K. Siebenhüner: Bigamie und Inquisition in Italien

Cover
Titel
Bigamie und Inquisition in Italien 1600-1750. Römische Inquisition und Indexkongregation


Autor(en)
Siebenhüner, Kim
Erschienen
Paderborn 2006: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
250 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Margareth Lanzinger, Institut für Geschichte, Universität Wien

Eine Verbindung zwischen Bigamie und Inquisition scheint auf den ersten Blick nicht unbedingt nahe liegend, insofern die Inquisition für Glaubensfragen zuständig war. Das Verdienst von Kim Siebenhüner ist es, die innere Logik und spezifische Dynamik von Bigamie als Gegenstand der Inquisition in einer sehr gut strukturierten und thematisch klar umrissenen Arbeit präzise durchleuchtet und herausgearbeitet zu haben. Die theologisch-konzeptuelle Grundlegung, die Ausformung des institutionellen und normativen Rahmens, die Abläufe der bürokratischen und gerichtlichen Maschinerie des Sant’Ufficio, die Kommunikation mit der ‚Peripherie‘, die verschiedenen Anzeigemodi und deren Konsequenzen, Belehrung und Buße, unterschiedliche Strafausmaße und -formen stellen dabei eine Seite der Geschichte dar. Diese werden methodisch wie darstellerisch auf gelungene Weise verbunden mit den Lebenszusammenhängen und Erfahrungen, Konflikten und Strategien, dem Selbstverständnis der bigami und ihren Erwartungen an eine Ehe. Das Ziel der Autorin, „Teile gesellschaftlicher Ordnung“ und „individuelle Lebenswege“ sichtbar zu machen (S. 15), löst das Buch damit auf souveräne Weise ein. Schauplatz des Geschehens ist Italien vom ausgehenden 16. bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts.

Den bischöflichen Eheprozessen – Ehetrennungen, Eheversprechen, Annullierungen etc. – wurde in der historischen Forschung der vergangenen Jahrzehnte viel Aufmerksamkeit geschenkt. Bigamieakten sind demgegenüber bislang kaum behandelt worden – wiewohl sie in Archiven überliefert sind. Ein bischöflicher Bestand aus Siena konstituiert einen Teil des von Kim Siebenhüner analysierten Quellenmaterials. Die Öffnung des Archivs der ehemaligen Inquisition im Rom im Januar 1998 machte einen weiteren Quellenbestand an Bigamieakten zugänglich. Die Autorin hat als eine der ersten Historikerinnen diese neuen Möglichkeiten genutzt. Insgesamt umfasst das Sample 220 Fälle. Trotz Verlusten, die es unmöglich machen, eine Grundgesamtheit zu beziffern, stellt dieses Material eine reichhaltige Grundlage auch für eine Neubewertung des Inquisitionstribunals dar. Die Inquisitionsforschung insgesamt ist in Italien in den letzten Jahren zu einem innovativen und differenzierten Forschungsfeld avanciert, das auch im besprochenen Buch durch interpretatorische Perspektiven immer wieder präsent ist: wenn es etwa darum geht, Verfahrenswege und Rechtsprechung der Inquisition jenseits des Klischees der Grausamkeit dieser päpstlichen Behörde genau in den Blick zu nehmen, die Implikationen ihrer Präsenz über Außenstellen oder den repressiven Charakter der Instrumentalisierung der Beichte zu reflektieren. Die Historische Kriminalitätsforschung bietet der Autorin einen weiteren konzeptuellen Rahmen und zugleich auch eine Reibungsfläche aufgrund der Spezifik der Abläufe am Sant’Ufficio, die darüber hinausgehende Ansätze und Zugänge erfordern. Eine geschlechtergeschichtliche Perspektive zieht sich durch die Arbeit und kommt vor allem in der Problematisierung der geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Delinquentenzahlen und der damit verbundenen strukturellen Muster zum Tragen oder in der Thematisierung der geschlechtsspezifischen Unterschiede, die in den Urteilen und Strafverhängungen sichtbar werden.

