K. Görich, Die Ehre Friedrich Barbarossas

Titel
Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert


Autor(en)
Görich, Knut
Reihe
Symbolische Kommunikation in der Vormoderne 1
Erschienen
Anzahl Seiten
VIII + 638 S.
Preis
€ 49,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Petra Schulte, Historisches Seminar der Universität Köln

Die Ehre Friedrich Barbarossas, so lautet die Prämisse der Untersuchung von Görich, ist von der Ehre des Reiches nicht zu trennen. Die bisher gängige Annahme, der "honor imperii" sei ein juristisches oder politisches Konzept und eng auf Recht und Besitz bezogen gewesen, weist er zurück. Görich betrachtet die adelige Ehrvorstellung als Handlungsmovens und deutet vor dieser Folie die Aussagen vornehmlich der historiograpischen Quellen neu. Nach einer einführenden Darlegung der Verhaltensmuster in Interaktion und Kommunikation mit dem Kaiser (17-57) wendet er sich den Konflikten mit den Erzbischöfen von Salzburg (58-91), den Päpsten (92-185) und den lombardischen Städten (186-302) zu. Anknüpfend vor allem an das letzte Kapitel behandelt er ferner die Themenkomplexe "Recht, Gericht, Verfahren und Ehre" (303-330) sowie "Geld und Ehre" (331-363). Schritt für Schritt, Episode für Episode verfolgt er seine These, daß in einer Zeit, in der die Ehre von Kaiser und Reich die geltenden Werte und Handlungsweisen maßgeblich bestimmt habe, ein öffentlich bekundeter Widerspruch als Bedrohung der bestehenden Herrschaftsordnung empfunden werden mußte. Friedrich Barbarossa sei zwangsläufig weniger an einer inhaltlichen Klärung der jeweiligen Streitfrage als vielmehr an einer öffentlichen Wiederherstellung seiner verletzten Ehre gelegen gewesen (369f.).

Die Abläufe politischer Kommunikation, die immer auch eine nonverbale war, werden von Görich anschaulich und mit großer Sachkenntnis beschrieben. Gleichwohl provoziert seine Interpretation der Ehre Widerspruch. Die Verengung des Begriffes auf die „Wirkung einer hervorgehobenen Würde oder Stellung auf ihre Umwelt“ (5) halte ich für das 12. Jahrhundert für ebenso einseitig wie die auf den rechtlichen Aspekt. In der Konzentration auf das „Zeichensystem“ der Ehre (15) deutet Görich ihre Grundlagen lediglich einleitend an (17-36). Eine Analyse der Verwendung von „honor“ in den Quellen erfolgt nicht. Hierunter fällt zum einen die vernachlässigte Differenz zwischen "honor" und "reverentia" 1. Ferner bleiben Wortkombinationen wie "honor et dignitas", "honor et gloria", "honor et potestas", "honor et utilitas", "honor et libertas", "honor et fides" und "honor et iustitia" unkommentiert, obwohl sie sichtbar auf unterschiedliche Facetten von Ehre verweisen. Und schließlich wird häufig auf die Überlegung verzichtet, wie die Chronisten mit dem Begriff argumentierten bzw. wo sie aus welchem Grund einen anderen wählten.

Wie Görich zwar kurz, aber zu Recht bemerkt, war die Ehre einer Person im 12. Jahrhundert nicht von ihren Ämtern, Vorrechten und Besitztümern zu trennen, auf die sie sich unmittelbar stützte (10). In dem von ihm weitgehend unberücksichtigten Prozeß gegen Heinrich den Löwen findet dies eine deutliche Bestätigung. Das vom Kaiser bekräftigte Urteil der Fürsten lautet in der Wiedergabe Arnolds von Lübeck, daß der Welfe jedweder Ehre zu entheben sei, d.h. geächtet werden und das Herzogtum sowie alle Lehen verlieren solle. 2 Heinrich der Löwe war in der Folge friedlos und hatte mit der Huld des Kaisers seine rechtliche Sicherheit, seine materiellen und immateriellen Auszeichnungen, seine personellen Bindungen und sein Ansehen verloren. Er besaß im Reich keine Ehre mehr. Auch die Ehre Friedrich Barbarossas beruhte nicht ausschließlich auf seinem adeligen Selbstverständnis, sondern darüber hinaus auf bestimmten Rechten und Pflichten der Königs- bzw. Kaiserwürde. Da er an der Spitze des weltlichen Ranggefüges stand, konnten ihm diese kaum entzogen werden. Daß der Konsens über ihren Umfang jedoch immer wieder neu erstritten wurde, gilt als ein wesentliches Kennzeichen der Herrschaft des Staufers. Ohne Zweifel legte Friedrich Barbarossa Wert darauf, die Ehrerweisung zu erhalten, die ihm seines Erachtens zustand. Mit dem Erfolg, ein öffentliches Verhalten ihm gegenüber festzulegen und durchzusetzen, demonstrierte er im Sinne der bekannten Definition von Max Weber Macht. Allerdings variierten die hinter dem Begriff der Ehre stehenden Ansprüche von Mal zu Mal. Görich selbst muß konstatieren, daß in der Entscheidung darüber, "was eine Ehrverletzung war und was nicht", "Handlungsspielraum und Wirkungsweise des staufischen Kaisers" (57) bestand. Die Abwägung des politisch Möglichen ist also auch in Fragen der Ehre nicht zu unterschätzen.

