A. Ehlers: Ablasspraxis des Deutschen Ordens

Cover
Titel
Die Ablasspraxis des Deutschen Ordens im Mittelalter.


Autor(en)
Ehlers, Axel
Reihe
Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 64
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 659 S.
Preis
€ 44,86
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Enno Bünz, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Das Bild des mittelalterlichen Ablasswesens wird noch immer von dem monumentalen Werk des katholischen Kirchenhistorikers Nikolaus Paulus bestimmt, der 1922/23 in drei Bänden den Ursprung des Ablasses und die Entwicklung der mittelalterlichen Ablasslehre dargestellt hat.1 Auch den tatsächlichen Erscheinungsformen der mittelalterlichen Ablässe hat Paulus viel Aufmerksamkeit gewidmet. Die Perspektive der Ablassverleiher kommt dabei ebenso zur Geltung wie die Rolle von Ordensgemeinschaften oder Wallfahrtsorten für den Erwerb von Ablässen oder die Bedeutung bestimmter Ereignisse und Anlässe wie der Heiligen Jahre für die Erteilung der Indulgenzen. Die Rolle der Ablässe für die Privatfrömmigkeit, ihr Nutzen als Geldquelle und überhaupt ihre Bedeutung für viele Lebensbereiche als „Kulturfaktor“ sind von Paulus angesprochen worden, wobei bis heute lobend hervorzuheben ist, dass der gelehrte Geistliche seinen kirchlichen Standpunkt stets hinter die Darstellung der historischen Tatsachen zurückgestellt hat. Die „Geschichte des Ablasses“ wird sich auch deshalb noch lange als Standardwerk behaupten können, weil es gar nicht Paulus’ Ziel sein konnte, die mittelalterliche Ablasspraxis im regionalen Rahmen, sei es nun bezogen auf einzelne Diözesen, Territorien, Orte oder eben Ordensgemeinschaften darzustellen. Solche Untersuchungen müssten von einer gründlichen regionalen Quellenerschließung ausgehen, wie sie beispielsweise Leo Santifaller schon vor 60 Jahren für Schlesien geboten hat.2 Systematische Untersuchungen haben neuerdings Christiane Neuhausen über das Ablasswesen der Stadt Köln3 und Söhnke Thalmann über das Ablasswesen im Bistum Hildesheim4 vorgelegt. Robert Swanson hat nun sogar eine umfangreiche Monographie über das spätmittelalterliche Ablasswesen in ganz England veröffentlicht.5 Eine spezielle Form der Ablassurkunden, die Sammelindulgenzen, hat Alexander Seibold sowohl aus hilfswissenschaftlicher als auch aus frömmigkeitsgeschichtlicher Sicht systematisch behandelt.6 Von dem neu belebten Interesse am mittelalterlichen Ablasswesen zeugt auch das hier zu besprechende Buch.

Im dritten Band der „Geschichte des Ablasses“ hat Nikolaus Paulus die Ablässe der religiösen Genossenschaften behandelt, darunter auf drei Druckseiten auch den Deutschen Orden.7 Nun hat Axel Ehlers mit seiner Göttinger Dissertation, die von Wolfgang Petke betreut worden ist, über die Ablasspraxis des Deutschen Ordens eine Monographie von weit über 600 Druckseiten vorgelegt. Ehlers wurde wohl auch durch den Göttinger Mittelalterhistoriker Hartmut Boockmann (1934-1998) angeregt, hat dieser doch die Ablassthematik in mehreren Studien als Schnittstelle der Geschichte des Deutschen Ordens und der vorreformatorischen Frömmigkeit behandelt und dabei auch auf die Ablasstafeln des Deutschen Ordens mit ihren charakteristischen Ablasssummarien hingewiesen.8 Gerade diese Ablasstafeln gehören, da inhaltlich wie äußerlich gleichermaßen ansprechend, zu den auf historischen Ausstellungen immer wieder gerne präsentierten Objekten.9

