B. Pampel: "Mit eigenen Augen sehen, wozu der Mensch fähig ist"

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Titel
"Mit eigenen Augen sehen, wozu der Mensch fähig ist". Zur Wirkung von Gedenkstätten auf ihre Besucher


Autor(en)
Pampel, Bert
Reihe
Campus Forschung 924/Sonderveröffentlichung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten
Erschienen
Frankfurt am Main 2007: Campus Verlag
Anzahl Seiten
423 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Cornelia Siebeck, Kulturwissenschaftliches Institut Essen / Technische Universität Chemnitz

Besucherforschung ist in Gedenkstättenkreisen umstritten.1 So werden aus Gedenkstättenperspektive mitunter „tief greifend[e]“ Unterschiede zwischen „traditionellen Geschichtsmuseen“ und Gedenkstätten konstatiert, die eine Übertragung „museumsbezogener Besucherforschung“ auf Gedenkstätten nicht erlaubten.2 Angesichts der politischen Funktionalisierung der bundesrepublikanischen ‚Gedenkstättenlandschaft’ im Sinne eines „antitotalitären Konsenses und der demokratischen Erinnerungskultur der Deutschen“3 mag jedoch auch die Befürchtung einer Instrumentalisierung unerwünschter Forschungsergebnisse zum Nachteil der Gedenkstätten eine Rolle spielen: Gedenkstättenmitarbeiter wissen, dass nicht nur normative Erwartungen der Politik, sondern auch eigene Ansprüche in einer von Komplexität geprägten Alltagspraxis nicht immer zu realisieren sind.

Bert Pampel, Politologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, hat in seiner Dissertation nun einerseits eine Bestandsaufnahme bisheriger Besucherforschung in Gedenkstätten vorgelegt, andererseits eigene Grundlagenforschung zur Wirkung von Gedenkstättenbesuchen unternommen. Die Angst vor einer möglichen Instrumentalisierung von Ergebnissen der Besucherforschung hält er für „größtenteils unbegründet“.4 Vielmehr resultiere die Skepsis gegenüber Besucherforschung nicht selten aus einer „dünkelhafte[n] Haltung“ gegenüber den eigenen Besuchern oder grundsätzlichem Desinteresse, „zu prüfen, inwieweit die erklärten Ziele der Gedenkstättenarbeit und ihre tatsächlichen Ergebnisse übereinstimmen“ (S. 13). Auch Pampel selbst erteilt jedoch einer generalisierenden Besucherforschung in Gedenkstätten eine klare Absage und betont, dass der Gedenkstättenbesuch sowohl mit Blick auf seine Voraussetzungen als auch auf jeweilige Nachwirkungen als „zutiefst subjektiver Prozess“ (S. 17) verstanden werden müsse: „Die Vielfalt der Einflussfaktoren macht jeden Gedenkstättenbesuch in seinen Folgen einzigartig und jegliche Verallgemeinerbarkeit prinzipiell schwierig.“ (S. 172) Hier verortet sich Pampel im Sinne eines auf „deep understanding rather than the improvement of practice“ ausgerichteten „turn to interpretative philosophies“ in der Besucherforschung.5

Mehr als die Hälfte seiner Studie widmet Pampel einer theoretischen und diskursiven Erörterung von Rollen- und Funktionszuschreibungen an Gedenkstätten in der bundesrepublikanischen Gegenwart sowie der Zusammenfassung und Reflexion bisheriger Besucherforschung in Gedenkstätten. Trotz einiger Redundanzen sowie einem gelegentlich unangenehm apodiktischen Stil gelingt ihm dabei ein lesenswerter Überblick zu Gedenkstättendiskursen in Gesellschaft und Fachwelt. Vor allem an Pampels systematischer Bestandsaufnahme zur Besucherforschung aber wird man künftig nicht vorbeikommen, und seine Überlegungen zu Methoden und Forschungsdesign der von ihm zusammengetragenen Studien – nicht selten handelt es sich dabei um unveröffentlichte Manuskripte – wird man bei der Konzeption weiterer Forschungsarbeiten zur Kenntnis nehmen müssen.

