S. Hallmann: Die Tributszenen des Neuen Reiches

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Titel
Die Tributszenen des Neuen Reiches.


Autor(en)
Hallmann, Silke
Reihe
Ägypten und Altes Testament 66
Erschienen
Wiesbaden 2007: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
IX, 384 S., 16 Taf.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Ahrens, Institut für Vorderasiatische Archäologie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen; DFG-Graduiertenkolleg "Formen von Prestige in Kulturen des Altertums", Ludwig-Maximilians-Universität München

Der in der Ägyptologie als „Tributszene“ bekannte Szenentypus bezeichnet generell die Darstellung von unterschiedlichen Fremdvölkern in Privatgräbern des Neuen Reiches, die ihren jeweiligen „Tribut“, also häufig typische Gaben und Güter der spezifischen Region, nach Ägypten bringen. Bislang wurden diese Szenen von Seiten der ägyptologischen Forschung fast durchweg als mehr oder weniger verlässliche historische Quellen für die Rekonstruktion der Beziehungen Ägyptens zu seinen Nachbarn betrachtet, ohne dass diese jedoch in ihren ikonografischen Inhalten und chronologischen Anbringungskontexten genauer analysiert worden sind. Die vorliegende Arbeit, die im Jahr 2005 von Hallmann als Dissertation an der Universität Hamburg eingereicht wurde, versucht nun, diese Lücke zu füllen.

Die Untersuchung gliedert sich insgesamt in vier Abschnitte. Der erste Abschnitt besteht aus einem umfangreichen Szenenkatalog („Katalog“, S. 3–237), der eine vollständige Auflistung und Beschreibung aller relevanten Szenen der von Hallmann bearbeiteten Gräber beinhaltet.1 Der zweite Abschnitt („Theoretischer Teil“, S. 239–259) gibt, leider nur äußerst kurz gehalten, den bisherigen Forschungs- und Diskussionsstand zum Begriff „Tribut“ wieder. Der dritte Abschnitt („Auswertung“, S. 261–322) beschäftigt sich mit einer historischen und ikonografischen Synopse und Analyse der in den Gräbern dargestellten Elemente. Im letzte Abschnitt („Zusammenfassung“, S. 323–334) versucht Hallmann, die gemachten Ergebnisse der Arbeit in ein theoretisches Modell einzubetten. Ein Literaturverzeichnis, Indices und ein Tafelteil schließen den Band ab (S. 335–365).

Der in die Untersuchung einleitende Katalog der behandelten Tributszenen wird von Hallmann in sechs unterschiedliche Gruppen unterteilt (Gruppen I-VI), denen jeweils bestimmte Szenenkompositionen zugewiesen werden. Innerhalb der spezifischen Gruppen werden die Gräber chronologisch aufsteigend angeordnet, jedoch hätte man sich bereits hier eine chronologische Gesamtsynopsis gewünscht, die eventuelle historische Entwicklungen innerhalb der Gräber besser dargestellt hätte. Auch die Einteilung der Gruppen selbst ist, neben der wissenschaftlichen Notwendigkeit einer genauen typologischen Klassifizierung, teilweise nicht immer überzeugend: So ist es etwa für das Verständnis im Sinne einer historischen Gesamtentwicklung nicht ersichtlich, warum Gruppe I („Fremdvölker mit fremdländischen Gaben vor Grabherr und/oder König und Göttin“, insgesamt 22 Gräber) von der Gruppe III („Fremdvölker mit fremdländischen Gaben ohne Empfänger = Empfänger fehlt“, insgesamt 5 Gräber) unterschieden wird. Ebenso unklar erscheint der Grund für die Bildung der Gruppe II („Puntbewohner werden von ägyptischer militärischer Eskorte in Empfang genommen vor Grabherr und/oder König und/oder König und Göttin“, insgesamt nur 2 Gräber), da einerseits in einem dieser Gräber (TT 89) ebenso Personen und Gaben vom Typ „Syrer“ und „Nubier“ dargestellt werden und andererseits die gesonderte Behandlung der „Puntbewohner“ als eigenständige Gruppe gegenüber den anderen „Fremdländern“ innerhalb des Katalogs nicht gerechtfertigt zu sein scheint. Die von Hallmann (S. 3) als „versteckte“ Tributszenen bezeichneten Szenen (Gruppen IV–V) zeigen dabei nicht direkt Fremdvölker, sondern setzen sich zumeist aus unterschiedlichen Darstellungen fremdländischer Produkte zusammen, die innerhalb der ägyptischen Werkstätten bzw. Schatzhäuser weiterverarbeitet bzw. gespeichert wurden. Neben den Szenen, die aus Privatgräbern stammen, werden auch Szenen aus Tempeln und königlichen Monumenten (Gruppe VI) von Hallmann herangezogen.2

