H. Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen

Cover
Titel
Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System


Autor(en)
Wentker, Hermann
Reihe
Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte
Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
612 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Wettig, Kommen

Dieses Buch ist die erste Darstellung der Außenpolitik der DDR, welche die gesamte Zeit und alle Aspekte des Themas (einschließlich der organisatorischen Strukturen) umfasst. Außer der Politik des Politbüros, ihrer Vorbereitung durch den zentralen Parteiapparat und der exekutierenden Tätigkeit des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten wird auch der Einsatz der "gesellschaftlichen" Organisationen im Ausland behandelt. Für die Position der DDR im internationalen System waren die entgegengesetzten Pole Sowjetunion und Bundesrepublik entscheidend. Der ostdeutsche Staat war von der UdSSR nicht nur geschaffen worden, sondern blieb mangels innenpolitischer Legitimität (die am sinnfälligsten in der weithin fehlenden Unterstützung des Regimes durch die Bevölkerung zum Ausdruck kam) auch dauerhaft auf den Schutz vor innenpolitischer Infragestellung angewiesen, den die sowjetische Seite den kommunistischen Herrschaftsträgern bot. Dem entsprach, wie Hermann Wentker zu Recht betont, eine Abhängigkeit von den Entscheidungen des Kreml, die zunächst total war und auch dann, als sie sich allmählich verringerte und gelegentlichen Widerspruch erlaubte, weiterhin bestehen blieb. Als Honecker mit der Führungsmacht in Konflikt geriet, diese auf die Durchsetzung ihres Willens verzichtete und die Existenz von Regime und Staat nicht mehr garantierte, war dies das Ende der DDR. Die Bundesrepublik stellte als politisch und ökonomisch attraktives Gemeinwesen gleicher Nation eine ständige Herausforderung dar. Die SED-Führung sah sich daher je länger, desto mehr genötigt, von ihren anfänglich offensiven Ambitionen abzurücken und stattdessen einen Kurs defensiver "Abgrenzung" – des Bemühens um möglichst weitgehende Abriegelung gegen den Westen – zu steuern.

Nachdem im Zuge der "neuen Ostpolitik" Bonns 1973 innerdeutsche Beziehungen hergestellt worden waren, verstärkte sich zugleich die Anziehungskraft der Bundesrepublik weiter. Sie wirkte fortan außer auf die Bevölkerung auch auf die Herrschaftsträger. Honecker, der das Zustimmungsdefizit im Lande durch zwar vergleichsweise bescheidene, aber doch die Kräfte der schwachen sozialistischen Wirtschaft übersteigende soziale Wohltaten zu beheben suchte, war auf materielle Unterstützung von außen angewiesen. In dem Maße, wie sich die UdSSR zur Fortsetzung ihrer Subventionspolitik außerstande erklärte, blieb dem SED-Chef nichts anderes übrig, als sich in Bonn um Hilfe zu bemühen. Der dafür zu zahlende bescheidene Preis in der Währung "Erleichterung für die Menschen im geteilten Deutschland" erschien annehmbar, zumal er sich mehrfach hinterher reduzieren ließ, ohne dass die westdeutsche Seite von ihrer Bereitschaft abrückte. Honecker war zwar um Abgrenzung bemüht und wurde zudem von sowjetischer Seite immer wieder vor Abhängigkeit vom "Klassenfeind" gewarnt, glaubte aber, dass seinem Regime aufgrund der Moskauer Garantie keine ernstliche Gefahr drohe. Das änderte sich schlagartig mit Gorbatschows Entscheidung, die UdSSR könne nicht mehr für die Aufrechterhaltung der Herrschaftsverhältnisse im sozialistischen Lager materiell einstehen und müsse daher von der bis dahin gewährten Existenzgarantie abrücken: Was die Einflussnahmen von außen anbelangt, hing das Schicksal der DDR fortan nur noch von der Bundesrepublik ab.

Das Kapitel über den "Höhenflug und Absturz" in den 1980er-Jahren ist ganz besonders gut gelungen. Es zeigt, wie die DDR nach außen hin den Zenit des Erfolgs erreichte, zugleich aber auf zunehmend brüchigen Fundamenten stand. Auch wenn die Entwicklungen in dieser Zeit schon mehrfach abgehandelt worden sind, so ist dies bisher noch nicht auf so klare und präzis zusammenfassende Weise geschehen. Kabinettsstücke der Darstellung sind – außer den fortlaufenden Charakterisierungen des sich wandelnden Abhängigkeitsverhältnisses zur UdSSR – insbesondere die Ausführungen über die Wechselfälle in den Beziehungen zu den sozialistischen "Bruderstaaten" (die auch in den besten Phasen bei aller Freundschaftsrhetorik nie wirklich befriedigend gestaltet werden konnten), das ständig mit unterschiedlichen Methoden unternommene, aber bis zur Politikwende in Bonn Anfang der 1970er-Jahre weithin frustrierte Bemühen um staatliche Anerkennung durch neutrale, nicht-gebundene und westliche Länder sowie das Mitwirken am sowjetischen Ausgreifen auf die Dritte Welt.

Insgesamt ist das Buch von Hermann Wentker eine gut geschriebene, detailliert ausgearbeitete und gründlich recherchierte Studie, die auf einer breiten Grundlage häufig bereits publizierter (mithin nachlesbarer) Archivalien und einschlägiger wissenschaftlicher Werke ruht. Einige wenige Abweichungen vom aktuellen Forschungsstand bei Urteilen über die sowjetische Politik (auf die sich das Vorgehen der DDR in aller Regel primär bezog) – Stalin hatte vermeintlich 1944/45 noch keine klaren Vorstellungen über das Vorgehen in Deutschland; die Frage der deutschen Einheit soll angeblich 1952 und 1953 im Kreml offen gewesen sein; Chruschtschow habe sich schon im Frühsommer 1961 zum Bau der Berliner Mauer entschlossen und das Datum am 3. August in einer Unterredung mit Ulbricht festgelegt – fallen demgegenüber nicht ins Gewicht. Ein umfängliches Verzeichnis der benutzten westsprachlichen Primär- und Sekundärquellen sowie ein Personenregister beschließen den Band.

Sowohl dem an der Geschichte der DDR interessierten Laien als auch dem an einem zuverlässigen Überblick interessierten Universitätslehrer oder Fachmann der politischen Bildung und auch dem Forscher, der das Bemühen um die Erhellung von Einzelprobleme in einen größeren Kontext einfügen will, ist die Lektüre des Buches sehr zu empfehlen. Hermann Wentker hat ein Werk verfasst, an dem niemand vorbeigehen kann, der über das Thema mitzureden beansprucht.

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