P. M. Strässle: Krieg und Kriegführung in Byzanz

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Titel
Krieg und Kriegführung in Byzanz. Die Kriege Kaiser Basileios' II. gegen die Bulgaren (976-1019)


Autor(en)
Strässle, Paul M.
Erschienen
Köln 2006: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
578 S.
Preis
€ 119,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Prietzel, Humboldt-Universität zu Berlin

Kriege und Militär finden seit einigen Jahren in verschiedenen Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft nicht zuletzt aufgrund aktueller Geschehnisse wieder mehr Aufmerksamkeit. Das vorliegende Werk widmet sich einer Epoche der byzantinischen Geschichte, die besonders aufschlussreich zu sein verspricht. Denn unter Basileios II. verzeichnete das byzantinische Reich dank weit reichender Heeresreformen viele militärische Erfolge, insbesondere in den hier behandelten Kriegen gegen die Bulgaren.

Entschieden grenzt sich Strässle vom traditionellen Vorgehen ab, das sich „auf den kriegerischen Akt und die damit verbundenen technischen Probleme (wie Bewaffnung und Ausrüstung) beschränkt“ (S. 1f.). Dies wäre nach seinen Worten bloße „Schlachten-“ oder „Militärgeschichte“. Wirkliche „Kriegsgeschichte“, wie Strässle selbst sie beabsichtigt, muss nach seiner Auffassung „Krieg und Kriegführung in ihrer Verflechtung mit den sie bedingenden räumlichen und zeitlichen sowie die verschiedenen Lebensbereiche betreffenden Strukturen in Byzanz untersuchen“. Krieg und Kriegführung seien dementsprechend „nur polystrukturell und interdisziplinär erklärbar“ (S. 3). Konkretes Ziel seines Vorhabens ist es für ihn, „die byzantinisch-bulgarischen Kriege, insbesondere die komplex bedingte Kriegführung der Rhomäer, zu rekonstruieren“ (S. 7).

Strässles Vorgehen zeichnet sich also dadurch aus, dass es sich methodisch und thematisch einerseits weit öffnet, andererseits aber zugleich begrenzt. Konsequent verfolgt er in seinem Buch den angekündigten, thematisch breiten Zugriff, arbeitet dabei ganz aus den Quellen und wertet kenntnisreich neben historiographischen Quellen auch literarische und archäologische aus. Große Bedeutung besitzt für seine Analysen die historische Geographie. Viele der Schauplätze hat er selbst bereist. Stets erklärt er die Kriegführung umsichtig durch Rückgriff auf Strukturen unterschiedlichster Art. Doch beschränkt er sich weitgehend darauf, die äußeren militärischen Abläufe zu klären. Wie die Zeitgenossen mit Krieg umgingen, wie sie ihn interpretierten – diese kulturgeschichtlichen Fragestellungen geraten bei Strässle nur am Rand ins Blickfeld. Das ist schade, aber legitim, zumal angesichts der Masse des verarbeiteten Materials.

Der erste Abschnitt des Werks stellt die „Grundlagen“ für die folgenden Untersuchungen zusammen. Zum einen bietet der Verfasser hier knappe Überblicke über die geografischen Eigenschaften der Balkanhalbinsel, die byzantinische Geschichte in der behandelten Epoche, die Kriege zwischen Byzanz und den Bulgaren. Zum anderen diskutiert Strässle gründlich und umsichtig die Quellen und ihren Wert, besonders die theoretischen Schriften über Kriegführung, von denen es in Byzanz zu dieser Zeit mehrere gibt – anders als im westlichen Europa des früheren Mittelalters.

Grundlegenden Bedingungen der Kriegführung und deren Entwicklung gilt der zweite Abschnitt des Werks. Behandelt werden zunächst der Umgang mit Raum und Zeit. Dabei stellt Strässle insbesondere fest, dass vor allem drei Fernstraßen wichtig für den Ablauf der byzantinisch-bulgarischen Kriege waren und auch die Planung der Operationen beeinflussten. Ein weiteres Kapitel gilt der militärischen Organisation der Bulgaren. Insbesondere bemüht sich Strässle, die bulgarischen Festungen und Städte, die in den Quellen erwähnt werden, zu lokalisieren. Ebenso beschäftigt er sich mit Taktik und Strategie der Bulgaren, die zwar Byzanz zivilisatorisch unterlegen, aber dennoch kampfkräftige, zu fürchtende Gegner waren. Das längste und wichtigste Kapitel des Buchs (S. 214-446) stellt die gesamte byzantinische Militärmacht und Kriegführung vor. Organisation und Gliederung der byzantinischen Armee, Kommunikation und Nachrichten, Aufklärung, Wichtigkeit und Ablauf von Belagerungen, Aufstellungsarten der Truppen im Kampf, Strategie, diplomatische Maßnahmen zur Unterstützung des Krieges, Logistik, Finanzierung, Kampfmoral, Wehrstrafrecht – alle diese Punkte werden gründlich und umfassend untersucht.