Hallmanns theoretischer Teil, zwischen dem Katalogteil und der eigentlichen Auswertung platziert, gibt einen kurzen Abriss über die bisherige Forschungsgeschichte und Tributdiskussion sowie eine abschließende Ausführung zur Begriffsbestimmung und Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Termini „Tribut“, „Prestigegut“ und „Luxusgut“ und ihren möglichen soziologischen, materiellen und politischen Bedeutungen. Letztlich muss jedoch konstatiert werden, dass auch Hallmann keine wirklich neuen Erkenntnisse bezüglich einer sicheren Deutung anbietet. Ihre in der Untersuchung vertretene Interpretation der in den Gräbern dargestellten Fremdgüter als „Handelsgüter“ findet sich in sehr ähnlicher Form bereits in den Arbeiten M. Liveranis und E. Bleibergs.3

Die anschließende Auswertung widmet sich, mehr oder weniger detailliert, einzelnen Aspekten und ikonografischen Elementen des zuvor präsentierten Materials. Dabei werden die Herkunft der einzelnen Gabenbringer 4, die möglichen Empfänger, der spezifische Anlass, der Ort der Ablieferung, die zugehörigen Texte, die historische Realität sowie die Tradition der Tributszenen, also eventuelle Vorläufer, behandelt. Insgesamt jedoch wird hier nur sehr oberflächlich argumentiert, dabei größtenteils mehr aufgelistet als analysiert und interpretiert. Insbesondere der historisch-chronologische Teil der Auswertung, der wichtige Aspekte auch für die Deutung der zeitlichen Abhängigkeit und Entwicklung der Darstellungen innerhalb der Tributszenen hätte erbringen können, beschränkt sich zu sehr auf eine teilweise auch lückenhafte Wiedergabe bekannter und älterer Literatur, ohne eigene Ansätze zu entwickeln.5 Interessant ist hingegen Hallmanns Beobachtung, dass viele importierte Objekte offensichtlich in den ägyptischen Werkstätten und Schatzhäusern gespeichert und zudem auch bearbeitet worden sind. Hier hätte man sich eine Auflistung der unterschiedlichen Objekte gewünscht, die nach Ägypten importiert wurden. Eventuell könnte so ein Abgleich mit real in Ägypten gefundenen Objekten der Wahrheitsgehalt der Tributszenen untermauert werden. Bei der Diskussion um die zeitlichen Vorläufer der Tributszenen beschränkt sich Hallmann auf eine kurze Auflistung der möglichen Belege, ohne diese jedoch eingehender zu diskutieren.6

In ihrer abschließenden Zusammenfassung 7 versucht Hallmann die gewonnenen Erkenntnisse in ein strukturell-theoretisches Modell zu übertragen, das sich grundsätzlich am „3-Zonen-Modell“ M. Liveranis orientiert.8 Das von Hallmann entworfene Modell des Austausches weist jedoch, anders als es bei Liverani der Fall ist, keinen redistributiven, sondern einen reziproken Charakter auf. Sicherlich richtig ist dabei Hallmanns grundsätzliche Annahme, dass die in den ägyptischen Darstellungen fälschlicherweise (seitens der Ägyptologie, nicht der Ägypter!) als „Tribut“ bezeichneten bzw. interpretierten Güter aus dem Ausland größtenteils als Handelswaren Ägypten erreichten. Ebenso richtig ist die grundsätzliche Feststellung, dass es sich in der Vielzahl nicht um historische Ereignisse handelt, die dargestellt werden, sondern um Topoi, die eher der ägyptischen Selbstdarstellung dienten als einer exakten Wiedergabe historischer Realitäten. Die Tributszenen können somit mehr über die Ägypter selbst mitteilen als über die Fremdvölker, die sie abbilden.

Abschließend betrachtet scheint Hallmanns Untersuchung zwar eine grundlegende Quellenbasis für ein neues Verständnis der so genannten „Tributszenen“ in den Gräbern des Neuen Reiches bilden zu können, ist aber leider in manchen Fällen zu ungenau, um eine gesicherte Deutung und Bedeutung der Tributszenen erlauben zu können. Weitere Monita sind inhaltliche Mängel, wie etwa sich häufig wiederholende Textblöcke innerhalb der Fußnoten und des Textes und die teilweise lückenhafte und veraltete Literatur, die verwendet wurde.

