A. Hedwig (Hrsg.): Wald und Forst zwischen Mittelalter und Moderne

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Titel
"Weil das Holz eine köstliche Ware ...". Wald und Forst zwischen Mittelalter und Moderne


Herausgeber
Hedwig, Andreas
Erschienen
Marburg 2006: Ph.C.W. Schmidt
Anzahl Seiten
209 S.
Preis
€ 14,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bettina Borgemeister, Berlin

Als der hessische Ministerpräsident Koch 2003 seinem Land mit der „Operation Sichere Zukunft“ das größte Sparprogramm der Nachkriegsgeschichte verordnete, war das Echo in den Medien groß. Schließlich wurden Kürzungen im Landeshaushalt in Höhe von einer Milliarde Euro angekündigt. Im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit standen Streichungen bei Subventionen und sozialen Projekten. Kaum beachtet wurde hingegen, dass darüber hinaus erneut harte Einschnitte in der Forstverwaltung des waldreichsten Bundeslandes vorgesehen waren. Die Verringerung der Anzahl der Forstämter um die Hälfte und der Forstreviere um ein Drittel bezeichnete der zuständige Minister als unumgänglich.

Dem Staatsarchiv Marburg, das die ältesten und umfangreichsten Bestände zur hessischen Forstgeschichte verwahrt, war die forstliche Strukturreform deshalb Anlass genug für eine eingehende Beschäftigung mit der Waldgeschichte des Landes. Im Jahre 2005 stellte es der Öffentlichkeit neben Leihgaben aus dem Forstmuseum Hanau-Wolfgang eine Auswahl waldgeschichtlich relevanter Archivalien vor. Ergänzt wurde die Ausstellung durch ein wissenschaftliches Kolloquium, das die Wald- und Forstgeschichte Hessens vom Mittelalter bis in die Gegenwart beleuchtete. Der von Andreas Hedwig herausgegebene Band macht die Vorträge der Tagung und eine Reihe von Abbildungen aus dem Katalog zur Ausstellung nun einem breiten Publikum zugänglich.

Alles in allem leisten die Beiträge des Bandes sehr viel mehr als es das verkürzende Motto im Titel vermuten lässt. Der Fokus der Betrachtung reicht über die Geschichte der Holznutzung weit hinaus. Anders als in der älteren Forstgeschichtsschreibung, die im Wald zuerst den Lieferanten des unentbehrlichen Rohstoffs und Energieträgers Holz sah, werden die Wälder als vielfältig genutzte, multifunktionale Räume mit hohem kulturellen und politischen Bedeutungsgehalt beschrieben. Entsprechend breit ist das Spektrum der Themen angelegt: Der mittelalterliche Landesausbau und die Rolle des Waldes bei der Herausbildung von Herrschaft werden ebenso behandelt wie wirtschaftliche und kulturelle Dimensionen der Waldnutzung oder Fragen der politischen Symbolik des Waldes und seines Stellenwerts im Rahmen einer vergleichenden Umweltgeschichte.

„Forst und Wald im Mittelalter“: Im ersten Abschnitt stellt sich Matthias Hardt der heiklen Aufgabe, trotz lückenhafter Überlieferung die Siedlungsentwicklung für das frühe und hohe Mittelalter nachzuzeichnen und verbreitete Waldnutzungsformen zu beschreiben. Am Beispiel des Klosters Fulda kann er überzeugend darlegen, dass Rodung schon im 8. und 9. Jahrhundert ein herrschaftlich gelenkter und planvoll ausgeführter Vorgang war. Neu war im Hochmittelalter also nicht das Prinzip, sondern das Ausmaß der Rodungen. Die Folgen dieses Prozesses bilden den Ausgangspunkt für Otto Volks Beitrag über die Waldnutzung im späten Mittelalter. Volks Bilanz fällt insgesamt negativ aus: Das Spätmittelalter erscheint ihm als Krisenzeit der Waldgeschichte, geprägt von „Raubbau“ und allgegenwärtigen Nutzungskonkurrenzen und -konflikten. Seine pessimistische Einschätzung sieht er in der Überlieferung ländlicher Holzgerichte bestätigt, wobei er die bäuerliche Waldnutzung zwar in ihrer ganzen Vielfalt darstellt, die ausgleichende und waldschützende Kraft der genossenschaftlichen Gremien aber zu gering veranschlagt. Die Rolle des Waldes bei der Entwicklung des spätmittelalterlichen Städtewesens kann Volk hingegen nur andeuten: Die städtische Waldgeschichte ist immer noch ein Forschungsdesiderat.