Wie Axel Ehlers in der Einleitung darlegt, versteht er unter Ablasspraxis „sowohl das Bemühen um die Gewährung eines Ablasses als auch dessen praktischen Gebrauch, also beispielsweise seine Verkündigung und Bekanntmachung sowie gegebenenfalls das Einsammeln der dadurch angeregten Spenden. Daß dabei auch falsche Ablässe benutzt wurden, gehört ebenfalls zur Ablaßpraxis“ (S. 3). Ziel ist es, die gesamte Ablasspraxis des Ordens von 1198 bis 1525 zu behandeln. Das Ende des Deutschordensstaates im Preußenland und die Reformation bieten in der Tat einen sinnvollen Einschnitt. Das Arbeitsfeld ist schon so sehr ausgedehnt, weil die Ablasspraxis nicht nur aus der Perspektive des Gesamtordens untersucht wird, was allein wenig sinnvoll wäre, sondern auch auf der Ebene der Balleien, Kommenden, Deutschordenskirchen, aber auch einzelner Ordensangehöriger.

Die Untersuchung ist klar und folgerichtig aufgebaut. Zunächst werden die päpstlichen Ablässe zugunsten des Deutschen Ordens behandelt (Kap. II), wobei die allgemeinen Ablässe besprochen werden, die zur Unterstützung des Ordens gewährt wurden, dann die Ablässe für die Kriege gegen Prussen und Liven und für den Krieg gegen die Litauer, womit übrigens auch neues Licht auf die von Werner Paravicini erforschten Preußenreisen des europäischen Adels fällt.10 Ein Blick auf die päpstlichen Ablässe des 14. und 15. Jahrhunderts rundet dieses Kapitel ab. Kaum weniger lohnend ist die Untersuchung der Ablässe für einzelne Ordenskirchen und -kapellen (Kap. III), wobei zunächst das breite Spektrum der Institutionen (Pfarreien unter Patronat oder inkorporiert, Hospitalkapellen, Kommenden usw.) ausgeleuchtet und das vielfach nicht beachtete Verhältnis von Ordenspatronat und weltlicher Kirchenpflegschaft problematisiert wird. Nachdem formale und inhaltliche Aspekte der Ablassverleihungen systematisch betrachtet worden sind, wendet sich Axel Ehlers der Ablasspraxis an Ordenskirchen zu, was selbstverständlich nur durch Fallstudien möglich ist, die Rothenburg ob der Tauber, Mühlhausen in Thüringen, Marburg an der Lahn und Nürnberg gelten. Weitere Untersuchungsabschnitte betrachten die Ablässe für einzelne Ordenskirchen im Überblick, würdigen die Sammelindulgenz von 1289 für Ordenskirchen im Erzbistum Mainz und lenken schließlich den Blick auch auf Ablässe für Bruderschaften an solchen Kirchen und auf personengebundene Ablässe. Dieses Kapitel basiert auf den Regesten der Ablässe für Ordenskirchen, die Axel Ehlers nach Balleien geordnet im Anhang zusammengestellt hat (S. 416–456). Ein besonderes Problem stellen die zahlreichen Ablasssummarien des Deutschen Ordens dar (Kap. IV), die zwar durch die bereits erwähnten Ablasstafeln bekannt sind, bisher aber noch nicht Gegenstand einer ausführlicheren Untersuchung waren. Ehlers bemüht sich um eine Ordnung der Texte und Textgruppen, analysiert aber auch die Einzelbestandteile der Summarien, die in einer umfangreichen Tabelle (S. 407-414) dargestellt werden und fragt nach ihrer Entstehungszeit und Verwendung. Die Grundlage dieses Kapitels bietet die Edition von zwölf Summarien und Ablasstafeln im Anhang (S. 457-595). Nachdem in diesen drei Kapiteln die vielfältigen Formen der Ablässe für den Deutschen Orden und seine Kirchen ausgeleuchtet sind, wendet sich Axel Ehlers mit Kapitel V dem Gebrauch der Ablässe zu und damit einem Themenbereich, der in der öffentlichen Wahrnehmung mittelalterlicher Kirchenzustände bis heute (freilich nicht nur auf den Deutschen Orden bezogen) von einer gewissen Bedeutung ist. Präsentation und Verkündigung der Ablässe werden ebenso angesprochen wie die Fälschung, aber auch die Legitimierung und Bestätigung der Indulgenzen. Die kirchliche Kritik an manchen Ablässen (beispielsweise durch Nikolaus von Kues) wird ebenso erörtert wie ihre öffentliche Wahrnehmung. Mit besonderem Interesse liest man natürlich, was Ehlers über Kosten und Nutzen der Ablässe für den Orden als Anbieter aber auch für die Ablassnehmer aussagen kann. Wesentlich kürzer werden schließlich noch die Ablässe für Ordensmitglieder (Kap. VI) und die Ablasskampagnen zugunsten des livländischen Ordenszweiges (Kap. VII) behandelt. Mit diesen livländischen Jubelablässen, die in zwei Kampagnen im frühen 16. Jahrhundert verkündet und noch von der neueren Forschung (siehe S. 15) missdeutet wurden, ist auch die zeitliche Grenze der Untersuchung erreicht.