Anmerkungen:
1 Insgesamt besteht der Katalog der beschriebenen Tributszenen (= Dokumente) aus 55 Einträgen. Da jedoch einige der aufgelisteten Szenen unter zwei unterschiedlichen Typengruppen aufgezählt werden, jedoch aus einem Grab stammen (so z.B. Szenen aus den Gräbern TT 86, TT 89, TT 131 und TT 143), ist die tatsächliche Anzahl der behandelten Gräber daher geringer (40 Gräber, sowie 7 Szenen aus Tempeln). Leider finden sich im Tafelteil der Untersuchung, dabei wohl nicht zuletzt auch aus Kostengründen, nicht alle Abbildungen der im Katalog beschriebenen Szenen (17 Tafeln, 13 Gräber). Aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit und „Nutzerfreundlichkeit“ wäre es darüber hinaus auch wünschenswert gewesen, alle Darstellungen der Szenen den jeweiligen Beschreibungen der Szenen direkt beizufügen.
2 Somit können diese „versteckten“ Szenen zwar nur indirekt dem eigentlichen Oberbegriff „Tributszene“ zugeordnet werden, stellen jedoch eine zusätzliche und aussagekräftige historische Quelle für die abschließende Beurteilung dieses Szenentypus dar. Auffällig ist hier die Beobachtung Hallmanns, dass die königlichen Monumente gegenüber den Privatgräbern stets einen sehr repressiven Charakter der Fremdvölkerdarstellungen aufweisen (S. 319). In ihrem Wahrheitsgehalt der Darstellungen scheinen sie demnach viel stärker propagandistisch gefärbt und somit historisch noch weniger verwendbar zu sein.
3 Vgl. dazu Liverani, Mario, Prestige and Interest. International Relations in the Near East ca. 1600–1100 B.C., Padua 1990 und Bleiberg, Edward, The Official Gift in Ancient Egypt, Norman 1996.
4 Mißverständlich ist dabei Hallmanns „Typ Mitanni“ (S. 271f.): Da das politische Staatengebilde „Mittani“ (so die neuere wissenschaftliche Schreibung) des 2. Jahrtausends v.Chr. keine einheitliche Ethnie darstellt, sondern sich aus zahlreichen unterschiedlichen ethnischen Gruppen zusammensetzt, lässt sich mitunter auch kein einheitlicher „Typ Mitanni“ definieren. So ist es auch nicht verwunderlich, dass für die Darstellung eines Mannes aus Mittani (also aus diesem politischen Gebiet) synonym ein Syrer mit einer Beischrift, die „Mittani“ erwähnt, Verwendung findet (so wie dies zu Beginn der Kontakte auch mit dem „Typ Hethiter“ geschehen ist). Der Staat Mittani erstreckte sich in der Spätbronzezeit bis an die nordlevantinische Küste, de facto waren die Einwohner und Regenten dort demnach sowohl politisch „Mittani“, wenngleich ebenso auch kulturell „Syrer“. Wissenschaftlich äußerst fragwürdig und abzulehnen ist darüber hinaus Hallmanns Behauptung, Männer des Typs Mitanni würden „europäische Züge“ aufweisen (S. 271).
5 So wird bei der Beschreibung der historischen Entwicklung zwischen Ägyptern und Hethitern (S. 306ff.) zwar die früheste Darstellung von Hethitern in einem ägyptischen Grab beschrieben (TT 86, Zeit Tuthmosis’ III.), jedoch nicht erwähnt, dass zu diesem Zeitpunkt, d.h. unter Tuthmosis III. oder seinem Nachfolger Amenhotep II., bereits der so genannte „Kuruštama-Vertrag“ zwischen Ägyptern und Hethitern geschlossen wurde, der nachhaltigen Einfluss auf die Beziehungen der beiden Staaten gehabt haben dürfte. In vielen weiteren Fällen offenbart sich, daß primär veraltete Literatur herangezogen wurde bzw. historische Zusammenhänge nur ungenau wiedergegeben werden.
6 So behauptet Hallmann beispielsweise in Bezug auf den „Schatzfund von et-Tôd“ in Ägypten, dieser könne belegen, „dass im M.R. (Mittleren Reich) Kontakt mit der Ägäis bestand“ (S. 322). Es ist hingegen jedoch völlig unklar, wie und über welche Kanäle diese Objekte letztendlich Ägypten erreicht haben, eine direkte Verbindung Ägyptens mit der Ägäis demnach nicht unmöglich, jedoch auch nicht a priori aufgrund des Befundes zu postulieren.
7 In diesem Kapitel stimmt die fortlaufende Nummerierung der Fußnoten im Text nicht mehr mit den Fußnoten des verbleibenden Textes überein.
8 Vgl. Liverani, Prestige and Interest, S. 205ff. Zu einem ähnlichen Modell siehe jetzt auch Morris, Ellen F., Bowing and Scraping in the Ancient Near East: An Investigation into Obsequiousness in the Amarna Letters, in: Journal of Near Eastern Studies 65.3 (2006), S. 179–196.

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