N. R. Reagin: Sweeping the German Nation

Cover
Titel
Sweeping the German Nation. Domesticity and National Identity in Germany, 1870-1945


Autor(en)
Reagin, Nancy R.
Erschienen
Anzahl Seiten
247 S.
Preis
€ 71,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gunilla-Friederike Budde, Institut für Geschichte, Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg

Im „Sommermärchen” des letzten Jahres hätten es die Deutschen fast geschafft: Feiernde, fröhliche, freundliche Bundesbürger überraschten die Welt und halfen mit, zumindest das Image des sauertöpfigen und humorlosen Deutschen abzulegen. Doch die sich in zahlreichen Interviews äußernden ausländischen Besucher sahen sich nicht nur „zu Gast bei Freunden“, sondern betonten auch immer wieder die auffallende Ordnung und Sauberkeit des Gastlandes. Ein Klischee also blieb. Dass es weit mehr war – und ist – zeigt die amerikanische Historikerin Nancy Reagin in ihrem Werk „Sweeping the German Nation“. Das Ensemble aus blütenweißer und gestärkter Wäsche, vor Sauberkeit blitzenden Räumen, Haushaltsbuch, Sonntagsbraten und Weihnachtsbaum, so ihre Kernthese, wurde zum Schlüssel für deutsche Frauen, am Prozess der nationalen Identitätsfindung zu partizipieren. Mit dieser These reiht sie sich ein in eine seit mehreren Jahren boomende Nationalismusforschung und verleiht ihr eine neue Facette. Anders nämlich als das Gros der vorliegenden Studien legt sie den Akzent nicht auf öffentliche Rituale und Symbole zur Stärkung nationaler Identität, sondern auf alltägliche Formen und ihre sukzessiv nationalen Einfärbung. Bislang wurde, so der nicht mehr völlig korrekte Befund Reagins1, die Entstehung des Nationalismus und des Nationalstaats als primär männliches Projekt beschrieben, forciert durch Kriege und Revolutionen, genährt durch Massenmedien und öffentliche Rituale. Für Reagin dagegen ist der familiäre Haushalt ein viel zu lange vernachlässigter Ort, an dem sich vor allem für die Frauen ein Nationalgefühl entwickelte und festmachte. In Anlehnung an Michael Billigs Terminus des „banal nationalism“ geht Reagin davon aus, dass das Ideal der deutschen Hausfrau und ihres perfekt geführten Haushalts eng mit einer deutschen Nationalidentität verknüpft war. „Such banal, domestic Germanness was the other side of the coin to the surges of patriotism provoked by a monarch’s public appearance or a visit to the Arminius monument.” (S. 7) Doch dieser weiblich konnotierte Nationalismus kam nicht allein im Privaten zum Zuge. Staatliche Instrumentalisierungen des Haushaltes und öffentliches Agieren der Hausfrauen gingen im 19. Jahrhundert Hand in Hand und nahmen während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich zu.

Auf der Grundlage vor allen von Briefen, Haushaltsratgebern, Kochbüchern, Zeitschriften, Autobiographien und staatlichen Verordnungen untersucht Nancy Reagin die Entwicklung des Zusammenhangs von Haushalt und nationaler Identität in Deutschland zwischen 1870 und 1945. Das erste Kapitel skizziert die Herausbildung des Ideals der „deutschen Hausfrau“, wobei es fraglich erscheint, ob sich wirklich erst im Kaiserreich diese Vorstellung Bahn brach. Es war, wie Reagin zu Recht betont, vor allem eine im städtischen, protestantischen Bürgertum geborene und verwirklichte Idee, deren Wurzeln aber sicherlich bereits in die Konstituierungsphase des Bürgertums zurückreichen. Über diesen geschlechtsspezifischen Teil der bürgerlichen Kultur wissen wir schon sehr viel 2, wobei die These, dass es sich dabei um ein vor allem deutsches Phänomen handelt, nicht plausibel belegt wird. Hausfrauliche Qualitäten der eigenen Landsmänninnen zu rühmen, namentlich von der Warte einer im Auslande lebenden Bürgerin, war im 19. Jahrhundert ein durchaus europäisches Phänomen.

