I.S. Peter: Der unsichtbaren Religion auf der Spur

Titel
Der unsichtbaren Religion auf der Spur. Eine soziologische Studie zur Pfingstbewegung in Deutschland


Autor(en)
Peter, Isgard S.
Erschienen
Anzahl Seiten
91 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Schüler, Universität Münster

Mit ihrem Buch, dem die Diplomarbeit der Autorin im Fach Soziologie zugrunde liegt, präsentiert Peter einen soliden religionssoziologischen Überblick zur Pfingstbewegung unter besonderer empirischer Berücksichtigung einer Gruppe in Deutschland. Peter gliedert ihre Arbeit in drei Teile, wobei in Teil A Grundlagen religionssoziologischer Theorien und deren jeweilige Deutung und Bedeutung zur Säkularisierungsfrage nachgegangen wird; Teil B gibt einen Überblick soziologischer Dimensionen der Pfingstbewegung und des Forschungsstands; Teil C baut auf eigene empirische Erhebungen auf und endet mit einer Analyse zur Frage nach den Motivationen der Mitglieder, einer Pfingstgemeinde in Deutschland beizutreten.

In Teil A handelt Peter systematisch fünf klassische religionssoziologische Theorien ab (Weber, Durkheim, Luhmann, Stark, Luckmann), wobei der Fokus auf Aussagen zur Säkularisierungsthese liegt. Leider macht Peter die Fragestellung nicht explizit und diskutiert daher auch keine These, sondern belässt es bei einem einführenden Überblick zu diesen Theorien. Auffallend ist daher auch, dass die Autorin (fast) nur die Klassiker zu Wort kommen lässt und weder Sekundärliteratur, noch eigene Positionen integriert. Das Kapitel wirkt daher etwas isoliert, dient aber als gute Einführung für ein breites Publikum. In Bezug zu ihrem Buchtitel tritt vor allem die These Luckmanns in den Vordergrund, den sie später auch für ihre Analyse heranzieht. Eine tiefere Diskussion Luckmanns wäre hier eventuell der breiten und verkürzten Darstellung anderer religionssoziologischer Ansätze vorzuziehen gewesen.

In der ersten Hälfte von Teil B widmet sich Peter zunächst einiger Begriffsklärungen (Evangelikal – Pfingstlich – Fundamentalistisch), und sucht diese im Spannungsfeld von Begriffen wie soziale Strömung, Bewegung und Institutionalisierung sowohl vor einem soziologischen als auch theologischen Hintergrund zu verorten. Dabei fokussiert sie eine soziologische Perspektive auf Gemeinschaftsbildung bei Pfingstlern (S. 37-38), was sie zur Leitfrage ihrer eigenen empirischen Studie macht (Teil C). Während die Begriffsdifferenzierung anfänglich noch hilfreich erscheint, bleibt jedoch der soziologisch-theologische Diskurs in doppelter Hinsicht unterdeterminiert. Zum einen muss eingestanden werden, dass es bisher kaum religionssoziologische und/oder religionswissenschaftliche Studien zur Pfingstbewegung vor allem in Deutschland gibt. Dennoch scheint der Autorin gerade letztere zumindest als Disziplin wissenschaftlicher Religionsforschung eher unbekannt. Dies wird vor allem in dem Versuch deutlich, den Peter unternimmt, um einen dezidiert religionssoziologischen und nicht theologischen Sektenbegriff zu finden. Der religionswissenschaftlich schon länger etablierte Begriff der „Neuen Religiösen Bewegung“ (NRB) als neutrale metasprachliche Alternative zum Sektenbegriff taucht beispielsweise an dieser Stelle leider nicht auf. Die Diskussion zum Thema „Kirche, Konfession oder Sekte“ wird daher zunächst mit Troeltsch bestritten. So stellt auch Peter fest, dass Troeltsch einer „Analyse der gegenwärtigen Situation nicht mehr vollkommen gerecht werden“ kann (S. 40). Auch im weiteren Verlauf ihrer Bemühungen um einen religionssoziologisch korrekten Typus bleibt eine Unterscheidung zwischen Kirche, Sekte und Konfession fragwürdig und deutet auf den theologischen Impetus. Schließlich zitiert sie zwar den britischen Religionssoziologen Bryan Wilson, aber leider nur mit seinem Werk von 1970, während neuere Publikationen Wilsons zu NRB vorliegen 1 oder auch eine thematische Festschrift, herausgegeben von Eileen Barker, u.a.2 Der Versuch die Soziologie von der Theologie zu befreien, wirkt daher etwas bemüht, vor allem da die Religionswissenschaft gerade unter religionssoziologischen Prämissen hier einen langen Weg der Emanzipation hinter sich gelassen hat.

In der zweiten Hälfte von Teil B gibt Peter einen Überblick über Pfingstbewegungen in unterschiedlichen Kontinenten und Regionen und greift dabei verschiedene soziologische Themen wie Immigration, Bildung, Geld, Gesundheit und Geschlecht auf. Positiv ist dabei die klare Darstellung ausdifferenzierter Erscheinungsformen der Pfingstbewegung sowohl vor ihrem historischen Hintergrund als auch in ihrer kulturell-lokalen Ausgestaltung. Trotz der Kürze, gelingt Peter die Dichte und Komplexität der Forschungslandschaft unter Einbezug aktueller Literatur zu skizzieren. Der europäische Raum (S. 55-59) stellt für Peter eine Ausnahme aus Sicht der Forschungslandschaft dar. Wenige wissenschaftliche Publikationen zur Pfingstbewegung (in Europa) und der einseitige Fokus auf Migrationsgemeinden und Identitätsbildung verdeutlichen das Desiderat religionswissenschaftlicher und religionssoziologischer Forschung, an dem die Autorin anzuschließen sucht. Damit spricht Peter eine wesentliche Lücke an, die es im Programm einer europäischen Religionsgeschichte zu schließen gilt und zu weiterer historischer und gegenwartsbezogener religionssoziologischer Forschung motiviert.

