B. Ziemann (Hrsg.): Peace Movements in Western Europe, Japan and the USA

Cover
Titel
Peace Movements in Western Europe, Japan and the USA during the Cold War.


Herausgeber
Ziemann, Benjamin
Reihe
Frieden und Krieg. Beiträge zur Historischen Friedensforschung 8
Erschienen
Anzahl Seiten
286 S., 22 SW-Abb.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friederike Brühöfener, History Department, University of North Carolina at Chapel Hill

Protestbewegungen seit 1945, darunter auch die Friedensbewegungen und ihre Bedeutung, sind bereits mehrfach Gegenstand intensiver Debatten zwischen Historikern, Sozial- und Politikwissenschaftlern gewesen. Denn die Protestbewegungen waren und sind konstituierend für das soziale und politische Selbstverständnis mehrerer Generationen. Nicht zuletzt die Frage nach den Auswirkungen der Friedensbewegungen auf die Entscheidungen führender Politiker im Rahmen des Kalten Kriegs hat wiederholt wissenschaftliches Interesse geweckt.1

Der von Benjamin Ziemann herausgegebene Sammelband, der auf eine Konferenz des Arbeitskreises Historische Friedensforschung im Oktober 2005 zurückgeht2, bietet in mehrfacher Hinsicht neue Anregungen für die Auseinandersetzung mit sozialen Bewegungen beziehungsweise Friedensbewegungen zur Zeit des Kalten Kriegs. Die Beiträge zeigen, was die vergleichende historische Analyse von Protestbewegungen gewinnen kann, wenn kulturgeschichtliche Fragestellungen, neue soziologische Ansätze zur Erforschung der Protestkultur oder eine transnationale Perspektive gewählt werden. Das zentrale Ziel des Bandes ist es, das Studium innenpolitischer Prozesse und des internationalen Gefüges zwischen 1945 und 1990 durch die systematische Einbeziehung der Friedensbewegungen als wichtiger Akteure dieser Geschichte zu erweitern.

Eine neue analytische Perspektive ergibt sich Ziemann zufolge vor allem durch den Fokus auf die „symbolic politics“ der Friedensbewegungen in Westeuropa, Japan und den USA (S. 12). Als „symbolic politics“ definiert der Herausgeber einleitend die Verwendung bestimmter Symbole und Formen von Protestmärschen sowie die Einbeziehung von Experten wie Bertrand Russell oder Albert Schweitzer. Ferner entwickelten und nutzten die Protestierenden verschiedene Formen symbolischer Politik, um ihrer Bewegung Kohärenz zu geben und eine kollektive Identität zu erzeugen (S. 25). Das „framing“ friedenspolitischer Ziele erfolgte laut Ziemann erstens durch die Benennung von Problemen, zweitens durch das Aufzeigen sinnvoller Gründe, warum protestiert werden sollte, und drittens durch die Darstellung möglicher negativer Konsequenzen (S. 24). Ein solcher analytischer Zugang gestatte es, den Einfluss der Friedensbewegungen auf westliche Gesellschaften zur Zeit des Kalten Kriegs zu ermitteln.

Diese Interpretationsansätze bestimmen die insgesamt 13 thematischen Beiträge in unterschiedlicher Stärke. Gegliedert ist der Band in drei Hauptabschnitte: Die Beiträge des ersten Themenkomplexes „Patterns of Mobilization and Transnational Connections“ untersuchen die friedenspolitischen Mobilisierungsstrategien. Die Aufsätze des zweiten Teils stehen unter der Überschrift „Symbolic Politics and Pictorial Images of Peace Movements“. Den dritten Teil bildet ein Artikel von Dieter Rucht, der die Friedensbewegungen aus soziologischer Perspektive einordnet.

Die Autoren des ersten Abschnitts zeigen, dass sich sowohl globale Spannungen als auch nationale Besonderheiten maßgeblich auf das Selbstverständnis und die Ziele der einzelnen Friedensbewegungen auswirkten. So argumentiert Andrew Oppenheimer, dass sich westdeutsche Organisationen wie die „Deutsche Friedensgesellschaft“ nach 1945 weniger auf nationale Belange konzentrierten. Vielmehr formulierten sie ihre pazifistischen Ziele neu und richteten ihre friedenspolitische Kritik zunehmend global aus. Im Rahmen dieses „global turn“ (S. 47) kritisierten die Aktivisten verstärkt globale Ungerechtigkeit, Armut und Unterdrückung.

