B. Mersmann u.a. (Hrsg.): Kulturen des Bildes

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Titel
Kulturen des Bildes.


Herausgeber
Mersmann, Birgit; Schulz, Martin
Erschienen
München 2006: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
472 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Jäger, Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg, "Medien und kulturelle Kommunikation" (SFB/FK 427), Universität zu Köln

„Bildpraktiken manifestieren sich nicht privilegiert auf Bildflächen, sondern finden zuvorderst um Bildflächen herum statt“, lautet einer der letzten Sätze des vorzustellenden Bandes (S. 454). Verfasst hat ihn Markus Buschhaus in seinem Beitrag über „Die Buchseite als Bildträger [...]“ (S. 435-454). Der Satz spiegelt die einleitend von den Herausgebern Birgit Mersmann und Martin Schulz formulierte Zielsetzung des Bandes wider, Bilder in ihrer materiellen, medialen, historischen und funktionellen Vielfalt ernst zu nehmen und zu analysieren (S. 10). Es geht also um etwas, was die Herausgeber als die "Kulturen der Bilder" bezeichnen. Dabei werden ein zu fester Bildbegriff und eine (zu) strikte theoretische Einheitlichkeit eher als Hindernis denn als Königsweg bildwissenschaftlicher Forschung beschrieben. Damit sollen die erkenntnistheoretischen Klippen der Diskussion um das Wesen von Bildern ebenso umschifft werden wie medientheoretische Verallgemeinerungen.

Den Fluchtpunkt bildet für die Autoren die programmatische Ausrichtung des Graduiertenkollegs „Bild. Körper. Medium. Eine anthropologische Perspektive“ und somit ein bildanthropologischer Ansatz nach Hans Belting. Wer diesem Ansatz nichts abgewinnen kann, wird entsprechend wenig Freude an dem Band haben, wenngleich die aufgeworfenen Fragen und eine Reihe an Lösungsangeboten auch unabhängig davon anregend sind. Das gilt insbesondere für die Fragen nach der Materialität von Bildern und die fast durchgängige (und erfrischende) Bereitschaft, die je spezifische Bedingtheit der Bilder für sich als bedeutsam anzuerkennen. Natürlich gelten auch für den vorliegenden Sammelband die Einschränkungen, die für die Mehrzahl ähnlicher Unternehmungen zutreffen: Die Einleitung hätte ausführlicher und die Begriffsbestimmung präziser, die ungleichgewichtige Präsenz von Epochen und Themen abgefedert, und die Zuordnung von Beiträgen in die Abschnitte überzeugender sein können.

Die 23 Beiträge gliedern sich in vier Abschnitte. Im ersten Abschnitt „Beredte Bilder: Verbale, skripturale und narrative Ikonizität“ geht es um Verhältnisse zwischen Text und Bild bzw. Textkultur und Bildkultur. Der zweite Abschnitt „Heilsversprechende Bilder: Mediation und Meditation“ handelt von der Funktionalität von Bildern in Mittelalter und Früher Neuzeit. Es folgt ein Abschnitt, der die Beziehung Bildkultur-Körperkultur und den Körper als Ort der Bildrezeption und des Bildes thematisiert („Einverleibende Blicke – verkörpernde Bilder“). Den Abschluss bilden Beiträge zur Frage der Steuerung von Bildwahrnehmungen durch diejenigen technischen Medien, welche das Bild vermitteln, die unter dem Titel „Die Logik der Bildmedien: Zwischen Technik und Kultur“ zusammengefasst sind. Der Band umspannt in diesen vier Hauptthemen so verschiedene Zeitepochen wie das antike Griechenland und die unmittelbare Gegenwart. Angesichts dieser Vielfalt ist eine angemessene Würdigung der einzelnen Forschungsergebnisse kaum zu leisten. So seien hier nur einige herausgegriffen, die aus kulturgeschichtlicher Perspektive vielleicht besonders fruchtbar sein können.