Die besondere Verfolgung von Bigamie ist im Kontext der konfessionellen Herausforderung der katholischen Kirche durch die Reformation zu sehen. Dabei kam der Institution der Ehe wie sie vom tridentinischen Konzil definiert und neu geordnet wurde, ein besonderer Stellenwert zu. Deren Sakramentalität und Unauflöslichkeit galt es in Abgrenzung zu anderen Konfessionen und Religionen durchzusetzen und zu ‚verteidigen‘. Bigamie bedeutete aus kanonischer Sicht ein doppeltes Eheband und stellte einen Missbrauch des Sakraments dar – auch wenn es, wie in den meisten ausgewerteten Fällen, im zeitlichen Nacheinander geschlossen wurde, nach dem Verlassen der ersten Ehefrau oder nach längeren Aufenthalten fern des eigenen Wohnorts. Der Schritt vom doppelten Eheband zum Häresieverdacht war aus dieser Perspektive nicht weit. Ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert wurde Bigamie von der Kirche in diesem Konnex gesehen. Das Interesse der Inquisition richtete sich dementsprechend darauf, einem möglichen Glaubensirrtum in Bezug auf das katholische Ehemodell nachzuspüren. Die Absicht, religiöse Lehren zu missachten, einen ‚ketzerischen‘ Akt zu begehen, war allerdings – so ein Ergebnis der vorliegenden Forschung – keineswegs Motivation oder Grundlage des Handelns, selbst nicht bei bigami, die zum Katholizismus konvertiert waren oder sich in konfessionell pluralen Gesellschaften aufgehalten hatten. Die Umtriebigkeit der Inquisition in ihrer Überwachung des wahren Glaubens war in diesem Zusammenhang letztlich also inadäquat. Jedoch zeitigte ihr Einsatz im Laufe der Zeit Folgen, die über das konkrete Delikt hinaus höchst wirksam waren. Im Zuge der inquisitorischen Kontroll- und Überwachungstätigkeit gerieten die Voraussetzungen einer regulären Eheschließung und vor allem deren Lücken immer stärker ins Visier der kirchlichen Bürokratie. Davon betroffen waren vor allem Dokumente wie Ledigenscheine und Totenscheine, deren Fälschung oder allzu leichtfertige Ausstellung so manche bigame Ehe ermöglicht hatte. Aber auch die Anerkennung von Personen als vertrauenswürdige Zeugen und die Art ihrer Vernehmung standen dabei zur Debatte und wurden Gegenstand neuer Regelungen. Letztlich mündete die Tätigkeit der Inquisition im Bereich der Bigamie in eine zunehmende Regulierung und Überwachung der katholischen Eheschließungspraxis insgesamt und trug zur Durchsetzung des tridentinischen Ordnungsmodells bei. Als eine besondere Problemlage – die (kirchliche) Bürokratien über das Ende der Inquisition hinaus beschäftigen sollte – stellte sich dabei das nur partielle Wissen über Lebensdaten und -stationen mobiler Männer und Frauen heraus.

Das Buch gliedert sich nach einer Einleitung, zugleich erstem Kapitel, welches die Problemstellung, die zentralen Fragen, den Forschungskontext und die Quellenlage skizziert, in weitere sechs Kapitel, einen Schluss und zwei Anhänge (mit einer Fallgeschichte sowie einer normativen Quelle). Im zweiten Kapitel, „Die Erfindung der Bigamie“, zeichnet die Autorin den Weg der Bigamie zu einem häresieverdächtigen Delikt nach, das damit in die Zuständigkeit der Inquisition fiel. Dabei kam es zu Kompetenzstreitigkeiten mit anderen Tribunalen. Die Autorin verweist auch auf die Bedeutung von Handbüchern, die nicht nur der juristisch-theologischen Ausbildung dienten, sondern ihrerseits auf die Rechtspraxis zurückwirkten. Im dritten Kapitel wird die „Logik des römischen Sant’Ufficio“ aufgerollt, in dem es vor allem um den Prozessverlauf, die Logiken der Rechtsprechung und der Sanktionspraxis geht. Generell wurde die zweite Ehe annulliert; die vielfältigen Umstände, die zur Bigamie geführt hatten – unüberbückbare „Konflikte um Ökonomie, Familie und Sexualität“ (S. 80) – fanden keinerlei Berücksichtigung vor dem Inquisitionstribunal. „Der Weg vor Gericht“ fokussiert im vierten Kapitel u.a. auf die Frage des von Seiten der Kirche – etwa in der Beichte – erzeugten Drucks auf die bigami, auf die verschiedenen Wege, auf denen Anzeigen nach Rom kamen und auf die besondere Bedeutung der Selbstanzeige. Auch in den beiden folgenden Kapiteln stehen die bigami im Mittelpunkt: „Männer, die gehen, Frauen, die bleiben“ setzt sich mit Arbeit und Mobilität von Männern und Frauen, mit den sozialen Kontexten und dem Status von Ehe auseinander. „Die Ehen der bigami“ gibt Einblick in Entfremdung, Konfliktpotenziale, Emotionen und die vielfältigen Strategien, um eine zweite Ehe eingehen zu können (gefälschte Dokumente und Zeugenaussagen, sogar Identitätswechsel). Kim Siebenhüner demonstriert überzeugend, dass Bigamie zumeist die Folge räumlicher Distanz war, nicht umgekehrt. Das siebte Kapitel führt zur Institution der Inquisition zurück und gibt eine Einschätzung ihrer Wirkmächtigkeit als Kontrollinstanz von Ehe und Sexualität.

Die Autorin hat sich intensiv mit der italienischen Forschung auseinandergesetzt. Das macht ihr Buch auch zu einem Transfer- und Vermittlungsmedium für im deutschsprachigen Raum wenig präsente und gerade für die Frühneuzeitforschung im katholisch-kirchlichen Kontext grundlegende Arbeiten. Die katholische Welt ist hier jedoch nicht als monolithischer Block gezeichnet – sichtbar werden neben Abgrenzungen zugleich auch Überschneidungen und Begegnungen und damit eine konfessionelle Vielfalt. Für manche LeserInnen und für den Einsatz in der Lehre mögen die italienisch belassenen Zitate aus dem Quellenmaterial eine kleine Hürde darstellen – wiewohl die Passagen jeweils kommentiert und paraphrasiert werden. Falls dies einer Reihen-Politik geschuldet ist, wäre vielleicht ein Modus überlegenswert, die Übersetzung in den Anmerkungen oder im Anhang mitzuliefern. Der Qualität des Buches von Kim Siebenhüner, die eine schwierige Materie fundiert und gekonnt bewältigt hat und die LeserInnen durch einen spannenden, reflektierten und ergebnisoffenen Forschungsprozess führt, tut dies jedoch keinerlei Abbruch. Sie hat eine exemplarische Studie zur Geschichte der Inquisition als Institution und zur Geschichte der AkteurInnen, die damit konfrontiert waren, vorgelegt.

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