Der dritte Abschnitt des Werks gilt den Auswirkungen der Kriege zwischen Byzanz und den Bulgaren. In Folge der langwierigen, aber für Byzanz erfolgreichen Kriegführung verschob sich die Grenze des Reichs auf dem Balkan langsam nach Norden und Osten. Nach der vollständigen Eroberung Bulgariens wurde ein Befestigungssystem auf dem rechten Donauufer errichtet, woran sich nachdrücklich zeigt, wie wichtig der tief gestaffelte Gürtel von Befestigungen für die byzantinische Kriegführung war. Die unterworfenen Bulgaren behandelte man fiskalisch rücksichtsvoll, um sie nicht in einen Aufstand zu treiben. Charakteristisch für die byzantinische Kriegführung waren Umsiedlungen von Teilen des besiegten Feindes sowie gezielte Ansiedlungen von Bevölkerungsgruppen aus anderen Teilen des Reichs im eroberten Gebiet, das auf diese Weise gesichert werden sollte. „Schlussfolgerungen“ fassen die Ergebnisse der Studie prägnant zusammen.

Mitunter ist es problematisch, dass Strässle in seinen Analysen durchweg heutiges militärisches Vokabular gebraucht. Das lässt sich gewiss nicht immer vermeiden und stellt häufig ohnehin kein Problem dar. Manchmal aber verstellt es den Blick auf Erkenntnismöglichkeiten, denn es sagt durchaus etwas über den intellektuellen Umgang mit Kriegführung aus, dass es ein entsprechendes Fachvokabular in der untersuchten Epoche nicht gab. Strässle selbst ist dies im Ansatz bewusst, wenn er immer wieder die Wortfelder umreißt, die in den Quellen für jene Dinge und Sachverhalte stehen, die heute prägnant als Ausrüstung, Logistik, Kampfmoral oder Ähnliches bezeichnet werden. Er zieht aber aus dem Umstand, dass präzises Vokabular fehlt, keine Schlussfolgerungen darauf, was das für den mentalen und intellektuellen Umgang mit militärischen Operationen heißt. Auch spricht er selbst, wenn er die Zone meint, in der byzantinischer und bulgarischer Machtbereich aufeinander trafen, von einer „Frontlinie“ – obwohl er selbst das interessante Faktum hervorhebt, dass die Geschichtsschreiber keine Grenzen erwähnen, sondern nur Räume oder Orte, die schon erobert oder noch feindlich besetzt waren. Die byzantinischen Autoren besaßen also gar nicht die Vorstellung von einer „Frontlinie“, sondern von einem Grenzraum, in dem Orte, insbesondere befestigte, große Bedeutung besaßen. Gerade dies wiederum unterstreicht die große Bedeutung von Befestigungen, die Strässle selbst mehrfach betont.

In ganz ähnlicher Weise führt Strässle zwar Gegebenheiten an, die sich für kulturgeschichtliche Fragestellungen aufdrängen, schöpft die Möglichkeiten aber nicht aus. Er schildert z.B., wie die Quellen Basileios II. und den bulgarischen Herrscher Samuel als Gegenpole konstruieren (S. 401-404), den verehrungswürdigen Monarchen und Feldherrn also durch die Gegenüberstellung mit dem verabscheuungswürdigen Feind noch weiter erhöhen. Die Anführer unterworfener Feinde wurden politisch in die byzantinische Hierarchie und damit auch mental in die byzantinische Weltsicht eingepasst, indem man ihnen Würden und Titel verlieh. Sehr aufschlussreich ist auch, welche große Rolle feierliche Rituale für die Manifestation des Sieges und seiner Folgen besaßen: Die Bevölkerung unterworfener Orte akzeptierte die neue Herrschaft, indem sie den Kaiser unter Hymnengesang feierlich empfing. Nach der siegreichen Beendigung des Krieges zog der Herrscher, auf dem Kopf einen goldenen Lorbeerkranz, triumphal in seiner Hauptstadt ein und erwies Gott seine Dankbarkeit, indem er die Hauptkirche Hagia Sophia besuchte.

Strässles gründliche und umfassende Untersuchungen sowie ihre zahlreichen Ergebnisse werden sicherlich die Byzantinistik, hoffentlich aber auch die Nachbardisziplinen befruchten. Wenn z.B. Strässle mehrfach betont, wie sehr die byzantinischen Feldherren auf Sicherheit und Schonung der eigenen Streitkräfte bedacht waren, wie viel Zurückhaltung sie gegenüber Risiken zeigten, dann sollte dies aktuelle, vor allem angelsächsische kriegsgeschichtliche Forschungen zu Westeuropa interessieren, die eine solche Grundeinstellung in nicht immer glücklicher Weise als „vegetianische Kriegführung“ diskutieren. Weite Rezeption über die Byzantinistik hinaus hat sich dieses materialreiche und gründliche Werk verdient.

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