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Titel
Stauffenbergs Freund. Die tragische Geschichte des Widerstandskämpfers Joachim Kuhn


Autor(en)
Hoffmann, Peter
Erschienen
München 2007: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
246 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hanne Stinshoff, Historische Grundlagen der Politik, FU Berlin,

Das neueste – und verhältnismäßig schmale – Buch Peter Hoffmanns verdankt seinen Ursprung jenen Dokumenten, die der russische Präsident Boris Jelzin im Jahr 1997 Helmut Kohl überreichte. Dem vorausgegangen war die Anfrage des damaligen Bundeskanzlers, ob sich in russischen Archiven nicht Dokumente zum Widerstand des 20. Juli 1944 befänden. Teil des Konvoluts waren die „eigenhändigen Aufzeichnungen“ des Majors im Generalstab Joachim Kuhn, die dieser in sowjetischer Haft verfasst hatte. Einen ersten kommentierten Auszug dieser „Aufzeichnungen“ veröffentlichte Peter Hoffmann 1998 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.1 2001 dann druckte Bengt von zur Mühlen in „Die Angeklagten des 20. Juli vor dem Volksgerichtshof“ den gesamten Text ab.2

Auch im hier besprochenen Band sind Kuhns „Aufzeichnungen“ – sogar als Faksimile – enthalten, wie auch „die bisher einzig bekannte Version eines ausgearbeiteten Planes zur Besetzung des Hauptquartiere“ (S. 171) in Ostpreußen. Im Abdruck dieser Quellen liegt angesichts des schwierigen Zugangs zu russischen Archiven ein nicht geringer Wert des vorliegenden Buchs. Die ganze Bedeutung von Hoffmanns Arbeit wird aber deutlich, wenn man seine Biographie mit Bengt von zur Mühlens fragmentarischer und in Teilen ungenauer Skizze von Joachim Kuhns Leben vergleicht: Hoffmann hat Dokumente und Quellen zu Kuhn akribisch ausgewertet und zeichnet ein respektvoll zurückhaltendes Bild dieses schwierigen und tatsächlich „tragischen“ Lebens.

Kuhn, der 1932 als Offiziersanwärter in die Reichswehr eintrat, machte dort rasch Karriere. Anfang 1942 wurde Claus Schenk Graf von Stauffenberg sein Vorgesetzter. Im Sommer des Jahres gewann er Kuhn für die Ziele der militärischen Regimegegner. In seinen „Aussagen“ rekapitulierte Kuhn Stauffenbergs Argumente: Ein Angriffskrieg sei nur gerechtfertigt, wenn „er einer Politik den Weg bahnen soll, die fruchttragend für einen möglichst großen Teil der Menschen ist“ (S. 18), was aber die Berichte von der Front deutlich widerlegten. Stattdessen würden die „Behandlung der Bevölkerung durch die deutsche Zivilverwaltung“, die fehlende politische Orientierung und die „Judenbehandlung“ beweisen, dass die Finalität des Krieges nicht, wie von Hitler behauptet, die europäische Neuordnung sei. Überdies sei es unmöglich, den Krieg zu gewinnen, und damit sei dieser ein „sinnloses Verbrechen“ (S. 18f.). Hoffmann misst dieser Aussage Kuhns eine zentrale Bedeutung zu: sie belege, dass Stauffenbergs Widerstand maßgeblich von ethischen Überlegungen, vor allem der Ablehnung der Verbrechen an der Ostfront und der Judenverfolgung, motiviert gewesen sei. Und sie zeige, dass Stauffenberg diese Meinung schon im Sommer 1942 vertreten habe. Der Wert einer solchen Aussage wird evident, wenn man die jüngsten Debatten um die Beweggründe militärischer Regimegegner Revue passieren lässt.3 Hoffmann, dessen Werk neben wissenschaftlicher Akribie und Seriosität auch eine profunde Sympathie für seine Protagonisten auszeichnet, wertet Kuhns Aussage als Beleg für die primär ethische Motivation von Stauffenbergs Widerstand.

Kuhn nahm im Sommer 1943 eine aktive Rolle im Widerstand ein: Zwar hatte er es abgelehnt, die Rolle des Attentäters zu übernehmen – terroristische Akte seien gegen seine Natur. Aber er übernahm die Organisation der Besetzung des Wehrkreises I, also der Hauptquartiere der führenden Nationalsozialisten und des Oberkommandos des Heeres in Ostpreußen. Zudem spielte er eine wesentliche Rolle in der Beschaffung des notwendigen Sprengstoffs. Detailliert analysiert Hoffmann die unterschiedlichen Aussagen zu diesem Aspekt des Widerstands und rekonstruiert so den mühseligen Prozess, das Material zu beschaffen und zu verwahren.

