S. Wolff-Rohe: Der Reichsverband der Deutschen Industrie

Titel
Der Reichsverband der Deutschen Industrie 1919-1924/25.


Autor(en)
Wolff-Rohé, Stephanie
Erschienen
Frankfurt am Main 2001: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
454 S.
Preis
DM 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thilo Nowack, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Historisches Seminar Abteilung Verfassungs-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

In seinem Überblickswerk über die Weimarer Republik stellte Eberhard Kolb fest, daß die schwerindustrielle Interessenpolitik dieser Zeit weitgehend erforscht sei, beklagte aber das Fehlen von umfassenden Darstellungen über die großen Spitzenverbände der Wirtschaft 1. Nun ist bei Kolb eine Dissertation über den Reichsverband der Deutschen Industrie (RDI) von 1919 bis 1924/25 entstanden. Die Verfasserin Stephanie Wolff-Rohé legt damit eine Arbeit vor, die sich an die Untersuchungen der beiden Vorgängerinstitutionen 2 anschließt und für die Anfangsjahre der Republik eine Lücke füllt.

Da die Akten des Verbandes während des Krieges weitgehend zerstört wurden, basiert die Arbeit quellenmäßig vor allem auf den Nachlässen verschiedener Präsidiums- und Vorstandsmitglieder der Zeit, wie etwa Paul Reusch (GHH), Otto Wiedfeldt (Krupp), Hugo Stinnes, Paul Silverberg (Rheinische AG für Braunkohlebau) und Emil Guggenheimer (MAN). Auf der Grundlage dieses zusammengetragenen disparaten Quellenmaterials untersucht Stephanie Wolff-Rohé die Entwicklung des Verbandes mit besonderem Blick auf die inneren Kräfteverhältnisse und Auseinandersetzungen sowie das interessenpolitische Wirken des Verbandes nach außen.

Schon vor dem Krieg hatten BdI und CDI als nebeneinander bestehende, mitunter aber gegeneinander arbeitende Spitzenorganisationen der deutschen Wirtschaft interessenpolitisch gewirkt. Zu einer umfassenden Zusammenarbeit der deutschen Industrie kam es erst während des Krieges. Um die Kriegswirtschaft zu optimieren, schloß sich die Industrie in zahlreichen Institutionen wie dem "Deutschen Industrierat", dem "Deutschen Stahlbund" oder dem "Kriegsausschuß der deutschen elektrotechnischen Industrie" zusammen. Wie sehr sich die deutsche Industrie in der Demobilmachungsphase nach dem Krieg gegenüber den Gewerkschaften in einer geschwächten Position befand, wurde beispielsweise in den Zugeständnissen deutlich, die die Arbeitgeber gegenüber den Arbeitnehmern in der Zentralarbeitsgemeinschaft vom Dezember 1918 machten. In dieser Situation erwarteten die deutschen industriellen Arbeitgeber umfassende sozial- und wirtschaftspolitische Veränderungen zu ihren Ungunsten und entschlossen sich zur Gründung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (12.4.1919), einem Spitzenverband, in dem erstmals alle wesentlichen industriellen Verbände sowie eine große Zahl bedeutender Einzelunternehmer zusammengeschlossen waren.

Stephanie Wolff-Rohé nimmt die ersten sechs Jahre des Verbandes in den Blick, wobei sie sich mit dieser zeitlichen Eingrenzung an der Dauer der Amtszeit des ersten Vorsitzenden Kurt Sorge orientiert. Die Begründung, daß mit der Übernahme des Vorsitzes durch Carl Duisberg 1925 eine ganz neue Phase des Verbandes angebrochen sei, ist zwar plausibel, wird allerdings leider kaum erläutert. Vielleicht haben auch forschungspragmatische Gründe für diese Vorgehensweise eine Rolle gespielt.

