D. Engels: Das römische Vorzeichenwesen

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Titel
Das römische Vorzeichenwesen (753-27 v. Chr.). Quellen, Terminologie, Kommentar, historische Entwicklung


Autor(en)
Engels, David
Reihe
Potsdamer Altertumswissenschaftliche Beiträge 22
Erschienen
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
877 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mario Ziegler, Graduiertenkolleg "Generationenbewusstsein und Generationenkonflikte in Antike und Mittelalter", Otto-Friedrich-Universität Bamberg

Als im Jahre 249 v.Chr. vor Drepana an der Westküste Siziliens eine Seeschlacht zwischen der karthagischen und der römischen Flotte anstand, verhießen die heiligen Hühner durch die Verweigerung der Nahrungsaufnahme dem römischen Befehlshaber P. Claudius Pulcher einen negativen Ausgang der Schlacht. Als sich Claudius über dieses malum omen hinwegsetzte und die Hühner kurzerhand ins Wasser werfen ließ, folgte das Unglück in Form einer römischen Niederlage auf dem Fuße.1 Diese Episode stellt einen der berühmtesten Berichte über Vorzeichen in der römischen Geschichte dar, einem Thema, dem sich David Engels in seiner im Jahre 2005 eingereichten Dissertation widmete, die nun in überarbeiteter Fassung vorliegt. Bereits der äußere Eindruck ist imposant: Das Werk besteht aus nicht weniger als 877 Seiten und behandelt alle Berichte über passiv empfangene römische Vorzeichen (signa oblativa) 2 vom Beginn der römischen Geschichte bis 27 v.Chr. In diesem Jahr trat durch die Verleihung des Augustus-Titels an Octavian eine neue Figur als Vermittler zwischen Staat und Götterwelt auf den Plan, so dass sich in der Folgezeit das Vorzeichenwesen weitgehend auf die persönlichen Vorzeichen des Kaisers konzentrierte und die traditionellen republikanischen prodigia publica immer seltener beschrieben wurden (S. 21f.).

In einer ausführlichen Einleitung (S. 11-59) verdeutlicht Engels zunächst in sehr klarer Form das Konzept der Römer von Religion und den Umgang mit selbiger: Religion als korrekter und streng formalistischer ritueller Umgang mit der Gottheit, der allein ihre Gunst und damit das Wohlergehen des Staates sicherte, dazu der zentrale Grundsatz des do ut des. Indem der Mensch im votum der Gottheit einen genau definierten Dienst für den Fall der Gewährung einer Bitte gelobte, bot er ihr sozusagen einen Vertrag an. Erst wenn die Gottheit die Bitte erfüllte, löste auch der Bittsteller sein votum ein. Beging der Mensch aber einen Vertragsbruch, kündigte die Gottheit ihren Zorn durch Vorzeichen an, bevor sie ihn in voller Stärke losbrechen ließ. Nach dieser Zusammenfassung zwar bekannter, doch für die weitere Untersuchung grundlegender Fakten gibt Engels einen Überblick über den bisherigen Forschungsstand (S. 29-37), wobei er zu dem Ergebnis kommt, dass eine zusammenfassende Darstellung der staatlichen und privaten Aspekte der römischen Divination bislang fehlt. Schließlich werden die zentralen Termini der Untersuchung – vielfach in Abgrenzung zu früheren Begriffsbestimmungen – definiert (S. 38-59). So erklärt Engels das Vorzeichen als ein Ereignis, „das, in welcher Weise auch immer, die Möglichkeit einer zukünftigen Entwicklung anzudeuten scheint und dabei von außermenschlichen Kräften mittels eines unbewussten Trägers hervorgebracht wird; die Natur des Vorzeichens muss jedoch so beschaffen sein, dass das Ausmaß des Ereignisses nicht den Zeichencharakter vergessen machen darf“ (S. 43). In der Folge werden die einzelnen Glieder dieser Definition überzeugend begründet: der Zukunftsbezug (gegen eine Überbetonung der prodigia publica, bei denen gerade nicht der Zukunftsbezug im Vordergrund stand), der unbewusste Träger (im Gegensatz zu Vorhersagen, bei denen der Mensch bewusst als Akteur wirkte, etwa im Fall von Sehern oder Orakeln) sowie der Zeichencharakter (das Vorzeichen darf nicht selbst bereits ein Ereignis sein, das durch sein Ausmaß das Angedrohte in den Hintergrund treten lässt, also etwa keine Katastrophe).

In einem ersten Hauptteil (S. 60-258) analysiert Engels sodann die Darstellung der Vorzeichen im Werk der einzelnen antiken Autoren von Fabius Pictor bis Verrius Flaccus. Ihre individuelle Vorzeichenterminologie wird ebenso untersucht wie ihre Haltung zum Phänomen der Divination. Hierbei kommen auch die Quellen der frühen römischen Annalistik zur Sprache, aus denen möglicherweise Vorzeichenberichte übernommen wurden (Pontificalbücher, Sitzungsprotokolle des Senats, Archive von Magistraten und großen Priesterschaften). Es schließt sich ein Überblick über die antiken Bezeichnungen des Phänomens (prodigium, ostentum, portentum, monstrum, omen) an (S. 259–282). Hier wird deutlich, wie stark die verschiedenen Termini in ihrer Bedeutung bei den einzelnen Autoren differieren und dass sie teilweise auch synonym gebraucht wurden.