So ist für den ersten Abschnitt kritisch anzumerken, dass die Bild-Text/Sprache-Verhältnisse oft zu ahistorisch betrachtet worden sind. Die Rückbindung etwa filmischer und literarischer Produktion an die jeweils zeitspezifischen Bedingungen, Kontexte und Diskurse wird weniger als einleitend gefordert vorgenommen. Damit erscheinen die ästhetischen Formen eher als autonome Phänomene bzw. in Abhängigkeit von nur wenigen Variablen. Dennoch werden hier wichtige Fragen nach den Verhältnissen zwischen den Medien angesprochen, denen wiederum in historischen Arbeiten oft zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Exemplarisch werden die historischen Kontexte in den Beiträgen von Karin Leonhard (Text-Bild-Verhältnis im nordalpinen Raum im 15./16. Jahrhundert) und Birgit Mersmann (Ostasiatische Schriftbildlichkeit) angebunden.

Ganz anders dagegen wird im Abschnitt über heilsversprechende Bilder verfahren. Hier tritt die historische Gebundenheit von Bild und Bilderleben deutlich vor Augen und die Funktionsweise von Bildern innerhalb einer gesellschaftlichen Situation wird erhellt. Bei Marius Rimmele trägt eine kurze Diskussion um den Medienbegriff (speziell S. 209f.) angesichts der besonderen Funktionalität von Andachtsbildern in der Frühen Neuzeit zu einer Sensibilisierung medienhistorischer Forschung bei. Indem die Frage nach dem, was kommuniziert werden soll, und was eigentlicher Adressat eines spezifischen Andachtsbildes sein kann – nämlich das Herz des Betrachters –, neu durchdacht wird.

Im Abschnitt zum Verhältnis Körper und Bild wäre die Studie von Iris Brändle zur Indexikalität der Fotografie als „Relikt des Körpers“ (S. 265–283) auch im vorangegangenen Kontext gut platziert gewesen. Brändles Überlegungen zu „magischen“ Gebrauchsformen fotografischer Bilder – namentlich Porträts – eröffnen Perspektiven auf ein Medium, das im 19. und 20. Jahrhundert vor allem als das Mittel der Realitätsaufzeichnung angesehen wird. Wenngleich gegenüber der Annahme, die Einführung der Fotografie sei mit Ängsten einhergegangen, mehr Vorsicht angebracht gewesen wäre – hier sind zeitgenössische und spätere medienhistorische Mythenbildungen stärker in Anschlag zu bringen –, verweist Brändle auf die emotionale Seite des Mediengebrauchs, der für die alltägliche Akzeptanz und Verwendung prägender gewesen sein mag, als oft angenommen. Ob emotionale Bindungen notwendig mit der Nähe eines Bildes zum Objekt verbunden sind und somit ein Spezifikum fotografischer Bilder darstellen, müsste indes noch weiter ausgeforscht werden.

Welche Zusammenhänge zwischen einem hochmittelalterlichen Fresko und einem Plattencover aus den 1960er-Jahren bestehen können, zeigt Kristin Marek in ihrem Beitrag. Bei diesem Ansatz ist der Rückgriff auf Positionen der Mentalitätengeschichte interessant, um die „Tiefendimensionen des Bildlichen“ zu erschließen. Die Geschichtswissenschaft selbst beachtet den Ansatz (zu Unrecht?) gegenwärtig eher weniger. Im direkt anschließenden Aufsatz über einen Videoclip von Madonna wirft Matthias Weiß die wichtige Frage nach den Zuschauern und der Wahrscheinlichkeit bestimmter Bildlektüren auf; sozusagen die Kontrollfrage für jede wissenschaftliche Interpretationsleistung. In Weiß’ Beispiel wird die Annahme einer sexistischen Lektüre des Videos der These einer subversiven Lesart gegenübergestellt. Weiß kann einen Mittelweg aufzeigen, der beide Potenziale zur Geltung bringt aber formal und ästhetisch eher der subversiven Seite zuneigt. Gleichzeitig verdeutlicht er, dass letztlich das Popvideo nicht Ort gesellschaftlicher Umwälzungen sein kann und vor allem die alles dominierende Protagonistin im Zentrum der Inszenierung steht. Das sind einerseits erwartbare Ergebnisse, doch ist entscheidend, dass die Frage nach der Wahrscheinlichkeit bestimmter Lektüren in den Vordergrund kommt und vorsichtig ausgelotet wird, statt anhand visuellen Materials letztlich vorherbestimmte Positionen nachzuweisen. Letzteres ist bekanntlich in vielen Studien, die Bilder als Indizien und Argumente verwenden, häufiger der Fall, was unter anderem in dem systematisch noch zu wenig erfassten Anteil der Betrachter an der Bedeutung von Bildern in spezifischen gesellschaftlichen Konstellationen liegt.