Im Juni 1944 wurde Kuhn als I. Generalstabsoffizier der 28. Jäger-Division zugeteilt und war damit Teil der 2. Armee, deren Generalsstabschef Henning von Tresckow war. Dieser war es auch, der Kuhn am 21. Juli über das missglückte Attentat unterrichtete. Am 27. Juli erhielt Kuhns Vorgesetzter den Befehl, seinen I. Generalstabsoffizier sofort zu verhaften. Gustav Heistermann von Ziehlberg meinte, Kuhn wisse, „was er zu tun habe“ (S. 65) und bot ihm die Möglichkeit, sich der Verhaftung zu entziehen. Nach Bengt von zu Mühlen entschloss sich Kuhn in dieser Situation, zum Feind überzulaufen.4 Kuhn selbst schilderte den Vorgang unterschiedlich, beharrte aber darauf, die feindliche Linie nicht mit der Absicht überschritten zu haben, zu den Sowjets überzulaufen. Vielmehr habe er vom polnischen Gebiet aus das neutrale Ausland erreichen wollen. Hoffmann stellt hier sorgfältig die verschiedenen Zeitzeugenaussagen nebeneinander, setzt sie in ihren Entstehungskontext und gibt dem Leser so die Möglichkeit, sich selbst ein Bild zu machen.

Tatsache ist, dass Kuhn von sowjetischen Truppen aufgegriffen und gefangen genommen wurde. Er gab sich als Beteiligter am Widerstand des 20. Juli zu erkennen und wurde wiederholt in diesem Zusammenhang befragt. Kuhn blieb von Juli 1944 bis Januar 1956 in sowjetischer Haft, möglicherweise so lange, weil er sich weigerte, andere militärische Informationen preiszugeben als jene, die mit dem Widerstand im Zusammenhang standen. In dieser Zeit erkrankte Kuhn psychisch, auch wenn eine Anlage dazu bereits vorhanden gewesen sein mag. Vor allem die uneheliche, aber vermutlich adelige Herkunft seiner Mutter wurde ein Leitmotiv seiner Wahnvorstellungen. So bezeichnete er sich als „Pfalzgraf von Zweibrücken“ oder als „Wilhelm von Preußen“. Nachdem er sich schwere Verletzungen zugefügte hatte, diagnostizierten Ärzte im August 1954 „paranoide Schizophrenie“, bescheinigten ihm dennoch „Haftbefähigung“. Erst im Januar 1956 kam er als gebrochener Mann zurück nach Berlin zu seinen Eltern.

In der Bundesrepublik begann für Kuhn ein weiterer Leidensweg – seine Versuche, Entschädigung zu erhalten, erwiesen sich als äußerst langwierig und waren nicht immer von Erfolg gekrönt. So wurde sein Antrag auf Entschädigung als Verfolgter des Nationalsozialismus mit der Begründung abgelehnt, er sei (Kriegs-)Gefangener der Sowjets gewesen; eine Argumentation, die missachtete, dass seine Beteiligung am Widerstand ursächlich für seine Verhaftung war. Parallel führte man Ermittlungen gegen ihn wegen des Verdachts landesverräterischer Beziehungen durch. Unter anderem wurde ihm vorgeworfen, „auch noch nach dem 23. Mai 1949 die freiheitliche, demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes“ (S. 149) bekämpft zu haben; insbesondere verdächtigte man ihn der Spionage von Mitgefangenen. Es war freilich absurd anzunehmen, Kuhn könne eine Verfassung bekämpft haben, von deren Existenz er vermutlich keine gesicherte Kenntnis hatte, geschweige denn, dass er ihren Wortlaut kannte. Gerade die Absurdität verdeutlicht das Misstrauen, dass man dem Widerstandskämpfer in der Bundesrepublik entgegenbrachte. Sein Antrag auf Entschädigung wurde erst im Dezember 1962 abschließend behandelt und in Teilen bestätigt. Kuhn litt jedoch bis zu seinem Tod im Jahr 1997 unter den Auswirkungen seiner psychischen Erkrankungen.

In „Stauffenbergs Freund. Das tragische Leben des Widerstandkämpfers Joachim Kuhn“ erinnert Peter Hoffmann an einen weitgehend Vergessenen. Vor allem zeigt er an der Person Kuhns exemplarisch, welch hohe Preise für die Entscheidung zum Widerstand zu entrichten waren. Auch wenn der Titel des Buches an der von Hoffmann nachgewiesenen Tatsache, dass Joachim Kuhn wesentlich mehr war als „Stauffenbergs Freund“, etwas vorbeizielt, so wünscht man dem Buch die breite Leserschaft, auf die dieser Titel abzuzielen scheint.

Anmerkungen:
1 Peter Hoffmann, Tresckow und Stauffenberg. Ein Zeugnis aus dem Archiv des russischen Geheimdiensts in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. Juli 1998, S. 8-9.
2 Bengt von zur Mühlen, Joachim Kuhn, in: Ders. / Andreas von Klewitz (Hrsg.), Die Angeklagten des 20. Juli vor dem Volksgerichtshof, Berlin 2001, S. 57-61.
3 Siehe etwa Hermann Graml, Massenmord und Militäropposition. Zur jüngsten Diskussion über den Widerstand im Stab der Heeresgruppe Mitte, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Heft 1 (2006), S. 1-25.
4 Von zur Mühlen, Joachim Kuhn, S. 60.

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