M. Schramm: Das Deutschlandbild in der britischen Presse 1912-1919

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Titel
Das Deutschlandbild in der britischen Presse 1912-1919.


Autor(en)
Schramm, Martin
Erschienen
Berlin 2007: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
598 S.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Florian Keisinger, SFB 437 - "Kriegserfahrungen", Eberhard-Karls-Universität Tübingen

In seiner ebenso umfang- wie quellenreichen Dissertation untersucht Martin Schramm das Deutschlandbild der britischen Presse in den Jahren 1912-19. Nicht nur englische und schottische Zeitungen bzw. Zeitschriften wurden hierfür vom Verfasser ausführlich recherchiert, auch die irische Publizistik fand Berücksichtigung. Das ist gut, denn die irische Perspektive wird gerne außen vor gelassen. Dabei bietet gerade sie eine reizvolle Ergänzung auf der mittlerweile doch recht verbreiteten deutsch-britischen Vergleichsebene. Um einen Vergleich jedoch handelt es sich bei Schramms Arbeit nicht. Vielmehr geht es ihm um eine „Beschreibung der Stimmungslage“ in der britischen Gesellschaft in den Jahren unmittelbar vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg. Das Zeitungswesen, so wird erklärt, eigne sich hierfür besonders gut, „da in ihm das politische Tagesgeschehen zeitnah wiedergegeben und diskutiert wird.“ (S. 16). Methodisch muss Schramms Studie damit im Umfeld der seit geraumer Zeit prosperierenden historischen Medienforschung angesiedelt werden, wobei gerade der von ihm gewählte Untersuchungsraum in den vergangenen Jahren einige Aufmerksamkeit erfahren hat. Dominik Geppert beschäftigte sich jüngst mit den deutsch-britischen ‚Pressekriegen’ seit dem Ende des 19. Jahrhunderts (lässt seine Studie jedoch mit dem Jahr 1912 enden), Thomas Wittek hat das Nachkriegs-Deutschlandbild der britischen Presse in den sieben Jahren bis zum Vertrag von Locarno untersucht. 1.

Schramm geht in seiner Arbeit streng chronologisch vor. Neben einem vorangestellten Methodenteil wird in einem ersten thematischen Abschnitt die Phase zwischen der Reichstagswahl 1912 und dem unmittelbaren Vorfeld der Julikrise 1914 behandelt. Der Julikrise selbst wird ein eigener Teil gewidmet. Das Kernstück der Studie stellen dann die Jahre des Ersten Weltkrieges dar, bevor in einem abschließenden fünften Abschnitt auf die unmittelbare Nachkriegsperiode bis hin zu den Nationalversammlungswahlen vom Januar 1919 eingegangen wird. Dabei ist es das erklärte Ziel der Studie, die Veränderungen in der Berichterstattung britischer Zeitungen beim Blick auf Deutschland zu analysieren und damit den Wandel des britischen Deutschlandbildes im Verlauf des Untersuchungszeitraumes nachzuvollziehen. Dass es einen solchen gab, muss wohl nicht extra betont werden.

Am spannendsten ist die Arbeit zweifellos in den Teilen, die sich mit der Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges befassen. Hier kann Schramm überzeugend nachweisen, dass sich gerade in den Monaten vor Kriegsausbruch 1914 die deutsch-britischen Beziehungen in einer Phase der Annäherung befanden, wie man sie in den vorangegangenen Jahren so nicht gesehen hatte. Wenngleich auch hier die allgemeine Sorge um die Unvermeidlichkeit eines künftigen europäischen Krieges mitschwingt, hatte man doch in den allermeisten Redaktionsstuben britischer Zeitungen nicht mit seinem unmittelbar bevorstehenden Ausbruch gerechnet. Im Gegenteil, man vertraute darauf mit Hilfe der deutlich verbesserten deutsch-britischen Beziehungen dem Krieg erfolgreich entgegenwirken zu können. Zwar hat sich hiermit in den 1970er Jahren bereits Richard Crampton näher beschäftigt 2, dennoch vermag Schramm es, auf Grundlage umfangreicher Quellenrecherchen sowie seines speziell auf die Presselandschaft ausgerichteten Zuganges, aufschlussreiche Details zu einer bisher weniger beachteten Phase der Geschichte des Ersten Weltkrieges zu präsentieren.