Plausibel erscheint insofern die Einordnung der Ereignisse von Sutri im Jahr 1155 (92-106), des von Friedrich Barbarossa dem Papst zunächst verweigerten, nach einigen Beratungen dann doch durchgeführten Marschall- und Stratordienstes. Der bisher gängigen Forschungsmeinung, dieser sei von dem Staufer lehnsrechtlich ausgelegt und erst akzeptiert worden, als deutlich gemacht werden konnte, daß er mit ihm lediglich den Aposteln seine Reverenz erweise, setzt Görich eine sorgfältige Analyse der Kommunikationssituation entgegen. Er gelangt zu dem Ergebnis, daß die anwesenden Kardinäle oder der Papst den Zügel- und Bügeldienst zu nachdrücklich eingefordert und den freiwilligen Gestus somit zu einer ehrverletzenden Pflicht gemacht hätten. Friedrich Barbarossa hätte den Konflikt eskalieren lassen können. Aber sein Interesse an der bevorstehenden Kaiserkrönung drängte ihn ebenso wie den Papst, der auf die Erfüllung des kurz zuvor erneuerten Konstanzer Vertrages hoffte, zum Ausgleich. Man einigte sich auf die Wiederholung der mißglückten Begegnung.

Die Handlungsfreiheit, die Görich hier den Akteuren zuspricht, versagt er ihnen in anderen Fällen. So führt er das Verhalten des Kaisers in dem knapp zwanzig Jahre andauernden päpstlichen Schisma, das 1159 dem Tod Hadrians IV. folgte, im wesentlichen auf den berühmten Eklat von Besançon im Jahr 1157 zurück. Nachdem bei der Verlesung eines päpstlichen Briefes das Wort "beneficium" mit "Lehen" übersetzt worden und Unruhe unter den Fürsten aufgekommen war, da sich die geistliche Gewalt offensichtlich über die weltliche zu stellen versuchte, hatte einer der beiden päpstlichen Legaten, möglicherweise Roland Bandinelli, Kardinal und Kanzler der römischen Kirche, die Emotionen mit dem Ausruf zum Siedepunkt gebracht: "Von wem hat er [sc. Friedrich Barbarossa] denn das Kaisertum, wenn er es nicht vom Herrn Papst hat?" Görich argumentiert, daß eine spätere Kommunikation zwischen dem Staufer und Alexander III., eben jenem Roland Bandinelli, aufgrund des ungesühnten Auftrittes nicht möglich gewesen sei (126-135). Diese Interpretation läßt jedoch außer acht, daß Kaiser und Papst unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich ihrer Ämter vertraten, die nur schwer miteinander in Einklang zu bringen waren. Die Annahme eines zwingenden Verhaltenskodex überzeugt vor diesem Hintergrund nur bedingt. Und auch Görich räumt mit Blick auf den Frieden von Venedig im Jahr 1177 letztlich ein, daß sich das, was "der 'honor imperii' verlangte", "unter dem Druck der politischen Umstände gewandelt" (184) habe.

In bezug auf die italienischen Städte ist festzuhalten, daß in den Quellen weniger von der Ehre Friedrich Barbarossas und des Reiches gesprochen wird, als die Ausführungen von Görich vermuten lassen. Vielmehr ist ihnen - möglicherweise seit dem Hoftag von Roncaglia 1158, was jedoch zu überprüfen bleibt - vornehmlich von Treue die Rede. Nun liegen "honor" und "fides" in diesem Kontext nicht weit auseinander, und sicherlich kann gesagt werden, daß ein Bruch der Treue eine Verletzung der Ehre nach sich zog. Dennoch ist eine genaue Differenzierung der Begriffe ratsam. Rahewin läßt Friedrich Barbarossa 1159 vor dem Hintergrund der wiederholten Auseinandersetzungen mit Mailand zu den Fürsten sagen: "Nicht wir, sondern ihr Treubruch wird sie vor Gericht fordern; Beweise gegen sie werden ihre Meineide liefern, die Verletzungen des Vertrags und der Gesetze zum Schutz der Gesandten, die nicht von uns und von euch, sondern auch von Barbaren in der gebührenden Unverletzlichkeit und heiligsten Achtung gewahrt werden müssen." 3 Gerade weil Görich an dieser (235-237) und an anderer Stelle (303-330) einleuchtend auf das unterschiedliche Rechtsverständnis des Staufers und der Stadt Mailand abhebt, die den Kaiser als "parteiischen Richter" 4 nicht akzeptieren konnte, sollte nicht allein die erlittene Beleidigung hervorgehoben werden. Zumindest hätte deutlich gemacht werden müssen, daß der Begriff "honor" nicht fiel. Es waren Wortbruch und Treulosigkeit, die das weitere Vorgehen gegen Mailand rechtfertigten. Rahewin unterstreicht die Perfidie der Stadt, indem er als Reaktion der Mailänder den Ausspruch wiedergibt, sie hätten zwar geschworen, aber nicht versprochen, sich an den Eid zu halten. 5 Bei der Beschreibung des Kriegsverlaufes hingegen wird in der Historiographie gern auf die Ehre verwiesen. Siege schmeichelten dem ritterlichen Selbstbewußtsein und förderten den "honor". Die Erfolge wurden den abwesenden Großen wie Bischof Albert von Freising, "dem die Ehre des Reiches ('honor imperii') und unser Wohl am Herzen" lag, brieflich mitgeteilt. Hier liegt es nahe, an Propaganda zu denken, und auch Görich verweist darauf, daß es sich um eine "geradezu formelhafte Wendung" gehandelt habe, "die häufiger gebraucht wurde, wenn den Getreuen im Reich von den Erfolgen in Italien berichtet wurde" (242). Die Mailänder unterlagen Friedrich Barbarossa 1162, und es folgte das hinreichend bekannte Ritual der "deditio" 6, das an die Erneuerung des Treueverhältnisses gebunden war, dessen symbolische Inszenierung jedoch unumstritten dem Zweck diente, die Ehre und die Macht der siegreichen Partei für alle sichtbar zu machen.

Görich nutzt den Ehrbegriff in erster Linie als ein Instrument der Analyse. Dabei droht die Grenze zwischen der Sprache des Historikers und derjenigen der Quellen häufig zu verwischen. Allzu deutlich hören wir dann Geheimrat Wüllersdorf in "Effi Briest" zu Baron Innstetten sagen: "Unser Ehrenkultus ist ein Götzendienst, aber wir müssen uns ihm unterwerfen, solange der Götze gilt." Zwischen der Ehre Baron Innstettens im 19. Jahrhundert und derjenigen Friedrich Barbarossas oder gar des Reiches im 12. wird man in der weiteren Diskussion schärfer unterscheiden müssen. Diese eröffnet und den Blick der Forschung in eine neue Richtung gelenkt zu haben, ist jedoch als ein wichtiges Verdienst der Studie von Görich anzusehen.

1 Erst in seinem "Rückblick und Ausblick" gibt Görich eine Definition von "reverentia" (372) an.
2 Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, hg. von Johann Martin Lappenberg (MGH SS rer. Germ. 14) Hannover 1868, Ndr. Hannover 1978, II.10: "Cui ex sententia principum responsum est, quod dictante iustitia omni sit honore destituendus, ita ut proscriptione publica diiudicatus, et ducatu et omnibus beneficiis careat, et alter in locum eius consurgat. Confirmata igitur sententia, imperator adiudicavit fieri."
3 Bischof Otto von Freising und Rahewin, Die Taten Friedrichs oder richtiger Cronica, übersetzt von Adolf Schmidt und hg. von Franz-Josef Schmale (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 17), 4. Auflage 2000, IV.25: "Convenient eos modo non nos, sed fides fracta, experientur adversus ipsos sacramenta irrita facta, fedus ruptum, leges legatorum, non solum nobis et vobis, verum etiam barbaris debita integritate et sanctissima reverentia conservande."
4 Knut Görich, Der Herrscher als parteiischer Richter. Barbarossa in der Lombardei, in: Frühmittelalterliche Studien 29 (1995), 273-288.
5 Rahewin (wie Anm. 3 ), IV.27: "Iuravimus quidem, sed iuramentum adtendere non promisimus."
6 Vgl. Gerd Althoff, Das Privileg der deditio. Formen gütlicher Konfliktbeendigung in der mittelalterlichen Adelsgesellschaft, in: Ders., Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, S. 99-125.

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