K. Wüstenbecker: Deutsch-Amerikaner im Ersten Weltkrieg

Titel
Deutsch-Amerikaner im Ersten Weltkrieg. US-Politik und nationale Identitäten im Mittleren Westen


Autor(en)
Wüstenbecker, Katja
Erschienen
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
428 S.
Preis
€ 56,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Melanie Henne, Philosophische Fakultät, Lehrbereich Nordamerikanische Geschichte, Universität Erfurt

Die Fragen nach Assimilierung, Akkulturation und Integration bestimmen die Forschung zu ImmigrantInnen in den USA seit Jahrzehnten. Es ist dabei unter anderem von besonderem Interesse zu fragen, wie ImmigrantInnen in den USA leben, mit ihrer Herkunft umgehen, von AmerikanerInnen wahrgenommen werden und sich selbst definieren. Katja Wüstenbeckers Studie zu Deutsch-Amerikanern 1 im Ersten Weltkrieg beschäftigt sich zum einen mit der Frage, welche Auswirkungen der Erste Weltkrieg auf die Selbstwahrnehmung der Deutsch-AmerikanerInnen hatte. Damit knüpft Wüstenbecker an zwei gegensätzliche Thesen in der Forschung an: Eine Strömung konstatiert einen durch den Ersten Weltkrieg ausgelösten Assimilationsschub, während andere bei Deutsch-AmerikanerInnen eine Stärkung ihrer ethnischen Identität als Deutschstämmige ausmachen. Wüstenbeckers differenzierte Analyse liefert überzeugende Belege für beide Thesen, wobei eine der Stärken der Arbeit darin besteht, die Heterogenität der Gruppe der Deutsch-AmerikanerInnen herauszustellen. Als weiteren Schwerpunkt thematisiert Wüstenbecker die Einstellungen der amerikanischen Bevölkerung zu Deutsch-AmerikanerInnen im Ersten Weltkrieg und die damit interagierenden politischen Konsequenzen bezüglich ihres Rechtsstatus.

Als Analysekategorien dienen Wüstenbecker die „drei Bereiche Staat, Gesellschaft und die Gruppe der Deutsch-Amerikaner“ (S. 14). Durch die Auswertung vielfältiger Materialien gelingt es ihr dabei, die Erfahrungen von Deutsch-AmerikanernInnen in einen politischen und gesellschaftlichen Kontext zu stellen. Sie verwendet einerseits Selbstzeugnisse von Deutsch-AmerikanerInnen sowie Schriften von deutsch-amerikanischen Vereinen, Kirchengemeinden oder Schulen. Andererseits fließt auch statistisches Datenmaterial in die Untersuchung ein. Auf staatlicher Ebene werden unter anderem Akten des Justizministeriums, „des Committee on Public Information, des Bureau of Immigration and Naturalization, des Bureau of Investigation und des United States Secret Service“ (S. 18) herangezogen. Den Bereich Gesellschaft erschließt Wüstenbecker mit Material von nicht-staatlichen Organisationen, die sich zur Stärkung der Heimatfront im Ersten Weltkrieg bildeten. Des Weiteren verwendet Wüstenbecker Zeitungen und Karikaturen, um Rückschlüsse auf die amerikanische Gesellschaft ziehen zu können. Dabei hätten die Karikaturen jedoch detaillierter untersucht werden können. Teilweise werden sie lediglich zu Illustrationszwecken verwendet, so dass ihr Potential nicht ausgeschöpft wird.

Die chronologische Studie betrachtet zunächst den Mittleren Westen der USA als Region, die in besonderer Weise von deutschen ImmigrantInnen geprägt wurde. Dabei ist Wüstenbeckers Arbeit als vergleichende Regionalstudie angelegt. Die Städte Milwaukee (Wisconsin), Chicago (Illinois), St. Louis (Missouri) und Cincinatti (Ohio) bilden einen Untersuchungsraum, der in einem einführenden Kapitel mit einem Fokus auf deutsche ImmigrantInnen sowie der Einwanderungspolitik vor 1914 dargestellt wird. Dieser Ansatz bietet die Möglichkeit zur differenzierten Analyse deutsch-amerikanischer Lebensweisen in den USA, dem Wüstenbecker durch die Betrachtung zahlreicher Einzelfälle gerecht wird.

Im folgenden Kapitel steht die Neutralitätsphase Amerikas im Ersten Weltkrieg im Mittelpunkt der Betrachtung. Gefragt wird nach der Stellungnahme von Deutsch-AmerikanerInnen zur Kriegsführung des Deutschen Reiches sowie den amerikanischen Reaktionen darauf. Wüstenbecker arbeitet überzeugend heraus, dass Deutsch-AmerikanerInnen keine einheitliche Position bezogen. Sie unterscheidet vier Gruppen, „die Pro-Deutschen, die Pro-Amerikaner, die Neutralisten (die den Krieg aus politischen oder pazifistischen Gründen ablehnten) und die große Mehrheit derjenigen, die nicht auffallen wollten.“ (S. 307) Wüstenbecker zeigt auf, dass diese Gruppen in der Öffentlichkeit jedoch unterschiedlich präsent waren: Pro-Deutsche und Neutralisten erweckten gerade in der (deutschsprachigen) Presse den Anschein, alle Deutsch-AmerikanerInnen zu repräsentieren, da sie sich am lautesten Gehör zu verschaffen wussten und zur Boykottierung beispielsweise von Banken aufriefen, die den Alliierten Kriegskredite gewährten. Dies führte nach Wüstenbecker dazu, dass die Deutsch-AmerikanerInnen insgesamt im Hinblick auf ihr politisches Engagement von der amerikanischen Öffentlichkeit mit Misstrauen betrachtet wurden. Für viele der assimilierten Deutsch-AmerikanerInnen hatte der Kriegsausbruch ein Rückbesinnen auf ihre deutsche Herkunft zur Folge, was sich auch in dem verstärkten Interesse an deutschsprachigen Zeitungen ausdrückte. Wüstenbecker betont, dass Deutsch-AmerikanerInnen in ihren pro-deutschen Aktivitäten (beispielsweise Spendensammlungen für Familie und Bekannte im Deutschen Reich) keinen Widerspruch zu ihrem Amerikanischsein wahrnahmen, während dieses Verhalten für viele AmerikanerInnen einen Verrat an der amerikanischen Nation bedeutete.