Der letzte Abschnitt fragt nach den Bedeutungsdimensionen der technischen Orte der Bilder. Die grundsätzliche Frage nach Bildform, Bildträger und Bildbetrachter wird auf sehr unterschiedliche Weise durchgespielt. Anette Hüsch wendet sich (leider knapp) einer zentralen Argumentationsfigur in bild- wie medienwissenschaftlichen Zusammenhängen zu: der Rede vom „traditionellen“ Bild. Dieses identifiziert sie als Konstrukt, um die je „neuen“ Bilder (und Medien) klar abgrenzen zu können; sie zieht dafür das Beispiel analoge und digitale Fotografie heran. Viel stärker müsse man den Wandel tradierten Bildverständnisses in Rechnung stellen und nach veränderten Wirklichkeitsbezügen und Repräsentationsformen durch technische Neuerungen nachspüren.

So zeigen sich in allen vier Abschnitten anregende Fragestellungen, die eine stärkere Berücksichtigung bildwissenschaftlicher Ansätze und Erkenntnisse in kulturwissenschaftlichen und namentlich historischen Studien nahe legen. Dies gilt gerade, weil Gesellschaft zu einem Großteil vor Bildern, um Bilder und manchmal auch gegen sie stattfindet, wie man formulieren könnte. Anzumerken ist noch, dass es manchmal angenehm wäre, wenn gebräuchlichere Begriffe benutzt würden, wo diese nicht ausgesprochene Träger theoretischer Konzepte sind. Die Ausführungen von Kerstin Andermann zu Merleau-Ponty und Deleuze in der Frage des manuellen und visuellen Produktionsprozesses in der Malerei wären dann entschieden lesbarer.

Hilfreich wäre es, wenn dort, wo ein Begriff zentral ist, mehr Erläuterung gegeben würde – so erschließt sich der Begriff „Ikonotopie“ im Beitrag von Markus Buschhaus zwar im Verlauf des Beitrages, dennoch wäre eine einführende Klärung gut, die entweder auf die einschlägige Stelle in der Einleitung (S. 17) verweist oder, besser noch, an Ort und Stelle Erläuterungen bietet.

Natürlich kann ein interdisziplinäres Unterfangen wie dieser Band nicht alle Erwartungen erfüllen. Dennoch wäre zu wünschen gewesen, dass dem Bildlichen eine noch stärkere kulturelle Verortung und Kontextualisierung auch und gerade im historischen Sinne zugekommen wäre. Insgesamt ist der Band anregend und stellt eine Reihe medienhistorischer Fragen, die auch die geschichtliche Verortung von Bilderproduzenten und -rezipienten im Rahmen von spezifischen kulturellen Konstellationen präzisieren helfen. Hier können die genannten Beiträge des Buches einen guten Einstieg geben. Vielleicht folgt zum Ende der jetzigen Förderphase des Graduiertenkollegs ein ähnlicher Band, auf den man gespannt sein darf.

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