Titel
Heart of Whiteness. Normal Sexuality and Race in America, 1880-1940


Autor(en)
Carter, Julian B.
Erschienen
Durham, NC 2007: Duke University Press
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
$ 74.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nina Mackert, Hamburg

"Norma" und "Normman" wurden die beiden lebensgroßen Statuen bezeichnenderweise genannt, die 1945 der amerikanischen Öffentlichkeit vorgestellt wurden. Sie sollten die statistische Norm von weiblichen und männlichen Amerikanern zwischen 18 und 20 Jahren verkörpern. In der Lesart Julian B. Carters in "The Heart of Whiteness. Normal Sexuality and Race in America, 1880-1940" symbolisieren die Statuen das Ideal eines/r ‚normalen' Amerikaners/in, dessen Entstehung und Effekte sie in der vorliegenden, sehr lesenswerten Studie veranschaulicht.

Den relationalen Charakter der Identitätskategorien Geschlecht, Sexualität, ‚Rasse' und Klasse ernst nehmend, beschreibt Carter, wie seit Ende des 19. Jahrhunderts eine exklusive Verbindung von Weißsein und heterosexueller Reproduktivität mit Modernität und zivilisatorischen Fähigkeiten aufgebaut wurde. Dabei wurden die daran gekoppelten Machtverhältnisse durch eine Naturalisierung dieser Verbindung verschleiert. Carter untersucht ausführlich theoretische Beschreibungen von Neurasthenie (Nervenschwäche) sowie auf Sexualität fokussierte Eheratgeber und Unterrichtsmaterial zu Fortpflanzung und Geschlechtskrankheiten. Dabei destilliert sie heraus, wie vor allem die letzteren beiden Quellenbereiche von und zu einer als ‚normal' markierten Position zivilisierter "Whiteness" sprechen und das Ideal der Normalität nicht nur beschrieben, sondern aufführten. Julian Carter zeigt auf, dass Normalität seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine ähnliche Funktion hatte wie der Begriff der Zivilisation im späten 19. Jahrhundert. 1 Während der Zivilisationsdiskurs allerdings politische Auseinandersetzung gefördert hätte, seien diese durch das Sprechen von ‚Normalität' eingedämmt worden. Carter dekonstruiert ‚Normalität' also als politisches Konzept, das weiße Dominanz aufrecht erhielt und festigte, ohne "race" verhandeln zu müssen; im Gegenteil: Es sei eines der Kennzeichen von Weißsein, dass es scheinbar nicht ‚rassisch' markiert ist. Diese bis heute wirkende "blankness" (S. 26) verdankt "Whiteness" den Diskursen, die eine spezifische Figur als einzigartig modern, natürlich und allein befähigt zur Aufrechterhaltung der Zivilisation qualifizierten. Der Begriff der Normalität ermöglichte mithin die Naturalisierung und Depolitisierung weißer Dominanz, weshalb ‚Rasse' und Sexualität verhandelt werden konnten, ohne die Machtverhältnisse, in die sie verwickelt waren und durch die sie ihre Bedeutung erhielten, zu diskutieren. Diese "Machtvermeidung" 2 von Normalität verankerte moderne "Whiteness" als Set von als universell konstruierten Werten wie Selbstdisziplin und Moral.