Im zweiten Teil des Buches präsentiert Pampel seine eigene Forschung, die sich den subjektiven Erfahrungen und Deutungen erwachsener Einzelbesucher in drei sächsischen Gedenkstätten widmet (Bautzen, Pirna-Sonnenstein, Münchner Platz/Dresden). Zwischen 2001 und 2005 führte er dort ein mehrstufiges Erhebungsverfahren durch, das sich aus einem Fragebogen vor dem Gedenkstättenbesuch, einem leitfadengestützten narrativen Interview mit 28 Personen vier bis acht Wochen nach dem Gedenkstättenbesuch und einem erneuten Fragebogen nach dem Interview zusammensetzte.

In der Darstellung seiner Ergebnisse strukturiert Pampel den Prozess des Gedenkstättenbesuchs auf nachvollziehbare Weise in einzelne Abschnitte und behandelt diese sowohl idealtypisch als auch anhand von Beispielen und Zitaten. Eingehend beschäftigt er sich mit Wechselwirkungen zwischen „Vorverständnis“, subjektiven Motivationen zum Gedenkstättenbesuch, kognitiven und emotionalen Erfahrungen vor Ort sowie deren späterer Verarbeitung. Basierend auf seinen Ergebnissen hebt er dabei die seiner Ansicht nach bisher unterschätzte Bedeutung von „unmittelbaren nicht-kognitiven Erfahrungen“ hervor (S. 352). Zuletzt formuliert er „didaktische und methodische Empfehlungen“ für die Praxis der Gedenkstättenarbeit (S. 373ff.). Dabei betont er den allgemeinen Erlebnischarakter eines Gedenkstättenbesuchs und fordert eine stärkere Besucherorientierung der Gedenkstätten in diesem Sinne. Allerdings lassen die „Empfehlungen“ gelegentlich einen unmittelbaren Bezug zu Pampels polyvalenten Forschungsergebnissen vermissen und reproduzieren eher Allgemeinplätze des museumspädagogischen Diskurses.

Wenn auch Pampels qualitative Studie für Gedenkstättenmitarbeiter vermutlich kaum wirklich neue Erkenntnisse bringt, so kann sie doch eine von der unmittelbaren Alltagserfahrung abstrahierende Reflexion in Gedenkstätten strukturieren und dabei helfen, die eigenen Beobachtungen aus der Interaktion mit Besuchern neu zu gewichten und zu systematisieren. Pampel beleuchtet überdies einige bisher kaum diskutierte Aspekte, wie beispielsweise die Bedeutung der „sozialen Erfahrung“ (S. 276ff.) in der Diskussion mit dem Gedenkstättenpersonal oder beim Beobachten und Belauschen anderer Besucher. In dieser Hinsicht ist Pampels Studie zweifellos von praktischem Wert in der Gedenkstättenarbeit.

Kontraproduktiv auch mit Blick auf Pampels eigene Intention, in seinen Fragestellungen „nicht von den Ansprüchen, Erwartungen und Absichten der Gedenkstätten“ (S. 159) oder den „Erwartungen und Ansprüchen der Politik“ (S. 17) auszugehen, sind allerdings seine normativen Bewertungen von Aussagen einzelner Interviewpartner. So problematisiert er mehrfach die in sich durchaus kohärente Kritik einer jungen westdeutschen Historikerin an der negativen Darstellung des „DDR-Antifaschismus“ in einer von ihr erlebten Führung und analysiert diese als eine „Verletzung ihres Selbstverständnisses“ als „Antifaschistin“, vergleichbar mit den Reaktionen von ehemaligen Wehrmachtsangehörigen auf die Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ (S. 291ff., S. 330). An anderer Stelle kritisiert er ein „bruchlos über die Systemgrenzen“ hinweg fortdauerndes „Interpretationsmuster“ des „dialektischen und historischen Materialismus“ als „hinsichtlich einer demokratischen Orientierung problematisch“ (S. 331f.).