„Der Wald in der bildlichen Darstellung und im Märchen“: Den zweiten Teil des Bandes eröffnet Fritz Wolffs reich bebilderter Aufsatz über einen weithin vernachlässigten Aspekt der Waldgeschichte – die Darstellung des Waldes in der Kartographie. An den Anfang der forstlichen Kartographie in Hessen stellt Wolff den Konflikt. Lange vor der systematischen Kartierung der Forstflächen im 18. und 19. Jahrhundert entstand im 16. Jahrhundert bei rechtlichen Auseinandersetzungen über die Waldnutzung eine erste Gattung von Waldkarten: die „Prozess- und Streitkarten“ einer zunächst noch mit stilistischen Elementen der Landschaftsmalerei operierenden „forensischen Kartographie“ (S. 34). Der politischen Symbolik literarischer Waldbilder nähert sich anschließend Siegfried Becker am Beispiel der „Märchenwälder im hessischen Vor- und Nachmärz“. Während der napoleonischen Kriege zum Schutzwall gegen die Fremdherrschaft stilisiert, wurde der ‚deutsche Wald’ nach dem Ende des Heiligen Römischen Reiches zum „Urgrund“ (S. 63) einer neuen schwärmerischen Vaterlandsliebe verklärt. Ihren Höhepunkt erreichte die politische Aufladung des Waldes im Kaiserreich: Nun war es besonders die deutsche Eiche, als Solitär nicht zufällig Sinnbild des monarchischen Prinzips, die die Einheit von Volk, Nation und Staat repräsentierte. Verdrängt hatte sie den germanischen Eichenhain, der noch im Revolutionsjahr 1848 die Einheit der deutschen Volksstämme verkörpert hatte.

Der dritte und letzte Abschnitt des Bandes mit der etwas sperrigen Überschrift „Forstnutzung und -nutzen von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart“ wird eingeleitet von Joachim Radkaus Beitrag über den Wald als „Lebenswelt und Konfliktfeld der alten Zeit“ – einem Text, den man auch als Summe seiner langjährigen Forschungen zur Wald- und Umweltgeschichte begreifen kann. Ihren Ausgang nehmen Radkaus acht Punkte umfassende Ausführungen jeweils bei Archivalien aus dem Staatsarchiv Marburg. Indem er diese jedoch sogleich in einen größeren regionalen und schließlich auch globalen Rahmen einordnet, gelingt es ihm, über das hessische Beispiel hinausführend zentrale Problemfelder der Waldgeschichte zu umreißen und der Forschung neue Perspektiven zu eröffnen. Damit ist der Beitrag selber ein eindrücklicher Beleg für die Fruchtbarkeit des von Radkau favorisierten Ansatzes – eines Ansatzes, der den mikro- und makroskopischen Blick miteinander verschränkt: „von der Region in die weite Welt und zurück“ (S. 75).

Zurück in die Wälder Hessens führt Karl Murks Aufsatz über die Rekrutierung und Ausbildung hessischer Forstbeamter im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Murk zeichnet nicht nur die auch für Hessen typische enge personelle Verflechtung von Forst- und Militärwesen nach, sondern auch den mühsamen, von sozialen Härten begleiteten Prozess der Professionalisierung der Forstverwaltung. Über die Grundsätze der aktuellen Forstreformen referiert schließlich Volker Grundmann. Als „echten Paradigmenwechsel“ (S. 1) hatte Hedwig diese zuvor im Vorwort beschrieben. Grundmann zeigt, was sich dahinter verbirgt: eine strikte betriebswirtschaftliche Ausrichtung des Forstbetriebs, kaufmännische Buchführung, Outsourcing, e-Government und vor allen Dingen Personalabbau. „Der Amtsleiter wird zum Manager, das Forstamt [...] zum Dienstleister“ (S. 133). Dass dies offenbar dem Selbstverständnis vieler Forstwirte widerspricht, deuten Hans-Joachim Weimanns stark emotional eingefärbte „Bemerkungen zum Wirken hessen-kasselscher Forstleute“ an: Mit korporativem Stolz blickt er zurück auf die Verdienste einstiger Forstbeamter und bringt sie in Stellung gegen den vermeintlichen Niedergang des hessischen Forstwesens, der in der Nachkriegszeit begonnen und in der „Operation Sichere Zukunft“ seinen vorläufigen Tiefpunkt erreicht habe.

In den Beiträgen des Bandes werden viele Aspekte beleuchtet, die über die hessische Wald- und Forstgeschichte hinaus von grundlegender Bedeutung sind. Der weitgefasste Titel des Bandes ist insofern berechtigt. Erneut tritt ein grundlegender Dissens in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Umweltgeschichte zutage: Es besteht nach wie vor keine Einigkeit darüber, ob die vormoderne Waldgeschichte als Krisenzeit zu betrachten ist oder nicht. Über die Freude vieler Historiker an Quellenzitaten in Buchtiteln kann man sicherlich geteilter Meinung sein. Irritierend wirkt aber in diesem Fall, dass das Seckendorff zugeschriebene Zitat (S. 139) in dieser Form im „Fürsten Stat“ nicht aufzufinden ist.