Die Beiträge demonstrieren zudem, dass die Akteure nicht nur neue sprachliche Ausdrucksformen suchten, sondern auch neue transnationale Verbindungen mit anderen Friedens- oder Protestbewegungen aufbauten. Wie Massimo De Giuseppe in seinem die geographischen Grenzen des Sammelbands bewusst überschreitenden Aufsatz zeigt, wurde die italienische Friedensbewegung infolge der Bandung-Konferenz von 1955 zunehmend auf lateinamerikanische Belange aufmerksam. Die Neuordnung der politischen Weltkarte Mitte der 1950er-Jahre führte zu einem verstärkten Dialog zwischen Italien und beispielsweise Argentinien oder Chile. Die Unterstützung von dortigen Freiheitskämpfen stellte die italienische Friedensbewegung allerdings vor Schwierigkeiten, da die südamerikanischen Aktivisten ein anderes Verhältnis zur Gewaltfrage hatten. Demgegenüber einte die ab den 1970er-Jahren zunehmende Forderung nach der Durchsetzung von Menschenrechten die verschiedenen Interessengruppen.

Neben Caroline Hoefferles vergleichendem Beitrag zu studentischen Friedensbewegungen in den Vereinigten Staaten und in England belegt auch Dimitrios Tsakiris’ Aufsatz zur Friedensbewegung in Griechenland, dass bestimmte Formen von Protestmärschen ebenso global waren wie die einzelnen friedenspolitischen Ziele. In Griechenland litten friedenspolitische Aktionen gegen die konservative Regierung vor allem unter den staatlichen Repressionen. In den 1950er-Jahren fanden deshalb keine „non-aligned peace protests“ statt (S. 150). Mitte der 1960er-Jahre hingegen, argumentiert Tsakiris, schafften es die Aktivisten, ihrem Protest gegen die stärkere Einbindung Griechenlands in NATO-Aktionen Gehör zu verschaffen. Den Höhepunkt stellten die „Marathon Peace Marches“ dar, welche die britische „Campaign for Nuclear Disarmament“ zum Vorbild hatten.

Die englischen Protestmärsche gegen Atomwaffen sind das klassische Beispiel dafür, dass Protestierende weltweit nicht nur gemeinsame Interessen und Sorgen teilten, sondern auch bestimmte Protestformen. Holger Nehrings vergleichender Beitrag zu England und Westdeutschland eröffnet den zweiten Abschnitt des Bands, der den symbolpolitischen Bildwelten gewidmet ist. Nehring zeigt, wie die Protestierenden zwischen 1958 und 1963 darauf abzielten, durch das äußere Erscheinungsbild der gesamten Aktion und mit Hilfe der Medien die jeweils rezipierende Gesellschaft zu beeinflussen. Dabei war die westdeutsche Bewegung viel stärker als die englische darauf bedacht, den Eindruck einer „respektablen“ Protestaktion zu erwecken.

Dass neben Protestmärschen auch künstlerische Werke wie Plakate und Malereien identitätsstiftend wirken können und ferner dafür geeignet waren, friedenspolitische Forderungen öffentlich darzustellen, zeigen Annegret Jürgens-Kirchhoffs Ausführungen zur Wanderausstellung „Künstler gegen Atomkrieg“ (um 1960) und der Beitrag von Sabine Rousseau zur Ikonographie der französischen Friedensbewegung. Rousseaus Analyse verdeutlicht, dass der französische „Mouvement de la Paix“ (MVP) angesichts der deutschen Wiederbewaffnungsfrage in den 1950er-Jahren eine Traditionslinie zur französischen Résistance entwarf. Zugleich richteten sich die Aktivisten mit ihren Plakaten auch an eine breite französische Öffentlichkeit, indem sie vor einer erneuten Bedrohung Frankreichs durch eine deutsche Streitmacht warnten. Ferner kommunizierte die Protestbewegung nicht nur mit der französischen Gemeinschaft, sondern thematisierte im Verlauf des Kalten Kriegs zunehmend die globale Konstellation des Konflikts zwischen den beiden Supermächten.

Mit den hier genannten und einigen weiteren Aufsätzen bietet der Sammelband zahlreiche Einsichten in die Geschichte von Friedensbewegungen im Zeitalter des Kalten Kriegs. Warum und inwieweit die Friedensbewegungen ihre Ziele neu definiert und in neuen Formen präsentiert haben, lässt sich gut nachvollziehen. Für künftige Forschungen bleibt zu wünschen, dass sie noch stärker über die deskriptive Ebene hinausgehen, um die Frage der Nachhaltigkeit und der Rezeption symbolischer Zeichen und Aktionen präziser zu beantworten, als es im vorliegenden Band bereits geschehen ist. Sinnvoll erscheint vor allem eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Rolle der Medien, wie etwa der Beitrag von Holger Nehring erkennen lässt.3

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu Suri, Jeremi, Power and Protest. Global Revolution and the Rise of Détente, Harvard 2003.
2 Siehe den Bericht von Christian Scharnefsky: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=939>.
3 Vgl. auch: Weisbrod, Bernd, Öffentlichkeit als politischer Prozeß. Dimensionen der politischen Medialisierung in der Geschichte der Bundesrepublik, in: ders. (Hrsg.), Die Politik der Öffentlichkeit – Die Öffentlichkeit der Politik. Politische Medialisierung in der Geschichte der Bundesrepublik, Göttingen 2003, S. 11-25.