Mit der empirischen Forschung bildet Teil C den eigentlichen Kern der Studie. Peter wählte exemplarisch für ihre Untersuchung den Christlichen Verein junger Menschen (CVJM) in München, wo sie mit qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung (teilnehmende Beobachtung und Leitfaden-Interviews) über einen Zeitraum von etwas mehr als einem halben Jahr ihre Daten und Eindrücke sammelte. Mit Hilfe der Deutungsmusteranalyse 3 wertet Peter ihr Material kundig aus und präsentiert einen spannenden Einblick in die Strukturen der Gemeinde und die Motivationen ihrer Mitglieder. Auch wenn der CVJM nicht zu den typischen Pfingstgemeinden zählt, veranschaulicht Peter für diesen Sonderfall einer eher ökumenisch orientierten Einrichtung den dominant neupfingstlichen Charakter. Ihre Analyse der integrativen Formen, Inhalte und Motivationen verdeutlicht den Aspekt eines eher alltagspraktischen Erfahrungsglaubens, der sich nicht allein in ekstatischen Erlebnissen erschöpft, wie es etwa in den USA und anderen Ländern verstärkt der Fall ist. Für die Interpretation ihres Materials greift Peter kurz auf Stark (S. 72ff.) und etwas ausführlicher auf Luckmann zurück. In ihrer Analyse des empirischen Materials mit den Transzendenz-Thesen Luckmanns diagnostiziert Peter nicht eine Zunahme der großen Transzendenzen, sondern einen „Paradigmenwechsel“ (S. 88ff.), wobei „zunehmend Themen, die eigentlich zu den mittleren und kleineren (…) Transzendenzen gehören (…) [i]ns Zentrum des Heiligen Kosmos moderner Gesellschaften rücken“ (S. 89). So spielen laut Peter die großen Transzendenzen wie etwa die für die Pfingstbewegung typischen Geistesgaben nach wie vor eine wesentliche Rolle, treten aber in der Motivation zum Engagement innerhalb einer Gemeinde hinter lebensweltliche und pragmatische soziale Dimensionen der Lebensführung zurück (S. 90f.).

Mit ihrer Studie ist Peter (für den Rahmen einer Diplomarbeit) ein theoretisch und methodisch fundierter Beitrag über ein noch viel zu wenig beachtetes Forschungsfeld gelungen. Leider bleibt die theoretische Diskussion dabei eher auf einem einführenden Stand. Peter gelingt es zwar die „Spur der unsichtbaren Religion“ aufzunehmen, jedoch vermisst der Leser eine explizite Einordnung der These Luckmanns in aktuelle wissenschaftliche Debatten. So hätte etwa auch die Diskussion um „Die unsichtbare Religion in der sichtbaren Religion“ 4 eine kontrastreiche Facette abgegeben. Das methodische Vorgehen von Peter bleibt jedoch vorbildlich und muss zum Anreiz genommen werden, neben historischer Forschung in der Religionssoziologie/-wissenschaft auch vermehrt auf qualitative empirische Methoden zu setzen. Letztlich bleibt noch die Frage offen, wie weit die Ergebnisse dieser Studie repräsentativ für Pfingstgemeinden in Deutschland sind. Ergebnis der Analyse und Wahl des Forschungsgegenstands korrelieren nicht nur miteinander, sondern könnten eher eine Ausnahme der Pfingstforschung darstellen. So könnte angenommen werden, dass klassische Pfingstgemeinden in Deutschland (Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden, Freikirchliches Evangelisches Gemeindewerk, u.a.) andere Ergebnisse zu Tage gefördert hätten, wobei die Betonung auf Geistesgaben und ekstatischen Erlebnissen mehr im Vordergrund steht. Letzteres muss allerdings als hypothetischer Ausblick gewertet werden und bedarf zukünftig verstärkter Pfingstforschung aus historischer und gegenwartsbezogener religionssoziologischer und religionswissenschaftlicher Sicht. Die Studie von Peter muss dabei als erfreulicher, lesenswerter und richtungweisender Beitrag gesehen werden. Das lediglich 91 Seiten umfassende Buch kostet 49,00 Euro und ist damit leider etwas teuer.

Anmerkungen:
1 Wilson, Bryan, New Religious Movements – Challenge and Response, London 1999.
2 Barker, Eileen; Beckford, James A.; Dobbelaere, Karel (Hrsg.), Secularization, rationalism, and sectarianism – essays in honour of Bryan R. Wilson, Oxford 1993.
3 Lüders, Christian; Meuser, Michael, Deutungsmusteranalyse, in: Hitzler, Ronald; Honer, Anne, Sozialwissenschaftliche Hermeneutik, Opladen 1997.
4 Bochinger, Christoph; Engelbrecht, Martin; Gebhardt, Winfried (Hrsg.), Die unsichtbare Religion in der sichtbaren Religion – Formen spiritueller Orientierung in der Gegenwartskultur, Stuttgart 2005.

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