Im letzten, umfangreichsten Analysekapitel stellt Wüstenbecker heraus, wie sich durch den Kriegseintritt der USA die Wahrnehmung der Deutsch-AmerikanerInnen sowie deren Verhalten maßgeblich veränderten und welche politischen Auswirkungen dies für die Deutsch-AmerikanerInnen hatte. Mit dem Kriegseintritt der USA änderten viele Deutsch-AmerikanerInnen ihre Haltung zum Deutschen Reich und die überwiegende Mehrheit betonte ihre Loyalität zur amerikanischen Nation. Dies konnte jedoch nicht verhindern, dass sie vom Großteil der amerikanischen Bevölkerung negativ wahrgenommen wurden. Gerüchte über deutsche Spione in den USA verstärkten die feindliche Haltung gegenüber Deutsch-AmerikanerInnen und führte dazu, dass sich die amerikanische Bevölkerung auch von in den USA lebenden Deutschen – die als „alien enemies“ (S. 12, Anm. 6) bezeichnet wurden – sowie AmerikanerInnen deutscher Herkunft bedroht fühlte, was sich auf mehreren Ebenen auswirkte: Die Existenz nicht-staatlicher Organisationen mit dem Ziel der Amerikanisierung von ImmigrantInnen sowie die verschärfte Gesetzgebung gegenüber „feindlichen Ausländern“( S. 208-214) führten zu weit verbreiteten Denunziationen und zahlreichen tätlichen Übergriffen auf Deutsch-AmerikanerInnen. Letztere sahen sich dem Druck ausgesetzt, ihre Loyalität gegenüber den USA unter Beweis zu stellen, was sie beispielsweise durch den Kauf von Liberty Loans, das Singen der amerikanischen Nationalhymne in Situationen, wo ihre Loyalität öffentlich angezweifelt wurde oder das Zurschaustellen der amerikanischen Flagge an ihren Häusern versuchten. Die anti-deutsche Stimmung hatte zudem massive Auswirkungen auf deutsch-amerikanische Institutionen: Zahlreiche Maßnahmen gegen die Verwendung der deutschen Sprache wirkten sich äußert negativ auf das Fortbestehen der deutsch-amerikanischen Kultur aus. Wüstenbecker argumentiert, dass dies sich unter anderem am Niedergang von deutschen Bildungsinstitutionen in den USA, dem Vereinswesen, der deutschsprachigen Presse sowie kirchlichen Einrichtungen, deren Gottesdienste in deutscher Sprache abgehalten wurden, zeigte.

In Wüstenbeckers Darstellung der unterschiedlichen Reaktionen von Deutsch-AmerikanerInnen auf den Ausbruch des Ersten Weltkrieges betonte sie insbesondere die Heterogenität dieser Gruppe. Dabei hätte die zusätzliche Berücksichtigung der Analysekategorie Gender zu einer weiteren, produktiven Differenzierung beigetragen. Bei der Analyse des Komplexes „Gesellschaft“ scheint diese zum Teil als homogener Gegenblock zu den Deutsch-AmerikanerInnen betrachtet zu werden. Unterschiedliche Positionen zu Deutsch-AmerikanerInnen innerhalb der amerikanischen Bevölkerung werden nur ansatzweise berücksichtigt. Hier wäre es spannend zu fragen, wie sich beispielsweise andere Migrantengruppen zu Deutsch-AmerikanerInnen positionierten oder in welchem Verhältnis sie zu African Americans standen, um auch in dieser Analysekategorie die Heterogenität und Vielschichtigkeit von Gesellschaftsstrukturen zu berücksichtigen. Trotz dieser Einwände bietet Katja Wüstenbeckers Arbeit eine differenzierte Analyse deutsch-amerikanischer Erfahrungen im Ersten Weltkrieg. Sie ist besonders lesenswert für alle HistorikerInnen, die sich mit ImmigrantInnen in den USA beschäftigen und dabei insbesondere an gesellschaftspolitischen Fragestellungen interessiert sind.

Anmerkungen:
1 Mit diesem Begriff bezeichnet Wüstenbecker AmerikanerInnen deutscher Herkunft, die auf rechtlicher Ebene die amerikanische Staatsbürgerschaft besaßen und sich damit von „feindlichen Ausländern“ in ihrem rechtlichen Status unterschieden. Als letztere wurden nach Kriegseintritt Deutsche bezeichnet, die in den USA lebten ohne eingebürgert zu sein. Sie standen in besonderem Maße unter dem Verdacht der Spionage.

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