Im ersten Kapitel, "Barbarians are not nervous", untersucht Carter, wie theoretisch-medizinische und populäre Erzählungen von nervöser Krankheit in den USA nach dem Bürgerkrieg die Vorstellung einer schwachen und verletzlichen "Whiteness" konstituierten. "Neurasthenie" wurde die neu entdeckte Krankheit genannt, mit der das nervliche Unvermögen der WASPs diagnostiziert wurde, die vielfältigen Reize des modernen Maschinenzeitalters zu verarbeiten. Gerade diese Sensibilität - so die Narration - zeige die vornehmen angelsächsischen weißen Amerikaner/innen als wahre Träger zivilisatorischen Fortschritts, mit "the weight of modernity" auf ihren Schultern (S. 49). Die nervöse Schwäche der WASPs kennzeichnete ihr fortgeschrittenes evolutionäres Stadium: "Barbarians, and other racialized lower-class types, were not nervous because they lacked the physical, intellectual, and moral sensitivity and self-discipline that moderns had evolved" (S. 48), fasst Carter eine Grundannahme der Erzählung zusammen. Paradoxerweise verstärkte gerade die Konstruktion zivilisierter "Whiteness" als Schwäche so den Glauben an die angeborene und natürliche Überlegenheit einer spezifischen Gruppe von Menschen. Zudem funktionierte die Krankheit und die Bedrohung des mit ihr assoziierten reproduktiven Versagens nicht nur dazu, die tatsächlichen sozialen, politischen und ökonomischen Privilegien Weißer wegzudeuten. Indem sie mit Ängsten vor dem Niedergang weißer Dominanz korrespondierte und sie untermauerte, legitimierte sie die weitere Stärkung weißen Suprematismus im Namen zivilisatorischer Fortentwicklung. Die Verknüpfung von Modernität und Fortschritt mit als weiß codierten Eigenschaften wie Verantwortlichkeit und Sensibilität und damit die diskursive Depolitisierung weißer Dominanz ist laut Carter konstitutiv für Repräsentationen von "Whiteness" im 20. Jahrhundert

Kapitel 2, "The Marriage Crisis", zeichnet nach, wie Heterosexualität in den 1920er- und 1930er-Jahren zu einem zentralen diskursiven Ort der Verfestigung weißer Machtvermeidung unter dem Zeichen des Normalen wurde. Carter zeigt in der Analyse von Eheratgebern, wie Sensibilität von Vorstellungen nervöser Krankheit abgekoppelt und in positiven Bezug mit der Möglichkeit gemeinsamen erotischen Erlebens in einer egalitären, liebevollen Ehe gebracht wurde. Bedrohungsszenarien weißer reproduktiver Schwäche wurden stattdessen mit Vorstellungen von Primitivismus und Perversion verknüpft. Die Angst des "Gilded Age", Modernität würde Familien und die Nation unterminieren, wurde in Eheratgebern der 1920er- und 1930er-Jahre durch die Konstruktion einer neuen Form ehelicher Liebe beantwortet, die den zerstörerischen Kräften des Maschinenzeitalters entgegen wirken sollte. Ein erfolgreicher Markt an Ratgeberliteratur suggerierte, das Band der Ehe - und damit auch das Band, das die Nation und Zivilisation zusammenhalte - könne durch die Kultivierung und Disziplinierung sexueller Freuden im Ehebett revitalisiert werden. Eheratgeber ermahnten ‚moderne' Ehefrauen und -männer, durch die harmonische Abstimmung männlicher und weiblicher Sexualität aufeinander, die im Ideal des gleichzeitigen Orgasmus buchstäblich kulminieren sollte, die tiefe Kluft zwischen den Geschlechtern als eine Quelle gesteigerter Sensibilität zu nutzen. Heterosexueller Sex wurde als Mikromodell einer demokratischen Gesellschaftsordnung präsentiert: "Thus marriage manuals' representational collapse of heterosexual love into citizenship helped to legitimize a race- and power-evasive understanding of whiteness as synonymous with all the highest American ideals of just, consensual political and personal relationships." (S. 78) Die diskursive Konstruktion von heterosexueller Ehe als idealer Beziehungsform von StaatsbürgerInnen war gleichzeitig eine Normalisierung sexueller Selbstkontrolle, die wenige Jahrzehnte vorher ein Zeichen besonders vornehmer weißer Amerikaner/innen gewesen war. Gerade durch diese Normalisierung wurde "Whiteness" ‚unsichtbar': "[T]he more ‚heterosexuality' talked about itself, the less whiteness needed to say." (S. 98)

Während Carters Analyse von Eheratgebern im Vergleich zu Neurasthenie-Diskursen durchaus ähnliche Repräsentationen von "Whiteness" zeigt (selbstdisziplinierte Sensibilität als Grundlage einer funktionierenden Gesellschaft), umfasste das Ideal moderner ehelicher Sexualität nicht nur "well-bred, native-born Anglo-Americans" (S. 14). Die Zugangsmöglichkeit zu ‚Normalität' für eine größere Gruppe von Menschen, die als weiß konstruiert wurden, verstärkte die Wahrnehmung soziopolitischer Hierarchien als zufällig und damit die politische "Unschuldigkeit" von Weißsein. (S. 114)