Kapitel 2 zeigt schlüssig, und das dürfte in der Tat ein spezifisch deutsches Phänomen sein, wie stark Vorstellungen der perfekten deutschen Haushaltsführung in die Diskurse über nationale Identität vordrangen. Nach der Reichsgründung ging es darum, das „Deutsche“ auch im Kontrast zu anderen Nationen zu definieren. Der im Unterschied zum französischen, englischen und amerikanischen vermeintlich „perfektere“ deutsche Haushalt war ein wesentliches Element dieser Selbst- und ironischen Fremdstilisierung. „Deutsche Wertarbeit“ war ein Etikett, das in der Industrialisierung entstand, „deutsche Haushaltsführung“ sein weibliches Spiegelbild. Ihre Qualität sollte sie vor allem auch dort unter Beweis stellen, wo sie auf dem Hintergrund einer kontrastierenden Welt – in den Kolonien – besonders hervorzustechen schien. Eine dort demonstrierte Tüchtigkeit deutscher Hausfrauen, die mit ihrer Ankunft blütenweiße Gardinen vor die Fenster hängten, wurde in einer Vielzahl von Publikationen als wesentlicher Schritt zur „Germanisierung“ der Kolonien gerühmt. Hinzu kam eine Institutionalisierung im Rahmen von Hausfrauenvereinigungen, die weiter an dem Ideal webten und es öffentlich propagierten.

In diesen Diskursen deutete sich bereits an, was dann in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts immer prägnanter zutage trat: eine Politisierung der Hausarbeit. Besonders als der Erste Weltkrieg total und Nahrungsmittel knapp wurden, war die sparsame Hausfrau mehr denn je gefragt. Von staatlicher Seite, so Kapitel 3, wurde den Hausfrauen nun einerseits die Hauptverantwortung zur Aufrechterhaltung der „Heimatfront“ aufgebürdet. Andererseits wurden Erfolge und Misserfolge von Haushalt und Haushaltsführung in der Öffentlichkeit zunehmend mit dem Siegen und Niederlagen im Krieg parallelisiert. Die wachsende Zahl von Hausfrauenverbänden, die nach Ende des Krieges nahezu geschlossen in das rechte Spektrum der Parteienlandschaft schwenkten, unterstrich überdies das weibliche Selbstbewusstsein als politisch verantwortliche Akteure.

Auch die Nationalsozialisten, wie Reagin in ihrem vierten Kapitel unterstreicht, nutzten das identitätsbildende Hausfrauenideal für ihre Zwecke und radikalisierten die Politik mit dem Haushalt. Wer der „Volksgemeinschaft“ für würdig befunden wurde, hing nicht zuletzt davon ab, wie bereitwillig man sich dem Ideal der deutschen Hausfrau unterzuordnen bereit fand. Diejenigen, die sich wenig willfährig zeigten, sollten durch „Erziehungsmaßnahmen“ auf den „richtigen Weg“ gebracht werden. In „Asozialen-Kolonien“ sollten Hausfrauen Ordnung, Reinlichkeit und Sparsamkeit erlernen. In Mütterschulen, die fast zwei Millionen junger Frauen zwischen 1935 und 1941 durchliefen, wurden sie in Hauswirtschaft, Säuglingspflege, Rassenkunde und Konsumtechniken unterwiesen. Mit neuen Prämien wie „Mutterkreuz“ und dem Titel der „Meisterhausfrau“ schuf das nationalsozialistische Regime weitere Anreize. Am „Eintopfsonntag“ sollte das ganze Volk unter der Regie der Hausfrauen zu einer „Tischgemeinschaft“ vereint werden.

