vorgibt. Kaiser und Kaiserinnen treten als Verkörperung von Tugenden auf, es entstand „eine positiv konnotierte dynastische Bildsprache“ (S. 74), die sich als traditionsstiftend erwies. Auf einer ausgestellten Marmorkopie des berühmten clipeus virtutis, den Augustus zum Dank für die formelle Wiederherstellung der res publica verliehen bekam, werden virtus, clementia, iustitia und pietas des Prinzeps gefeiert, Tugenden, die auch im Mittelalter mit einem idealen Kaiser in Verbindung gebracht und deren Fehlen scharf kritisiert und betrauert wurden. Man trifft sie in Schrift und Bild fixiert auf zahlreichen Exponaten mittelalterlicher Zeit wieder.

Das Kaisertum machte in der Folgezeit zahlreiche Veränderungen durch. Als bedeutendste Entwicklungen werden die Christianisierung des Kaisertums unter Konstantin dem Großen, die Verlegung des Reichsmittelpunktes an den Bosporus, damit verbunden die Gräzisierung des Kaisertums anhand einer Vielzahl an Objekten sichtbar gemacht. Hier lohnt sich insbesondere ein Blick auf die kleineren Exponate, in erster Linie auf die Münzen, da diese in prägnanter, verdichteter Weise unmittelbar Auskunft über das Selbstverständnis des Kaisertums zu geben vermögen. Als ein besonderes Highlight aus spätantiker Zeit werden im Jahre 2005 auf dem Palatin entdeckte Kaiserinsignien zur Schau gestellt, die einzigartig sind, da sich ihnen materaliter keine Vergleichsstücke zur Seite stellen lassen. Sie werden Kaiser Maxentius zugeschrieben, also genau jenem Kaiser, der der Überlieferung des Siegers zufolge im Kampf gegen Konstantin und den Christengott unterlag.

Der Fokus der Ausstellung richtet sich des Weiteren auch auf das „Barbaricum“, also auf die Gebiete jenseits der faktischen Grenzen des Kaiserreiches, wo man sich auf verschiedenen Ebenen an einer imitatio imperii versuchte. Sie umfasste sowohl den „Gebrauch der Herrschaftszeichen, der Titulatur und des herrscherlich-höfischen Zeremoniells“ (S. 283) als auch die Nachahmung politisch-administrativer Strukturen. Grundsätzlich war man dort, im „Barbaricum“, „unersättlich und ungemein begierig nach Dingen, die bei ihnen selten sind“ (S. 318), wie eine byzantinische Quelle des 10. Jahrhunderts feststellte (De Administrando imperii). Als ein schönes Beispiel für die Fortführung römischer Bildungstraditionen wird ein auf Marmor gefasstes Grabgedicht für einen „germanischen“ Adeligen namens Hlodericus aus dem Trier des 6. oder 7. Jahrhunderts präsentiert. Zahlreiche Exponate illustrieren des Weiteren einen nachhaltigen Einfluss römischer Kunstfertigkeit, insbesondere Medaillons, Siegelsteine und Münzen.

Ein breiter Raum ist dem karolingischen Kaisertum unter dem Motto „Aneignung des römischen Kaisertums“ gewidmet, mit dem einerseits die Wiederanknüpfung an antike römische Kultur, andererseits die „Etablierung der Karolinger im Mittelmeerraum“ zum Ausdruck gebracht werden soll (S. 35f.). Beispiele dieser Aneignung römisch-antiker Kultur werden dem Betrachter in Fülle vorgelegt, Abschriften römischen Kulturschaffens eines Gaius Plinius Secundus, eines Seneca oder Livius, aber auch einige Werke, die byzantinische Einflüsse verraten. Zu letzteren gehört eine eindrucksvolle nach byzantinischer Vorlage in Form eines Gittergedichtes gefasste Schrift des Hrabanus Maurus. Als charakteristisch und für die Zukunft folgenschwer erwies sich die Verbindung des Kaisertums mit dem Papsttum, hebt Rudolf Schieffer (Kaisertum aus der Hand des Papstes, S. 401–405) hervor: „Ein Kaisertum, das nicht aus der Hand des Papstes gestammt hätte, war nach der Entwicklung der Karolingerzeit nicht mehr denkbar“ (S. 405).