Die Bedeutung der schulischen und militärischen Sexualerziehung für Verknüpfung von heterosexueller, selbstdisziplinierter "Whiteness" mit Normalität steht im Mittelpunkt des dritten Kapitels mit dem Titel "Birds, Bees, and the Future of the Race: Making Whiteness Normal". Carter arbeitet heraus, wie auch in der "sex education" eine natürliche, scheinbar apolitische Verbindung zwischen sexueller Selbstbeherrschung, einer Ethik der Monogamie in der Ehe und der Stärke der weißen Zivilisation konstruiert wurde. Sexualerziehung trainierte weiße Amerikaner/innen auch im ‚richtigen' Sprechen über Sex. Der Imperativ des offenen und gleichzeitig diskreten Sprechens ("frank reticence", S. 123) formulierte die zentrale Regel für die Performanz von Normalität und fungierte gleichzeitig als Abgrenzung gegenüber ‚primitiven', unkultivierten Formen des Ausdrucks. Carter zeigt außerdem, wie positiv konnotierte, vielversprechende Erzählungen über ‚normales' Familienleben die Rolle des Bedrohungsszenarios von Geschlechtskrankheiten einnahmen. Sexualerziehung lässt sich so als ein Mittel fassen, über das gegen Ende der 1930er-Jahre ein neues, scheinbar ‚neutrales' Ideal von Weißsein transportiert wurde. Als ‚normale' Sexualität galt die rationale, disziplinierte, heterosexuelle eheliche Liebe, durch die jede weiße Generation ihr biologisches und kulturelles ‚rassisches' Erbe weitergeben sollte.

Einer der Wege, wie "Whiteness" "machtvermeidend" wurde, war die Normalisierung von zutiefst rassifizierten Geschlechter- und Sexualitätsidealen unter dem Zeichen der ‚modernen' Ehe. Gleichzeitig stärkte die Ausweitung der sozialen Kategorie "Whiteness" über Klassen- und - in gewissen Maßen - auch ethnisierte Grenzen hinweg die Wirkmacht des Konzeptes. "Normalität" diente als diskursiver "umbrella", unter dem weiße, heterosexuelle Amerikaner/innen ihren Anteil an moderner Staatsbürgerschaft reklamieren konnten.

Julian B. Carter hat eine äußerst anregende, glänzend formulierte Studie vorgelegt, die die komplexen Stränge der Konstruktion von Normalität strukturiert und überzeugend zusammenführt. Dabei reflektiert sie immer wieder behutsam die Probleme, die durch eine erneute Konzentration auf Weißsein und Normalität entstehen können. Obgleich sie ihren Zugriff nicht theoretisch expliziert, muss ihre Arbeit nicht auf theoretische Tiefe verzichten. Ihr eleganter, leichter und dennoch sehr dichter Stil bringt einen Fundus origineller und treffender Formulierungen hervor, der die Lektüre auch dann abwechslungsreich macht, wenn die Kernaussagen des Textes allzu oft wiederholt werden. Carters Erzählung ist kohärent, vielleicht ein wenig zu kohärent, da ihre ansonsten sehr umsichtigen Analysen ein wenig die Reflexion von Brüchen und Widersprüchlichkeiten vermissen lassen. Insgesamt ein auch methodisch-theoretisch sehr wichtiges Buch im Bereich der Queer/Critical Whiteness-Studies.

Anmerkungen:
1 Hier bezieht sich Carter vor allem. auf Gail Bederman: Manliness and Civilization: A Cultural History of Gender and Race in the United States, 1880-1917. Chicago 1995.
2 Die Termini "race-evasiveness" und "power-evasiveness" wurden von Ruth Frankenberg geprägt: Ruth Frankenberg: White Women, Race Matters: The Social Construction of Whiteness. Minneapolis 1993.

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