Weniger überzeugen kann hingegen die Untersuchung der vier Kriegsjahre. Als zu langatmig erweisen sich die Ausführungen an vielen Stellen, zu schematisch wird oftmals von Ereignis zu Ereignis, von Schlacht zu Schlacht gesprungen. Weniger an eine Medienanalyse, mehr an eine an den Berichten der Medien angelegte Ereignisgeschichte des Ersten Weltkrieges erinnert die Lektüre dieser Passagen. Deutlich mehr Erkenntnisgewinn erzielt hier, wer zu dem nur wenige Jahre älteren Buch von Aribert Reimann greift, das sich in vergleichender deutsch-britischer Perspektive mit der Semantik des Ersten Weltkrieges beschäftigt. 3. Als positiv erweist sich hingegen, dass Schramm seine Quellen nicht allein qualitativ auswertet, sondern darüber hinaus den Versuch ihrer quantitativen Bündelung unternimmt. Hieraus ergeben sich interessante, vom Autor selbst angefertigte Statistiken, die anschaulich das Ausmaß des Meinungsumschwunges der britischen Presse während der Julikrise hin zu einer pro-interventionistischen Haltung nachverfolgen lassen.

Knapp fallen schließlich die Ausführungen zur Nachkriegszeit aus. Aus anfänglichem Misstrauen gegenüber der neuen Republik erwuchsen in der britischen Presse rasch Stimmen, die auf eine Normalisierung der Beziehungen drängten. Kontinuitäten zur Vorkriegszeit spielten hier eine nicht unwesentliche Rolle, waren es doch gerade diejenigen Zeitungen, die bereits vor dem Krieg als besonders deutschfreundlich aufgefallen waren, die nun frühzeitig auf die Notwendigkeit einer erneuten Annäherung zwischen den beiden Ländern beharrten. Ansonsten drohe die Gefahr, warnte der "Herald", dass eine neue deutsche Generation heranwachse, „full of bitterness, full of hatred, full of desire for vengeance, born from the happenings of today. This must not be.” (S. 493).

Während Schramms inhaltliche Untersuchung zur Entwicklung des britischen Deutschlandbildes in den Jahren 1912-19 somit, trotz zweifellos bestehender Längen sowie qualitativer Unterschiede zwischen den einzelnen Teilen, eine zumeist durchaus aufschlussreiche Lektüre darstellt, erweist sich sein den Inhalten vorangestellter Methoden- und Theorieblock als problematisch. Hier gelingt es ihm nicht, einen überzeugenden methodischen Zugang zu seinen späteren Ausführungen zu formulieren. Zwar betont Schramm binnen 30 Seiten insgesamt viermal unabhängig voneinander, dass die ‚veröffentlichte Meinung’ nicht mit der ‚öffentlichen Meinung’ gleichgesetzt werden dürfe (S. 21, 35, 53, 55), spricht dann jedoch an anderer Stelle davon, dass sich Zeitungen „hervorragend zur Widerspiegelung des Zeitgeistes der untersuchten Epoche“ eignen (S. 20). Diese Verwirrung findet im Weiteren keine Auflösung. Welche Funktion den Medien innerhalb des gesellschaftlichen Kommunikationsfeldes tatsächlich zufällt bzw. mit welchen Formen von Realitätskonstruktionen man es in ihrem Umfeld zu tun hat, darauf wird an keiner Stelle eine befriedigende Antwort formuliert. Stattdessen finden sich Hinweise, dass sich die Meinungen eines Redakteurs von denjenigen seiner Zeitung unterscheiden können (S. 21), und dass Journalisten beim Verfassen von Texten sowohl Termindruck als auch den zur Verfügung stehenden Raum im Auge behalten müssen (S. 22). Das trifft zwar alles zu, am Wesentlichen geht es jedoch vorbei. Schramm gelingt es hier nicht, einen befriedigenden methodisch-theoretischen Hebel für seine späteren Ausführungen zu entwickeln.

Die Stärke der vorliegenden Arbeit besteht zweifellos in der Quellenfülle, die vom Autor gesichtet und bearbeitet wurde. Wer sich mit der medialen Repräsentation des Ersten Weltkrieges sowie seines unmittelbaren Umfeldes beschäftigt, wird einen reichhaltigen Fundus an Berichten und Kommentaren aus den unterschiedlichen britischen Pressemilieus vorfinden. Die sehr kleinteilige Gliederung hilft dem an Details Interessierten bei der Suche. Vor allem mit seiner Analyse der zwei Jahre vor Ausbruch des Krieges vermag Schramm den Leser zu überzeugen. Nur bedingt gilt dies für den Folgezeitraum bis 1919. Leider ist es der Studie jedoch nicht gelungen, den z.T. spannenden inhaltlichen Ausführungen eine überzeugende methodische Unterfütterung mit auf den Weg zu geben.

Anmerkungen:
1 Wittek, Thomas, Auf ewig Feind? Das Deutschlandbild in den britischen Massenmedien nach dem Ersten Weltkrieg, München 2005; Geppert, Dominik, Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896-1912), München 2007.
2 Crampton, Richard, The Hollow Détente. Anglo-German Relations in the Balkans, 1911-1914, London 1978.
3 Reimann, Aribert, Der große Krieg der Sprachen. Untersuchungen zur historischen Semantik in Deutschland und England zur Zeit des Ersten Weltkrieges, Essen 2000.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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