Stephanie Wolff-Rohé untersucht die Entwicklung des Verbandes in seinen Funktionen als Selbstverwaltungsorgan der deutschen Industrie einerseits und als Interessenvertretung andererseits anhand der zentralen politischen und wirtschaftlichen Brennpunkte der Zeit und arbeitet dabei wichtige Merkmale heraus, die das Wirken des Verbandes kennzeichneten. Sie führt in überzeugender Weise vor, wie der Verband in den innenpolitischen Auseinandersetzungen um die Neugestaltung der Wirtschaft zwischen 1919 und 1922 überwiegend erfolglos blieb. In den Diskussionen um eine Sozialisierung der deutschen Wirtschaft verhielt sich der RDI zurückhaltend und trug kaum dazu bei, daß diese Pläne letztlich scheiterten. Auch gegen die Einführung des Betriebsrätegesetzes konnte der Verband nicht angehen, zum Unwillen vieler Unternehmer, die zu dieser Zeit noch in großer Zahl dem 'Herr-im-Hause'-Standpunkt verhaftet waren. Ebenso erfolglos agierte der RDI gegen die aus Unternehmersicht unzumutbaren Belastungen der Erzbergerschen Finanzreform und gegen die Außenhandelskontrolle mit den hohen Ausfuhrabgaben. In die Chronik der Erfolglosigkeit reihen sich des weiteren die gescheiterten Projekte eines Reichswirtschaftsrates sowie einer vergeblich geplanten industriellen Kreditgenossenschaft. Ein vernichtendes Urteil fällt Stephanie Wolff-Rohé schließlich über die Ereignisse während des Kapp-Putsches, als die Führung des RDI durch ihr passives Verhalten eindeutig versagt habe.

Der im Hinblick auf den innenpolitischen Umbruch bis 1922 im wesentlichen als wirkungsloses Defensivbündnis agierende Verband trat auf außenpolitischem Gebiet, besonders bei den Auseinandersetzungen um die Reparationen wesentlich stärker in Erscheinung. Dabei zeigte sich auch schon sehr bald eine deutschnational geprägte Opposition als wichtige politische Kraft innerhalb des Verbandes, die in späterer Zeit noch mehr Wirkung entfalten sollte. Eine nachhaltige Aufwertung bedeutete für den RDI die Teilnahme an der Genua-Konferenz im April/Mai 1922. Besonders im Rapallo-Vertrag sah der Verband die eigenen wirtschaftlichen Leitsätze durchgesetzt. Eine noch wichtigere Rolle spielte der RDI später beim Entstehen des Dawes-Plans 1924, als er als Mittler zwischen der alliierten Sachverständigen-Konferenz und der deutschen Industrie fungierte. Bis dahin hatte er sich allerdings auch innenpolitisch durch sein beherztes Auftreten im Ruhrkampf in eine stärkere Position bringen können. Während der Ruhrbesetzung hatte sich der RDI dadurch hervorgetan, daß er Hilfsmittel organisierte und sich um eine Regelung der Geschäftsbeziehungen zwischen den Firmen im unbesetzten und denen im besetzten Gebiet bemühte. Diese positive Entwicklung nach 1922, in der der Verband immer besser im Stande war, offensiv zu agieren, führt Stephanie Wolff-Rohé zu einem großen Teil auf das Engagement Hermann Büchers zurück, der sich als geschäftsführendes Mitglied des Präsidiums immer mehr am eher blass agierenden Vorsitzenden Kurt Sorge vorbei als Führungsperson des RDI etablierte. Daneben bewertet sie die Diskussionen um ein Programm, das sich der RDI geben wollte, als außerordentlich positiv, obwohl sie bis 1925 ohne Ergebnis blieben. Nach ihrer Einschätzung habe sich der Verband allein durch die programmatischen Auseinandersetzungen ein Profil geben und verbandspolitisch gezielter auftreten können.

Somit zerfällt die in der vorliegenden Arbeit untersuchte Entwicklung des RDI in zwei Phasen, in denen der Verband von einem anfangs vorwiegend reagierenden, eher schwach auftretenden Defensivbündnis zu einer offensiv auftretenden Interessenvereinigung der deutschen Industrie generierte.