Im zweiten Hauptteil (S. 283-723) bietet Engels eine chronologisch geordnete Übersicht der Prodigien der Königszeit und Republik. Beginnend mit den Herrschaftsvorzeichen des Ascanius bei der Flucht aus Troja werden dem Leser 401 Fälle vor Augen gestellt, darunter natürlich auch das eingangs erwähnte Ereignis im Zusammenhang mit der Schlacht von Drepana (S. 405-407). Hierbei verfolgt Engels einen doppelten Ansatz, indem er einerseits das Phänomen selbst in seinem zeitgeschichtlichen Zusammenhang untersucht und andererseits die Überlieferung in der Darstellung antiker Autoren mit ihren bewussten oder unbewussten Verzerrungen in den Blick nimmt. Er übergeht hierbei literarische Fiktionen und beschränkt sich überwiegend auf historisch verortete Vorzeichen, deren Erscheinungsformen (staatlich, privat, militärisch) allerdings komplett erfasst wurden. Sehr nützlich für den Leser sind die bibliographischen Angaben, die zu jedem Vorzeichen an die Hand gegeben werden. In einem zusammenfassenden Kapitel legt Engels danach die historisch-politische Entwicklung des Vorzeichenwesens dar (S. 724-797), wobei die lateinischen, etruskischen und griechischen Einflüsse ebenso zur Sprache kommen wie die Herausbildung der prodigia publica und der Niedergang des staatlichen Vorzeichenwesens im 1. Jahrhundert v.Chr. zugunsten der persönlichen Vorzeichen der großen Feldherren.

Es folgen psychoanalytische Überlegungen zu Entstehung, Besonderheit und Entwicklung des Prodigienwesens in Rom (S. 798-825). Hier bietet Engels einen von bisherigen Erklärungen abweichenden Ansatz (S. 804ff.). Als Ausgangspunkt des Vorzeichenwesens sieht er die strikt patriarchalische Struktur der römischen Republik, im privaten Bereich mit der dominierenden Gestalt des pater familias, im Staatswesen mit dem Leitungsgremium der senatorischen patres. „Angesichts übermächtiger Väter, staatslenkender Senatoren und dem Zwang zur Konformität musste daher auch die Religion jenes Volkes sowohl spiegelgleiches Abbild als auch mäßigendes Korrektiv sein: Abbild, da die Götter nicht anders als mit der auctoritas der Väter ausgestattet als eine Art ‚Überväter‘ betrachtet werden konnten; Korrektiv, da hierdurch zugleich der potentiellen Willkür der Patriarchen gewisse Grenzen durch deren Unterordnung unter den ebenfalls unhintergehbaren göttlichen Willen gesetzt wurden“ (S. 807). Bei der Frage nach der unbewussten Zielsetzung der Divination unterscheidet Engels zwischen der einfachen Bevölkerung und der Oberschicht. Drückte die Hinwendung zu Vorzeichen bei ersterer einen Zweifel an der Kompetenz der staatlichen Autoritäten in Krisenzeiten aus, den man in die Welt der Götter projizierte (S. 810), so diente die Divination im Fall der Aristokratie vielfach nicht zur Herausbildung von Entschlüssen, sondern eher zur nachträglichen Begründung und Rechtfertigung eigener Entscheidungen, die, als Beschlüsse der Götter interpretiert, in eine objektive Sphäre gehoben wurden. Auf diese Weise konnte man die Handelnden bereits im Voraus von aller Schuld entlasten und dem Schicksal bzw. den Göttern gegenüber eine Art Garantie auf das Gelingen der Handlung geltend machen (S. 811ff.).

Eine umfangreiche Bibliographie sowie ein Stellenindex beschließen den Band. Einen kleinen Wermutstropfen stellt das fehlende Namen- und Sachregister dar, gerade ein Sachindex unter Einbeziehung der Symbole der prodigia3 hätte dem Leser die thematische Erschließung der Vorzeichenberichte wesentlich erleichtert. Dennoch bleibt Engels Arbeit durch die vollständige Erfassung der Vorzeichenberichte ein ausgezeichnetes Nachschlagewerk. Man darf gespannt sein auf einen vom Verfasser in Aussicht gestellten (S. 18) zweiten Teil, der sich mit den kaiserzeitlichen Vorzeichen beschäftigen wird.

Anmerkungen:
1 Quellen z.B. Cic. nat. deor. 2,7; Liv. Perioch. 19; Suet. Tib. 2,2.
2 Zur Abgrenzung gegenüber erbetenen Vorzeichen zur Erkundung des Götterwillens (signa impetrativa), etwa durch Vogel- oder Eingeweideschau, vgl. S. 58f.
3 Wie etwa in Weber, Gregor, Kaiser, Träume und Visionen in Prinzipat und Spätantike, Stuttgart 2000.

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