S. Grundmann: Der Geheimapparat der KPD im Visier der Gestapo

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Titel
Der Geheimapparat der KPD im Visier der Gestapo. Das BB-Ressort: Funktionäre, Beamte, Spitzel, Spione


Autor(en)
Grundmann, Siegfried
Erschienen
Anzahl Seiten
496 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helmut Müller-Enbergs, Behörde für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes

Die wissenschaftlich-technische Spionage der Sowjetunion bediente sich seit den 1920er-Jahren deutscher Kommunisten und von ihnen getragener Organisationen, um für den Aufbau des Sozialismus bestimmte Vorteile zu erringen, eben auch auf diesem Gebiet. Siegfried Grundmann lokalisiert in den sowjetischen Auftraggebern sowohl den „Grete“- als auch den „Klara-Apparat“. „Grete“ steht für den sowjetischen Geheimdienst, der von 1923 bis 1934 OPGU hieß, und „Klara“ für die 4. Abteilung der Roten Armee, also deren militärischen Nachrichtendienst. Beide nutzten die bei der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) entstandenen, konspirativ arbeitenden Apparate, auch den Betriebsberichterstattungs-Apparat, vom Autor „BB-Ressort“ genannt, um an interessierende Informationen, Muster, Verfahren, Konstruktionspläne, Rezepturen usw. zu gelangen. 1935 musste dieser Apparat aufgegeben werden, teils, weil die nationalsozialistischen Verfolger ihn erheblich aufgerieben hatten, teils, weil diese Form der Spionage unter den Bedingungen des Faschismus grundlegend anders aufgezogen werden musste.

Siegfried Grundmann beschreibt die Geschichte des Apparates von 1929 bis 1935 in Struktur, Funktion (S. 37) und deren drei Leiter Franz Grybowski, Fritz Burde und Wilhelm Bahnik (S. 42-56). Er stellt dem BB-Apparat dessen Verfolger, also Gestapo (S. 88) und V-Männer (S. 140), gegenüber und schildert sehr detailliert die Verfolgungen gegen die Mitarbeiter des BB-Apparates (S. 176–457). Auf Basis der Verfolger- und Prozessakten sowie der Akten in der Stasi-Unterlagenbehörde wird nicht nur das Schicksal der Beteiligten deutlich, sondern lässt auch die Dimensionen des konspirativen Netzes erahnen, das über Zugänge in die Chemisch-Technische Reichsanstalt, bei Siemens und Telefunken oder zum Materialprüfungsamt verfügte. Mithin liegt der Schluss nahe, dass nicht allein die Hauptverwaltung A (HV A) der DDR-Staatssicherheit mit Hilfe ihrer Wissenschaft- und Technikspionage stets auf der Höhe der Zeit war, sondern bereits Ende der 1920er-Jahre im „BB-Ressort“ einen beachtlichen Vorläufer hatte, der wie sie selbst mit sowjetischer Mission handelte.

Im Ergebnis der Untersuchung dieses Apparates gelangt Siegfried Grundmann zu dem Schluss, dieser hätte zwei Ziele verfolgt: Erstens sollten die erhobenen Erkenntnisse über die „illegale Rüstungen des Deutschen Reiches vor aller Welt angeprangert“ werden. Zweitens: „sollte die technologisch in Rückstand befindliche Sowjetunion in den Besitz der neuesten Errungenschaften der Industrie- und besonders der Rüstungsproduktion Deutschland gelangen, um einen Krieg zwischen Deutschland sowie anderen Staaten erfolgreich bestehen zu können“ (S. 459).

Diese Wertung wäre sicherlich anders ausgefallen, hätte Grundmann die deutsch-sowjetischen Beziehungen auf militärischem Gebiet, also die in den 1920er-Jahren bis 1933 erfolgte gegenseitige Ausbildung von Offizieren, Erprobung von deutschen Waffen und deutsche militärische Übungen usw. in der Sowjetunion ins Kalkül gezogen. Grundmann führt als Beleg für die propagandistische Auswertung eine 1934 von der KPD herausgegebene Publikation – „Hitler treibt zum Krieg“ – an, die aber genau erst zu dem Zeitpunkt erschien, als die deutsch-sowjetische Kooperation längst ihr Ende gefunden hat. Deren Wesen bestand aus sowjetischer Sicht, wie General Kliment Woroschilow (später Marschall der Sowjetunion) äußerte, in der „systematischen und vollständigen Ausnutzung der deutschen Militärs und Techniker für die Steigerung der Kampfkraft der Roten Armee“ – in der Sowjetunion. In Kasan wurden Panzerspezialisten und in Lipezk etwa hundert deutsche Militärpiloten ausgebildet, in Saratow mit sowjetischer Hilfe chemische Kampfstoffe entwickelt. Friz Haber, Erfinder des Giftgases, half bei der Errichtung des Moskauer Instituts für chemische Kriegführung, Deutsche bauten an Munitionsfabriken in Leningrad, Perm und Swerdlowsk mit.

Siegfried Grundmann, der auch nach mehreren Büchern, in denen er sich mit dem Thema befasst hat (Einsteins Akte, 2004; Felix Bobek, 2006), „auch jetzt noch kein abschließendes Urteil fällen“ will (S. 471), ist zu wünschen, dass er weiter dran bleibt, um zu einem solchen zu gelangen. Denn mit dieser Arbeit ergänzt er wesentlich die hierzu grundlegende und im gleichen Verlag erschienene Publikation „Der Nachrichtenapparat der KPD“ (1993), zu dem auch Autoren der HV A gehören.

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