Dabei war innerverbandlich von Anfang an die Dominanz der Großindustrie ein Streitpunkt. Der mitunter auch kritisch als "Reichsverband der deutschen Schwerindustrie" bezeichneten Organisation wurde von Anfang an vorgeworfen, vor allem die schwerindustriellen Interessen zu vertreten. Auch wenn die führenden Mitglieder tatsächlich überwiegend Vertreter dieser Branche waren, kann die vorliegende Untersuchung diese Kritik nicht bestätigen. Allerdings bezog der Verband auch zu keiner Zeit Stellung gegen die Schwerindustrie sondern hielt sich statt dessen aus strittigen Fragen heraus, was de facto bedeutete, daß sich die starke Ruhrindustrie in der Regel durchsetzen konnte. Somit wurde dem Verband mit Recht eine unzureichende Vermittlungsleistung zwischen den Branchen vorgeworfen.

Gerade mit dem Blick auf die bereits vorliegenden Untersuchungen über die Rolle der Großindustrie gegen Ende der Weimarer Republik 3 ist als weiteres Ergebnis der Arbeit hochinteressant, daß bei der Untersuchung des RDI in seinen Anfangsjahren keine einheitlich negative Einstellung der Industriellen gegenüber dem Weimarer Staat erkennbar wurde. Zwar gab es schon frühzeitig deutschnationale Gruppierungen, die aber innerhalb des Verbandes gegenüber den gemäßigten Kreisen nur eine untergeordnete Rolle spielten. Das wurde beispielsweise auch darin deutlich, daß die Kritik des RDI an der Erzbergerschen Finanzreform sachlich blieb und sich nicht der verbreiteten Agitation und antisemitischen Hetze gegen den Finanzminister anschloß.

Stephanie Wolff-Rohé hat mit ihrer Arbeit eine klassische, detailreiche, stellenweise vielleicht auch etwas zu detailverliebte Verbandsgeschichte vorgelegt. Der Aufbau wirkt etwas schematisch, die Darstellung mitunter zu deskriptiv. Vielleicht wäre es an manchen Stellen besser gewesen, wesentliche Strukturmerkmale noch deutlicher herauszuarbeiten, als beispielsweise bestimmte Auseinandersetzungen bzw. Diskussionen, die innerhalb des RDI geführt wurden, en detail nachzuvollziehen, was die Lektüre mühsam macht und den Leser schnell ermüden läßt. Eventuell hätte ein etwas stärker theoretisch geleiteter Zugriff der Arbeit etwas mehr Zug und Stringenz geben können. Die in der Wirtschaftsgeschichte momentan viel diskutierte Frage nach Netzwerken fand beispielsweise überhaupt keine Berücksichtigung.

Auf jeden Fall zu kritisieren ist die wenig sorgfältige Endredaktion des Textes: Der Leser stolpert doch recht oft über vermeidbare Flüchtigkeitsfehler, von orthographischen Kleinigkeiten bis hin zu falschen Jahresangaben (die Zentralarbeitsgemeinschaft kam 1918, nicht 1919 zustande - S. 41).

Von diesen angesprochenen Mängeln abgesehen leistet Stephanie Wolff-Rohé mit ihrer ergebnisreichen Arbeit aber zweifellos einen wichtigen Beitrag zur Verbandsgeschichte der Weimarer Zeit.

Anmerkungen:
1 Eberhard Kolb, Die Weimarer Republik [=Oldenbourg Grundriß der Geschichte, Bd. 16], 5. Auflage, München 2000, S. 185.
2 Hartmut Kaelble, Industrielle Interessenpolitik in der Wilhelminischen Gesellschaft. Centralverband Deutscher Industrieller 1895-1914, Berlin 1967; Hans-Peter Ullmann: Der Bund der Industriellen. Organisation, Einfluß und Politik klein- und mittelbetrieblicher Industrieller im Deutschen Kaiserreich 1895-1914, Göttingen 1976.
3 Reinhard Neebe, Großindustrie, Staat und NSDAP. Paul Silverberg und der Reichsverband der Deutschen Industrie in der Krise der Weimarer Republik, Göttingen 1981.

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