Dem hohen wissenschaftlichen Ertrag dieser Arbeit entspricht die sorgfältige Ausstattung des Buches, das durch ein Personen- und Ortsregister erschlossen und eine Reihe gut ausgewählter Abbildungen von Ablassurkunden und Ablasstafeln illustriert wird. Eine Karte über die Verbreitung der Ablasssummarien ist dem Band beigegeben. Wünschenswert wäre es, wenn dieser Untersuchung bald weitere Arbeiten über die Ablasspraxis anderer Orden an die Seite gestellt würden, wobei der Johanniterorden im Vergleich zum Deutschen Orden gewiss besonders interessant wäre. Axel Ehlers hat allerdings nicht nur einen wichtigen Beitrag zur besseren Erforschung der religiösen Seite des Deutschen Ordens geliefert, sondern auch – und dies hängt mit den vielfältigen Erscheinungsformen der Ablässe des Deutschen Ordens zusammen – eine allgemein lesenswerte, weil anregende und weiterführende Studie zur spätmittelalterlichen Ablasspraxis.

Anmerkungen:
1 Nikolaus Paulus, Geschichte des Ablasses im Mittelalter, 3 Bde., Paderborn 1922-1923; die 2. Aufl. Darmstadt 2000, mit einer Einleitung und einer Bibliographie von Thomas Lentes, wurde neu gesetzt und weist deshalb eine andere Seitenzählung auf.
2 Leo Santifaller, Quellen zur Geschichte des spätmittelalterlichen Ablaß- und Reliquienwesens aus schlesischen Archiven, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 1 (1948), S. 20-136.
3 Christiane Neuhausen, Das Ablaßwesen in der Stadt Köln vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, Köln 1994.
4 Söhnke Thalmann, Ablaßüberlieferung und Ablaßpraxis im spätmittelalterlichen Bistum Hildesheim [1200-1400], Phil. Diss. (masch.) 2007. Die Arbeit wird in den Veröffentlichungen der Historischen Kommission von Niedersachsen erscheinen.
5 Robert N. Swanson, Indulgences in late medieval England. Passports to paradise?, Cambridge 2007.
6 Alexander Seibold, Sammelindulgenzen. Ablaßurkunden des Spätmittelalters und der Frühneuzeit, Köln 2001.
7 Paulus, Geschichte des Ablasses, Bd. 3, 2. Aufl., S. 196-199.
8 Hartmut Boockmann, Über Ablaß-“Medien“, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 34 (1983), S. 709–721; ders., Ablaßfälschungen im 15. Jahrhundert, in: Fälschungen im Mittelalter, Teil V: Fingierte Briefe. Frömmigkeit und Fälschung. Realienfälschungen, Hannover 1988, S. 659-668.
9 Siehe zuletzt Raphael Beuing, Ablasstafel für die Ordenskirche Wien, in: Dieter Blume / Matthias Werner (Hrsg.), Elisabeth von Thüringen – eine europäische Heilige. Katalog, Petersberg 2007, S. 360f., Nr. 236.
10 Werner Paravicini, Die Preußenreisen des europäischen Adels, 2 Bde., Sigmaringen 1989-1995. Die Motive für die Preußenfahrt sollen in dem angekündigten Band 3 behandelt werden.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension