A. Hofmann: The Emergence of Détente in Europe

Cover
Titel
The Emergence of Détente in Europe. Brandt, Kennedy and the Formation of Ostpolitik


Autor(en)
Hofmann, Arne
Reihe
Cold War History Series 15
Erschienen
London 2007: Routledge
Anzahl Seiten
XIV, 225 S.
Preis
₤ 70.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Bange, Historisches Institut, Universität Mannheim

„I hope that you will someday be the voice of your generation, and of the West, and lead your country as he led his“ – mit diesem emotionalen Appell gab die Witwe John F. Kennedys Anfang 1964 das politische Erbe ihres Mannes an Willy Brandt weiter.1 Nur drei Jahre zuvor hatte die Berlin-, Deutschland- und Ostpolitik des jungen amerikanischen Präsidenten den Regierenden Bürgermeister West-Berlins noch in eine schwere Krise gestürzt: Washingtons Hinnahme des Mauerbaus hatte Brandt schockiert, die neue amerikanische Deutschlandpolitik ab Herbst 1961 widersprach seinen eigenen Ansichten, und sein Hoffen auf amerikanische Unterstützung „humanitärer Angelegenheiten“ in Berlin wurde rasch enttäuscht. Wieso, möchte man fragen, führte dann ausgerechnet die Interaktion zwischen Kennedy und Brandt zum „Erscheinen“ der Entspannungspolitik in Europa?

Arne Hofmann nähert sich dieser Frage in seiner schlanken Dissertation mit drei methodisch sehr unterschiedlichen Teilen: Zunächst wird anhand westdeutscher und amerikanischer Dokumente die Ereignisgeschichte der Beziehung Brandt – Kennedy zwischen 1960 und 1963 nachgezeichnet. Der zweite Teil über Werte, Ideen und Konzepte reicht dann sozusagen die Ideengeschichte nach, während der dritte Abschnitt über das jeweilige Verhältnis zur Bonner Ost- und Deutschlandpolitik unter Adenauer sowie über die PR-Kampagnen zum „Verkaufen“ der Kandidaten und ihrer Politik eine Art Appendix bildet.

Damit positioniert sich Hofmann zwischen den Forschungen zum Thema von Wolfgang Schmidt und Peter Speicher.2 Während Schmidt mit Schwerpunkt auf den 1950er-Jahren die These vertritt, dass die Neue Ostpolitik durch Brandt und seine Berliner Entourage vorbereitet worden sei (bevor Kennedys Leute dem gefolgt seien), spürt Speicher auf breiter, multinationaler Quellenbasis erfolgreich den entspannungspolitischen Querverbindungen zwischen Berlin, Bonn und dem Westen von 1957 bis 1966 nach. Hofmann betreibt also eine Reduktion des bisherigen Forschungsansatzes, sowohl den gewählten Zeitabschnitt als auch – besonders radikal – das auf zwei zentrale Personen reduzierte Beziehungsgeflecht betreffend.

In sieben Kapiteln, die überwiegend jeweils um ein zentrales Dokument kreisen, schildert der Autor die Chronologie dieser Sonderbeziehung. Dabei zeigt sich, dass Kennedy die für „Entspannung“ notwendigen Voraussetzungen schon vor dem Mauerbau 1961 realistischer einschätzte als Brandt, der noch überkommenen deutschlandpolitischen Axiomen verhaftet war. Während ihres ersten Treffens im März 1961 im Weißen Haus machte der amerikanische Präsident klar, dass eine deutsche Wiedervereinigung auf absehbare Zeit nicht möglich sei (und er deshalb implizit die von Brandt propagierte Friedenskonferenz ablehne), dass eine Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze überfällig sei und die heikle Situation in Berlin eine abwartende Politik erfordere. Brandt hätte also gewarnt sein müssen – doch erst der durch den Mauerbau und seine eigenen öffentlichen Proteste gegen die Untätigkeit der Alliierten provozierte Brief Kennedys sowie das an Deutlichkeit nicht zu überbietende „Johnson-Treatment“ während des Berlin-Besuchs des Vize-Präsidenten im August 1961 zwangen Brandt, den Realitäten ins Auge zu sehen.

Im Herbst und Winter 1961 scheinen in West-Berlin daraufhin die eigenen ostpolitischen Vorstellungen einer grundlegenden Revision unterzogen und den amerikanischen Vorgaben angepasst worden zu sein. Hofmann spricht von einer „Wasserscheide“ im strategischen Denken Brandts und streicht dabei vor allem die bis dahin strikt abgelehnte De-facto-Anerkennung der DDR heraus. Im Frühjahr 1962 wurden mit den Umrissen der neuen amerikanischen Deutschlandpolitik auch die Perspektiven für einen Ausgleich zwischen Washington und Moskau sichtbar (Souveränität der DDR, Gewaltverzicht bezüglich der Grenzen in Europa, Verhinderung deutscher Atomwaffen, Intensivierung innerdeutscher Kontakte). Brandt, Schütz und Bahr beeilten sich, die eigenen Konzepte entsprechend anzupassen. Brandt avancierte zum entspannungspolitischen Hoffnungsträger der Amerikaner in Westdeutschland, und die Brandt-Kennedy-Beziehung wurde zunehmend enger. Der Weg führte von Brandts Harvard-Lectures zu Bahrs Formel „Wandel durch Annäherung“, zu Kennedys triumphalem Berlin-Besuch im Sommer 1963, dem ersten Passierscheinabkommen mit Ulbricht im Dezember desselben Jahres (dem ersten der vielen „kleinen Schritte“) und schließlich zum eingangs zitierten Vertrauensbeweis Jacqueline Kennedys.

Deutlich problematischer als Hofmanns wertvolle Rekonstruktion und Analyse im ersten Teil sind die widersprüchlichen Interpretationen des zweiten Abschnitts. Teilweise sind die Aussagen so unterschiedlich, dass sie von zwei verschiedenen Autoren stammen könnten. Die Argumentation folgt zunächst etablierten Mustern: Das annähernde nukleare Gleichgewicht habe einerseits den Zwang zur Koexistenz bedeutet, andererseits aber auch Überlegungen für eine neue Liberalisierungsstrategie motiviert. Das Gefühl der Überlegenheit des eigenen Systems und die Erkenntnis, über „Differenzierung“ auch im Osten Wandel in Gang setzen zu können, charakterisierten dieses Kalkül. Problematisch wird Hofmanns Text insbesondere dort, wo die positive Rolle der beiden Protagonisten auf Kosten anderer Beteiligter herausgekehrt wird. Fortgesetzte Vor- und Rückblenden, eine Tendenz zu absoluten Formulierungen und ein wenig souveräner Umgang mit Daten und Fakten außerhalb des Untersuchungszeitraumes3 tragen das Ihre dazu bei. So gerät der Spätsommer 1963 nicht nur zum Höhepunkt des Verständnisses zwischen Kennedy und Brandt, sondern wird unversehens auch noch zum Höhepunkt der Transformationsstrategie. Danach, so Hofmann (S. 120), sei der Trend in Washington wieder gegenläufig gewesen – bis zur vollständigen Aufgabe des Konzeptes unter Nixon und Kissinger.

Dabei lässt Hofmann nicht nur mehr als fünf Jahre Johnson-Administration unter den Tisch fallen – entscheidende Jahre, in denen die (wie Teil 1 des Buches gut belegt) noch weitgehend unverbundenen Ideen der Kennedy-Administration erst zu einer kohärenten Gesamtstrategie zusammengefügt wurden.4 Hofmann widerspricht auch dem eigenen Credo aus Einleitung und Schlusskapitel über die Prozesshaftigkeit von Brandts Ostpolitik, die sich seit 1963 über viele Zwischenstufen noch deutlich verändert und weiterentwickelt habe. Die Schieflage wird zudem in der Bewertung von Rolle und Person Egon Bahrs überaus deutlich. Anders als Bahr sei Brandt amerikafreundlich gewesen und habe im Gegensatz zum sicherheitsfixierten Denken Bahrs die Rolle der Ideologie nicht unterschätzt (S. 110). Bezüglich der in der Neuen Ostpolitik angelegten Dichotomie von Stabilisierung und Subversion des Gegenübers wird Bahr bei Hofmann (durch fragwürdige Vor- und Rückblenden auf die späten 1970er-Jahre) zum Vertreter des ersten und Brandt zum Vertreter des zweiten Aspektes. Während diese Passagen und Wertungen ohne weitere Quellenangaben auskommen, benutzt Hofmann dort, wo er quellengestützt analysiert, wiederholt die Formel „Brandt und Bahr“. Tatsächlich handelten sowohl Brandt als auch Bahr nach der Vorgabe: Soviel Stabilisierung wie nötig, um ein Maximum an Transformation möglich zu machen.

Der Umgang mit der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ und mit der deutschen Nuklearfrage, die Pläne zur Multilateralisierung der Ostpolitik, die innenpolitische Polarisierung, Sozialdemokratisierung und Europäisierung Europas sowie manch andere Fragen spielten Anfang der 1960er-Jahre während des „Erscheinens“ der Neuen Ostpolitik keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Diese Themen, an denen man den praktischen Umgang mit den komplementären Zielsetzungen (Stabilität und Wandel) ermessen und bewerten könnte, tauchen bei Hofmann genausowenig auf wie die zeithistorische Einordnung der Brandt-Bahr-Strategie im deutschlandpolitischen Kontext.5 Das eigentliche Thema des Buches – die Beziehung zwischen Brandt und Kennedy – würde derartige Exkurse keineswegs erfordern; für die mit weiten Vor- und Rückblenden arbeitenden Interpretationen und Wertungen des Autors wären sie aber notwendig.

So unterschiedlich die beiden Hauptteile von Hofmanns Buch auch sein mögen – eines zeigen sie deutlich: dass Brandts Neue Ostpolitik eben nicht auf einem starren Konzept beruhte (wie etwa die zeitgenössische Hallstein-Doktrin), sondern ein auf grundlegenden Werten fußendes, in seiner tagespolitischen Umsetzung flexibel zu gestaltendes Instrument zur langfristigen Überwindung kommunistischer Herrschaft in Zentral- und Osteuropa und damit der europäischen und deutschen Teilung war.

Anmerkungen:
1 Jacqueline Kennedy an Willy Brandt, 3.1.1964 (Archiv der sozialen Demokratie, Willy-Brandt-Archiv, A3-198).
2 Schmidt, Wolfgang, Kalter Krieg, Koexistenz und kleine Schritte. Willy Brandt und die Deutschlandpolitik 1948–1963, Wiesbaden 2001 (rezensiert von Detlef Nakath: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/ZG-2002-071>); Speicher, Peter, The Berlin Origins of Brandt’s Ostpolitik, 1957–1966, unveröff. Diss. Cambridge 2001.
3 Beispielsweise wurde Walt W. Rostow (erwähnt auf S. 26) erst 1966 Nationaler Sicherheitsberater Johnsons (während er unter Kennedy Leiter des Policy Planning Council im State Department war); die so genannte „Ulbricht-Doktrin“ umfasste deutlich mehr als die zwei von Hofmann (S. 135) angeführten Forderungen; Zbigniew Brzezinski war nicht „in der Nixon-Administration“ (S. 202).
4 Schwartz, Thomas A., Lyndon B. Johnson and Europe, Cambridge 2003.
5 Für die Entwicklung deutschlandpolitischer Überlegungen in der FDP siehe beispielsweise: Siekmeier, Mathias, Restauration oder Reform? Die FDP in den sechziger Jahren – Deutschland- und Ostpolitik zwischen Wiedervereinigung und Entspannung, Köln 1998. Auch zur Auseinandersetzung Brandts mit den deutschlandpolitischen Konzepten von Fritz Erler, Herbert Wehner, Carlo Schmid existiert mittlerweile ein beachtliches Forschungskorpus.

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