Solche Interpretationen führen ihn nicht nur weg von der postulierten Besucherperspektive und hin zu einer normativen Vorstellung von „demokratischer Orientierung“. Sie markieren auch ein theoretisches Defizit von Pampels Studie: Die Deutung einer Vergangenheit in einer jeweiligen Gegenwart ist, wie Pampel selber schreibt, immer „retrospektiv“ und „prospektiv“ (S. 27) und demzufolge ohne einen „instrumentellen Gegenwartsbezug nicht vorstellbar“ (S. 35, Anm. 24). Die in Gedenkstätten repräsentierten Narrative werden von vielen Menschen als Ausdruck gegenwärtiger Machtverhältnisse wahrgenommen, auch wenn dies dem Selbstverständnis der Gedenkstätten diametral widerspricht. Entsprechend sind auch kritische Positionierungen zu einzelnen Inhalten nicht nur als kognitive „Dissonanzerfahrung“ (S. 288) zu interpretieren, sondern ebenso als Ausdruck von Dissidenz gegenüber aktuellen master narratives.

Die epistemologisch sehr weitgehende Individualisierung und Privatisierung des Gedenkstättenbesuches, wie sie schon in Pampels Forschungsdesign, vor allem aber in der Darstellung seiner Ergebnisse zum Ausdruck kommt, wird der gesellschaftlichen Dimension des Gedenkstättenbesuchs nicht ausreichend gerecht. So werden auch diejenigen Wahrnehmungsschemata von Besuchern individualisiert, die von spezifischen Sozialisationen und damit einhergehenden ideologischen Dispositionen geprägt sind, oder in denen sich gesellschaftliche Konfliktkonstellationen andeuten. Solche Sozialisationen sind aber nicht primär als individuelle Phänomene zu erklären. Sie müssen auch aus wissenssoziologischer Perspektive analysiert und reflektiert werden6, und damit eben auch als jeweils historisch, gesellschaftlich, politisch und ideologisch konstituiert.

Anmerkungen:
1 Vgl. den Bericht zur Bonner Tagung „Gedenkstätten und Besucherforschung“ (Dezember 2003) von Verena Haug: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=362>; dazu der Tagungsband: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Gedenkstätten und Besucherforschung, Bonn 2004.
2 Vgl. Knigge, Volkhard, Museum oder Schädelstätte? Gedenkstätten als multiple Institutionen, in: ebd., S. 17-33, hier S. 17.
3 Vgl. das der Förderung von Gedenkstätten durch den Bund zugrunde liegende Kapitel „Gesamtdeutsche Formen der Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen und ihre Opfer“, in: Schlussbericht der Enquêtekommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit“, Deutscher Bundestag, Drucksache 13/11000, 10.6.1998, S. 226-255, online unter URL: <http://dip.bundestag.de/btd/13/110/1311000.pdf> (20.2.2008).
4 So Pampel im Tagungsbeitrag: Zu Risiken und (Neben)Wirkungen... Fragen Sie Ihre Besucher!, in: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Gedenkstätten und Besucherforschung, S. 88-98, hier S. 89.
5 Vgl. Hooper-Greenhill, Eilean, Studying Visitors, in: Macdonald, Sharon (Hrsg.), A Companion to Museum Studies, Malden 2006, S. 362-376, hier S. 371ff.
6 Christian Gudehus schlägt hier beispielsweise einen Rückgriff auf Bourdieus Konzept des „kulturellen Kapitals“ vor. Vgl. ders., Methodische Überlegungen zu einer Wirkungsforschung in Gedenkstätten, in: Gabriel, Ralph u.a. (Hrsg.), Lagersystem und Repräsentation. Interdisziplinäre Studien zur Geschichte der Konzentrationslager, Tübingen 2004, S. 206-219, auch online unter URL: <http://www.memory-research.de/cms/download.php?id=8> (20.2.2008).

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