Konsumlenkung und vor allem Konsumverzicht lautete die Devise und dies hatten vor allem die Hausfrauen zu beherzigen und durchzusetzen. Die Xenophobie des nationalsozialistischen Regimes, dies zeigt das fünfte Kapitel, machte auch vor den Haustüren nicht Halt, indem der ausschließliche Konsum von inländischen Produkten propagiert wurde. Ob die Hausfrauen, die es sich leisten konnten, diese staatlichen Eingriffe duldeten, lässt sich allerdings, wie Reagin konzediert, kaum eruieren. Immerhin setzten sich einige Nahrungsmittel wie Quark und Margarine als Butterersatz langfristig in weiten Kreisen durch.

Nicht nur zu Hause, auch in den besetzten Gebieten im Osten, dies analysiert Nancy Reagin in ihrem letzten Kapitel, sollten deutsche Frauen das Ideal der deutschen Hauswirtschaft hochhalten. Zum Teil im Rahmen des Pflichtjahres, nicht selten aber auch aus Überzeugung oder Karriereambitionen gingen junge deutsche Frauen für eine Zeitlang ins Generalgouvernement, um den „Auslandsdeutschen“ aus Russland, Polen und Rumänien deutsche Küche und Haushaltsführung zu vermitteln. Die „polnische Wirtschaft“ als Negativfolie zur „deutschen Hauswirtschaft“ sollte durch diese Missionarinnen „germanisiert“ werden.

Nancy Reagins Studie zeigt eindringlich den Bedarf, die Herausbildung des Nationalismus nicht nur als männliches Projekt zu betrachten, sondern auch den vermeintlich „banal nationalisms“ des Alltags in den Blick zu nehmen. Sie analysiert plausibel, wie früh die Vorstellung einer „perfekten Haushaltsführung“ nationalisiert und zunehmend politisiert wurde und sich damit Frauen erfolgreich in den Prozess der Nationalisierung integrieren ließen.

Was etwas zu kurz kommt, ist zum einen der „klassenspezifische“ Charakter dieser spezifisch weiblich konnotierten Form des Nationalismus. Es war ein durch und durch bürgerliches Projekt, das eben nicht nur einer deutschen, sondern auch einer bürgerlichen Identitätsfindung Vorschub leisten sollte. Zum zweiten kommt die Rolle der Hausfrauen als Mütter und damit als Erzieherinnen zu kurz. In Reagins Studie geben die Frauen zwar das Hausfrauenideal in diversen Erziehungsprozessen weiter. War damit aber ihre Funktion als Wertemittlerin wirklich schon erfüllt? Erzogen sie nicht gleichzeitig zu anderen, national besetzten Werten, die über den banalen Nationalismus blütenweißer Wäsche hinausgingen? Zum dritten verbleibt die Studie sehr häufig im rein diskursiven Ansatz. Wir erfahren viel über normative Vorstellungen, eher wenig dagegen über die reale Akzeptanz und Umsetzung von Seiten der Frauen. Dass sie sich, dies wird an einer Stelle von Reagin angedeutet, auch gegen staatliche Eingriffe in ihre weiblichen Kompetenzen wehrten, etwa gegen „Aufklärungskampagnen“ zur Erziehung zur häuslichen Sparsamkeit („Are we in elementary school here? Any child knows that“, S. 177) lässt sich durchaus denken. Reaktionen und Einflüsse von den Frauen selbst fehlen hingegen vor allem in den Kapiteln, die die Politisierung der Haushaltsführung diskutieren. Diese Einschränkungen schmälern jedoch kaum den positiven Gesamteindruck des spannend zu lesenden Buches: Es ist ein lohnenswerter Ansatz, den Nancy Reagin mit ihrer Studie verfolgt, der Anregung geben kann für weitere Untersuchungen des „banal nationalism“.

Anmerkungen:
1 Vgl. u.a. Blom, Ida; Hall, Catherine; Hagemann, Karen (Hrsg.), Gendered Nations: Nationalisms and Gender Order in the Long Nineteenth Century, New York 2000.
2 Vgl. u.a. Weismann, Anabella, Früh erfülle deine Pflicht. Die Entwicklung des Hausfrauenleitbildes im Spiegel trivialer Massenmedien in der Zeit zwischen Reichsgründung und Weltwirtschaftskrise, Berlin 1989.

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