Das von Otto dem Großen begründete Kaisertum knüpfte an karolingische und byzantinisch-römische Traditionen an und entwickelte sie weiter. Unter den Exponaten der ottonischen Abteilung ragt insbesondere die berühmte Dotalurkunde für die Gattin Ottos II. Theophanu als „schönste Urkunde des Mittelalters“ heraus (S. 627), die zudem als lehrreiches Beispiel für die Beeinflussung des ottonischen Kaisertums durch Byzanz gelten kann. Auch die Ikonographie des dritten Kaisersiegels Ottos des Großen, welches das Cover des Katalogs ziert, zeigt den Herrscher in Anlehnung an die byzantinische Formensprache. Der letzte Blick ist den grandiosen Plänen Ottos III. gewidmet, dessen Kaisertum, beeinflusst von Familie, Gelehrten und vielleicht auch der Endzeiterwartung unter dem Stichwort der renovatio imperii Romanorum eine neuartige Qualität erhielt. Selbstbewusste Zeugnisse des jungen Otto und seines Umfeldes lassen die unerhörten Pläne des Kaisers erahnen, Rom in den Mittelpunkt seines Kaisertums zu stellen: Metallbullen nach byzantinisch-römischem Vorbild, Auszüge programmatischer Schriften des den Kaiser umgebenen Gelehrtenkreises sowie eine antikisierende Ikonographie, die an eine augusteische Programmatik erinnert. Das ambitionierte Projekt Ottos sollte eine Episode bleiben. Rom blieb zwar mit dem Kaisergedanken verbunden. Zum Zentrum des Kaiserreiches wurde die ewige Stadt nicht mehr.

Mit dem Programm einer renovatio imperii Romanorum ging Otto III. auf Konfrontationskurs mit dem byzantinischen Kaiserreich, das seinen römischen Charakter gegen etwaige Ansprüche aus dem Westen stets vehement verteidigte. Dieses Konkurrenzverhältnis, das sogenannte „Zwei-Kaiser-Problem“, das seit der (Wieder-)Begründung eines westlichen Kaisertums durch Karl den Großen aufgeworfen war, findet in den Ausstellungsräumen eher akzidentiell Erwähnung – im Katalogband wird dagegen sehr ausführlich darauf eingegangen (vor allem durch Beiträge von Bernd Schneidmüller, Das Mittelalter erlernt das römische Kaisertum, S. 42–51; Stefan Weinfurter, Renovatio imperii: Die Romidee Ottos III. und die Folgen, S. 539–545; Wolfgang Huschner, Kaiser der Franken oder Kaiser der Römer? Die neue imperiale Würde Ottos I. im euromediterranen Raum, S. 519–527). Die großen, den Exponaten zur Seite gestellten Zitatbanner spiegeln lediglich die Bewunderung westlicher Berichterstatter vor dem schrill glänzenden Reichtum des byzantinischen Kaiserhofes wider. Es gab aber ebenso überaus kritische bis polemische Stimmen wie die des Cremoneser Bischofs Liudprand oder Notkers von St. Gallen, die ursächlich nicht zuletzt mit dem „Zwei-Kaiser-Problem“ zusammenhängen.

Es wäre sicher lohnenswert gewesen, die Peripherie Europas stärker auszuleuchten, als dies geschehen ist. In der ersten Hälfte des 10. Jahrhunderts sind in England, auf der Iberischen Halbinsel und in Bulgarien kaiserliche Ansprüche erhoben worden. Eine Berücksichtigung dieser Kaisertümer hätte die Ausstellung gewiss um einige Akzente bereichern können. Spannend wäre überdies eine vergleichende Darstellung zwischen christlichem Kaisertum und islamischem Kalifat, die allerdings eine eigene Ausstellung verdiente.

Den Versuch, die Ideengeschichte des römischen Kaisertums bis in ottonische Zeit in einer europäischen Perspektive zu erzählen, darf man resümierend als durchaus gelungen bezeichnen. Ob sich durch die Zusammenschau antiker und mittelalterlicher Kaisertümer neue Perspektiven und Akzentsetzungen eröffnen, wie es die Ausstellungsmacher erhoffen, wird die Zukunft zeigen. Das Kunsthistorische Museum Magdeburg hat der Ausstellungstrilogie zur Geschichte und Vorgeschichte Ottos des Großen einen würdigen Abschluss gegeben.

Anmerkung:
1 Siehe <http://www.otto2012.de/artikel/magdeburger-oberbürgermeister-und-ausstellungsmacher-ziehen-erste-bilanz> (25.02.2013).

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